Zu Prof. Dr. Adolf Hampels Dank an Zeman bitte weiterblättern!
Aus der Zeitung Profil:
Voller Wortlaut des Zeman-Interviews.
profil: Das Volksbegehren der FPÖ 'Veto gegen Temelin' ist
angelaufen. Welchen Rat würden Sie Österreichern geben, die um die Sicherheit des
Kernkraftwerks besorgt sind, aber noch zögern, ob sie das Volksbegehren unterschreiben
sollen?
Zeman: Ich will mich nicht in die inneren Angelegenheiten Österreichs
einmischen. Das Volksbegehren ist eine Sache der Österreicher und nicht der Tschechen.
Aber die österreichischen Wähler werden von den Organisatoren des Referendums
getäuscht, weil es nicht auf Temelin zielt, sondern gegen die Mitgliedschaft Tschechiens
in der EU. Herr Haider sollte mutig genug sein, um die wirklichen Ziele seines Referendums
zu erklären: Er ist gegen die EU-Erweiterung.
profil: Aber in Österreich gibt es Besorgnis über das
grenznahe Atomkraftwerk Temelin, nicht zuletzt wegen der Häufung von Pannen.
Zeman: Laßt uns doch jetzt mit den Österreichern über die
Sicherheitsnormen aller benachbarten Kernkraftwerke sprechen. So hat etwa das
Atomkraftwerk Dukovany, das vor 15 Jahren in Betrieb ging, keine Einwände der
Österreicher ausgelöst. Daher erkenne ich eine Art Heuchelei in der österreichischen
Debatte sowie einen Mißbrauch der ökologischen Debatte durch die populistische Bewegung
in Österreich. Meine Vereinbarung mit Kanzler Schüssel bietet eine gute Grundlage, auf
alle Ängste und Sorgen der österreichischen Bevölkerung zur Kernenergie einzugehen. Und
ich will ja auch die tschechische Bevölkerung vor nuklearen Gefahren schützen, was meine
erste Verantwortung darstellt. Doch ich möchte schon festhalten, daß die Atomexperten
der EU und anderer internationaler Organisationen uns mehrfach zugestanden haben, daß
Temelin eines der sichersten Kernkraftwerke in ganz Europa sein wird.
profil: Eine Stilllegung von Temelin kommt für Sie also nicht infrage?
Zeman: Durch die Vereinbarung mit der Regierung von Bundeskanzler
Schüssel unter Vermittlung von EU-Kommissar Verheugen haben wir uns zu zusätzlichen
Sicherheitsmaßnahmen verpflichtet. Daher verstehe ich nicht, warum die Österreicher
dauernd gegen Temelin protestieren, aber nicht gegen Dukovany, gegen Bohunice, Mochovce
oder Krsko oder gegen deutsche und französische Kernkraftwerke. Das ist doch eine
Heuchelei. Nur jemand, der nicht informiert ist ich vermeide den Begriff Idiot
, kann dieses Volksbegehren unterstützen.
profil: Es gibt da schon einen Unterschied. In Temelin passieren
laufend Störfälle. Daher ist auch die Besorgnis über Temelin größer. Und über den
jüngsten Störfall am Freitag der Vorwoche haben sich sogar tschechische Zeitungen mit
Schlagzeilen lustig gemacht: 'Temelin zuerst auf hundert Prozent und dann auf null
Prozent'.
Zeman: Bei so großen Anlagen wie Temelin kommt es in der Testphase
naturgemäß zu Problemen, die aber immer nur im nicht-nuklearen Bereich erfolgten. Es gab
auch viele technische Probleme in Dukovany. Aber in der kommunistischen Zeit wurden diese
Pannen nicht veröffentlicht.
profil: Sollte das AKW Dukovany daher geschlossen werden?
Zeman: Nein, nein. Trotz dieser Probleme ist Dukovany relativ modern und
sicher. Aber ihr Österreicher habt nicht gegen Bohunice oder Mochovce protestiert.
profil: Das stimmt nicht. Schon Ihr Parteifreund Vranitzky hat die
Fertigstellung von Mochovce verhindern wollen, indem er EU-Kredite für Mochovce vereitelt
hatte. Es wurde dann hauptsächlich mit sowjetischer Technik fertig gebaut.
