Arbeit des Lehrers Jan Navrátil im Zuge seines dreijährigen Fortbildungsstudiums im Fache „Deutsch“

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Slezská univerzita v Opave

Filozoficko-pøírodovìdecká fakulta

Rozširující studium ucitelství nemciny pro strední školy

 

Jan Navrátil

Das sudetendeutsche Problem aus einer anderen Sicht —
Hören wir auch die andere Seite!

Záverecná práce

Vedoucí práce: Mgr. Petr Máj

 

Opava 2003

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Prohlašuji, že jsem tuto práci vypracoval samostatn a že jsem použil pouze tch zdrojo, které uvádím v bibliografii. U všech formulací, které nejsou mé vlastní, ale použité od jiných autoro, vyzna uji (napr uvozovkami) jejich rozsah a uvádím podle cita ních zvyklostí daného jazyka jejich zdroj.

U prevzatých myšlenek též uvádím jejich zdroj, i když se jedná o mé vlastní formulace. V prípade obhájení práce s kladným výsledkem souhlasím s tím, aby moje práce byla uložena v knihovn a sloužila ve shode s mými autorskými právy zájemcum o moji práci, protože jsem si vedom, že tato práce byla vypracována jako soucást mých povinností v rámci studijního programu, jehož dílcí výsledky jsou zároven plnením badatelských cílu ústavu, fakulty a univerzity.

V Brn dne 8. 8. 2003    Jan Navrátil  

(Bitte um Entschuldigung für das Fehlen mancher Akzente in den tschechischen Texten: ML 2004-01-18)

 

 

 

Inhalt:

1. Einleitung

2. Geschichte der Sudetendeutschen
2.1   Die Urbevölkerung, slawische Besiedlung, die große Kolonisation
2.2   Von den Hussiten bis zum Ende des Österreich-Ungarns
2.3   Von der Gründung der Tschechoslowakischen Republik bis zum Münchner Abkommen
2.4   Das Reichsprotektorat, der Zweite Weltkrieg und die Vertreibung

3. Nach der Wende
3.1   Warum schreibe ich gerade über die Sudetendeutschen
3.2   Mein Brief an Herrn Franz Neubauer, Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft
3.3   Mein Brief an Herrn Helmut Kohl, Bundeskanzler und Herrn Hans-Dietrich Genscher, Außenminister der BRD
3.4   Meine Korrespondenz mit Herrn Markwart Lindenthal
3.5   Was wäre es geworden, wenn ...?
3.6   Gibt es Grund zur Äußerung des Bedauerns?
3.7   Lösung ist die gegenseitige Vergebung und die Versöhnung

4. Zusammenfassung

Anhänge

Quellen

 

 

Abstrakt
Úvodem predkládám motiv pro vznik této práce.
Jejím úcelem je obeznámit zájemce o problematiku sudetských Nemcu s jejich pohledem na dejinné události spojené s touto etapou našich dejin.
V druhé cá sti popisuji velmi strucne vývoj našich spolecných vztahu od osidlování až po poválecné vyhnání ocima sudetonemeckých historiku.
V tretí cásti jsou uvedeny nekteré moje aktivity po roce 1989, které by mely prispet k vzájemnému odpuštení a usmírení mezi námi a našimi bývalými spoluobcany.
Ve shrnutí vyjadruji nadeji, že ješte pred vstupem do Evropské unie v kvetnu 2004 se dokážeme vyrovnat s neradostným údobím našich dejin 1945-1946 a oficiálne vyjádríme nejakým zpusobem politování nad ukrutnostmi pri vyhánení sudetských Nemcu.
Prílohy jsou faktickým doplnením všech ctyr cástí této práce.

 

Abstrakt
In der Einleitung nenne ich manche Motive für das Entstehen dieser Arbeit, deren Zweck es ist, die an der Problematik der Sudetendeutschen interessierten Leser mit der (sudeten-) deutschen Sicht der Geschichte und ihren Zusammenhängen bekanntzumachen.
Im zweiten Teil beschreibe ich sehr kurz und bündig die Entwicklung unserer Beziehungen von der Besiedlung [durch die Deutschen Siedler] bis zur Vertreibung [der deutschen Bevölkerung] mit den Augen der sudetendeutschen Historiker.
Im dritten Teil werden einige meiner Aktivitäten nach der Wende dargelegt, die zu einem gegenseitigen Vergeben und zur Versöhnung mit unseren ehemaligen Mitbürgern führen sollen.
In der Zusammenfassung äußere ich die Hoffnung, daß unsere Politiker noch vor unserem Beitritt in die EU den Mut finden, die Grausamkeiten der Vertreibung in den Jahren 1945-1946 zu bedauern.
Den Anhang bilden ergänzende Dokumente zu diesen vier Teilen.

 

 

1. Einleitung

Anlaß für das Entstehen dieser Arbeit ist die wieder aktuelle sogenannte Sudetendeutsche Frage, die über lange Zeit fast überwunden oder gar als erledigt galt.

Was ist der Grund dafür, daß diese „Frage“ wieder aufgeworfen wurde?

So wie man bei Bauarbeiten hier und da unvermutet auf unerwartete Zeugen der Vergangenheit stößt, so holen die Erinnerungen der Menschen die noch nicht geschlossenen Ereignisse aus der Mitte des 20. Jahrunderts ans Tageslicht – und vielleicht spielen hier auch die Halsstarrigkeit, die Taktlosigkeit und die gewöhnliche Ignoranz einiger Politiker eine Rolle.

Diese Arbeit soll zum Ausgleich mit der Vergangenheit beider Nationen vor dem Beitritt Tschechiens in die Europäische Union beitragen.

Zur Vorbereitung der Mitgliedschaft gehört auch die Kenntnis vieler Begebenheiten, die uns durch das vergangene Regime teilweise absichtlich verheimlicht, teilweise falsch dargestellt wurden. Die Geschichte und ihre Darstellungen in Literatur, Fernsehen und Film von unserer Seite sind genug bekannt, und deshalb meine ich, daß es sehr nützlich ist, sich mit der Beschreibung des Vor- und Nachkriegsgeschehens und mit den Gefühlen der anderen Seite bekanntzumachen.

Nur wenigen Leute ist heute bewußt, daß die Vorfahren unserer ehemaligen deutschen Mitbürger hier fast 700 Jahre lebten und auf die Einladung der böhmischen Herrscher kamen, und daß dieses Gebiet für sie noch Heimat ist. In vielen Dörfern und Städten, in ihren ehemaligen Wohnorten, nehmen sie mit ihren Nachkommen an der Renovierung der Kirchen und weiteren Sehenswürdigkeiten teil, treffen sich und lernen die jetzigen Bewohner kennen.

Die Geschichte kann nicht geändert werden. Es gibt historische Epochen, auf die die Nachkommen stolz sein können, aber es gibt auch solche, für die sie sich schämen sollten, bzw. für die sie sich entschuldigen sollten. Ich denke, daß die schlimmen Ereignisse nach dem zweiten Weltkrieg – die kollektive Vertreibung der Deutschen aus ihrer Heimat – zu letzteren gehören.

Unter den Vertriebenen waren viele unschuldige Kinder, und auch die meisten Erwachsenen hatten keinerlei Schuld an der Entfesselung des Krieges. Die meisten Sudetendeutschen hatten während des Krieges ähnliche Sorgen wie die anderen Bewohner des Protektorats und hatten keine Schuld auf sich geladen.

Ist es der Öffentlichkeit allgemein bekannt, warum uns die Mächte Frankreich und England im Jahre 1938 im Stich gelassen und in München die Verträge unterzeichnet haben? Soviel ich weiß, haben sie die Anforderungen der deutschen Sprachminderheit als berechtig erkannt. Und nebenbei: Die Vertreter der Sudetendeutschen waren in München auch nicht am Tische.

Es wird oft sehr drastisch in Filmen dargestellt, daß unter den Sudetendeutschen Fanatiker waren. Aber erinnern wir uns auch an Briefe der fünfziger Jahren von unseren „Werktätigen“, in denen gefordert wurde, mehr „Feinde der Arbeiterklasse“ und mehr „Hochverräter“ hinzurichten?

Es liegt an den Lesern, objektivere Ansichten über diese jüngste Geschichte zu gewinnen. Dadurch werden sie die Gefühle unserer ehemaligen Mitbürger verstehen lernen.

Nach dem November 1989 wurden Informationen aus allen Bereichen der menschlicher Tätigkeit zugänglich, die von den kommunistischen Regimes teilweise verheimlicht und teilweise entstellt worden waren.

Weil ich in Bruntál (Freundenthal) wohnte und mich für das Leben der ursprünglichen Bewohner in diesem Grenzgebiet interessierte, konnte ich neue Erkenntnisse aus der Geschichte der Sudetendeutschen mit den bisherigen vergleichen. Es war für mich eine Überraschung, daß viele Darstellungen der Geschichte aus den Jahren 1919 bis 1948 in Tschechien nicht korrigiert wurden – die antideutsche Propaganda der kommunistischen Ideologen war wie die antinazistische sehr erfolgreich.

Manche Äußerungen einiger tschechischer Politiker – nicht etwa nur der kommunistischen, von denen man ja nichts anderes erwarten kann – sind für mich schockierend.

Der Gipfel war die Äußerung des Ministerpräsidenten Miloš Zeman in einem Gespräch mit einer österreichischen Zeitung – und dies alles fast am Ende seiner Amtszeit. Es war alles ganz und gar überflüssig, besonders nach seiner eigenen Erklärung, daß die Beneš-Dekrete erloschen seien. Zeman behauptete, die Sudetendeutschen seien [mit der Vertreibung aus ihrer Heimat] glimpflich davongekommen, denn auf Hochverrat hätten sie eigentlich die Todesstrafe verdient gehabt.

Ergebnis war der Verzicht seines Parteikollegen, des Bundeskanzlers Schröder, auf seinen Staatsbesuch in unserer Republik, die Abkühlung der in der gemeinsamen Geschichte besten Beziehungen zu den Deutschen und die aufrichtige Enttäuschung der noch lebenden sudetendeutschen Sozialdemokraten, für die die Worte von „Hitlers fünfter Kolonne“ wie aus kommunistischer Steinzeit gelautet haben müssen.

Ein einziger unserer Politiker, nämlich Václav Havel, hat – noch vor seiner ersten Wahl zum Präsidenten (der CSFR) – sein Bedauern über die Opfer der Vertreibung der Sudetendeutschen in Jahren 1945 bis1948 ausgesprochen.

Auch aus diesen Gründen halte ich es für nützlich, die nicht informierte Öffentlichkeit für diese Problematik mit den Anschauungen der anderen Seite bekanntzumachen, welche in unserer Presse noch nicht gang und gäbe sind.

Es gibt auf unserem Buchmarkt endlich Publikationen, die sich mit den Ereignissen nach dem Zweiten Weltkrieg während der Vertreibung beschäftigen. Unter die besten gehört „Die Deutschen raus! – Nemci ven!“. Einer der Autoren ist Dr.-Ing. Helmut Schneider (geb. 1918). Herr Schneider stammt aus Brünn, studierte hier an der Technischen Universität, erlebte die Vertreibung und wohnt jetzt bei Stuttgart. Ich hatte die Möglichkeit, sein Buch „1000 Jahre Deutsche und Tschechen in Böhmen und Mähren“ zu lesen, woher ich drei Auszüge in den Anhang eingeordne. Den ersten A-1 bilden Schneiders Ansichten über die deutsch-tschechische Beziehungen 1848-1919, A-2 befaßt sich mit dem Problem der Eigentumsrückgabe und A-3 ist seine Vision für die Zukunft.

Mein Ziel ist, diese Arbeit gemeinsam mit den Ansichten von Herrn Zdenek Mateiciuc aus Odrau (Odry), der sich sehr für das gegenseitige Kennenlernen, die gegenseitige Vergebung und für die Versöhnung einsetzt, auch in tschechischer Sprache herauszugeben.

 

2. Geschichte der Sudetendeutschen

2.1 Die Urbevölkerung, die slawische Besiedlung und die große Kolonisation

Zuerst führe ich die deutsche Darlegung unserer gemeinsamen Geschichte ohne Kommentar ein:

„Nach historischen Quellen und Bodenfunden der deutschen Forscher ist gesichert, daß in den Jahrhunderten vor Christi Geburt keltische Bojer in den Sudetenländern saßen und dem Land ihren Namen gaben:
Boiohaemum – Bohemia – Böheim – Böhmen. Aber vor den Bojen waren andere Völkerschaften dagewesen, und um 60 v. Chr. könnten Germanen in den Kessel eingedrungen sein. Die beiden Völker haben vermutlich in Böhmen nebeneinander gelebt. Als die Slawen nach Mähren und Böhmen in der Hälfte des 6. Jahrhunderts einwanderten, fanden sie das Land nicht menschenleer, sondern trafen auf eine germanische Bevölkerung, die auch bis zur Neuansiedlung im 12. und im 13. Jahrhundert überdauerte.“ (Quelle 1)

„Das Wort Deutsch verbreitete sich im 9. Jahrhundert. Bayern, Schwaben, Franken und Sachsen waren die Kernstämme des deutschen Reiches. In diesen Verband trat das Herzogtum Böhmen ein. (...)
In das römisch-deutsche Reich wächst seit 950 das von slawischen Herzögen beherrschte Böhmen, bald auch das von Böhmen gewonnene Mähren hinein. (...)
Gerade die Verbindung der deutschen Könige mit der Römischen Kaiserkrone ermöglichte die Verschmelzung national verschiedener Bestandteile des Reiches zu einer höheren Gemeinschaft.(...)
Wenige Wochen vor seinem Tode errichtet Kaiser Otto der Große im Jahre 975 das Bistum Prag. Bis dahin gehörte Böhmen zum Bistum Regensburg.“ (Quelle 2)

„Der Name Tschechen für sämtliche slawischen Bewohner der Länder Böhmen, Mähren und Schlesien ist ebenfalls verhältnismäßig jungen Datums. Die Mährer haben sich lange dagegen gewehrt, als Tschechen bezeichnet zu werden. Denn Tschechen, das waren ursprünglich nicht einmal alle Slawen Mährens. Aber seit dieser Stamm die Herrschaft über Böhmen errungen und die slawischen Nachbarstämme in diesem Lande unterworfen hatte, gab er dem Lande selbst seinen Namen.

