Wien, 14. September 2001/GE
Zweite österreichisch-tschechische Expertenkonferenz am 8. und 9. November
2001 auf Schloß Stirin in Tschechien
Nachdem am 29. März 2001 in den Räumlichkeiten der Diplomatischen Akademie in Wien
die erste Expertentagung zwischen Österreich und Tschechien veranstaltet wurde, fand der
bilaterale Dialog auf Schloß Stirin seine Fortsetzung, wobei Fragen zur
österreichisch-tschechischen Bildungspolitik, zur Problematik bestehender Stereotype und
Klischees, zum Komplex der Minderheitenthematik und freilich zu den beiden noch über
weite Strecken ungelösten Konflikt- und bilateralen Spannungsfeldern um das AKW-Temelin
und die Bene-Dekrete zur Diskussion standen. Der Konferenz wohnte auch eine
vierköpfige Delegation der Sudetendeutschen Landsmannschaft in Österreich (SLÖ) bei,
die in ihren Diskussionsbeiträgen darum bemüht war,
a.) für die Aufhebung der rassistisch motivierten Bene-Dekrete,
b.) für die Anerkennung des historischen Unrechts, das den Sudetendeutschen im Zuge der
gewaltsamen Vertreibung zugefügt wurde,
c.) für die Rechte der deutschen Minderheit in Tschechien und
d.) für eine Wiedergutmachung der Folgen des Völkermords an den Sudetendeutschen auf
Basis der völkerrechtlichen Verpflichtungen, zu appellieren.
Die österreichische Außenministerin, Dr. Benita Ferrero-Waldner, hatte zudem in
ihrem Referat verlangt, daß tschechische Gerichte bei Vermögens- und Restitutionsfragen
künftig nicht mehr auf die Bene-Dekrete verweisen sollten. Diese Forderung der
österreichischen Außenministerin ist lediglich eine Konsequenz jener Aussagen
tschechischer Politiker, die meinten, daß die Bene-Dekrete heute keine Gültigkeit
mehr haben und demnach obsolet sind.
Zusammenfassung des Urteils des Menschenrechtskomitees der Vereinten Nationen zum Fall Dr. Karel Des Fours Walderode
Das landwirtschaftliche Vermögen des Betroffenen wurde nach dem Zweiten Weltkrieg auf Grundlage des Dekretes Nr. 12 (über die Konfiskation und beschleunigte Aufteilung des landwirtschaftlichen Vermögens der Deutschen, Madjaren, wie auch der Verräter und Feinde des tschechischen und slowakischen Volkes, 21. Juni 1945) entschädigungslos konfisziert. Anderseits aber wurde dem Betroffenen die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft nicht auf Grundlage des Dekrets Nr 33 (über die Regelung der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft der Personen deutscher und madjarischer Nationalität, 2. August 1945) aberkannt, weil der Betroffene die im Dekret Nr. 33 unter §2 geforderten Bedingungen erfüllt hatte, nämlich:
Personen, welche unter die Bestimmungen des §1 fallen und nachweisen, daß sie der tschechoslowakischen Republik treu geblieben sind, sich niemals gegen das tschechische und slowakische Volk vergangen und sich entweder aktiv am Kampfe um seine Befreiung beteiligt, oder unter dem nazistischen oder faschistischen Terror gelitten haben, bleibt die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft erhalten.
Der Betroffene mußte nach der kommunistischen Machtübernahme von 1948 aus politischen und wirtschaftlichen Gründen die Tschechoslowakei 1949 verlassen, wobei er 1949 seine tschechoslowakische Staatsbürgerschaft verloren hatte. Dem Betroffenen, der nach der sogenannten Samtenen Revolution von 1989 seinen ständigen Wohnsitz wieder in Prag hatte, wurde mit 20. August 1992 die tschechische Staatsbürgerschaft verliehen.
Am 15. April 1992 trat das Restitutionsgesetz 243/1992 in Kraft, das die
Rückgabe jenes landwirtschaftlichen Vermögens regelt, das unter dem Dekret Nr. 12
konfisziert wurde. Eine Rückgabe ist nach dem Gesetz 243/1992 aber nur unter den
folgenden Bedingungen möglich:
a.) Beibehaltung der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft nach den Bestimmungen des Dekrets Nr. 33 (oder der staatsbürgerschaftlichen Gesetze von
1948, 1949 und 1953)
b.) ständiger Aufenthalt in der tschechischen Republik,
c.) Nachweis der Loyalität gegenüber der Tschechoslowakei während der NS-Okkupation und
d.) Besitz der tschechischen Staatsbürgerschaft zum Zeitpunkt der Antragstellung.
Der Betroffene reichte fristgerecht im Bewußtsein, die im Restitutionsprogramm geforderten Bedingungen zu erfüllen, seinen Antrag auf Rückgabe des konfiszierten landwirtschaftlichen Vermögens ein. Am 24. November 1992 schloß der Betroffene einen Vermögensrückgabevertrag mit den damaligen tschechischen Besitzern, der von der zuständigen Landesbehörde im Bezirk Semily am 10. März 1993 (PU-R 806/93) auch wirklich anerkannt wurde. Eine von der Stadtverwaltung in Turnov/Turnau eingereichte Beschwerde wurde von der Zentralen Landesbehörde mit Bescheid vom 30. Juli 1993 (1391/93-50) abgewiesen. Der Betroffene konnte somit am 29. September 1993 wieder in den Genuß seines ehemals konfiszierten Besitzes kommen.
Am 29. April 1993 richtete der damalige tschechische Regierungschef Vaclav Klaus ein Schreiben an die zuständigen Ministerien und an die Verantwortlichen im Bezirk Semily, in dem Klaus festhielt, daß die Rückgabe des vor 1948 konfiszierten Vermögens zwar rechtens ist, aber nichtsdestoweniger unakzeptabel.