Zeman: Ich möchte jetzt ganz offen, wenn nicht sogar brutal zu Ihnen
sein. Ein österreichischer Spitzenpolitiker, dessen Namen ich nicht verraten darf, hat
mir den wahren Grund für die Einstellung der Österreicher gegen die Kernenergie genannt:
Es besteht ein Minderwertigkeitskomplex wegen Zwentendorf. Weil Österreich kein
Kernkraftwerk hat, wollen Sie, daß auch Ihre Nachbarn keines in Betrieb nehmen. Dabei
vergessen die Österreicher, daß die neue Energiepolitik in den USA voll auf Kernenergie
setzt oder daß die Japaner 13 neue AKWs bauen. Sogar die Finnen planen ein neues
Kernkraftwerk. Die Österreicher stehen unter dem Druck der Populisten und ökologischen
Fundamentalisten. Österreich importiert sogar Strom aus Atomkraftwerken. Ihr
Österreicher seid so etwas wie Molières 'Tartuffe'.
profil: Wir exportieren aber weit mehr Strom und sind stolz darauf,
daß er großteils in umweltfreundlichen Wasserkraftwerken produziert wird.
Zeman: Wir Tschechen haben aber keine Gebirgsflüsse wie Österreich,
daher brauchen wir die Kernenergie.
profil: Zurück zum Volksbegehren. Sollten bis zu einer Million
Österreicher oder mehr unterschreiben, würde dies irgendwelche Auswirkungen auf die
tschechische Regierung haben?
Zeman: Meine Reaktion darauf basiert auf dem Völkerrecht. Wir haben den
Melker Prozeß durch die Weisheit des Bundeskanzlers Schüssel und auch jene des
tschechischen Premierministers mit einer Vereinbarung abgeschlossen. Es war ein
vernünftiger Kompromiß, zu dessen Umsetzung ich mich verpflichtet habe. Ich erwarte,
daß sich auch die Österreicher daran halten.
profil: Wenn mehr als eine Million Österreicher das Volksbegehren
unterzeichnen, würde Sie dies also wenig beeindrucken?
Zeman: Ich werde der meistprovozierende Politiker Europas genannt. Daran
möchte ich mich auch jetzt halten: Wie viele Österreicher unterstützten den 'Anschluß'
1938? Und war das Ergebnis des Referendums ein gutes Argument für den Anschluß?
profil: Der Vergleich hinkt. Das Referendum unter der NS-Herrschaft
fand sicher nicht unter demokratischen Bedingungen statt. Die Nazis hatten sogar das noch
von Schuschnigg angesetzte Referendum abgesagt. Außerdem sollte man nicht vergessen, daß
bei weitem nicht alle Österreicher den 'Anschluß' bejubelt haben.
Zeman: Nicht alle, aber doch die überwältigende Mehrheit der
Österreicher.
profil: Zurück in die Gegenwart. Vizekanzlerin Rieß-Passer
erklärte soeben, sie erwarte Neuverhandlungen über Temelin mit Ihrer Regierung oder
spätestens nach den tschechischen Wahlen im Juni.
Zeman: Jede neue Regierung in Prag wird härter gegenüber Wien auftreten
als die überaus flexible Regierung unter meinem Vorsitz. Daher sind solche Hoffnungen
nicht gerechtfertigt. Ich halte Bundeskanzler Schüssel für einen erwachsenen Politiker,
der auch die Parole aus der Römerzeit 'Pacta sunt servanda' kennt. Wir haben den Melker
Prozeß mit einem vernünftigen Kompromiß abgeschlossen. Ich schätze daher sehr, daß
die ÖVP, die SPÖ und sogar die Grünen dieses Volksbegehren kritisiert haben. Wenn
Österreich wirklich daran interessiert sein sollte, seine Splendid Isolation in der EU zu
verstärken, indem Sie den Beitritt Tschechiens verhindern wollen, dann sind Sie auf dem
richtigen Weg.
profil: Sie haben jetzt mehrfach Bundeskanzler Schüssel gelobt. Als
er Anfang 2001 die Koalition mit der FPÖ einging, haben Sie sich sofort den Sanktionen
der 14 EU-Partner angeschlossen. Bedauern Sie Ihren damaligen Schritt?