Solange aber das Königreich Böhmen ein tschechischdeutscher Staat war, bedurfte es keines besonderen Namens für die Schicksalsgemeinschaft der Deutschen in diesem Staate. Ein Deutscher aus Böhmen wie ein Tscheche aus Böhmen war eben Böhme.“ (Quelle 3)

„Bis zum Jahr 1000 waren die dichtesten slawischen Ansiedlungen u. a. an dem Uferlauf der Eger, am Zusammenfluß von Moldau und Elbe.(...)
Ebenso in Mähren entlang der March und in der Umgebung des heutigen Brünn.“ (Quelle 4)

„Mitte des 12. Jahrhunderts unterstützten Heere der Premysliden-Herzöge Friedrich Barbarossa auf seinem Feldzug gegen Mailand. Durch Heirat war der böhmische König ein enger Verwandter der Staufer geworden. Aus dem Herzogtum Böhmen war endgültig ein Königreich geworden.“ (Quelle 5)

„Die Menschen jener Zeit wohnten in einfachen Hütten und lebten vom Ackerbau, Viehzucht, Jagd und vom Fischreichtum der Gewässer. Die Burgen waren bis ins 12 Jh. Palisadenbauten. Erst unter deutschem Einfluß begann man, zum Steinbau überzugehen.“ (Quelle 6)

„Die deutsche Kolonisation setzte mit ungeheuer Wucht um die Mitte des 13. Jahrhunderts ein, etwa gleichzeitig mit dem Regierungseintritt Ottokars II.
In drei parallel laufenden Strömen erfolgte die deutsche Einwanderung: als städtische, als bäuerliche und als bergmännische. Aber auch die Städte selbst, die ein bäuerliches Hinterland wollten, riefen Kolonisten herbei und gründeten Dörfer. Es entstanden daher fast überall Gruppen von Städten und Dörfern, weshalb sich das deutsche Volkstum so rasch ausbreitete. Nur dort, wo schon zahlreiche tschechische Dörfer bestanden und ein Markt unter der Burg zur Stadt erhoben wurde, blieb die Umgebung slawisch. Neben Prag und Brünn waren Freudenthal und Troppau die ersten Stadtgründungen. Sie fallen in den Anfang des 13. Jahrhunderts. Unter Ottokar II. wurden Hohenmauth, Kolin, Melnik, Pilsen, Brüx, Kaaden, Budweis und zahlreiche andere Orte zu Städten erhoben, was jeweils mit dem Einzug deutsche Bürger zusammenhängt.“ (Quelle 7)

„Die deutsche Kolonisation, die Erschließung der Silberfunde, die Stadtgründungen und nicht zuletzt der Reichtum an anderen Erzen ließen das Königreich Böhmen als das unbestreitbar bedeutendste Fürstentum im ganzen Reich erscheinen.“ (Quelle 8)

 

2.2 Von den Hussiten bis zum Ende des Österreich-Ungarischen Reiches

„Der Nachfolger von Karl IV. – sein Sohn Wenzel, als König von Böhmen der Vierte – wurde als Deutscher König als der Faule bezeichnet (...)
und im Jahr 1400 von den deutschen Kurfürsten abgesetzt. (...)
Gleichzeitig mit Wenzels Regierung kam die Kirchenspaltung – ein Papst saß in Rom, ein anderer in Burgund – und damit ein Autoritätsverlust des Papsttums.
Vor diesem Hintergrund kam es zum Religionsstreit, der in Prag zu einem Nationalitätenstreit entartete. Da die hohe Geistlichkeit überwiegend deutsch war und die niedere zum großen oder größten Teil tschechisch, wurde die reformatorische und revolutionäre Bewegung bald zu einer antideutschen, nationalistischen Bewegung, die auf die Universität übergriff. (...)
Johannes Hus aus Husinec (in Südböhmen) war Magister an der Universität. Er verfocht seit längerer Zeit die Lehren des Engländers John Wicliff. Er verteidigte diese Lehre – die in Westeuropa kaum mehr eine Rolle spielte – wohl deshalb so leidenschaftlich, weil sie sich von der deutschen Reformbewegung unterschied. (...)
Er erwarb sich große Verdienste um die Höherentwicklung der tschechischen Sprache, um die Reform der Schreibung, um die Literatur seines Volkes, aber der Haß gegen die Deutschen war der entscheidende Antrieb seiner Handlungen. (...)
1409 unterschrieb der oben genannte böhmische König Wenzel IV. das Kuttenberger Edikt, das die Tschechisierung der Universität besiegelte. Zahlreiche deutsche Magister und Studenten verließen Prag und gegründeten die Universität in Leipzig. (...)
Jan Hus mußte sich vor dem Konzil in Konstanz verantworten und seine Lehre rechtfertigen, was ihm jedoch nicht gelang. Obwohl Kaiser Sigismund immer wieder für ihn eintrat, wurde Hus als Ketzer verurteilt und am 6. Juli 1415 vor den Toren Konstanz dem Feuertode überantwortet.
Die Nachricht von Hus' Tod löste in Böhmen eine mächtige nationale Bewegung aus, deren sozialrevolutionären Motive immer stärker hervortraten. (...)
Das slawische Volk, in dem sich seit 150 Jahren der Haß gegen die Kolonisten aufgestaut hatte, die zwar Wohlstand, Bildung und freie Lebensart ins Land gebracht hatten, aber doch in allen Schichten die Bessergestellten waren, stand auf gegen die Deutschen und gegen jene Tschechen, die mit den Deutschen zusammengearbeitet, die sie ins Land gerufen, sie begünstigt, mit ihnen gemeinsame Sachen gemacht hatten.(...)
Die Hussitenkriege hatten 1419 ihren Ausgang in Prag, wo Hussiten die deutschen Ratsherren aus dem Rathausfenster auf die Spieße der untenstehenden Menge warfen, und verbreiteten sich über ganz Böhmen und Mähren. (...)
Zeitweise dehnten die Hussiten ihre Heerzüge weit über Böhmen und Mähren hinaus aus. (...)
Die deutschen Städte Böhmens hatten unter dem Krieg schwer gelitten. Zwar war die Sprachgrenze nach den Hussitenkriegen kaum verändert, aber die Städte im Innern des Landes waren tschechisiert und zahlreiche im deutschen Randgebiet waren es auch.“ (Quelle 9)

Das flache Land war total verarmt. 1 500 Dörfer waren ganz verschwunden und viele Städte waren zerstört. Die Deutschen waren von da an 200 Jahre lang praktisch rechtlos, ihre Sprache war verboten, wie vor der Vertreibung im Jahre 1945. Viele Orte im rein deutschen Sprachraum wurden tschechisch und blieben es für immer, im Landesinnern wurde das Deutschtum ausgerottet.“ (Quelle 10)

„Hätte der Habsburgerstaat hier das Tschechentum so brutal unterdrückt und germanisiert, wie die Tschechen die Sudetendeutschen in der Hussitenzeit verfolgt hatten, wäre nicht viel von dem relativ kleinen Volk übriggeblieben.“ (Quelle 11)

„Die Tschechen erreichten unter der Hussitenherrschaft zum erstenmal in der Geschichte einen vom Deutschen Reich unabhängigen Staat, der aber nur 55 Jahre Bestand hatte. Böhmen verlor die zentrale Stellung in der Reichspolitik und die Kurwürde.
Durch die Niederlage der protestantischen Stände in der „Schlacht am Weißen Berg“ im Jahre 1620 ging die weitgehende Selbständigkeit Böhmens verloren. (...)
Im 19. Jahrhundert ist das nationale Selbstbewußtsein der Tschechen bis zur nationalen Unduldsamkeit und bis zu Gedanken einer Lostrennung von der Monarchie gewachsen. Trotz mehrheitlichen, meist zu zaghaften oder zu späten Entgegenkommens der Wiener Regierung werden Ausgleichsversuche von den Tschechen abgelehnt.“ (Quelle 12)

 

2.3 Von der Gründung der Tschechoslowakischen Republik bis zum Münchner Abkommen

„Der 1918/1919 aus Teilen des österreichischen wie des ungarischen Staates entstandene tschechoslowakische Staat war, politisch wie völkerrechtlich, ein neuer Staat. Seine vielfältige nationale Zusammensetzung belastete ihn von Anfang an mit einer Reihe von nationalen Problemen, die sich alsbald zu Verfassungsproblemen verdichteten. Für die westliche Staatshälfte wurde die sudetendeutsche, für die östliche die slowakische Frage die wichtigste. (...)
Schon der Name des Staates verweist auf einen wesentlichen Zug des neuen Staatsgebildes, den man den tschechoslowakischen Dualismus nennen konnte. (...).
Die Slowaken besaßen nicht die historische Rechtsbasis, die den Tschechen aus dem Erbe des alten Deutschen Reiches im staatsrechtlichen Rang der Länder Böhmen, Mähren und Schlesien zur Verfügung stand.(...)
Diese Unterschiede in der historisch-politischen Entwicklung haben für den tschechoslowakischen Staat eine fundamentale Bedeutung gehabt. Jenseits dieses tschecho-slowakischen Dualismus' wies die Zusammensetzung der übrigen Staatsbevölkerung – aus Deutschen, Magyaren, Karpato-Ruthenen und Polen bestehend – den neuen Staat soziologisch und politisch als Nationalitätenstaat aus.
Sein Schicksal war jedoch durch den Anspruch bestimmt, ein tschechischer, allenfalls ein tschechoslowakischer Nationalstaat zu sein. Mit diesem Anspruch trat ein bisher dem böhmischen Raum fremdes Staatsprinzip auf. Eines der Organisationsprinzipien der Habsburger Monarchie seit 1848 und besonders der österreichischen Reichshälfte seit 1867 war der Grundsatz der Gleichberechtigung der Nationalitäten gewesen.“ (...)
Der tschechoslowakische Staat und seine Verfassung verstand sich als ein Nationalstaat, obgleich der Anteil der Tschechen an der Bevölkerung weniger als die Hälfte betrug. Dadurch waren völkerrechtliche Konflikte und Verwirrungen vorprogrammiert. (...)
Am 28. Oktober 1918 wurde gleichzeitig in Prag und in Washington die Tschechoslowakische Republik proklamiert. Ihre Grenze waren jedoch noch nicht festgelegt (...).
Ab Mitte November 1918, also noch vor Beginn der Pariser Friedenskonferenz, wurden die von Deutschen bewohnten Randgebiete Böhmens und Mährens systematisch von bewaffneten Tschechen mit Waffengewalt okkupiert (...)
Hierzu ist zu sagen, daß in den hochindustrialisierten deutschen Randgebieten Böhmens und Mährens zwei Drittel der industriellen Wirtschaftskraft der ehemaligen österreichischen Monarchie belegen waren.“ (Quelle 13)

Bei den Pariser Friedensverhandlungen (1919) operierte Beneš hinsichtlich der Einverleibung der deutschen Gebiete mit Täuschung und Lüge. Er gab die Zahl der Deutschen mit nur 1,6 statt 3,2 Millionen an, in der von ihm präsentierten Landkarte von Böhmen waren die deutschen Gebiete kleiner eingetragen, als es den Tatsachen entsprach. Er versprach, die Deutschen würden die selben Rechte wie die Tschechoslowaken haben, die deutsche Sprache würde die zweite Landessprache sein, Unterdrückungsmaßnahmen würden nicht vorkommen, und für die Deutschen und Slowaken würde eine Regelung „ähnlich der Schweiz“ geschaffen.“ (Quelle 13)

Und wie sah es in der Praxis aus?
„Das demokratische Gleichheitsprinzip wurde den Deutschen gegenüber nicht angewandt. An der Deklassierung der Deutschen änderte auch der Minderheitsschutzvertrag nichts, zu welchem die CSR in den Friedensverträgen verpflichtet worden war. Diese sicherte bei einem Minderanteil von 20% (die Deutschen hatten mit 3,26 Millionen einen Anteil von 24% des Staatsvolkes) Zweisprachigkeit bei öffentlichen Stellen bzw. Ämtern zu; so gestattete er den deutschen Schulen, Kirchen, Theatern, Bibliotheken, Zeitungen, Vereinen usw. in deutscher Sprache zu betreiben.“ (Quelle 14)

