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Mitteleuropas Böhmen-Korrespondentin Hana berichtet weiter über die Prager Szene und ihren Niederschlag in der örtlichen Presse:

Mlada Fronta Dnes 2003-07-09
Die Totalität in Dostal's Kopf
Ein Kommentar von Johannes Lobkowicz

Die Aufregung der politischen Ebene über ein Gerichtsurteil, durch das einem Angehörigen der tschechischen historischen Adelsgeschlechter sein Eigentum an 1,6 ha Grundstücke zuerkannt wurde, hat die politische Szenerie wie ein Blitz getroffen und  – eröffnet einen gefährlichen Abgrund.

Die Tschechische Republik sieht sich als ein demokratischer Staat und bekennt sich damit auch zur Gewaltenteilung. Die gesetzgebende Macht, die juristische und auch die Exekutive sollen im Gleichgewicht bleiben. Dieses Prinzip ist ein bewährter Grundstein eines jeden Staates, ein Garant gegen totalitäre Systeme. Durch eine Aufhebung dieser Gewaltenteilung entstehten Diktaturen. Niemand weiß dies besser als die Bürger dieses Landes. Totalitäre Systeme waren seit 1938 durchgängig ein Krebsgeschwür auf dem Körper unserer Gesellschaft. Die zwei Jahre nach 1945 fallen hier nicht ins Gewicht, da die Gesellschaft in diesen Jahren bereits stark unter sowjetischem Einfluß stand und nicht mehr genügend Kraft zur Sicherung einer soliden demokratischen Entwicklung aufbringen konnte.

Die Totalität lebt jedoch offensichtlich nach wie vor in den Köpfen vieler Bürger, ja sogar in manchen Köpfen der Regierungsvertreter, ganz konkret in dem Kopf des Kultusministers Dostal. Seine Aufregung über die „Restitution“ zugunsten von Franz Ulrich Kinsky [das ist der richtige Name, früher wurde er oft falsch angegeben mit »Franz Adalbert«], dargelegt in den Medien, hat ein Ziel: die übelsten Instinkte nicht nur bei der Bürgerschaft, sondern auch in der Regierung, im Parlament und in der Gerichtsbarkeit wachzurufen. Die Lähmung so manch eines schwächeren Richters, im totalitären System erzogen und damit stets nach Anweisungen der ausführenden Gewalt schielend, ist jetzt schon erkennbar. Alle bereits angesetzten weiteren Gerichtstermine (im Fall Kinsky) wurden um ein Vierteljahr verschoben.

Rekapitulieren wir doch der Ordnung halber, die bisherigen Fakten:

Erstens
Der tschechoslowakische Staat gab sich  eine Verfassung, die durch die Tschechische Republik als seinem Nachfolger übernommen wurde. Diese Verfassung basiert auf dem  Prinzip der Gewaltenteilung. Die ausfuhrende, gerichtliche und gesetzgebende Gewalt sollen im Gleichgewicht bleiben.

Zweitens.
Das tschechoslowakische Parlament hat seit 1991 mit vorbildlicher Großzügigkeit und Weisheit eine Reihe von Gesetzen verabschiedet, die das Thema der Restitutionen in Gang gebracht haben. Das Grundsatzprinzip heißt: „Die Kommunisten haben 1948 die Macht im Staat usurpiert, folglich sind aus diesem Grund die Enteignungsvorgänge dieser Regierung ungerecht. Diese Ungerechtigkeit soll mit rückwirkender Wirkung ausgeglichen werden“. Neben diesem Grundsatz gilt jedoch die Überzeugung „Enteignungsvorgänge aufgrund der Beneš-Dekrete sind Beschlüsse eine rechtlich korrekt eingesetzten Regierung, sind also legitim, gültig und nicht angreifbar“.

Drittens
Die Rechtsordnung nach 1989 geht von der Staatskontinuität ab 1938 aus. Alle Gesetze sind gültig bis zu dem Zeitpunkt, in dem sie durch das Parlament für ungültig erklärt oder geändert werden. In den vergangenen 14 Jahren haben wir bedeutende Änderungen der Rechtsordnung erlebt und diese Änderungen haben uns den Weg in die EU geöffnet. Auch heute noch gilt für unsere Richter der Grundsatz „Angewendet werden muß das gültige Recht“.

Viertens
Der Begriff „Rechtsstaat“ heißt nicht nur, daß sich ein Bürger auf das geltende Recht berufen darf, sonder daß er dieses Recht auch bei Gericht erfolgreich einklagen und durchsetzen kann.

Fünftens
Franz Ulrich Kinsky hat keine Restitutionsklage gestellt. Er hat lediglich durch ein Gericht die Applikation des geltenden Rechts eingefordert. Er fordert die Feststelltung, daß er seine Eigentumsrechte niemals verloren hat. Aus diesem Grund soll ihm durch den heutigen Eigentumshalter d.h. durch den Tschechischen Staat, sein Eigentum herausgegeben werden. 
Die erste Gerichtsinstanz gab ihm Recht und bestätigte seinen Anspruch auf 1,6 ha [waldigen Landes].

Und Minister Dostal? Laut schreiend, aufgeregt, versucht er mittels öffentlicher Medien zu erläutern, daß, sofern die Rechtsordnung die Herausgabe des Eigentums von Franz Ulrich Kinsky erlauben sollte, Gesetze erberbeitet werden müßten, die diese Herausgabe verhindern. Dabei argumentiert er gleichzeitig emotional und demagogisch. Es darf nicht sein, daß Kolaboranten und ihren Kindern, also Nazisten, im Widerspruch zu dem Geist der seinerzeitigen Enteignung, ihr Eigentum wieder zuerkannt werden sollte – aufgrund des formalen Rechts.

Aber das formale Recht ist gleichzeitig das geltende Recht und Richter sind dadurch gebunden. Ihre Ethik besteht darin, daß sie Urteile sprechen aufgrund dieses geltenden Rechts.
Ich bin kein Richter und ich habe die Ansprüche des Franz Ulrich Kinsky nicht zu prüfen. Aber die Entscheidung eines Richters, basierend auf dem geltenden Recht, muß bindend sein – auch für die Regierung und auch für Minister Dostal.

Aber gerade hier droht die Rückkehr zur Totalität. Dostal will ein Gesetz initiieren. Das würde in der Tat heißen: Sollte das Gericht zu der Ansicht kommen oder kommen müssen, daß Franz Ulich Kinsky sein Eigentum nie verloren hat – dann wird er eben heute enteignet!
Soviel zu der formalen Seite.

Und zu der moralischen:
Er (Kinsky) war rechtmäßiger Eigentümer und Erbe nach seinem Großvater, 1945 gerade 7 Jahre alt. Seinem Vater wird Kollaboration mit den Nazis vorgeworfen, aber auch dies ist sehr strittig. Aber angenommen, dem wäre so. Sollte der Sohn jedoch dafür verantwortlich gemacht werden sollen, ist es genau die gleiche Anwendung des Prinzips der Verantwortung aus verwandtschaftlicher Beziehung, genauso wie es durch die Nazisten und auch durch die stalinistischen Kommunisten praktiziert wurde.
Machen wir uns doch keine Illusionen. Es geht nicht darum, ob Franz Ulrich Kinsky sein Palais auf dem Altstädter Ring zurückgekommt. Es geht vielmehr darum, ob die Tschechische Republik ein Rechtsstaat ist – oder nicht.

Danke, Hana! ML 2003-07-10

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