Zeman: Eine gute Frage, die ich in einem Satz beantworten will. Das waren
keine Sanktionen gegen Österreich, sondern gegen Haider. Meine Nation wurde von den Nazis
zum Völkermord verurteilt. Wenn ich daher höre, daß ein Politiker SS-Männer als
anständige Leute bezeichnet, Hitlers Beschäftigungspolitik lobt und Konzentrationslager
als Straflager bezeichnet und so fort, dann muß ich gegen jede Unterstützung der
NS-Politik in moderner und ausgeklügelter Form Protest einlegen, und zwar aufgrund des
Schicksals meines Volkes. Daher beobachte ich auch Österreichs Geschichte so genau. Es
wäre gut, wenn Ihr Haider und seine postfaschistische Partei möglichst schnell wieder
loswerdet. Das ist natürlich Eure Angelegenheit. Wir hatten hier dasselbe Problem mit dem
populistischen Führer, Herrn Sladek, Chef der Republikanischen Partei. Wir haben ihn
komplett besiegt. Er ist heute ohne jegliche politische Bedeutung.
profil: Was halten Sie von der italienischen Regierung? Der Führer
der postfaschistischen Alleanza Nazionale, Gianfranco Fini, soll neuer Außenminister
werden.
Zeman: Damit haben Sie natürlich Recht. Aber dies beunruhigt keineswegs
nur mich.
profil: Die Sanktionen der EU-Partner bewirkten übrigens, daß
Haider nicht mehr FPÖ-Chef, sondern Landeshauptmann in Kärnten ist.
Zeman: Manchmal sind informelle Strukturen weit wichtiger als formelle.
Jörg Haider ist noch immer der wirkliche Führer seiner Partei. Ihr Argument ist daher
falsch.
profil: Atomgegner in Österreich haben kritisiert, daß Sie die
Kosten der Sicherheitsnachrüstung von Temelin auf nur 100 Millionen Kronen, umgerechnet
3,2 Millionen Euro, beziffert haben.
Zeman: Sicher ist eines: Temelin wird zusätzliche und weit reichende
Sicherheitsmaßnahmen erhalten. Und ich habe auch akzeptiert, daß die Vereinbarung mit
Schüssel Bestandteil des Beitrittsvertrags der Tschechischen Republik zur EU wird. Einige
Mitglieder meiner Delegation haben damals den Abbruch der Verhandlungen und die Rückkehr
nach Prag gefordert. Ich mußte mich damals gegen meine eigenen Leute durchsetzen. Daher
erwarte ich auch von der österreichischen Regierung, daß sie sich an die Vereinbarung
hält. Wenn sie aber unter dem Druck eines populistischen Pro-Nazi-Politikers, der nichts
versteht, aber über alles redet, steht, dann ist das euer Problem und nicht unseres.
profil: Sie schließen aus, daß die nächste tschechische Regierung
mit der FPÖ Neuverhandlungen über Temelin führen wird?
Zeman: Ich kann mir keine tschechische Regierung vorstellen, die in
dieser Frage weicher wäre. Ich kann mir aber sehr gut Regierungen vorstellen, die härter
sein werden.
profil: Also auch ein möglicher Premierminister Vaclav Klaus wird
für eine Stilllegung Temelins nicht zu gewinnen sein?
Zeman: Ich habe mit Vaclav Klaus über diese Frage sehr oft gesprochen.
Dazu sprechen wir mit einer Stimme. Er hat mir sogar vorgeworfen, gegenüber Wien zu weich
vorzugehen. Seine Partei kämpfte gegen die Verankerung der Vereinbarung zu Temelin in die
Beitrittsakte Tschechiens. Daher gibt es jetzt die letzte Chance für den erzielten
Kompromiß, der den Österreichern alle Sicherheitsgarantien gibt. Wenn ihr diesen
zerstört und ein Veto gegen unseren EU-Beitritt einlegt, dann wird Tschechien vielleicht
außerhalb der EU bleiben. Ihr werdet aber dann Temelin ohne international verankerte
Sicherheitsgarantien haben und neuerlich eine Isolation in der Union erleben, weil ihr
gegen die Erweiterung seid. Das ist nicht meine Option.
profil: Unterstützen Sie den Vorstoß Schüssels, in der EU
gemeinsame Sicherheitsnormen für Kernkraftwerke auszuarbeiten?