„Weder die Deutschen noch die Slowaken haben später im neuen Staat eine Autonomie erhalten. In der Neujahrsbotschaft vom 1. Januar 1919 erklärte Präsident Masaryk kategorisch, daß über Autonomie nicht verhandelt werde. Das alles wirkte wie Hohn, weil in das neue Staatswappen der Wahlspruch „die Wahrheit siegt“ aufgenommen wurde.(...)
Einen ersten tragischen Tiefpunkt erreichten die deutsch-tschechischen Beziehungen am 4.März 1919. Gemeinsam mit den deutschen Gewerkschaften und den anderen politischen Parteien hatte die deutsche sozialdemokratische Partei zu friedlichen Kundgebungen in allen sudetendeutschen Städten aufgerufen, um die Weltöffentlichkeit auf die Verweigerung des Selbstbestimmungsrechts aufmerksam zu machen. Tschechisches Militär schoß wahllos in die unbewaffnete Menge. In Kaaden, Sternberg, Karlsbad, Eger, Kaplitz und Mies waren 54 Todesopfer und über 100 Verwundete zu beklagen.
In den Friedensverträgen von Versailles (28. Juni 1919) und St.Germain (10. September 1919) wurden die sudetendeutschen Gebiete endgültig der CSR zugeschlagen. So wurden die Sudetendeutschen [gegen ihren erklärten Willen] tschechoslowakische Staatsbürger.“ (Quelle 13)

„Die Bodenreform vom 15. Oktober 1920 brachte eine Enteignung von 840 000 ha deutschen Grundbesitzes (30% der Fläche des Sudetenlandes) und deren Neuzuteilung fast zur Gänze an Tschechen (94%). Dadurch wurden Tschechen in den deutschen Gebieten eingesiedelt. Das Sprachengesetz vom 19. Februar 1920 schrieb vor, daß alle Staatsbeamten die tschechische Sprache beherrschen mußten. Die deutschen Beamten wurden gezwungen, eine Sprachprüfung in Tschechisch abzulegen. Von Beamten in rein deutschen Gebieten wurde diese oft nicht bestanden; die Entlassung war die Folge. Aber auch trotz bestandener Sprachprüfung wurden tausende deutsche Staats- und Gemeinde-Angestellte und Beamte entlassen – im Jahre 1924 allein 40 000 Postler und Eisenbahner. An deren Stelle kamen tschechische Beamte und Angestellte für Post, Polizei, Eisenbahn und Gericht, die nicht Deutsch sprechen konnten und nicht wollten. (...)
Auf diese Weise wurden systematisch künstliche tschechische Minderheiten im vormals rein deutschen Gebiet geschaffen. Diese Ansiedlung erreichte im Jahre 1938 die Zahl von etwa 400 000 Personen.
1922 wurden 1498 deutsche Zeitungen beschlagnahmt. Wenn die Deutschen mit derartigen Maßnahmen nicht einverstanden waren, wurden sie für „illoyal“ erklärt. Das Gesetz zum Schutz der Republik von 1923 machte jedes oppositionelles Wort unmöglich.“ (Quelle 14)

„Beim Militär wurden fast nur Tschechen zu Offizieren befördert.
Die vielfältigen Angriffe der Tschechen gegen die nationale, kulturelle, und wirtschaftliche Substanz der Deutschen hatte so die Gründung von defensiven Schutzverbänden zur Folge.
Die Weltwirtschaftkrise (1929-1933) traf die hochindustrialisierten deutschen Gebiete stärker als die tschechischen.
Die Diskriminierung der deutschen Minderheit, das große Arbeitslosenelend in den deutschbömischen und sudetendeutschen Industriegebieten sowie die Enttäuschung der sudetendeutschen Wähler über die totale Erfolglosigkeit der deutschen Parteien förderte die nationale Sammlungsbewegung Konrad Henleins, der am 1.Oktober 1933 die „Sudetendeutsche Heimatfront“ gründete. Henlein forderte die Verwirklichung der einst zugesagten Autonomie. In einer Rede in Böhmisch Leipa (21. Oktober 1934) distanzierte er sich jedoch ausdrücklich vom Nationalsozialismus im Deutschen Reich. Darüber hinaus bekannte er sich zur Loyalität gegenüber dem tschechoslowakischen Staat.
Im Februar 1933, nach der Machtergreifung Hitlers in Deutschland, begann eine weitgespannte Verfolgung von Sudetendeutschen wegen Hoch- und Landesverrats. Der Empfang von Rundfunksendungen aus dem Deutschen Reich wurde am 29. Mai 1933 verboten. Am 19. Dezember 1935 wurde Edvard Beneš Staatspräsident. Nach wie vor blieb er gegenüber den sudetendeutschen Forderungen nach Autonomie unnachgiebig. Im Oktober 1937 besuchte Konrad Henlein England und traf auch mit Churchill zusammen.“ (Quelle 15)

Soviel ich weiß, billigte Beneš auf Druck Runcimans Anfang September 1938 den deutsch besiedelten Gauen endlich die territoriale Autonomie und nationale Proportionalität mit Gleichstellung der Sprachen zu, selbstverständlich zu spät. Deshalb stelle ich mir die Frage: Warum ging es nicht schon 20 Jahre eher?

Und noch eine grundsätzliche – leider nur theoretisch gemeinte – Frage: Wäre es nicht für uns besser und für uns günstiger, nach diesen geschichtlichen Ereignissen und unseren schlimmen Erfahrungen den mehrvölkischen Staat – die Donaumonarchie – zu wahren? (siehe A-1)

 

2.4 Das Reichsprotektorat, II. Weltkrieg und die Vertreibung

„Das Reichsprotektorat Böhmen und Mähren hatte einen tschechischen Staatspräsidenten Dr. Emil Hácha, eine tschechische Protektoratsregierung mit einem Ministerpräsidenten, mit neun Ministern und einer autonomen Verwaltung, Rechtsprechung und Kultur. Es hatte jedoch keine eigene Außenpolitik und keine Landesverteidigung. „Reichsprotektor“ als Repräsentant des deutschen Führers und Reichskanzlers wurde Freiherr Konstantin von Neurath, der bisherige Außenminister des Deutschen Reiches. Seine Macht erstreckte sich über die tschechische Protektoratsregierung.(...)
Deutsche mit bisher tschechoslowakischer Staatsangehörigkeit konnten sich um die deutsche Staatsbürgerschaft bewerben (optieren). Deutsch und Tschechisch waren gleichberechtigte Amtssprachen. Die Protektorats-Deutschen unterstanden der deutschen Gerichtsbarkeit.

Kein Tscheche mußte Kriegsdienst leisten. Anfangs gingen viele Tschechen freiwillig zur Arbeit ins „Altsreich“, ab Mai 1941 wurde die Arbeitspflicht für alle eingeführt. (...)
Die Tschechen waren arbeits- und sozialrechtlich den Deutschen gleichgestellt. (...)
Als Repräsentanten des NS-Regimes in der Verwaltung waren überwiegend reichsdeutsche Beamte, nur vereinzelt auch Sudetendeutsche. Allerdings stand ein Sudetendeutscher in der Protektorats-Führung: Karl-Hermann Frank. Anfangs Staatssekretär und SS-Brigadeführer, wurde er zum „Deutschen Staatsminister für Böhmen und Mähren“ und zum SS-Obergruppenführer ernannt.
Nach dem verständnisvoll agierenden Reichsprotektor Konstantin von Neurath folgte der SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich (27. September 1941 – 4. Juni 1942).
Die Tschechen fühlten sich als Bürger minderen Rechts. Sie betrachten den Widerstand nicht nur als legitim, sondern als nationale Pflicht. Besonders die Studenten und die Intelligenz sahen das so. Nach Studentendemonstrationen in Prag im November 1939 waren auf Anordnung Hitlers neun Studenten als Rädelsführer hingerichtet worden. Alle tschechischen Universitäten, Hochschulen und Lehrerseminare wurden geschlossen, tschechische Professoren und Journalisten ab 1941 deportiert. (...)
Staatspräsident Hácha und Ministerpräsident Eliáš waren bis 1941 laufend in direkter Verbindung mit Benešs Exilorganisation.(...)
Nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 nahmen nicht nur die Demonstrationen zu, sondern auch Streiks und Sabotageakte, in der Hoffnung der Tschechen auf Unterstützung durch die Rote Armee. Heydrich zerschlug den organisierten Widerstand durch die Hinrichtung von Eliáš und des Prager Primators Klapka. Ferner wurden weitere 404 Todesurteile vollstreckt sowie 4000 bis 5000 Tschechen verhaftet und z.T. in Konzentrationslager eingewiesen. Diese kriegsbedingten drakonischen Maßnahmen wurden nicht von Sudetendeutschen, sondern von den reichsdeutschen Besetzern getroffen und durchgeführt.(...)
Die Reaktion der NS-Behörde nach dem Attentat auf Heydrich war drastisch. Hitler wollte 10 000, Himmler 30 000 Tschechen standrechtlich erschießen lassen. Dies verhinderte der Sudetendeutsche Karl Hermann Frank.
...wurde das Dorf Lidice am 10. Juni 1942 zur Vergeltung und Abschreckung vernichtet.(...)
Nach Lidice war es relativ ruhig, kein offenes Aufflammen des tschechischen Widerstandes, bis in den April 1945.(...)
Nicht verschwiegen werden darf, daß in den fünf Jahren Protektoratszeit etwa 38 000 Tschechen von den Okkupanten erschossen worden sind. (...)
Nach Hitlers Tod am 30. April 1945 organisierten die Tschechen am 5. Mai in Prag Aufstände mit wilden Barrikadenkämpfen und grausamen Ausschreitungen gegen Deutsche.“ (Quelle 16)

Am 8. Mai 1945 erfolgte die Kapitulation. Am 9. Mai 1945 besetzte die Rote Armee auch Prag.
[Schörners Armee streckte erst am 11. Mai 1945 die Waffen. ML 2004-01-18]
Hier und im ganzen Land brach nun der blutige Terror gegen die Deutschen aus. (...)
Schon vor dem Heranrücken der Roten Armee flüchteten viele Deutsche nach Sachsen, Bayern oder Österreich, um abzuwarten, bis sie wieder zurückkehren könnten. Doch die meisten Protektorats-Deutschen blieben.(...) [Es waren aber auch schon 100000ende Schlesier aus ihrer Heimat ins Sudetenland geflohen, die ebenfalls dem Terror der tschechischen „roten Garden“ ausgesetzt waren. ML 2004-01-18]
Vom Mai bis etwa November 1945 fand die sogenannte wilde Austreibung statt, mit Massenterror, Pogromen, Exzessen und Massenvertreibungen aus den Städten, Sprachinseln und Randgebieten.
Von Januar bis November 1946 erfolgte die sogenannte geregelte Vertreibung aus dem sudetendeutschen Binnenland. Zwischen dem 19. Januar und dem 27. November verließen insgesamt 1115 Eisenbahntransporte mit durchschnittlich je 1200 Sudetendeutschen ihre Heimat. Die Transporte gingen vorwiegend in die amerikanische Besatzungszone (Bayern, Nord-Württemberg, Hessen). Die britische und französische Besatzungszone sperrten sich gegen den Zuzug von Vertriebenen.“ (Quelle 17)

„Daß die Tschechisierung gegenüber den Sudetendeutschen und alternativ ihre Vertreibung von langer Hand vorbereitet war, belegt eine Rede, die Beneš am 3. Juni in Tábor hielt. Er sagte u.a.: Alle Deutschen müssen verschwinden. Was wir im Jahre 1919 schon durchführen wollten, erledigen wir jetzt. Damals schon wollten wir alle Deutschen abschieben. Deutschland war aber nicht vernichtet; England hielt uns Hände. Vertreibt sie, verjagt sie alle, kein deutscher Bauer darf auch nur einen Quadratmeter Boden unter seinen Füßen behalten, kein deutscher Gewerbetreibende und Geschäftsmann sein Geschäft weiterführen. Wir wollten dies alles auf eine feinere Art zur Durchführung bringen; aber da kam uns das Jahr 1938 dazwischen.“ (Quelle 18)
[Um das Datum dieser Rede gibt es immer noch unterschiedliche Darstellungen: 3. oder 16. Juni 1945? ML 2004-01-18]

Dann folgten Gesetze, die als „Beneš-Dekrete“ bekannt sind. Das „Gesetz“ vom 8. Mai 1946 stellte die Verbrechen, die normalerweise strafbar waren, als „nicht widerrechtlich, wenn sie zwischen dem 30. September 1938 und dem 28. Oktober 1945 geschehen waren. – Skandalös war und ist, daß auch die vom 8. Mai bis 28. Oktober 1945, also in der Nachkriegszeit geschehenen Morde und anderen Verbrechen hierdurch ungesühnt bleiben.

Diese Vertreibung, die derart erhebliche Auswirkungen für Tschechen und Slowaken haben sollte, fand in drei ineinander übergehenden Hauptetappen statt.
Die erste Phase begann unmittelbar nach dem militärischen Zusammenbruch Deutschlands im Mai 1945. Mitten in diese Etappe fiel die Potsdamer Konferenz der Siegermächte am 2. August 1945.
Die zweite Etappe der Vertreibung in Form organisierter „Ausweisungs-Transporte“ begann im Januar 1946.
Die letzte Etappe begann dann im Jahre 1947 in der Form von kleinen Gruppentransporten, Einzelverweisungen und Familienzusammenführungen.

