Paul Tischler

Politiker und Schriftsteller
Nach der Wahl Rudolf Schusters zum Präsidenten der Slowakei

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Im Jahre 1992 erschien im „Canadian Who's who“, Volume XXVII, Kieran Simpson, Editor, der folgende Text, der den slowakischen Politiker Rudolf Schuster vorstellte: SCHUSTER, Rudolf; ambassador; b. Kosice, Czechoslovakia 4. Jan. 1934; e. fakulty of Construction Engr., Slovak Technical Inst., Bratislava 1959; married; 2 children; AMBASSADOR OF THE CZECH AND SLOVAK FEDERAL REPUBLIC TO CANADA 1990-; Asst., Hydrology and Hydraulic Inst. of Slovak Academy of Sciences, Bratislava 1960-62; Dir., Energetic Investment Dept. and Techn. Dir., East Slovak Steelworks 1963-74; Depy. Mayor, City of Kosice 1975-83, Mayor 1983-86; Chrmn., East Slovak Region National Ctte. 1986-89; Chrmn, Slovak National Council 1989-90; Scientific Diploma, Field of Environmental Protection 1984; Mem., Slovak Writer´s Assn.; author of many novels, radio and TV plays; Adress: Embassy of the Czech and Slovak Federal Republic, 50 Rideau Terrace, Ottawa, Ont. K1M 2A1.

Rudolf Schuster ist heute der bekannteste unter den noch ca. 15 000 in der Slowakei lebenden Deutschen. Der 65jährige, in Metzenseifen (30 km westlich von Kaschau) aufgewachsene Zipser Deutsche ist Sohn von Alois und Maria Schuster, geb. Benedik, die ihre Kinder in sehr bescheidenen Verhältnissen aufgezogen haben. Schusters Vater Alois ging 1927 mit seinen beiden Schwägern Benedik nach Brasilien, nach drei Jahren kam er jedoch wieder so arm zurück wie er vorher dahin auswanderte. Er war zeitlebens Holzfäller im Wald und mußte außer seiner Frau noch drei Kinder ernähren. Nur Rudolf, der älteste Sohn, besuchte eine höhere und dann eine Hochschule. Nach dem Erwerb des Fachabiturs an einer mittleren Maschinenbau-Technikerschule in Kaschau studierte er an der Slowakischen Technischen Hochschule in Preßburg/Bratislava und erhielt 1959 das Diplom eines Ingenieurs. Anschließend arbeitete er bis 1960 als Projektant im Bezirksinstitut für Landwirtschaft, bis 1962 im Hydrologischen Institut der Slowakischen Akademie der Wissenschaften. Von 1962 bis 1975 bekleidete er führende Positionen im größten Unternehmen der Slowakei, den Ostslowakischen Eisenwerken (VSZ) in Kaschau, um anschließend eine beachtliche Karriere als Politiker und Diplomat zu machen. Von 1972 bis 1982 war er zweiter Bürgermeister von Kaschau, der Metropole der Ostslowakei, ab 1982 stellvertretender Oberbürgermeister und von 1983 bis 1986 Primator/Oberbürgermeister von Kaschau (vergleichbar mit einem Landrat in Deutschland – Kaschau ist eine große kreisfreie Stadt). In den Jahren 1986 bis 1989 übte er das Amt des Präsidenten des (Regierungs-) Bezirks Ostslowakei aus.

Nach 1989, in der Zeit des Umbruchs zur Demokratie, stieg er sogar bis zum zweiten Mann der Slowakei auf – er wurde Parlamentspräsident in Preßburg (1989-1990). 1990 ernannte ihn Präsident Václav Havel zum tschechoslowakischen Botschafter in Kanada. Diesen Posten versah er bis zum Zerfall der Tschechoslowakei am 31. Dezember 1992. Noch als Botschafter nutzte er den Urlaub für eine Expedition auf den Spuren seines Vaters nach Brasilien. Es entstanden zwei Dokumentarfilme, die im Slowakischen Fernsehen ausgestrahlt wurden, und ein Buch.