Zeman: Dagegen habe ich überhaupt nichts. Ich bin ein Föderalist, ich
bin für europäische Normen nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der
Sozialpolitik, in der Außen- und Verteidigungspolitik, warum also nicht auch für
Kernkraftwerke? Aber dann müssen wir auch über französische und deutsche AKWs sprechen.
Ich bin bereit, Temelin zuzusperren, wenn die französischen Atomkraftwerke, die alle
unterhalb des Standards von Temelin liegen, auch geschlossen werden.
profil: Woran liegt es eigentlich, daß zwischen Österreich und
Tschechien laufend Spannungen entstehen? Sind daran historische Altlasten schuld?
Zeman: Ich habe mich immer für gute Beziehungen zwischen unseren
Ländern eingesetzt, gerade auch im wirtschaftlichen Bereich. So habe ich die
Privatisierung der tschechischen Sporitelna-Bank an die Erste Bank unterstützt.
Österreich ist der viertgrößte Investor in Tschechien nach den Niederlanden,
Deutschland und den USA.
profil: Davon profitieren doch beide Länder.
Zeman: Genau. Darum sage ich: Die Haiders kommen und gehen so wie die
Hitlers. Aber ich glaube an die Freundschaft zwischen unseren beiden Völkern. Aber es
gibt von österreichischer Seite immer wieder Provokationen. Dazu zähle ich die jüngste
Forderung der österreichischen sudetendeutschen Verbände nach Aufstellung von
zweisprachigen Ortstafeln in Tschechien. Ich halte mich dabei an das Wort eines
tschechischen Journalisten der Zwischenkriegszeit, der erklärt hat, Forderungen, die
kompletten Unsinn darstellen, kann man nur ignorieren. Also sage ich dazu weiter nichts.
profil: Könnten die guten Wirtschaftsbeziehungen zwischen
Österreich und Tschechien durch das Ergebnis des Volksbegehrens negativ beeinflußt
werden?
Zeman: Natürlich könnten die wirtschaftlichen Beziehungen darunter
leiden. Politik und Wirtschaft sind immer vernetzt. Und weil ich der meistprovokante
Politiker Europas bin, möchte ich noch etwas sagen: Österreich war nicht das erste Opfer
Hitler-Deutschlands, sondern der erste Verbündete. Außerdem darf man nicht vergessen,
daß die Sudetendeutschen die fünfte Kolonne Hitlers waren, um die Tschechoslowakei als
einzige Insel der Demokratie in Mitteleuropa zu zerstören. Kann man jetzt wirklich
Versöhnung für Verräter fordern?
profil: Das ist jetzt eine bedenkliche Zuweisung von Kollektivschuld.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in der Tschechoslowakei viele unschuldige
Sudetendeutsche umgebracht oder verfolgt, die mit dem Nazi-System nichts oder nicht viel
zu tun hatten. Es gab viele Gräueltaten tschechischer Bürger an Sudetendeutschen.
Zeman: Ja, das stimmt. Ich war auch der erste tschechische Politiker, der
solche Verbrechen verurteilt hat. Aber vergessen Sie auch nicht, daß diese
Sudetendeutschen vor dem Überfall Hitlers tschechoslowakische Staatsbürger waren. Nach
dem tschechischen Recht haben viele von ihnen Landesverrat begangen, ein Verbrechen, das
nach dem damaligen Recht durch die Todesstrafe geahndet wurde. Auch in Friedenszeiten.
Wenn sie also vertrieben oder transferiert worden sind, war das milder als die
Todesstrafe.
profil: Das ist ganz schön zynisch. Damit heißen Sie doch auch die
Ermordung und Mißhandlung zehntausender Sudetendeutscher gut.
Zeman: Nein, ich habe diese Exzesse stets verurteilt. Aber das ändert
nichts daran, daß Sudetendeutsche den Genozid am tschechischen Volk befürwortet haben.
Lidice steht für das Schicksal der Tschechen nach dem Sieg von Hitlers Drittem Reich. Und
ich wiederhole: Die Österreicher waren die ersten Verbündeten Hitlers, auch wenn sie
sich gerne als Opfer dargestellt haben.
profil: Es gab keineswegs nur Jubel über den Anschluß. Und immerhin
ist damals die mächtige Armee Hitlers in Österreich einmarschiert.