 

3. Nach der Wende

3.1 Warum schreibe ich gerade über die Sudetendeutschen

Für die mit den Schicksalen der Sudetendeutschen verbundenen Problematik interessiere ich mich seit langer Zeit, denn ich mußte erkennen, daß dieses Thema ganz eindeutig, verlogen und lückenhaft behandelt wurde.

Nach allgemeiner Auffassung waren wir Tschechen die, die auf der Seite des „Guten“ standen, von den Deutschen unterdrückt wurden, und nur in der Zeit der Hussiten über die Kreuzherren siegten.

Die Deutschen im Gegenteil waren die Bösen schlechthin, die Jan Hus verbrannten, die unsere Demokratie nach dem ersten Weltkrieg nicht achteten, unseren Staat zerschlugen, sich dem Deutschen Reich anschlossen, das Protektorat verursachten, und deshalb nach dem Krieg verdientermaßen aus der Republik abgeschoben wurden.

In aller Hochachtung zu allen unschuldigen Opfern des Krieges und in dem Bewußtein, wer diesen Krieg angefangen hatte, würde ich gern durch diese Schlußarbeit die irrtümlichen oder bewußten Vereinfachungen der Geschichtsbilder zerstören und zeigen, wie es unsere meist unschuldigen ehemaligen Mitbürger sehen. Dazu benutzte ich deutsche Quellen aus den Internet-Seiten, Ansichten der Sudetendeutschen nach der Vertreibung, Auszüge aus den Briefen von deutschen Bürgern und Politikern, Zitate aus den Zeitungen und Zeitschriften und meine eigenen Anschauungen. In die Anlage ordnete ich auch „Charta der Vertriebenen“ vom Jahr 1950 ein, deren Inhalt uns bisher verheimlicht wird. (siehe Anhang A-11) [die Kommentierung von Herrn Dr. Herbert Czaja zur Charta der Heimatvertriebenen ist hier (noch?) nicht wiedergegeben. ML 2004-01-19]

Als der Sohn des Vaters, der im Jahre 1942 vom Landesgericht Brünn für sogenanntes „Abhören des fremden Rundfunks“ verurteilt wurde und der eine achtzehnmonatige Strafe in Gestapo-Einzelhaft in Iglau durchgemacht hat, hätte ich allen Grund, die Deutschen zu hassen. Aber von dem Drang nach der Wahrheit und Gerechtigkeit geführt, auch im Bewußtsein, wer den Zweiten Weltkrieg begann, verurteile ich die Vertreibung aller Deutschen und Madjaren als kollektive Strafmaßnahme.

Statt den von den Kommunisten bis heute sorgfältig gepflegten Haß gegen unsere deutschen Landsleute weiter zu schüren, möchte ich zu gegenseitigem Verständnis beitragen, zu einer rechtlichen Würdigung der Nachkriegsgrausamkeiten gegen die unschuldigen Opfer unter den Sudetendeutschen und schließlich zu einer Aussöhnung nach den Jahren wechselseitigen Unrechts. Ich gehöre zu den regelmäßigen Lesern der Landes-Zeitung, die jede zweite Woche erscheint, für die deutsche Minderheit bestimmt ist und von unserer Regierung unterstützt wird. Diese Zeitung bringt mir sehr viel für meine Arbeit in der Schule und auch für mich persönlich, weil sie über heutige und historische Ereignisse informiert und sie auch kommentiert.

In einer der Zeitungen war auch ein Brief an Ministerpräsident Miloš Zeman von einem deutschen Sozialdemokraten, also einem Parteifreunde, den jeder unserer heutigen Rentner lesen sollte (siehe Anhang A-10). So viele Hoffnungen versprach unser sozialdemokratischer Ministerpräsident für gegenseitige Verständigung und so tief war die Enttäuschung nach diesem Gespräch in einer der österreichischen Zeitungen.

Wie die Nachrichten vom Radio Prag im Juni beweisen, benimmt sich die jetzige Regierung realistischer als die vorige. Am 26. Juni 2003 hat Ministerpräsident Špidla im Parlament erklärt, daß die Regierung eine humanitäre Geste gegenüber Angehörigen der deutschen Minderheit setzen könnte, die nach dem Zweiten Weltkrieg verfolgt worden waren.

Ich bin froh, daß die ersten Schritte unserer Regierung zur Vergebung und Versöhnung schon zu sehen sind. Bei einer Veranstaltung im österreichischen Kloster Göttweig sagte Ministerpräsident Vladimír Špidla: „Wir bringen unser Bedauern zum Ausdruck, daß diese Ereignisse und Taten geschehen sind.“

Das klingt endlich anders als die kommunistischen Phrasen über die bösen Revanchisten, die an der Entfesselung des Zweiten Weltkrieges schuldig sind. Diese Worte können nämlich bedeuten, daß sich Tschechien offiziell zu seiner moralischen Verantwortung für die Vertreibung von etwa drei Millionen Sudetendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg bekennt.
Wenige Tage zuvor wurde auch auf der Prager Burg gesagt, daß die damaligen Taten aus heutigen Sicht unannehmbar seien.
Es ist auch angenehm zu hören, daß der stellvertretende Regierungschef Petr Mareš mit der Bildung einer ressortübergreifenden Kommission beauftragt wurde. Dieses Gremium soll prüfen, wie viele Menschen in der unmittelbaren Nachkriegzeit aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur deutschen Minderheit in der Tschechoslowakei diskriminiert wurden. Experten schätzen die Zahl auf etwa 3000. Art und Weise einer Entschädigung wurden noch nicht näher definiert.

Wenn ich die europäische Geschichte aufmerksam lese, stelle ich eine interessante Tatsache fest:
jedes Mal, wenn wir mit den Deutschen in jeder beliebigen Staatsformation freiwillig zusammen waren, war es für uns Tschechen, für die Deutschen und schließlich für ganz Europa gut und günstig. Es ist an der Zeit, sich an diese unsere friedlichen und gegenseitig vorteilhaften Beziehungen zu entsinnen, und zugleich die mit gegenseitigen Verdächtigungen, Mißtrauen und Haß verbundenen Zeiten langsam abzuschließen.

Es ist heute schon fast unmöglich festzustellen, wie vielen unserer Staatsbürger nach dem Jahre 1968 in der Bundesrepublik aufgenommen wurden, wo ihnen Asyl oder sogar die deutsche Staatsangehörigkeit gewährt wurde. Selbst wenn es von deutscher Seite keinen Anstoß dazu gäbe, hätte unsere Regierung schon gute Gründe, sich für die Vertreibung unschuldiger Menschen nach dem Prinzip kollektiver Strafe zu entschuldigen.

Ich hoffe, daß unsere Politiker, obwohl sie meistens vor allem nur an sich selbst denken, den Mut finden und die Zeit nützen, die bis zum EU-Beitritt am ersten Mai 2004 bleibt, etwas Entscheidendes für die Versöhnung mit den Sudetendeutschen zu tun, und somit für bessere, freundlichere und konfliktfreie Beziehungen in der Zukunft beizutragen.

Der Beitritt unserer Republik zur Europäischen Union ist die ideale Gelegenheit, mit dem dunkelsten Abschnitt unserer Geschichte zurandezukommen.

 

3.2 Mein Brief an Herrn Franz Neubauer, Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft

Vor der Wende war fast unmöglich, ohne Risiko mit den Sudetendeutschen in Verbindung zu treten und den offiziell genannten „Abschub“ richtig als „Vertreibung“ zu bezeichnen. Da mich diese Etappe unserer Geschichte immer interessierte, bemühte ich mich nach der Wende, mit den Vertriebenen Briefkontakte anzuknüpfen. Einer der ersten Versuche ist mein Brief an den Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft. Anlaß für den Brief gerade an Herrn Neubauer war die Tatsache, daß er auch noch nach der Wende in den nicht-kommunistischen Zeitungen als Revanchist abgestempelt wurde. Das war für mich eine Überraschung – und jetzt weiß ich: auch für die Vertriebenen.
Warum müssen noch heute unsere Abgeordneten, egal aus welcher Partei, zusätzliche Beschlüsse zu der Gültigkeit der Beneš-Dekrete machen? Wovor haben sie Angst? Eine Partei forderte sogar, diese Bestätigung als Anhang zum Vertrag über unseren Beitritt zur Europäischen Union zuzufügen.

Ein Auszug aus meinem Brief an Herrn Franz Neubauer vom 15. März 1993:

„Unser Weg nach Europa, ob es uns gefällt oder nicht, ob wir wollen oder nicht, wie tragisch auch immer der Krieg unsere Eltern und Großeltern betroffen hat, führt nicht, wie ich meine, über Deutschland als Ganzes, sondern über die Sudetendeutschen. Es ist nicht nötig, über finanzielle Entschädigungen – weder auf der einen noch auf der anderen Seite – zu reden, sondern über das Recht auf Heimat, das unteilbar, unübertragbar und undiskutierbar ist. Leider haben weder UNO noch Helsinki-Konferenz wirksame Mechanismen zum Schutze der nationalen Minderheiten akzeptiert, und Beispiele der Folgen der leninistischen Lösung der Nationalitätenfrage sehen wir bis heute in der ehemaligen UdSSR. Als Beispiel einer normalen Lösung etwa kann das Saarland oder Tirol dienen.

Mein Vorschlag ist folgender: die Beneš-Dekrete zu annullieren, sie als Akt der Rache verurteilen, einen Strich unter die Vergangenheit ziehen, alle Interessierten zur allgemeinen Versöhnung aufrufen.

Das Recht auf Heimat in das Leben einführen und alle zu Unrecht Vertriebenen zur Rückkehr einladen. Die Einzelheiten am runden Tisch der Diskussion aushandeln – in den öffentlichen Medien, wo die Reibungsflächen sukzessive beseitigt würden. Dank Herrn Steinhauser aus Neckarbischofsheim, der leider im Januar gestorben ist, habe ich in der Sudetendeutschen Zeitung den Stoßseufzer des Professors Karsten Eder über die heutige Situation gelesen: „Es ist schade, daß die kundigen und kompetenten Leute so wenig politische Macht haben, und diejenigen, die Macht besitzen, so wenig Kenntnis und Kompetenz.“

Herr Löffler, damals Geschäftsführer der Sudetendeutschen Landsmannschaft hat mir in der Antwort u. a. geschrieben:

„Herr Neubauer bittet Sie um Mitteilung, ob Sie einverstanden sind, daß wir einen Auszug aus Ihrem Brief – wenn Sie dies wünschen, auch ohne Nennung Ihres Namens – in der „Sudetendeutschen Zeitung“ veröffentlichen, damit viele deutsche und tschechische Leser dieser Zeitung Ihre Meinung kennen lernen.“ (siehe Anhang A-6)

Natürlich habe ich meine Übereinstimmung zur Veröffentlichung umgehend erteilt.

 

3.3 Aus meinem Brief an den Bundeskanzler Helmut Kohl und an den Herrn Außenminister Hans-Dietrich Genscher vom 16. April 1992

Am 27. Februar 1992 habe ich im Fernsehen die Begrüßungszeremonie auf dem Hradschin-Burghof anläßlich des Empfangs der deutschen Staatsdelegation mit dem Bundeskanzler Helmuth Kohl an der Spitze gesehen. Zugleich habe ich auch gehört, und es war für mich unglaublich, daß einige der Zusehenden geschrieen und gepfiffen haben!

Deshalb habe ich mich entschieden, einen Brief an den Bundeskanzler Kohl und einen an den Außenminister Genscher zu schreiben. Die Leute, die auf dem Burghof auf den deutschen Staatsbesuch geschrieen haben, habe ich als kommunistisches Gesindel bezeichnet, das die Demokratie nicht verdiene. Im Namen aller anständigen Menschen bei uns habe ich mich für diese skandalöses Auftreten meiner Mitbürger entschuldigt. Ich bin nämlich der Meinung, daß die meisten unserer Bürger mit den deutschen Nachbarn in Freundschaft leben wollen und für die Unterzeichnung des gemeinsamen Vertrags sind. (siehe Anhang A-7)

Aus den Antworten der Sekretäre der beiden Staatsmännern zitiere ich:

„(...) Der Herr Bundeskanzler hat mich beauftragt, Ihnen für Ihr freundliches Schreiben vom 16. April 1992 zu danken. Er freut sich darüber, daß Sie sich für ein Verhältnis guter Nachbarschaft zwischen der CSFR und Deutschland einsetzen (...)“ /Nikel – Bundeskanzleramt, Bonn/ (siehe Anhang A-8)

Sekretär Meier-Klodt vom Auswärtigen Amt in Bonn hat mir geschrieben:

„(...) Bundesminister Genscher hat mich gebeten, für Ihr Schreiben vom 16.April 1992 und die darin enthaltenen freundlichen Worte zu danken und Ihnen zu antworten.
Der Vertrag, der am 27. Februar 1992 in Prag unterzeichnet wurde, stellt das deutsch-tschechoslowakische Verhältnis auf eine umfassende neue Grundlage. In allen wesentlichen Bereichen gemeinsamen Interesses bietet er einen Rahmen für die zukunftsgewandte Ausgestaltung der Beziehungen im Geiste der Verständigung und der Versöhnung.
Wir wissen um noch verbliebene Schwierigkeiten im deutsch-tschechoslowakischen Verhältnis. Die kritischen Reaktionen auf der Prager Burg am Tage der Unterzeichnung des Vertrags – die wir ernst nehmen, aber nicht überbewerten – legen davon Zeugnis ab (...)
Nun kommt es darauf an, den Vertrag mit Leben zu erfüllen. Die Bürger unserer beider Länder haben bereits damit begonnen. Ich bin daher zuversichtlich, daß auch viele derjenigen, die heute den Vertrag kritisieren, bald schon eine Bedeutung für die weitere Verbesserung des deutsch-tschechoslowakischen Verhältnisses erkennen werden. Ich freue mich, mich mit Ihnen in dieser Bewertung einig zu wissen.“ (siehe Anhang A-9)

 

3.4 Meine Korrespondenz mit Herrn Markwart Lindenthal

Es war ein Glück für meine Schlußarbeit, daß ich Herrn Markwart Lindenthal kennenlernte. Dieser Herr, aus Brünn stammender diplomierter Architekt, ist Gründer der Weltnetzseite www.mitteleuropa.de und trug wesentlich – wovon er freilich nichts wußte – zur meiner Entscheidung bei, daß ich mir dieses Thema auswählte.