Seit 1995 bekleidete Rudolf Schuster wieder das Amt des Oberbürgermeisters von Kaschau, einer Stadt, die in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat: Sie ist in dem neuen Staat (seit dem 1. Januar 1993) nicht nur Sitz des höchsten Gerichts der Slowakei – des Verfassungsgerichts –, sondern vor einigen Jahren vom Papst – den Rudolf Schuster zweimal in der Slowakei willkommen hieß, 1990 als Parlamentspräsident in Preßburg und 1995 als Oberbürgermeister von Kaschau – auch zur Erzbischöflichen Residenz erhoben worden.

Kaschau wird heute als die „schönste Stadt der Slowakei“ angesehen, was nicht zuletzt ein Verdienst Rudolf Schusters ist. Schuster hat allerdings nicht nur begeisterte Anhänger, sondern auch entschiedene Gegner. 1990 aus der Kommunistischen Partei ausgetreten, gründete Schuster vor Jahren eine eigene Partei, die SOD (Partei der Bürgerverständigung) und erhielt 1998 bei den Wahlen neun Prozent aller Stimmen. Diese brachte er in das neue Bündnis demokratischer Kleinparteien ein, was zum Sieg des derzeitigen Ministerpräsidenten Dzurinda über den bisherigen Alleinherrscher Meciar führte.

Doch Rudolf Schuster ist nicht nur Politiker, sondern auch Schriftsteller. Er hat bisher an 24 Büchern mitgearbeitet, war für Funk und Fernsehen tätig und hat 13 eigene Bücher verfaßt (sämtliche sind auf slowakisch erschienen). „Auf ungangbaren Straßen Brasiliens“ (Kaschau 1987, gemeinsam mit dem Schriftsteller Ján Stiavnický) ist aufgrund des Buches seines Vaters „Meine Reise nach Brasilien 1927“ (Unter-Metzenseifen 1979) verfaßt – dies war zwischen 1945 und 1992 das einzige in der Slowakei auf deutsch erschienene Buch! Es folgten drei Kriminalgeschichten – „Der Fall des sehr Gewissenhaften“ (Prag 1987), „Unerwünschter Beweis“ (Prag 1988) und „Schwarzes Notizbuch“ (Prag 1989). „Ich war dabei“ (Preßburg 1989) erzählt die Geschichte der (deutschen) Partisanen von Metzenseifen, die an der Seite der Roten Armee kämpften. „Mit und ohne Skalpell“ (Preßburg 1994, mit J. Stiavnický) ist die romantische Biographie des bedeutenden Chirurgen Prof. Knazovický, des Mitbegründers der Medizinischen Fakultät der Universität Kaschau/Kosice. Mit der Monographie „Heimatliche Fessel“ (Preßburg 1995) bewies Schuster, daß er auch in der bildenden Kunst bewandert ist; es ist die Lebensgeschichte Jozef Fabinis, eines der bedeutendsten Maler der Ostslowakei. „Der silberne Mercedes“ (Preßburg 1995) ist eine Kriminalgeschichte aus einer Großstadt. Mit „Im Zeichen der Glocke“ (Kaschau) stellt sich Schuster auch als Romancier vor, indem er aus seinen reichen Erfahrungen und Erlebnissen aus den Ostslowakischen Eisenwerken schöpft. „Die Spuren führten zu den Indianern“ (Kaschau 1995) ist ein umfangreicher Reisebericht, den Schuster nach seiner Expedition durch Brasilien schrieb. „Ultimatum“ ist ein schonungsloses Buch der Erinnerung an die Zeit von 1989 bis 1992, an die politische Tätigkeit in der Slowakei und die Zeit als Botschafter in Kanada. „Die Hauptstraße“ (Kaschau 1997) ist ein Sachbuch über die Rekonstruktion des historischen Zentrums von Kaschau. Sein dreizehntes Buch ist ein literarisches Szenario zum „Open Air environment“, einer Theatervorstellung auf der Hauptstraße in Kaschau im Sommer 1998, deren Protagonist Hans Bocatius, ein aus der Lausitz stammender humanistischer Dichter ist, zu einer Zeit, als der Kampf um den Elisabeth-Dom im Kaschau zwischen den Katholischen und den Evangelischen seinen Höhepunkt erreicht hatte.