Zeman: Das mag schon sein, aber 1968 ist die mächtige sowjetische Armee
in der Tschechoslowakei einmarschiert, aber damals hat es keinen Jubel der Massen auf den
Straßen der Tschechoslowakei gegeben. Aber es gab sehr wohl massenhaft jubelnde
Österreicher, die die Invasion der Deutschen Wehrmacht bejubelt haben.
profil: Ich möchte schon daran erinnern, daß es Tschechen waren,
welche die sowjetische Armee zum Einmarsch eingeladen haben, nämlich ein Teil der damals
regierenden tschechischen Kommunisten.
Zeman: Ja, aber ich habe vom Gefühl der tschechischen Bevölkerung
gesprochen und nicht von jenem einer Partei.
profil: Österreich hat nach dem Einmarsch der Sowjets in der CSSR
sehr viele Flüchtlinge aus Ihrem Land aufgenommen.
Zeman: Ja, das erkenne ich sehr hoch an. Daher sage ich auch jetzt: Wenn
wir Tschechen in der Lage waren, mit Gerhard Schröder die Vergangenheitsbewältigung
abzuschließen, sollte das auch mit Österreich möglich sein. Wir können die
Vergangenheit nicht mehr ändern, aber wir können die Gegenwart und Zukunft beeinflussen.
profil: Was halten Sie dann von der Forderung aus Österreich,
Tschechien sollte die Benes-Dekrete, welche die Enteignung und Vertreibung der
Sudetendeutschen legitimierten, für totes Unrecht erklären.
Zeman: Das haben wir im März 1999 schon gegenüber Gerhard Schröder
geklärt. Ich habe erklärt, die Benes-Dekrete, die Bestandteil der Gesetze der
Tschechoslowakei nach dem Zweiten Weltkrieg darstellten, hätten ihre Wirkung in der
Gegenwart verloren. Kanzler Schröder sagte darauf, daß die Vergangenheit abgeschlossen
sei einschließlich der Frage der Eigentumsansprüche. Manche Leute, die diese Frage
ständig aufwärmen, haben nur die Restitution von Eigentum im Sinn, und das kann sehr
gefährlich sein. Ich betone, die Vergangenheit ist abgeschlossen, es gab Gewinner,
Verlierer und auch Opfer. Für mich ist wichtig, daß das totalitäre System zerstört
wurde, was zehntausende Opfer auf tschechischer Seite gefordert hat. Es ist also ein sehr
generöser Akt von uns, wenn wir Österreich anbieten: Laßt uns die Vergangenheit
vergessen. Lassen wir die Vergangenheit von Historikern und nicht von Politikern
untersuchen. Wenn ihr Österreicher die Vergangenheit auf der politischen Ebene aufrollen
wollt, dann erkläre ich nun bereits zum dritten Mal in diesem Interview: Sie waren nicht
das erste Opfer, sondern der erste Unterstützer des meistverbrecherischen Sytems in der
Geschichte der Menschheit. Bitte denken Sie zuerst darüber nach.
profil: Sie schließen also eine von österreichischen Politikern
geforderte Erklärung des Bedauerns über die Verbrechen, die von tschechischer Seite an
den Sudetendeutschen verübt wurden, aus?
Zeman: Es besteht keine Notwendigkeit für irgendwelche neue
Erklärungen. Alles, was getan werden mußte, wurde mit der gemeinsamen Erklärung von
Gerhard Schröder und mir getan. Ich bin jetzt 58 Jahre alt. Das Spital, in dem ich
geboren wurde, wurde von anglo-amerikanischen Flugzeugen bombardiert. Aber deshalb habe
ich nichts gegen Amerikaner und Briten. Ich habe aber etwas gegen jede Form von
Totalitarismus, egal, ob er von den Nazis oder Kommunisten ausging.