Seit dem Jahr 2001, als ich zum erstenmal die Seiten von www.mitteleuropa.de besuchte, hatte ich mit ihm einen regen Briefwechsel zu verschiedenen Themen, die mich interessieren, also vor allem zu den Sudetendeutschen.

Wer ist Herr Markwart Lindenthal eigentlich?

Heute ist er knapp 58 Jahre alt, freischaffender Architekt, wohnt mit seiner Frau und zwei großen Jungen in einem Fachwerkhaus in Kirchberg in Nordhessen. Er hätte wie seine beide älteren Geschwister in Brünn geboren werden sollen. Aber der Schicksal nach dem Krieg wollte es, daß er das Licht der Welt im Oktober 1945 bei der nördlichsten Stadt Deutschlands Flensburg erblickte, im Elternhaus der Mutter. Er wuchs am Stadtrande von Kiel auf, studierte in Braunschweig und Stuttgart, arbeitete als Architekt in Kiel, reiste auf eigenen Rädern u.a. auch durch Böhmen und Mähren.

Er lebt in der Mitte Deutschlands, seitdem er nach langer Suche eine Anstellung in der Nähe von Kassel fand. Dort ist auch seine Lebensgefährtin zuhause: eine echte Hessin. Von seinen Interessen für EDV, Frakturschriften, Politik und Geschichte im letzten Jahrhundert in Mitteleuropa war nur ein logischer Schritt zur Gründung der Weltnetzseite www.mitteleuropa.de.
Dazu Autor selbst:
„Was mich zu dieser Arbeit motiviert?
Es ist das Bewußtsein, daß mit der älteren Generation die Kenntnis der Ursprünge und des wirklichen Geschehens vergeht, wenn wir nicht aufzeichnen, was aufzeichnungswürdig ist. Und daß Mitteleuropa nicht zur Ruhe kommt, wenn wir nicht den Nachwachsenden bewußt machen, daß das Recht unteilbar ist, daß das Völkerrecht auch für Deutschland gilt, und daß es auch für die Deutschen gelten muß, egal in welchem Staat sie – freiwillig oder gezwungen – lebten und leben.
Es ist die Daseinvorsorge für mich selbst und meine Kinder, damit wir nicht nochmals das durchleben müssen, was unseren Eltern aufgebürdet wurde.
Ein gütiges Geschick hatte meine Familie vor dem Brünner Todesmarsch und dem dort sicheren Verrecken bewahrt. Es ist meine sittliche Pflicht, dafür zu arbeiten und zu opfern, daß sich solches Geschehen nicht wiederholen KANN. Daß aber dazu alle vier Jahre ein Kreuzlein am Wahlzettel ausreicht, darf wohl ernstlich niemand behaupten. Und auch allein die Mitgliedschaft in der Sudetendeutschen Landsmannschaft genügt mir nicht.
(...) Das Brünn, das ich aus den Erzählungen meiner Eltern kenne, war eine riesige Lazarettstadt. Hunderte Schwerversehrte waren im Kloster der Barmherzigen Brüder an der Wienergasse im Steingassenviertel untergebracht. Viele, viele Angehörige aus allen Stämmen Deutschlands kamen, um ihre zerschossenen Jungs zu besuchen, meine Mutter (sie war aus dem Norden Deutschlands dorthin übersiedelt) hatte viele Besucher aus ihrer Heimat dort beherbergt.
Brünn war eine Stadt, die man in Deutschland kannte.
Und heute? Wer kennt Brünn, das 120 km nördlich von Wien liegt?
Daß Brünn um die Wende des 19. zum 20. Jahrhunderts noch eine deutsche Bevölkerungsmehrheit hatte, das glaubt man nicht mehr.
Wenn ich das sage, dann stutzen die Leute.“ (Quelle 20)

Interessant erscheint mir seine Meinung zu der, nach meiner Auffassung, traurigen bis tragischen Rolle unseres Politikers Edvard Beneš in den dreißiger Jahren von 1917 bis 1947: „Beneš hat seit 1917 unbeirrt auf die 1945er Katastrophe hingearbeitet. (Quelle 19)
Jeder seiner Schritte diente dazu, daß Deutschtum der böhmischer Länder zu vernichten und die Leistung und den Reichtum der Sudetendeutschen für sich und seinen Volks- und Parteigenossen zu rauben. Ihm und seinen vielen Helfern ist zu verdanken, daß das jahrhundertlange Zusammenleben der Deutschen, Tschechen und Mährer in den Ländern der böhmischen Krone in einem Meer von Blut erstarb.
Er war die treibende Kraft hinter Masaryk, die die tschechischen Legionen zur Eroberung der sudetendeutschen Wohnländer 1918/1919 trieb und eine blutige Spur durch die sudetendeutschen Dörfer und Städte zog.
Seine Politik ermordete am 4. März 1919 54 unschuldige und wehrlose Demonstranten für das Selbstbestimmungsrecht und brachte Hunderte von ihnen um ihre Gesundheit. Seine Politik machte die Sudetendeutschen in vielen Dörfern und Städten zu recht- und arbeitslosen Bittstellern. (…)
Beneš war jedes Mittel recht, wenn er die Deutschen in den von ihm beanspruchten Ländern vernichten konnte. Für dieses höllisches Ziel hat er sich sogar mit dem Teufel verbündet und sein eigenes Volk an Stalin (Pakt vom 12. Dezember 1943) und den menschenvernichtenden Kommunismus verraten. An seinen Händen klebt nicht nur das Blut einer Viertelmillionen Sudetendeutscher, sondern auch das seiner Volksgenossen bis zu Jan Palach“ (Quelle 20)

Über die Verhältnisse im Reichsprotektorat:
„Die Tschechen sprechen gerne von „Okkupanten“ – nur fällt es mir schwer zu glauben, daß die Deutschen mit etwa 5000 Polizisten etwas gegen das tschechische Regierungsheer (immerhin 7000 Mann motorisierte Infanterie) und die angeblich so glorreichen „Partisanen“ hätten ausrichten können. Wenn die Tschechen nicht von ihren Regierungsoberen herab bis in die untersten Schichten mit den Deutschen zusammengearbeitet hätten – wie es ja bis 1917 überall und danach auch noch an vielen Stellen der Fall gewesen war – dann wären die Zustände im Protektorat ganz andere gewesen.

Wichtig erscheint mir hervorzuheben: Es gab die Arbeitspflicht. Damit waren die Tschechen nicht besser und nicht schlechter gestellt als alle Bürger des Deutschen Reiches. Arbeitspflicht war in allen Teilen geregelt und geordnet: Es handelte sich um volle soziale Absicherung nach deutschem Arbeitsrecht, und das war gegenüber den Zuständen in der Tschecho-Slowakei vorbildlich. Nicht zu verwechseln mit der durch Beneš 1945 eingeführten Zwangsarbeit der Deutschen und Madjaren ohne Lohn und ohne Sozialfürsorge.

(...) von den Sudetendeutschen waren alle waffenfähigen Jahrgänge als Soldaten an allen Fronten des Weltkrieges. Die tschechischen und slowakischen Männer waren (in verhältnismäßig geringer Zahl) in den Waffenfabriken im Deutschen Reich oder aber in den Betrieben in Böhmen und Mähren oder der Slowakei. Die sudetendeutschen Soldaten kehrten nicht zurück, sondern blieben draußen oder suchten dann im zerbombten Restdeutschland nach ihre Angehörigen.“ (Quelle 21)

 

3.5 Was wäre geworden, ...

Ich weiß, daß die Geschichte kein Wort „wenn“ kennt, aber ich bin kein Historiker und deshalb habe mich auch mit solchen Gedanken beschäftigt:
Was wäre geworden, wenn die Sudetendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg in der Republik geblieben wären?

Ich stelle mir in diesem Fall vor: Heute wären Familien, Schulen aller Stufen, Betriebe, Behörden usw. zweisprachig, wir kennen uns miteinander, wir unterscheiden nicht nach der Nationalität, sondern nach Charaktereigenschaften.

Um mehr davon zu erfahren und Objektivität zu bewahren, stellte ich diese Frage auch dem Herrn Markwart Lindenthal.
Seine erste Erwägung war für mich äußerst interessant:

„Wie sähe das aus, wenn die Deutschen geblieben wären? Wenn Beneš gewollt hätte, hätte er menschliche Politik betreiben können. Dann hätte er die Zusammenarbeit mit Wenzel Jaksch gesucht und gefunden und mit vielen anderen Deutschen mit sozialistischer Grundeinstellung. Dann hätte er freilich seit 1917 nicht so handeln dürfen, wie er es tatsächlich tat. Die Länder der böhmischen Krone waren ein reiches Land, noch am Ende des ersten Weltkrieges. Das hat Beneš mit seinen Freunden vernichtet.
Nun ist es eins der Armenhäuser Europas, das sich mit Trotz und Stolz in die Europäische Union hineinmanövriert. Ein Land, das sich rühmt, der Europäischen Union besonders hohe Fördersummen abzutrotzen und fast doppelt so viele Vertreter in die EU-Versammlungen zu entsenden (pro Volkszahl) wie das große Deutschland.
Ein Land, das einen Herrn Zeman zum Präsidentenamt kandidieren läßt, der den Mord an den Sudetendeutschen noch heute fortführen wollte.“ (Quelle 22)

Und die zweite Überlegung ist mir sympathisch, wenn ich auch weiß, daß es nur – so Herr Markwart Lindenthal – „ein Gedankenspiel ist“:

„(...) könnten wir den ganzen durch Beneš geschürten Deutschenhaß auslöschen, dann ergäben sich wirklich Ansätze zu Gedankenspielen: wie sähe es jetzt in Böhmen und Mähren aus?
Nicht erst im nächsten Jahre, sondern vor etwa 30 Jahren wäre die Tschechische Republik – ebenso die Slowakische Republik – Mitglied eines großen Staatenbundes oder sogar Bundesstaates geworden, in dem sie die Bedeutung der heutigen Bundesländer innerhalb Deutschlands hätte:
gemeinsame Wirtschafts-, Finanz-, Außen- und Militärpolitik, eigene Kulturpolitik auf der Basis des Mährischen Ausgleichs.
Die Milliardenwerte des sudetendeutschen Besitzes wären nicht von den Banditen und den Unfähigen zerstört worden, nicht 1300 Dörfer und Städte vernichtet, nicht unendlich viele Fabriken und Gewerbebetriebe in den Ruin gefahren, sondern die Wirtschaft hätte in den intakten und den binnen Jahresfrist nach Einstellung der Kampfhandlungen wiederhergestellten Betrieben die volle Produktion aufgenommen und auch in den Ländern der Böhmischen Krone ein Wirtschaftswunder entstehen lassen. Nicht nur Friedhöfe wären gepflegt geblieben, weil es ja keine herrenlosen Häuser gegeben hätte.“ (Quelle 22)

Diese Frage hat Herr Lindenthal an seine Freunde weitergegeben. Hanne Zakhari findet diese Frage sehr interessant, mit der sie sich auch lange befaßt und schreibt:
„Denn die Welt wäre anders. Ich bin zum Beispiel der Meinung, daß sich die politische Ordnung des Kommunismus in einer starken Tschechoslowakei, mit drei Millionen Sudetendeutschen, eher nicht durchgesetzt hätte, oder zumindest nicht in dem Maß, in dem sie es tat. Ich bin weiter der Meinung, daß es im wirtschaftlichen Leben nicht zu den Versorgungskatastrophen gekommen wäre, das kulturelle Leben reicher gewesen wäre und insgesamt die heterogene Bevölkerungszusammensetzung unter der Voraussetzung einer gezielten, zur interkulturellen Verständigung führenden Steuerung einen ähnlich dynamischen Aufschwung bedeutet hätte, wie er z.B. in Westdeutschland einsetzte. Und erst die Folgen: Der Bruch der Wirtschaft durch die beinahe gewaltsamen Besetzungen der Produktionsstätten der Sudetendeutschen durch Fremde, Ungeeignete und Plünderer wäre vermieden worden. Und, und, und – da fällt mir vieles ein, ...“ (Quelle 23)

 

3.6 Gibt es einen Grund zur Äußerung des Bedauerns?

Wladyslaw Bartoszewski, Vorsitzender der Behörde zu Pflege der Mahnmale in Polen und bis 2001 polnischer Außenminister, hat bei einer Gedankenfeier am 8. Mai 1995 vor Bundestag und Bundesrat in Bonn als polnischer Außenminister sein Bedauern über das Leid vieler unschuldiger Deutscher ausgesprochen.

