Aus der „Prager Zeitung“ (Region) 2001-06-21
Nach dem Tod kann Gerechtigkeit walten
Verfassungsgericht öffnet Weg für Restitutionsfall – Politiker reagieren unruhig

Schlafende Hunde sind in Böhmen geweckt worden. Und gleichzeitig geht Angst um. „Mich persönlich erschreckt die Eröffnung weiterer Restitutionsfälle prinzipiell, und sollten wir uns auf diese schiefe Ebene begeben, können wir noch sehr weit abrutschen“, fürchtet Parlamentspräsident Václav Klaus. Gar an das nationale Trauma rührt Hana Orgoníková (CSSD): „Einige Dinge dürfen wir nicht zurückgeben, sonst gelangen wir bis zum Weißen Berg. Einigen würde das sicher gefallen.“ Nach der Niederlage am Weißen Berg wurden die protestantischen böhmischen Stände 1621 bekanntlich entrechtet und enteignet.
Auslöser für die Unruhe unter Tschechiens Politikern war ein Beschluß des Verfassungsgerichtes in Brünn, mit dem einer der spektakulärsten Restitutionsfälle der 90er Jahre wieder aufgerollt werden könnte: der Fall Karel Des Fours Walderode. Denn Brünn hat unwiderruflich bestätigt, daß der Sproß der alten nordböhmischen Adelsfamilie tschechoslowakischer Staatsbürger war. Damit steht der Universalerbin Johanna Kammerländer der Weg offen, doch noch die umfangreichen Ländereien mitsamt dem Schloß Hrubý Rohozec zurückzubekommen. Bislang hieß es, der letzte Graf der Familie Des Fours Walderode sei 1945 nach den Beneš-Dekreten enteignet worden und habe die tschechoslowakische Staatbürgerschaft nie zurückerhalten. Darauf berufen sich auch jetzt noch übereinstimmend die tschechische Nachrichtenagentur ctk und die tschechischen Medien. Doch die Sachlage ist um einiges verwickelter, wie der Historiker Petr Mašek, Leiter der Bibliothek des Nationalmuseums gegenüber der Prager Zeitung erklärt.
„Das Schloß Hrubý Rohozec taucht im Seznam nestátných zámku (Liste nicht-staatlicher Schlösser) nicht auf“, erläutert der Historiker. Dort sind alle Schlösser aufgeführt, die bis 1948 nach den Beneš-Dekreten enteignet wurden. „Das liefert ein starkes Indiz, daß die rechtmäßige Enteignung erst durch die Kommunisten nach der Machtübernahme im Februar 1948 erfolgte“, führt Mašek aus. Damit liegt rechtlich dieselbe Sachlage vor, wie im Restitutionsfall Karel von Schwarzenbergs, dem im April 1992 Schloß Orlík zurückerstattet wurde. Karel Des Fours Walderode, Doktor der Rechte, hat aber seit 1992 vergeblich um die Rückgabe seines Eigentums gekämpft.
Dreh- und Angelpunkt war die Frage nach der Staatsbürgerschaft des Klägers. Der hatte aber 1992 die tschechische Staatsbürgerschaft zurückerhalten – zu Unrecht, wie die Gegner der Restitution behaupteten. Darunter Politiker und Abgeordnete, die sich in einem „Petitionsausschuß Turnov“ zusammengeschlossen haben. Des Fours Walderode sei Mitglied der NSDAP und der SS gewesen, behaupten sie.
„Man kann hundertprozentig ausschließen, daß er Mitglied der SS war“, erklärt Mašek und hält es für unwahrscheinlich, daß er überhaupt Mitglied der NSDAP war. Des Fours Walderode habe wohl kaum bis 1949 in der Tschechoslowakei leben dürfen, wenn er sich enger mit den Nazis eingelassen hätte.
Tatsächlich wurde Des Fours Walderode 1945 fünf Monate auf der Burg Hrubý Rohozec arretiert, um seine Verstrickung mit dem Nazi-Regime zu überprüfen. Die Untersuchungskommission des Obvodní rada Praha I-VII bescheinigte ihm am 10. Oktober 1945, er habe sich während der Okkupation loyal zum tschechischen Volk verhalten. Das sollte auch bei Rückgabe des Eigentums beachtet werden. Am 22. Dezember 1947 gab der Prager Magistrat Des Fours Walderode die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft wieder zurück. Doch die hatte ihren Preis.
„Ich stand damals vor der Wahl, entweder auf den Besitz oder auf die Staatsbürgerschaft zu verzichten“, erzählt Des Fours Walderode in dem Buch „Návraty ceské šlechty“ (Rückkehr des tschechischen Adels) dem Publizisten Vladimír Votýpka. Wie alle Bürger des Protektorats Böhmen und Mähren, die sich Anfang der dreißiger Jahre zur deutschen Volkszugehörigkeit bekannt hatten, erhielt auch Des Fours Walderode 1939 automatisch die reichsdeutsche Staatsbürgerschaft. Ohne die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft wäre der Adelsbesitz tatsächlich nach den Beneš-Dekreten enteignet worden. So blieb die „Eigentumssache Walderode“ juristisch eingefroren. Erst Recht, als der Graf nach Machtübernahme der Kommunisten um Entlassung aus der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft ersuchte. 1949 wanderte er als österreichischer Staatsbürger nach Wien aus.
Mit dem Entscheid des Verfassungsgerichtes ist Des Fours Walderode als tschechoslowakischer Staatsbürger bestätigt. Und auch die Winkelzüge des ehemaligen Landwirtschaftsministers Josef Lux, der 1996 eine eigens auf diesen Fall gemünzte Gesetzesnovelle, die sogenannte „Lex Walderode“ erlassen hatte, sind für die Beurteilung nicht relevant. Das Verfassungsgericht hat bestätigt, daß der Fall nach dem 1992 geltenden Recht behandelt werden müsse.
Ob aber wirklich restituiert wird, bleibt weiterhin unsicher. „Das zuständige Bodenamt in Semily ist sehr hartnäckig und wird weitere inkompetente Begründungen finden, um die Restitution abzulehnen“, glaubt der Prager Rechtsanwalt Pavel Hrdina, ein Fachmann in Fragen von Rückgabeverfahren. Außerdem bestehe im tschechischen Rechtssystem das Prinzip der Unabhängigkeit der Gerichte. Präzedenzfälle werden damit ausgeschlossen.
Also bleibt der Universalerbin Johanna Kammerländer nur das zu tun, was Karel Des Fours Walderode schon acht Jahre lang getan hat: Um jedes Grundstück und jedes Gebäude, deren Gesamtwert 1997 auf rund 200 Millionen Mark taxiert wurde, in Einzelverfahren zu kämpfen. Sie war die Rechtsanwältin des am 7. Februar 2000 im Alter von 95 Jahren verstorbenen letzten Grafen von Schloß Hrubý Rohozec. Nachgeben ist also von ihr kaum zu erwarten. Auch wenn die aufgeschreckten Hunde noch so bellen.
Hervorhebungen durch ML 2001-06-25

Lesen Sie auch die Fortsetzung 2001-11-14!

Und die Übersicht der SLOe über den ganzen Streitfall zwischen DesFoursWalderode, dem UN-Komitee und den tschechischen Behörden und Gerichten.