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Heimatbrief Saazerland
Organ der Heimatvertriebenen aus den Bezirken Saaz, Postelberg und Podersam,
Jechnitz
Folge 756 April 2002
Hinter den Ausfällen des tschechischen Ministerpräsidenten Milo Zeman gegen die Sudetendeutschen verbergen sich offensichtlich Traumata, denen nur schwer beizukommen ist. Das vom tschechischen Regierungschef repräsentierte kollektive Bewußtsein kann sich nicht verzeihen, gegen das Naziregime keinen überzeugenden Widerstand geleistet zu haben, obwohl die Tschechoslowakei eine der stärksten Verteidigungslinien Europas und eine wohlgerüstete Armee hatte. Der Nachholbedarf an Widerstand war schon eine der Ursachen für die grauenhaften und massenhaften Exzesse nach dem Krieg. Daß nun Zeman glaubt, dieser Nachholbedarf sei durch die Vertreibung von drei Millionen und die Tötung Zehntausender unschuldiger Frauen und Kinder noch nicht gedeckt, erweist aufs neue, daß Widerstand gegen ein totalitäres Regime nicht durch risikofreie Barbarei nachgeholt werden kann. Die Tschechen müssen damit leben, daß sie es im Unterschied zu Polen, Russen, Franzosen, Italienern und anderen vor dem Mai 1945 nicht zu einer Partisanenbewegung gegen das Naziregime gebracht haben.
Nicht zu unterschätzen ist die neidvolle Erfahrung, daß es den aller Rechte und Habe beraubten Sudetendeutschen schon einige Jahre nach der Vertreibung politisch und materiell besser ging als den Vertreibern. Die humanitär Hilfe, die bald von Sudetendeutschen in die alte Heimat floß, hat bei nationalistischen Tschechen diese Demütigung eher vertieft als geheilt. Tschechische Pfarrer, die mit maßgeblicher Hilfe von sudetendeutscher Seite ihre verwahrlosten Kirchen renovieren konnten, verschweigen oft aus Angst vor unliebsamen Reaktionen ihrer Pfarrkinder die Herkunft der Mittel.
Besonders schmerzlich war die Erfahrung, daß der tschechoslowakische Staat sich auch ohne die separatistischen Sudetendeutschen nicht halten konnte. Seiner geringen politischen Integrationskraft gelang es weder zwischen 1918 und 1938 noch nach der Wende von 1990, die Slowaken und andere Volksgruppen für sich zu gewinnen. Die These, daß es nur die aggressive Expansionspolitik Hitlers und die landesverräterische Haltung der Sudetendeutschen waren, die die 1. Republik auseinanderbrechen ließen, ist durch die unter freiheitlichen Bedingungen erfolgte Auflösung der Tschechoslowakei von 1993 unglaubwürdig geworden.
Trotz seiner unhaltbaren Ansichten gebührt Zeman von mehreren Seiten und aus mehreren Gründen Dank. Die Mehrheit der Tschechen hat ihm dafür zu danken, daß er vor aller Welt verkündet hat, was sie denken und was der Staatsräson der Tschechischen Republik entspricht: Die Sudetendeutschen haben 1938 geholfen, den tschechoslowakischen Staat zu zerstören. Sie sind dafür zu Recht und zwar noch milde mit der Vertreibung bestraft worden. Die tschechischen Politiker jedoch rühmen sich, daß ihre maßgeblichen Vertreter 1918 tatkräftig an der Auflösung Österreich-Ungarns mitgewirkt haben.
Die Sudetendeutschen haben Zeman dafür zu danken, daß er sie ganz unerwartet aus der politischen Vergessenheit herausgerissen hat. Ihre gelegentlichen Wortmeldungen wurden von vielen deutschen Politikern als Störmanöver bei der Vorbereitung der Ost-Erweiterung abgewehrt. Zemans Attacken müßten nun zu einer Klärung der Bedingungen für die Aufnahme in die Europäische Union führen.
Es ist zu hoffen, daß Zemans Erklärungen zu mehr Ehrlichkeit in den deutsch-tschechischen Beziehungen führen. Bohumil Dolezal vertrat schon vor zwei Jahren die Meinung, daß es sich in der Gemeinsamen deutsch-tschechischen Erklärung vom 22. Januar1997 um eine heuchlerische Übereinkunft handelt.