In Tschechien hat es bisher keine vergleichbare Äußerung gegeben. Nach seiner Rede haben ihn tschechische Politiker gefragt, wie seine Worte zu verstehen seien. Er hat geantwortet, er halte es mit Václav Havels Postulat, „in der Wahrheit zu leben“. Es ist keine Rede wert, denn eins ist unbestreitbar: daß die Polen unter dem NS-Terror stärker gelitten haben als die Tschechen.

Als Beispiel des tschechischen „Gestapismus“ kann ich das Aussiger Massaker vom 31. Juli 1945 einführen:
„Am 31. Juli 1945 erschütterte eine Explosionswelle den Ortsteil Schönpriesen/Krásné Brezno der nordböhmischen Industriestadt Aussig an der Elbe/Ústí nad Labem. Hier war nach Kriegsende eine Sammel- und Lagerstätte für Waffen und Munition eingerichtet worden, die unter Aufsicht der tschechoslowakischen Armee stand. Deutsche und tschechische Zivilisten sowie deutsche Internierte des Lagers Aussig-Lerchenfeld mußten dort arbeiten.
Um 15.30 Uhr wurde das Munitionslager durch mehrere aufeinanderfolgende Explosionen komplett zerstört. Obwohl die Explosionen in dem auf der anderen Elbeseite liegenden Aussig nicht zu sehen waren und auch die Ursache für die Explosionen nicht bekannt sein konnte, begannen fast zeitlich pogromartige Ausschreitungen gegen die mehrheitlich deutsche Bevölkerung der Stadt. Die Detonationen waren allein der „Startschuß“ für eine schreckliche Menschenjagd. Das Erkennungsmerkmal der deutschen Opfer war entweder ihre Sprache oder die weißen Armbinden mit der Aufschrift „N
emec“. An drei verschiedenen Stellen der Stadt wurden Menschen – auch Frauen und Kinder – auf die brutalste Art geprügelt.
Von der Elbebrücke wurden zahlreiche Personen in die Elbe geworfen, darunter auch eine Frau mit Kinderwagen. Sicher ist, daß von der Brücke aus mit Pistolen, Gewehren und einem Maschinengewehr auf die in der Elbe treibende Menschen geschossen wurde. Über alle diese schrecklichen Ereignisse gibt es kein Foto, aber unzählige Augenzeugenberichte der Überlebenden.
Das Massaker von Aussig dauerte etwa zwei Stunden. Die Hintergründe des Aussiger Massakers liegen bis heute im dunkeln. Nicht einmal die Zahl der Todesopfer ist bekannt. Die Zahlen Schwanken zwischen 50 und 4000. An der Pressekonferenz am nächsten Tag in Aussig sagte Verteidigungsminister Svoboda, daß es notwendig sei, mit der „deutschen fünften Kolonne ein für allemal abzurechnen“ und dem Beispiel der Sowjetunion zu folgen, die die Wolgadeutsche Republik innerhalb 48 Stunden aufgelöst haben.“
(Quelle 24)

Im „Rechtsgutachten bezüglich der Beneš-Dekrete und damit zusammenhängende Probleme“ von Dr. Jochen Frowein vom 12. September 2002 in der Schlußfolgerung, Absatz 6 steht:
„Es wäre angemessen, wenn die Tschechische Republik versichern würde, daß sie die spezifischen Konsequenzen des Gesetzes Nr. 15 bedauert, wie sie es in der Deutsch-tschechischen Deklaration 1997 getan hat.“
(Quelle 25)

Ich hoffe, daß es unsere politische Repräsentation noch vor dem Beitritt in die EU schafft, sich für die Leiden der unschuldigen Menschen zu entschuldigen, damit es nicht die Bürgern im einzelnen tun müssen, wie es auch mein Freund Zdenek Mateiciuc aus der Stadt Odrau/Odry im Kuhländchen gemacht hat:
„(…) Viele haben diese Abschiebung nicht überlebt. Die, die sie überlebten, werden sie nicht vergessen. Schon die Tatsache zu behaupten, daß alle diese Menschen an den Verbrechen der Faschisten und Nazis mitschuldig waren, ist unvorstellbar. Schuld war die Zeit, in der sie lebten, und daß ihre Muttersprache deutsch war.
Wenn dies die Schuld war, dann sind wir alle, Tschechen, Mährer, Schlesier samt unseren Kindern schuldig an den Verbrechen des Kommunismus. Für Kerker, Folter und Hinrichtungen, aber auch für die Beschlagnahmung von Privateigentum und Schikanierung ganzer Familien unter dem Banner der Arbeiterklasse und der Diktatur des Proletariates.
Der überwältigende Teil von uns beteiligte sich an den Wahlen, bei den Kranzniederlegungen zum siegreichen Februar, schwenkte unsere Fähnlein vor den Tribünen der Repräsentanten unserer großen Partei, feierten die Jahrestage der großen Oktober-Revolution auch dann, als die glorreiche russische Armee mehr als 20 Jahre unser Land besetzt hatte, was man dem Land noch heute sehen kann.
Wenn wir Tschechen, Mährer und Schlesier nicht schuldig sind, warum waren es denn sie, unsere deutschen Mitbürger?
Es ist die gleiche Schuld, nur mit einem Unterschied: man hat uns für diese Schuld nicht aus der Heimat vertrieben.
Nur ein schlechtes Gewissen mancher unter uns, oder Unwissenheit und Bequemlichkeit anderer, verwehren es, die Wahrheit zu sagen.
Jawohl, die Vertreibung unserer deutschen Landsleute aus unserer gemeinsamen Heimat war und bleibt ein großes Verbrechen, unentschuldbar und nicht wieder gutzumachen.
Wenn jemand diese Verbrechen hinter „Recht “und den sogenannten Beneš-Dekreten verbirgt, dann muß man zugeben, daß diese Rechte und Dekrete verbrecherisch waren und bleiben, so verbrecherisch wie verschiedene Gesetze und „Rechte“ zur Zeit Nazi-Deutschlands waren.
Uns gewöhnlichen und anständigen Menschen, ohne Rücksicht auf Nationalität, Stand, Bildung und Alter bleibt nur ein einziger Weg, um zu versuchen, den Schmerz und die Verbitterung unserer Landsleute zu mildern.
Es sind nur schlichte, aber aufrichtige Worte des Bedauerns und der Entschuldigung. Für meine Person, meine Familie – und ich weiß, auch für viele andere – sage ich:
Verzeiht bitte, unsere deutschen, ungarischen, österreichischen aber auch Roma Mitbürger, die ihr von der Vertreibung betroffen wurdet.
Verzeiht bitte. Wir bereuen, was geschah und entschuldigen uns für das Unrecht, das euch angetan wurde.
Wir entschuldigen uns bei euch, die ihr noch ab und zu die alte Heimat besuchen kommt und wünschen euch alles Gute.
Vielleicht findet diese Entschuldigung und Reue auch den Weg zu ihnen, den Opfern der Vertreibung.“
(Quelle 26)

 

3.7 Lösung ist das gegenseitige Verzeihen und die Versöhnung

Die Geschichte der Menschheit ist leider eine Geschichte der Kriege. Mit diesem Problem haben sich schon viele Historiker, Philosophen, Soziologen und Politologen befaßt. Kann man aus den so vielen verschiedenen Gründen die wichtigsten irgendwie abstrahieren und definieren?
Ich denke da an ein deutsches Sprichwort, das auch im Tschechischen bekannt ist: „Aller guten Dinge sind drei“. Wenn alle gute Dinge dreie sind, können auch böse Dinge drei sein: Drei böse menschliche Eigenschaften, die auf dem Boden aller bisherigen Konflikte in der Welt liegen: Habgier, Selbstsucht und Neid.

Die erste schlechte Eigenschaft könnte vielleicht auch der Antrieb des Fortschritts sein, aber nur in materiellem Sinne.
Dann kann eine Frage ganz legitim gestellt werden: ob die Menschen belehrbar sind, ob auch sie einer Entwicklung unterliegen. Jede Antwort wird wahrscheinlich auch Vermutung sein. An dieser Stelle möchte ich zwei Menschen zitieren, die das Schicksal ihrer Nationen auf ihre Weise beeinflußt haben, und trotz zweier Jahrhunderte Zeitunterschied bisher Repräsentanten ihrer Nationen sind.

Der erste passende Satz kommt von Johann Wolfgang von Goethe:
„Wer keine fremde Sprache kennt, kann auch keine andere Nation verstehen.“

Den zweiten, vielleicht schon übernommenen Satz hat in einer seiner Reden Václav Havel geäußert:
„Wer Angst hat vor seiner Geschichte, fürchtet sich auch vor seiner Zukunft.“

Dazu gebe ich den allgemein bekannten Satz:
„Wer seine Geschichte nicht kennt, kann seine Zukunft nicht gestalten.“
Oder:
„Wer nicht weiß, woher er kommt, weiß auch nicht, wohin er geht.“

Die Menschen kann niemand ändern, verbessern. Aber eine gewisse Hoffnung sehe ich in der Bildung. Erziehung und Bildung beginnt in den Familien entsprechend den sozialen Bedingungen. Dann folgen die Schulen, Vereine und andere Bildungseinrichtungen. Auch Reisen und Sprachkenntnisse tragen zur Verständigung zwischen den Menschen verschiedener Nationen bei.

Je mehr sich die Menschen verschiedener Völker ganz konkret im Alltag kennenlernen, desto weniger können sie von den Politikern gegeneinander aufgehetzt werden.

Unsere beiden Nationen – Tschechen und Deutsche – haben alle Voraussetzungen, nebeneinander und miteinander in Frieden und Freundschaft zu leben. Denn durch ihr jahrhundertlanges friedliches und nahes Zusammenleben sind sie sehr viel enger bluts- und wesensverwandt als zum Beispiel Tschechen und Russen.

Wenn ich unsere gemeinsame Geschichte zurückverfolge, sehe ich einen roten Faden, der sie durchzieht: Wenn jemand, egal auf welcher Seite, die nationalistische Saite spielte, wurde Blut vergossen – und immer, so muß ich beifügen, zum Schaden beider Nationen. Das ist aber keine deutsche oder tschechische Spezialität, wie wir am Weltgeschehen sehen können.

In diesem Raum leben wir zusammen mehr als tausend Jahre. Es gab viele Versuche, große Einheiten oder Blöcke zu bilden – Fürst Samo, Otto I., Karl IV., Georg von Podiebrad, Maria Theresia, Bismarck, Franz Joseph I., Hitler, Stalin. Aber nichts ist gelungen. Vielleicht war das auch gut so, denn es ging nahezu immer um den Ausbau der Vormachtstellung einer kleinen Gruppe.

Die erste realistische Chance kommt in diesen Jahren – sie heißt Europäische Union. Sie wird nach der Osterweiterung 470 Millionen Einwohner haben. Für unsere Welt, in der nur noch eine Weltmacht übrig blieb und damit keine Konkurrenz hat, ist das eine gute Nachricht für unsere Zukunft in einem neuen Europa der gleichberechtigten Völker.

Nach dem Unrecht der Vertreibung hat es lange gedauert, ehe es Worte der Versöhnung gab. Von der nationalistisch-kommunistischen Herrschaft in der CSSR, die eine unversöhnliche Gegnerin der Deutschen war, war so eine Geste nicht zu erwarten. Es ist praktisch unserer Öffentlichkeit nicht bekannt, daß die Sudetendeutschen durch ihre Sprecher (siehe Anhang A-4), Vereine, Gemeinde und auch Landsmannschaften mehrere Erklärungen abgegeben haben.

In diesen Äußerungen verzichten sie auf Haß, Rache und Vergeltung. Ich erwähne einige :

Eichstätter Adventserklärung vom 30. September 1949, Detmolder Erklärung vom 25. Januar 1950, das Wiesbadener Abkommen vom 4. August 1950 und Charta der Heimatvertriebenen vom 5. August 1950.

Das letzterwähnte Dokument, das in Stuttgart auf einer Großkundgebung in Gegenwart von Mitgliedern der Bundesregierung verkündet wurde, ist im Anhang der Arbeit eingeordnet [hier aus Zeitmangel noch nicht eingearbeitet ML 2004-01-20], zusammen mit den unterzeichnenden Sprechern der Landsmannschaften der Vertriebenen und mit dem Zusatz von Dr. Herbert Czaja. Ich möchte zwei Punkte der Charta zitieren:

„1. Wir Heimatvertriebenen verzichten auf Rache und Vergeltung. Dieser Entschluß ist uns ernst und heilig im Gedenken an das unendliche Leid, welches im besonderen das letzte Jahrzehnt über die Menschheit gebracht hat.