In der bundesdeutschen Presse wurde Rudolf Schuster schon in den achtziger Jahren bekannt, als die Stadt Kaschau als erste in der Slowakei mit einer Stadt im Bundesgebiet – Wuppertal – eine Partnerschaft einging und Rudolf Schuster an den Gesprächen mit Außenminister Genscher beteiligt war. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ berichtete in ihrer Ausgabe vom 20. August 1998 in einem umfangreichen Beitrag unter dem Titel „Eine slowakische Karriere: Der König von Kaschau“ über Rudolf Schuster. Der „Kaschauer Gorbatschow“, wie dieser Deutsche auch genannt wird, ist seit Mitte Juni Präsident der Slowakei. Von ihm verspricht sich die slowakische Bevölkerung eine Annäherung der Slowakei an Westeuropa sowie eine baldige Aufnahme in die NATO und die EU.

Dieser Bericht wurde übernommen aus „GLOBUS“ Heft 3 des Jahrganges 1999. Verbandszeitschrift des Vereins für das Deutschtum im Ausland VDA. Hervorhebungen durch ML 2000-10-01

2001-10-25:
Auszug aus einem Interview der Wiener Tageszeitung „Die Presse“ mit dem slowakischen Staatspräsidenten Rudolf Schuster:

DIE PRESSE:
Tschechien wird die Diskussion um die Beneš-Dekrete auch nach der mit Deutschland abgeschlossenen „Aussöhnungserklärung“ nicht los. Wird diese Diskussion auch in der Slowakei noch kommen müssen?

SCHUSTER:
Im Koalitionsvertrag für die jetzige Regierung haben wir 1998 vereinbart, die heikle Frage der Beneš-Dekrete für die Dauer der Koalition, also bis 2002, nicht zu öffnen. Das war vor allem gegenüber den Ungarn wichtig, die bei uns ja Hauptbetroffene der Beneš-Dekrete waren und jetzt aber mit in der Regierung sind. Unter diesem Vertrag steht auch meine Unterschrift, deshalb halte ich mich daran.
Was ich persönlich denke, das ist eine andere Sache. Natürlich werden die Historiker das noch beurteilen müssen. Vorläufig will ich dazu nicht viel mehr sagen, als daß eine kollektive Bestrafung nie richtig sein kann.
Ich selbst war damals zwölf und habe die deutsche Schule besucht. Mein Vater war kommunistischer Antifaschist und mein Bruder hat als Partisan gegen den Faschismus gekämpft. Er hatte noch seine Waffe, als die Soldaten gekommen sind, um uns ins Schulhaus abzuführen. Und in dem kleinen Ort Metzenseifen (slowakisch Medzev), aus dem ich komme, kann ich viele nennen, die nur wegen eines deutschen Namens vertrieben wurden, obwohl sie gegen den Faschismus gekämpft haben. In Deutschland hätte uns allen das KZ gedroht, aber nach dem Krieg hat trotzdem der deutsche Name Schuster gereicht, um uns im Schulhaus unsere Wertsachen abzunehmen – das wurde nirgendwo registriert – und uns auf die Liste der zu vertreibenden Deutschen zu setzen. Nur weil meine Mutter so schwer krank war, daß sie die Vertreibung nicht überlebt hätte, durften wir dann doch bleiben.

Quelle: Die Presse (Wien) vom 24. Oktober 2001

Das vollständige Interview:
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http://www.diepresse.at/detail/default.asp?channel=p&ressort=eu&id=256363
(mitgeteilt vom Ostpreußen-Forum 2001-10-25)