Am 22. Dezember 1994 erklärte die für den Bezirk Semily zuständige Staatsanwaltschaft die Entscheidung der Landesbehörde vom 10. März 1993 auf Rückgabe des landwirtschaftlichen Vermögens an den Betroffenen für null und nichtig. Am 29. Dezember 1994 wurde diese Entscheidung vom Bezirksgericht wieder aufgehoben.
Am 7. August 1995 wurde von einer Bürgerinitiative eine Petition zur Aufhebung des Bescheides vom 10. März 1993 eingebracht. Am 17. Oktober 1995 wurde von der Zentralen Landesbehörde die Rechtmäßigkeit der Entscheidung vom 10. März 1993 neuerlich bestätigt und sämtliche Beschwerden abgewiesen. Trotz dieses positiven Bescheides wurde der Betroffenen am 2. November 1995 von der Zentralen Landesbehörde über eine mögliche Abänderung der Entscheidung vom 10. März 1993 informiert.
Am 23. November 1995 wurde die Entscheidung vom 10. März 1995 seitens des tschechischen Landwirtschaftsministeriums wegen Zweifels an der Richtigkeit der Angaben des Betroffenen zum ständigen Wohnsitz aufgehoben. Der Betroffene legte gegen die Entscheidung des tschechischen Landwirtschaftsministeriums am 22. Januar 1996 eine Beschwerde beim Obersten Gerichtshof in Prag ein.
Am 9. Februar 1996 wurde das Gesetz 243/1992 abgeändert. Dabei wurde einerseits nach einem Erkenntnis des tschechischen Verfassungsgerichts die im Gesetz 243/1992 geforderte Bedingung ständiger Aufenthalt beseitigt, weil sie nach dem tschechischen Verfassungsgericht der tschechischen Verfassung widerspricht. Anderseits aber wurde eine neue Bestimmung ins Gesetz 243/1993 eingebaut, die den ununterbrochenen Besitz der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zum 1. Januar 1990 verlangt. Am 3. März 1996 wurde von der Landesbehörde im Bezirk Semily die Änderung im Fall des Betroffenen zur Anwendung gebracht und rückwirkend auf den 24. November 1992 dem Gesetz 243/1992 einverleibt. Diese Änderung erwirkte, daß der Betroffene keinerlei Ansprüche mehr auf eine Rückgabe des ehemals konfiszierten Vermögens geltend machen konnte, weil er 1949 nach seiner Flucht die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft verloren hatte. Am 4. April 1996 reichte der Betroffene beim Prager Stadtgericht eine Beschwerde gegen die Entscheidung der Landesbehörde im Bezirk Semily ein.
Der Betroffene hat dann 1996 aus der Befürchtung heraus, die tschechischen Behörden könnten das Beschwerdeverfahren nicht zuletzt aufgrund des hohen Alters des Betroffenen absichtlich verzögern, seinen Fall dem UN-Komitee für Menschenrechte anvertraut.
Gegenüber dem UN-Komitee für Menschenrechte behauptete der Betroffene in seiner
Klageschrift, daß
a.) die Annullierung des Vermögensrückgabebescheides vom 10. März 1993 allein aus
politischen und wirtschaftlichen Motiven erfolgt ist. Außerdem wurde nach Meinung des
Betroffenen das Gesetz 243/1992 nur deshalb in seiner ursprünglichen Form geändert, um
ihn
b.) bewußt aus dem tschechischen Restitutionsprogramm auszuschließen. Zudem wurde
nach Meinung des Betroffenen
c.) das laufende Verfahren durch die Entscheidung des tschechischen
Landwirtschaftsministeriums von 1995 politisch beeinflußt. Ebenso stellen nach
Behauptung des Betroffenen die für den Betroffenen gültigen Restitutionsbestimmungen im
Vergleich zu jenen Bestimmungen, wie sie für die nach 1948 erfolgten Konfiskationen
gelten,
d.) eine arge Diskriminierung zum Nachteil des Betroffenen dar.
Das UN-Komitee kommt in seinem Urteil vom 2. November 2001 zur Überzeugung, daß die Änderung im Gesetz 243/1992 eine grobe Benachteiligung des Betroffenen erwirkt hatte. Die Änderung im Gesetz 243/1992 erweckt den Anschein der politischen Willkür und führte in weiterer Folge zu einer für die ehemaligen Konfiskationsopfer diskriminierenden Unterscheidung. Das UN-Komitee erkennt darin eine Verletzung des Art. 26 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte.
Der tschechischen Republik, die sich dem Urteil des UN-Komitees für Menschenrechtsfragen unterworfen hat, wird die Verpflichtung auferlegt, der Witwe des inzwischen verstorbenen Betroffenen das landwirtschaftliche Vermögen zurückzugeben oder eine angemessene Wiedergutmachung zu leisten, wobei eine Wiedergutmachung ebenso die seit 1995 Nicht-Nutzbarkeit des landwirtschaftlichen Vermögens entsprechend zu berücksichtigen hat. Außerdem ist die tschechische Republik angehalten zu überprüfen, inwieweit die eigene Gesetzgebung weitere Verletzung der im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte formulierte Bestimmungen ermöglichen.
Die tschechische Republik wird dieses Urteil veröffentlichen und das Komitee nach einer Frist von 90 Tagen nach Übermittlung dieses Urteils über entsprechende Maßnahmen im Sinne des Urteils informieren.
Diese Pressemitteilung der Sudetendeutschen Landsmannschaft erreichte mich heute.
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ML 2001-11-14
Siehe auch einen früheren Bericht zum gleichen Fall!