2. Wir werden jedes Beginnen mit allen Kräften unterstützen, das auf die Schaffung eines geeinten Europas gerichtet ist, in dem die Völker ohne Furcht und Zwang leben können.“

Ich führe hier auch eine der vielen Reden der deutschen Politiker an, die sich bei den verschiedenen Gelegenheiten zu den traurigen Ereignissen nach dem zweiten Weltkrieg geäußert haben. Bundesverkehrsminister Hans Christoph Seebohm, Sprecher der Sudetendeutschen, hat auf dem Sudetendeutschen Tag schon im Jahre 1963 in Stuttgart folgendes gesagt:
„Wir müssen die Vergangenheit gemeinsam bewältigen in gegenseitigem Verstehen und Verzeihen. Dies allein ist der Weg in die Zukunft (…)
Wiewohl wir Sudetendeutsche an der Errichtung des Reichsprotektorat Böhmen und Mähren und der während seines Bestehens am tschechischen Volk begangenen Verbrechen völlig unschuldig sind, möchte ich als legitimer Sprecher der Sudetendeutschen bekennen, daß ich im christlichen Geiste das tschechische Volk für das damals ihm zugefügte Unrecht als Deutscher und Sudetendeutscher um Verzeihung bitte, damit aus dem gegenseitigen Verzeihen die Grundlage für eine Völkerversöhnung erwachsen kann.“ (Quelle 27)

Der Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft, Bernd Posselt MdEP, sagte in Schwäbisch Gmünd am 25. Mai 2003 zum 50jährigen Jubiläum der Patenschaft der Stadt über die Brünner Deutschen:
„Nationalismus, Nationalsozialismus, Kommunismus, Vertreibung, gerade das 20. Jahrhundert war voll von grausamstem Unrecht, aber wenn ich mir die historischen Gebäude der Stadt Brünn anschaue oder auch dieses Parlermünster hier in Schwäbisch Gmünd, (...) dann werden wir erinnert ans Heilige Römische Reich, das trotz vieler Mängel etwas war, was wir heute wieder in Europa anstreben, nämlich eine völkerüberwölbende Rechtsgemeinschaft.“

 

4. Zusammenfassung

In meiner Arbeit befasse ich mich mit dem Abschnitt der tschechischen Geschichte, der aus verschiedenen Gründen einigen Schichten unserer Bürger nicht angenehm ist. Die einen sind noch von der bisher wirkungsvollen kommunistischen Propaganda beeinflußt worden. Die anderen wurden von heutigen „Patrioten“ beeinflußt.
Die Bewohner der Grenzgebiete haben Angst um ihren Besitz, der nach dem Krieg durch die sogenannten Beneš-Dekrete von den deutschen Eigentümern konfisziert und ihnen dann zugeteilt worden war.

Im ersten Kapitel erwähne ich diese Aspekte unserer gegenseitigen Beziehungen ausführlicher. Nur eine kleine Bemerkung dazu: Allein schon die Eröffnung einer kleinen Kanzlei der Sudetendeutschen Landsmannschaft in Prag durch deren Vorsitzenden, Herrn Bernd Posselt, Mitglied des Europäischen Parlaments, war Grund für gereizte Reaktionen unserer auch höheren Politiker.

Im zweitem Kapitel beschreibe ich sehr kurz einige Abschnitte der Geschichte der deutschen Bevölkerung, von der Urbesiedlung über die Einladungen unserer Herrscher, erste Vertreibung der Deutschen in Mittelalter, das Ende des gemeinsamen Staates bis zu Münchner Abkommen, Reichsprotektorat und Vertreibung.

Es ist dabei zu erwähnen, daß bis heute unsere Politiker nicht im Stande sind, die wilde Vertreibung mit unmenschlichen Exzessen abzuurteilen und damit auch das „Gesetz“ über die Nicht-Widerrechtlichkeit der Verbrechen bis zum 28.Oktober 1945!

In drittem Kapitel führe ich weitere Auszüge aus meinem Briefwechsel mit dem ehemaligen Vorsitzenden der Sudetenlandsmannschaft Franz Neubauer, Bundeskanzler Helmut Kohl und Außenminister Hans-Dietrich Genscher ein. Als eine der mehreren Entschuldigungen an unsere Bürger dienen Auszüge aus der Rede des Landtagspräsidenten Johann Böhm (Anhang A-4) und in den Anhängen steht die „Charta der Vertriebenen“ aus dem Jahre 1950. (siehe Anhang A-11)

 

Anhänge

  1. Deutsch-tschechische Beziehungen nach Helmut Schneider

  2. Das Problem der Eigentumsrückgabe nach Helmut Schneider

  3. Vision eines sudetendeutsch-tschechischen Ausgleichs nach Helmut Schneider

  4. Aus der Rede des Sprechers der Sudetendeutschen Volksgruppe, Landtagspräsidenten Johann Böhm anläßlich des 52. Sudetendeutschen
Tages am 3. Juni 2001 in Augsburg

  5. Mein Brief an Sprecher der Sudetendeutscher Landsmannschaft Herrn Franz Neubauer

  6. Antwort vom Geschäftsführer Herrn Löffler

  7. Mein Brief an Herren Bundeskanzler und Außenminister der BRD

  8. Brief vom Bundeskanzler Helmut Kohl

  9. Brief vom Außenminister Herrn Hans-Dietrich Genscher

10. Offener Brief an Herrn Miloš Zeman

11. Charta der deutschen Heimatvertriebenen

 

A-1 Deutsch-tschechische Beziehungen nach Helmut Schneider

In den Städten wächst der tschechische Bevölkerungsanteil besonders durch den Zuzug tschechischer Fabrikarbeiter erheblich und es entwickelt sich eine tschechische bürgerliche Mittelschicht. Gegen das Jahr 1806 verliert Prag seine deutsche Mehrheit. Die Tschechen erheben immer wieder neue Forderungen.

Im April des Revolutionsjahres 1848 erhielten Tschechen die völlige Gleichstellung der tschechischen Sprache mit der deutschen.

In Mähren gelingt 1905 der sogenannte „Mährische Ausgleich“, ein paritätisch von Deutschen und den gemäßigten Tschechen Mährens ausgehandeltes Papier, dessen Prinzip noch heute attraktiv wäre für die Behandlung ethnischer Minderheiten im vereinten Europa. Dieser Ausgleich stößt aber in Böhmen auf Widerstand, weil dort die nationalen Gegensätze schon zu groß geworden sind.

Im Jahre 1907 wird in Österreich das Allgemeine Wahlrecht eingeführt. Durch dieses Wahlrecht erhielt der Reichsrat (Parlament) in Wien slawische Mehrheit (Tschechen, Slowaken, Polen, Slowenen, Kroaten, Serben, Ruthenen). (…)

Nach dem Zerfall der Österreichisch-Ungarischen Monarchie lehnten die Deutschen eine Einverleibung der von ihnen bewohnten Gebiete in den neuen tschechischen Nationalstaat ab. Diese Gebiete wurden ab Mitte November 1918 systematisch von Tschechen okkupiert, also noch vor dem Beginn der Pariser Friedenskonferenz.

Hierzu ist Prof. Rudolf Kucera, Direktor des Prager Instituts für mitteleuropäische Kultur und Politik, zu zitieren:

„So kam es zur einer Grenzziehung ohne Rücksicht auf nationale Verhältnisse oder auf den Willen der dort lebenden Volksgruppen, die in den neuen Staat gegen ihren Willen geraten sind, wobei ihnen das Recht auf Selbstbestimmung verweigert wurde. Daher kann man sagen, daß die CSR teilweise auf nichtdemokratische Art entstanden ist: einigen wurde das Selbstbestimmungsrecht gewährt, anderen verweigert. … Die CSR war als antideutsche Formation in Mitteleuropa konzipiert.“

Als Masaryk am 22. Dezember 1918 triumphal in Prag einzog, gab er in einer ersten Grußbotschaft als Präsident eine böse Parole aus: „Wir – die Tschechen – haben unseren Staat geschaffen. Dadurch wird die staatrechtliche Stellung der Deutschen bestimmt, die ursprünglich als Immigranten und Kolonisten ins Land kamen.“ Durch diese Parole waren die Deutschen in Böhmen und Mähren von Anfang an als Bürger zweiter Klasse abgestempelt. Diese Begriffe „Immigrant“ und „Kolonist“ trugen ungewollt bei den Deutschen zu einer antistaatlichen Bewußtseinbildung gegenüber dem neuen Staat bei. In der Neujahrsbotschaft vom 1. Januar 1919 erklärte Masaryk u. a. kategorisch, „daß über Autonomie nicht verhandelt werde“ (...)

Das demokratische Gleichheitsprinzip wurde den Deutschen gegenüber nicht angewandt. Das zugesagte kantonale System nach Schweizer Muster mit Autonomie in kultureller, wirtschaftlicher und rechtpflegerischer Hinsicht wurde nicht gewährt – es war von den Tschechen nie ernsthaft in Erwägung gezogen. ...“

 

A-2 Das Problem der Eigentumsrückgabe nach Helmut Schneider

Die Tschechen haben immer noch Angst, die Deutschen könnten ihr Eigentum nach über 50 Jahren zurückverlangen. Das würde neue Eigentumsumwälzungen geben und den tschechischen Staat in den Fundamenten erschüttern. Diese Angst oder Sorge ist unbegründet. Warum?

1. Nur wenige Sudetendeutsche möchten heute noch in die Heimat zurückkehren, ihr Eigentum in Besitz nehmen und dort unter den heutigen Verhältnissen leben. Was sollte denn mit den heutigen Besitzern geschehen? Die meisten innerhalb von mehr als 50 Jahren verwahrlosten Häuser – soweit sie überhaupt noch stehen – müßten aufwendig renoviert werden. Wir Vertriebenen sind nach dem Krieg von dem zerschlagenen, am Boden liegenden Deutschland in einem bewundernswürdigen und nicht hoch genug zu lobenden Akt der Solidarität aufgenommen worden, haben ein Dach über dem Kopf, Arbeit und Brot bekommen und konnten, besonders mit Hilfe des „Lastenausgleichs“, eine erfolgreiche Existenz aufbauen. (...)

2. Viele Vertriebene, die die damaligen grauenvollen Erlebnisse bis heute nicht vergessen können, lehnen ein Wiedersehen mit dem Land ihrer grausamen Peiniger ab.

3. Die nächsten Generationen, die nicht mehr im Sudetenland geboren ist, betrachtet als Heimat das Land ihrer Jugend, bei den meisten ist es die Bundesrepublik; zu der Heimat der Eltern haben sie nur geringe Beziehung (...)

Nach 50 Jahren scheint daher diese Rückgabeforderung antiquiert und nicht mehr realistisch zu sein. Die „Sudetendeutsche Landsmannschaft“ sollte von dieser Forderung abrücken, weil sie den Dialog zwischen den Tschechen und Sudetendeutschen blockiert. Und das sollten die Tschechen bald erfahren.

 

A-3 Vision eines sudetendeutsch-tschechischen Ausgleichs nach Helmut Schneider

Beide Seiten haben es nötig, ihr Geschichtsbild zu ergänzen. Die letzten Kapitel der gemeinsamen Geschichte sollten genauer kennengelernt werden, wenn eine Aufarbeitung der Vergangenheit stattfinden soll. Daran arbeitet eine deutsch-tschechische Historiker-Kommission.

Auf der sudetendeutschen Seite sollte die Tragik herausgestellt werden, daß das 1918 verweigerte Selbstbestimmungsrecht zwar 1938 verwirklicht und eine Bindung an das deutsche Mutterland erreicht werden konnte, die Sudetendeutschen jedoch dafür ihre demokratische Freiheiten opfern mußten. Diese Tatsache haben viele unserer Erlebnisgeneration noch heute nicht erkannt. Umgekehrt sollte die opferreiche Geschichte der Tschechen unter der Gewaltherrschaft der Reichsdeutschen eindringlich zur Kenntnis gebracht werden. Dabei müßte auch darauf hingewiesen werden, daß die Sudetendeutschen – mit wenigen Ausnahmen – an diesen Untaten nicht beteiligt waren.

Die tschechische Seite sollte das falsche Geschichtsbild aus der ersten Republik korrigieren, d.h. die Unterdrückung der Sudetendeutschen und die Tendenz zu ihrer Tschechisierung zugeben. Die beiden letzten Generationen wissen nichts von den tatsächlichen Behandlung der Deutschen. In diesem Zusammenhang müßte auch die Vorstellung einer Kollektivschuld der Sudetendeutschen aufgelöst werden. Desgleichen sollte sich die tschechische Seite von den an den Vertriebenen verübten Greueltaten distanzieren und sich ähnlich Seebohm entschuldigen.

Die sudetendeutsche Seite sollte immer wieder sich erneut nachdrücklich zu Seebohms Bitte um Verzeihung bekennen, die seit 1963 von dem kommunistischen System verschwiegen worden ist. Auch die deutsche und sudetendeutsche Seite darf nicht in den Fehler verfallen, dem ganzen tschechischen Volk die Vertreibungsverbrechen anzulasten; also auch hier keine Kollektivschuldzuweisung. Die Forderung nach Eigentumsrückgabe sollte von der „Sudetendeutschen Landsmannschaft“ zurückgenommen werden.

Die tschechische Seite sollte sich von den Beneš-Dekreten distanzieren, da es unmöglich scheint, sie für ungültig zu erklären. Das Distanzieren ist unerläßlich, weil die Dekrete nicht nur gegen das Völkerrecht, sondern auch gegen heutige Rechtsnormen der Tschechischen Republik verstoßen. Außerdem würden sie ein Hindernis für den Einzug der Tschechischen Republik in die Europäische Union bilden.