Indem der tschechische Ministerpräsident sich auf solche Weise mit der sudetendeutschtschechischen Vergangenheit befaßt, gibt er zu erkennen, daß die Versicherung der gemeinsamen Erklärung, das begangene Unrecht der Vergangenheit angehören zu lassen für die tschechische Politik keinerlei Verpflichtung darstellt. Durch dieseAufkündigung wird die deutsche Seite von der leichtsinnig eingegangenen Verpflichtung entbunden zu respektieren, daß die andere Seite eine andere Rechtsauffassung hat. Wie die tschechische Rechtsauffassung aussieht, hat Zeman unzweideutig ausgedrückt: Nach dem tschechischen Recht haben viele von ihnen (den Sudetendeutschen) Landesverrat begangen, ein Verbrechen, das nach dem damaligen Recht durch die Todesstrafe geahndet wurde. Auch in Friedenszeiten. Wenn sie also vertrieben oder transferiert worden sind, war das milder als die Todesstrafe.
Viele Pioniere der deutsch-tschechischen Versöhnung sind tief enttäuscht. Die Erwartungen, die sie jahrzehntelang bewegten, unter Risiken und Opfern den Kontakt mit tschechischen Demokraten zu suchen und zu pflegen, sind nach dem Zusammenbruch des Kommunismus nicht in Erfüllung gegangen. Ihre Erwartungen zielten nicht auf eine Rückgabe von Hab und Gut. Sie wehren sich aber dagegen, daß die Einsicht in die Unumkehrbarkeit der Geschichte zu einer Rechtfertigung vergangener Verbrechen pervertiert wird.
Die Hoffnung der sogenannten Pragmatiker auf eine biologische Lösung der Versöhnungsfrage ist nicht nur zynisch, sondern auch unrealistisch. Es wird immer Menschen geben, denen die moralischen Fundamente einer Gesellschaft viel bedeuten. Wenn die Tschechische Republik auf diesen Personenkreis verzichtet, verliert sie viel. Solange sie aber die Vertreibung der Sudetendeutschen für rechtens erachtet, wird sie diesen Personenkreis nicht gewinnen können; solange wird es auch eine Versöhnung mit den Vertriebenen nicht geben können.
Die deutsch-tschechischen Beziehungen sind heute anders als 1938 keine Schicksalsfrage Europas. Wenn der Beitritt der Tschechischen Republik um einige Jahre verschoben wird, ist dies für Europa ein geringeres Übel, als wenn der Rassismus und der nationalistische Ungeist der Bene-Dekrete, wie er vom heutigen tschechischen Ministerpräsidenten repräsentiert wird, in die Europäische Union eingeschleppt würden. Der Tschechischen Republik sollte Zeit gelassen werden, sich von diesem Ungeist zu befreien.
Professor Dr. Adolf Hampel, Gießen
und:
Edvard Bene steinerner Gast im Haag
Der derzeit in Den Haag laufende Kriegsverbrecher-Prozeß gegen Milosevic könnte
spiegelgleich für eine posthume Anklage gegen den Menschenrechtsverbrecher Edvard
Bene angewandt werden. Während ein vermutlicher (die Unschuldsvermutung muß hier
leider auch angewandt werden) Verbrecher angeklagt werden kann, ist es leider nicht mehr
möglich, diesen indirekten politischen Ziehvater von Milosevic vor Gericht zu bringen.
Wie der Bundesobmann der Sudetendeutschen Landsmannschaft in Osterreich, Gerhard Zeihsel,
gegenüber dem Sudetendeutschen Pressedienst feststellte, wären aber die Untaten
der Clique um Milosevic nie möglich gewesen, wenn man rechtzeitig dem Genozid an den
Sudetendeutschen und anderen Vertriebenen entgegengetreten wäre und dieses Unrecht der
Nachkriegszeit aufgezeigt und revidiert hätte. Gerade der Prozeß gegen Milosevic
und seine Mittäter zeigte, wie notwendig es sei, daß Prag vor einem EU-Beitritt alle
Unrechtsgesetze von 1945 und das Straffreistellungsgesetz vom 8. Mai 1946
(Amnestiegesetz Nr. 115/46) von Anfang an für ungültig erklärt.
Besonders die Gültigkeit des letztgenannten Gesetzes Nr. 115 verhindert eine
Verfolgung von heute noch lebenden Mördern an wehrlosen Sudetendeutschen, schloß
Zeihsel. (Sudetenpost)