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Ondrej Neff, tschechischer Schriftsteller und Journalist

Um welchen Preis? Können wir für 40 Milliarden die Unabhängigkeit der Gerichte verschmerzen?

Alle die Reden darüber, daß die Beneš-Dekrete erloschen sein sollen, waren eine Seifenblase, die bei dem ersten Windhauch der Realität geplatzt ist. Sie sind genau so real wie ein Dorn im Auge, und es ist fast sicher, daß sie noch mehr weh tun werden, da die Politiker beabsichtigen, in der Sache weiterhin herumzubohren.

Zu dieser unerwarteten Aktivität hat sie das Ergebnis des Streites von Franz Adalbert Kinsky bewogen, der bereits fünf Streitfälle gewonnen hat, die er um das nach dem Kriege konfiszierte Eigentum der Familie führt. Konfisziert zu Unrecht, auf Grund der Interpretation und Manipulation der Dekrete, wie heute unsere endlich unabhängigen Gerichte entschieden haben.

Vladimir Spidla und Pavel Dostal und andere der Vorderen interessiert aber mehr das Faktum, daß „ein Reicher zu Eigentum gekommen ist, das ihm zum Vorteil des Volkes enteignet wurde“.  Im Hinblick darauf, daß nur alleine Kinsky 157 Streitfälle im Werte von 40 MILLIARDEN KRONEN [etwa 1,3 Mrd. €uro] begonnen hat, kamen die politischen Spitzen zu der Ansicht, daß die „Gerichte einheitlich vorgehen sollten“. Also: wie anders den Sinn erläutern, als daß die Gerichte eine Direktive erhalten sollten, daß sie Eigentumsstreitigkeiten „der Reichen“ einfach ablehnen. Unabhängigkeit hin oder her, Gesetz oder nicht, einfach deshalb, weil sich das die Öffentlichkeit und die Politiker so wünschen.

Vierzig Miliarden, das ist ein ordentlicher Preis.
Rechtsexperten, die auf die Anordnung der Politiker die Sache untersuchen sollen, sollten gleichzeitig überlegen, welchen Preis die Unabhängigkeit von Gerichten hat. Die Gewaltenteilung von Exekutive, Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit ist eine über zwei Jahrhunderte alte Erfindung. Welchen Preis sind wir bereit zu bezahlen, um diese wieder zu verlieren? Werden wir dies verkraften, nur um das Schloß in Chotzen / Chocen behalten zu können ?

Gefähriche Empfehlung
Vladimir Spidla wird sich sicher der Anschuldigung wehren, daß er die Unabhängigkeit der Gerichte einschränken will. Und irgendein Schlaukopf wird wieder ein Wörtchen erfinden, einen runden Ausdruck so wie der Ausdruck „erloschen“ einer gewesen ist. Aber so ist es mit den Wörtchen, sie sind nicht nur rund, sondern auch recht weich und dünn, und die Realität ragt aus ihnen heraus wie die Stacheln aus dem Igel.

Auf eine „Empfehlung für Gerichte“ sollten die Bürger eines Staaates, in dem noch vor einem halben Jahrhundert aufgrund von „Empfehlungen an die Gerichte“ Bürger aufgehängt wurden, außerordentlich sensibel reagieren.

Die Affäre hat aber auch zufriedenstellende Seiten. Das Oberste Gericht zeigt keine Neigung, nach der Musik der politischen Kapelle zu tanzen, bei der unter den Pfeifinstrumenten die der Kommunisten überproportional vertreten sind. Und auch die Kommentare der Rechtsgelehrten sind mehr als skeptisch. Sie weisen auf die Individualität der Sache Kinsky. Aber – zu dem Grundsatz der Direktive für die Gerichte gehört auch, daß die Individualität keine Rolle spielt. Daß politische Direktiven an die Gerichtsbarkeit gerade deshalb so gefährlich sind, sollten auch die Bürger begreifen, denen Reiche und Adelige besonders im Magen liegen. In eine „Direktivgerichtsbarkeit“ könnten auch sie geraten – mit der Zeit.

Ondrej Neff, Lidove Noviny 2003-07-07 Seite 10
Die Redaktion des Blattes macht sich diese Ansichten ausdrücklich zu eigen. So steht es dabei.

Dank an unsere Böhmen-Korrespondentin Hana!
ML 2003-07-07

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