Der amerikanische Präsident Abraham Lincoln hat einmal gesagt:

„Nichts in der Welt ist dauerhaft geregelt, was nicht gerecht geregelt ist.“

 

A-4 Aus der Rede des Sprechers der Sudetendeutschen Volksgruppe,
      Landtagspräsidenten Johann Böhm,
       anläßlich des 52. Sudetendeutschen Tages am 3. Juni 2001 in Augsburg

(...) Es hat schweres Unrecht auf beiden Seiten gegeben, in der NS-Zeit am tschechischen Volk, danach an den Sudetendeutschen. Aber das eine Unrecht ist anerkannt und im Rahmen des Möglichen wiedergutgemacht worden. Das darauffolgende Unrecht steht völlig unaufgearbeitet im Raum. Die Tschechen beklagen, daß von ihrem Staatsgebiet durch das Münchener Abkommen die sudetendeutschen Gebiete abgetrennt worden seien, daß Hitler durch den Einmarsch 1939 ihren Staat zerstört habe, daß Nazis viele tschechische Bürger verfolgt und mißhandelt haben.

Dieses Unrecht ist im Rahmen des Möglichen geheilt: Die Sudetendeutschen Gebiete gehören – jetzt ethnisch rein – längst wieder zum tschechischem Staat. Der Staat selbst ist seit Kriegsende wieder belebt und existiert. Die Mißhandlungen von Personen durch die Nazis – sie hätten eigentlich durch den tschechischen Staat entschädigt werden können, der ja das sudetendeutsche Vermögen zu diesem Zweck konfisziert hatte – werden im Rahmen des deutsch-tschechischen Zukunftsfonds soweit möglich abgegolten. Als Mitglied des Verwaltungsrat habe ich mich sehr dafür eingesetzt, daß den Opfern rasch geholfen wird.

Aber die Sudetendeutschen haben auch Grund zur Klage:
Sie wurden entschädigungslos enteignet und verloren dadurch ihre Habe. Sie wurden ihrer Heimat beraubt und vertrieben. Viele von ihnen wurden unmenschlich behandelt; sie wurden Opfer von Tätern, die dann auch noch von der Strafverfolgung freigestellt wurden. Auf welchem der drei Felder wurden Zeichen der Wiedergutmachung gesetzt? Ich sehe so gut wie nichts.

Ist Wiedergutmachung notwendig? Diese Notwendigkeit stellen viele in Frage. (...)

Materie reagiert zwangsläufig in eine Richtung.
Der Mensch dagegen hat freien Willen.
Wenn er geschlagen wird, kann er zurückschlagen.
Er kann aber, wenn er einen Schlag auf die eine Wange erhält, auch noch die andere hinhalten, wie es das Evangelium anrät. Was er tut, unterliegt seiner Willensentscheidung. Ich frage Sie also: Ist es zwangsläufig so, daß Menschen Böses mit Bösem vergelten müssen?

Nein, das darf in einer humanen Welt nicht sein. Und die deutschen Vertriebenen haben sich längst zu dieser Erkenntnis durchgerungen. 1950 haben sie feierlich auf Rache und Vergeltung verzichtet. Sie haben eine Spirale von Gewalt und Gegengewalt durchbrochen. Sie haben sich zum Recht bekannt. Vergeltung liegt ihnen fern. Wiedergutmachung des Unrechts aber halten sie für geboten.

Und es war Unrecht, was durch die Beneš-Dekrete, die die Enteignung, Vertreibung der Deutschen sowie die Straffreiheit für tschechische Täter beinhalten, angeordnet wurde. Es gab Deutsche, die sich schuldig gemacht hatten. Diese zu bestrafen, wäre legitim gewesen. Aber eine Sippenhaftung für alle Deutschen war durch nichts gerechtfertigt. Wenn ich an Volkmar Gabert denke, den alten verdienten Sozialdemokraten, dann stelle ich fest: dieser floh mit Eltern und Geschwistern vor den Nazis. Er durfte nie in die Heimat zurückkehren, bloß weil er Deutscher war. Deshalb sagte Václav Havel über die Vertreibung: „Das war nicht Strafe, das war Rache. Für Racheakte darf kein Raum in dieser Welt sein.“ Darum, liebe Nachbarn in Tschechien, laßt uns darüber reden, wie wir ins Reine kommen.

(...) Für Tschechien hat es keinen Sinn, auf Zeitablauf zu setzen und zu hoffen, daß alles einschlafe. Freilich ist es so, daß eine Rückgängigmachung der Enteignungen immer schwierig wird, je mehr Zeit ins Land zieht. Je länger jemand fremdes Eigentum in Beschlag hat, um so schwächer wird die Position des eigentlichen Eigentümers.

Die Rechtsverhältnisse werden verwirrender und unklarer; Berechtigte sterben weg und können keine Ansprüche mehr erheben. Auf diese Entwicklung spekuliert möglicherweise die tschechische Seite.

Allerdings wird immer die Frage bestehen bleiben: Welche Legitimation hatten die Tschechen, über drei Millionen Bürger deutscher Nationalität zu enteignen und zu vertreiben: Das Recht gibt keine Legitimation dazu.

(...) Tschechen und Deutsche sind seit Jahrhunderten Nachbarn. Wer nebeneinander wohnt, sollte miteinander auskommen. Wer das nicht einsieht, ist dumm; wer es nicht beherzigt, ist böse. Wir wollen beides nicht sein. Sudetendeutsche und Tschechen haben mehr Gemeinsamkeiten als sie glauben. Sie haben acht Jahrhunderte zusammengelebt. Auch an den Namen wird es deutlich.

Professor Seibt weist darauf hin, welche Kuriositäten es gibt: So hieß der Vorsitzende der deutschen Sozialdemokraten Czech und der Vorsitzende der tschechischen Sozialdemokraten Nemec (also Deutscher). Sinnfälliger können doch Verbindungen, Überschneidungen, Gemeinsamkeiten nicht zum Ausdruck kommen.(...)

 

A-10 Offener Brief an Herrn Miloš Zeman

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
als 13-jähriger Bub habe ich die Vertreibung im Jahre 1946 aus Falkenau/Sokolov bewußt miterlebt und bin als junger Mann im Bewußtsein der schrecklichen Folgen des Krieges der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands beigetreten. Kriege und Vertreibungen zu verhindern und eine friedvolle Welt mit aufbauen zu helfen, das war und ist mein Ziel.

So ist es verwunderlich, daß gerade Sie, sehr geehrter Ministerpräsident, als Sozialdemokrat mit Äußerungen an die Öffentlichkeit treten, die zur Volksverhetzung führen.

Sie sprechen von den Sudetendeutschen als der „fünften Kolonne des Hitlers“ und von „Landesverrätern“, die eigentlich mit der Todesstrafe hätten rechnen müssen und mit der Vertreibung noch „milde davongekommen“ seien.

Ihre schlimmen Aussagen erinnern an die Zeit des Kommunismus. Es ist zu fragen, ob Sie als Ministerpräsident möglicherweise diese Geschichtsschreibung sich zu eigen gemacht haben. Daraus resultierend ist weiterhin die Frage zu stellen: Was haben Sie, im Gegensatz zu Herrn Staatspräsident Havel und vielen Kämpfern für Demokratie, in Ihrem Land gegen die kommunistische Gewaltherrschaft unternommen?

Hat Sie jemals interessiert, wie es den deutschen Sozialdemokraten in der Tschechoslowakei ergangen ist, als es 1938 zum Anschluß an das Deutsche Reich kam? Diese deutschen Bürger Ihres Landes sind noch für den Bestand der Republik eingetreten, als der damalige Staatspräsident bereits im sicheren Exil im Ausland war. Diese Menschen mußten für ihr kämpferisches Eintreten für Demokratie und Freiheit und somit für den Weiterbestand der CSR bitter büßen, sei es im Exil oder in den Konzentrationslagern. Und wieder wurden sie 1945 durch die Kollektivschuld wie alle Sudetendeutschen als Verbrecher behandelt.

Die Seliger-Gemeinde, Schicksalsgemeinschaft sudetendeutscher Sozialdemokraten, tritt seit Jahrzehnten mit ihren „Brandenburger Thesen“ für die Verständigung mit dem tschechischen Volk ein.

Die Mehrzahl meiner sudetendeutschen Landsleute ist ebenfalls dieser Meinung. Doch es gibt auch Ausnahmen, wie Ihre Anschuldigungen auch in der Tschechischen Republik zeigen.

Haben Sie sich jemals dafür interessiert, worin die Stimmung in der damaligen CSR unter den tschechoslowakischen Staatsbürgern deutscher Nation zur Loslösung vom tschechischen Staat begründet war?

Es wäre Ihre Pflicht gewesen, als sozialdemokratischer Ministerpräsident der Jugend ein Beispiel zu geben, nämlich: für Versöhnung und Verständigung einzutreten und zugleich die Menschen, die vor etwas mehr als 60 Jahren mit den Tschechen als zwei Völker in einem Staat über Jahrhunderte zusammen gelebt haben, wieder zusammenzuführen.

Mit Freunden aus der CSU und SPD in Bayern trete ich seit Jahrzehnten für diese ausgesprochene Verständigung und Versöhnung ein. Wir haben dafür von höchsten amtlichen Stellen Bayerns und Deutschlands Auszeichnungen und Orden erhalten. Darauf sind wir, darauf bin ich stolz!

Abschließend möchte ich Sie an den Leitsatz des tschechischen Staatspräsident erinnern: „Die Wahrheit siegt!“

Auf alle Fälle haben Sie sich als Ministerpräsident durch Ihre Arbeit für Ihr Land große Verdienste erworben. Um so schlimmer ist es, daß derartige Reden unsere Arbeit für freundschaftliche Beziehungen zwischen Tschechen und Deutschen und insbesondere den Sudetendeutschen erschweren.

Es ist dem Amt eines vom Volk gewählten Ministerpräsidenten eines demokratischen Staates auszusprechen, doch ich schäme mich als Sozialdemokrat, der seit fünf Jahrzehnten für deren Ideale und Ziele eintritt, für die Aussage eines „Parteifreundes“.
Dieser Satz ist nicht richtig zitiert. Kann mir jemand die Berichtigung liefern???? ML 2004-02-22

Josef Döllner, D-82194 Gröbenzell
Landes-Zeitung Nr.5, S. 7 / 26. Februar 2002

 

Quellen

  1. http://www.dbb-ev.de.sudg.03.html, S.1 – 27. 8. 2002, Die Urbevölkerung

  2. http://www.dbb-ev.de.sudg.04.html, S.2 – 27. 8. 2002, Böhmen im Reich

  3. http://www.dbb-ev.de.sudg.02.html, S.1 – 27. 8. 2002, Die „Sudetengeschichte“

  4. http://www.dbb-ev.de.sudg.03.html, S.1 – 27. 8. 2002, Die slawische Besiedlung

  5. http://www.dbb-ev.de.sudg.04.html, S.2 – 27. 8. 2002, Böhmen im Reich

  6. http://www.dbb-ev.de.sudg.04.html, S.4 – 27. 8. 2002, Die Sudeten vor Kolonisation

  7. http://www.dbb-ev.de.sudg.05.html, S.1 – 27. 8. 2002, Die große Kolonisation

  8. http://www.dbb-ev.de.sudg.06.html, S.1 – 27. 8. 2002, Böhmen als Herzland des Reichs

  9. http://www.dbb-ev.de.sudg.07.html, S.1 – 27. 8. 2002, Die Hussitische Revolution

10. Rudolf Meixner, Geschichte der Sudetendeutschen, Nürnberg 1983, S. 43-44

11. Rudolf Meixner, Geschichte der Sudetendeutschen, Nürnberg 1983, S. 52-53

12. Helmut Schneider, 1000 Jahre Deutsche und Tschechen in Böhmen und Mähren, Gerlingen 1996, 2.Auflage, S. 71

13. http://www.dbb-ev.de.sudg.12.html , S.1 – 27.8.2002, Der tschechoslowakische Staat

14. http://www.dbb-ev.de.sudg.13.html , S.1 – 27.8.2002, CSR bis Münchner Abkommen

15. http://www.dbb-ev.de.sudg.13.html , S.2 – 27.8.2002, CSR bis Münchner Abkommen

16. http://www.dbb-ev.de.sudg.15.html , S.1 – 27.8.2002, Das Reichsprotektorat Böhmen und Mähren

17. http://www.dbb-ev.de.sudg.16.html , S.1 – 27.8.2002, Die Vertreibung der Sudetendeutschen

18. http://www.dbb-ev.de.sudg.16.html , S.3 – 27.8.2002, Die Vertreibung der Sudetendeutschen

19. Hanus Kuffner, Unser Staat und der Weltfrieden, H.V.Wien 1922, Kapitel 7.5.8

20. navjan@centrum.cz email von markwart@lindenthal.com, 20.2.2003

21. navjan@centrum.cz email von markwart@lindenthal.com, 27.2.2003

22. navjan@centrum.cz email von markwart@lindenthal.com, 22.4.2003

23. navjan@centrum.cz email von markwart@lindenthal.com, 24.4.2003

24. Landes-Zeitung, Nr.16/2002, S.4

25. Landes-Zeitung, Nr.25/2002, Beilage

26. Gertrude Schustala, Bitterer Abschied von Nesselsdorf, Merks Verlag, Nürnberg 1996
      ceské vydádní – Hor ké loucení s Koprivnicí, Zdenec Mateiciuc, Jan Navrátil 2001, S. 8,9

27. Helmut Schneider, 1000 Jahre Deutsche und Tschechen in Böhmen und Mähren, Gerlingen 1996, 2. Auflage, S. 25-30