Deutsche Kirchenbücher nach Polen?
Im folgenden wird die Diskussion wiedergegeben, die sich im Ostpreußen-Forum
abspielte bzw. daraus erfolgte:
2001-09-17 Frankfurter Allgemeine Zeitung: Bericht
von Daniel Deckers
2001-09-18 Der Bund der Vertriebenen nimmt Stellung
2001-09-21 Detlef Kühn übt Kritik
2001-09-21 Thomas Reimers Kritik
2001-09-22 Leserbriefe in der FAZ
2001-09-25 Andreas Grapatin kündigt Klage an
2001-09-26 eBrief ML
2001-09-26 Robert Laack ans Ostpreußen-Forum
2001-09-28 Beate Kappelhoff an Robert Laack
2001-10-08 Mathias Crone in der FAZ
2001-10-09 Dr. Elke Hestrom in der FAZ
2001-10-16 Herbert Gröger in der FAZ
2001-10-22 Dr. Hartmut Sander in der FAZ
2001-10-23 Erste Antwort der Bischofskonferenz
weitere Stimmen werden nach und nach ergänzt. ML 2001-09-29
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2001-09-17
D steht für Danzig
3661 Kirchenbücher sollen nach Polen zurück!
Von Daniel Deckers
REGENSBURG, 16. September 2001
Äußerlich unterscheidet sich das klobige, in Orange und Braun gehaltene Gerät auf dem
ersten Tisch in der linken Reihe nicht von den anderen, gleichermaßen unansehnlichen
Quadern auf anderen hölzernen Tischen des Lesesaals. Ein handgeschriebener Zettel indes
weist ihm eine besondere Bedeutung zu: Nur für Ostkirchenbücher. Die
Geschichte der Deutschen in West- und Ostpreußen erschließt sich mit normaler
Vergrößerung nicht.
D steht für Danzig, W für Westpreußen, E
ist das Siegel für das Ermland, den einst katholischen Teil Ostpreußens.
Nach drei Regionen gegliedert, stehen im Magazin des Bischöflichen Zentralarchivs
Regensburg annähernd 3700 Bücher, die das Werden und Vergehen der Katholiken im
Nordosten des alten Deutschlands bezeugen. Auf Latein, auf Deutsch, auch auf Polnisch
haben die Pfarrer Jahr und Jahr Buch geführt über Taufen, Trauungen und Sterbefälle.
Was seit der Bismarckzeit das Standesamt ist, sind seit Jahrhunderten die Kirchenbücher.
Hier und da finden sich weitere Einträge: Todesfälle von Lutheranern hier,
pfarrgeschichtliche Notizen da, Osterbeichtende, Opfer der asiatischen Cholera im Jahr
1831, Decemabgabe, Konversionen.
Von A wie Adlig Briesen, Kreis Schlochau, Bistum Kulm bis Z
wie Zwiniarz, Kreis Löbau, gleichfalls Bistum Kulm: Alle Ostkirchenbücher sind verfilmt
und können von Microfiches gelesen werden. Wenn die Einträge nicht lesbar sein
sollten, können wir das Original aus dem Magazin holen, sagt ein freundlicher
Bibliothekar.
Nicht mehr lange.
An diesem Montag wollen Kardinal Lehmann, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz,
und Kardinalprimas Glemp für die Polnische Bischofskonferenz ihre Unterschriften unter
einen Vertrag setzen, der die Rückführung von 3661 Kirchenbüchern besiegelt. In drei
Transporten sollen die Archivalien bis zum Ende des kommenden Jahres Regensburg verlassen.
Die Archive der (Erz-)Bistümer Allenstein und Elbing, Danzig, Gnesen, Lyck, Pelplin,
Stettin-Kammin, Thorn, Leslau und Plock sind als ihre endgültige Heimat bestimmt.
Nahezu sechzig Jahre werden dann vergangen sein, seit die Kirchenbücher im vorletzten
Kriegsjahr aus Ost- und Westpreußen fortgeschafft wurden. Hier und da hatte die Gestapo
ihre Hände im Spiel, womöglich im Auftrag des Reichssippenamts. Sollten die
Matrikelbücher nicht nur für die Arier-Nachweise des Tausendjährigen Reichs, sondern
auch für die Zeit danach gerettet werden?
Im Herbst 1944 erging ein Erlaß des Evangelischen Konsistoriums in Ostpreußen an alle
Pfarrämter, Archivalien und wertvolle Gegenstände für die Auslagerung nach Westen
bereitzustellen. Die auf den Endsieg eingeschworene Partei hatte den Erlaß verhindern
wollen. Unterstützung erhielt die evangelische Kirche vom Reichssippenamt, sagt der
Direktor des Evangelischen Zentralarchivs in Berlin, Sander.
Mehr als 8000 evangelische Kirchenbücher hat Sander in seiner Obhut. Die meisten stammen
aus den früheren Provinzen Ost- und Westpreußen. Hinzu kommen die Stettiner
Kirchenbücher sowie einzelne Archivalien aus den Provinzen Posen und Schlesien, Dorthin
zurückkehren werden sie wohl niemals.
Auch wenn Polen die evangelischen Kirchenbücher noch im vergangenen Jahr freihändig
seinen staatlichen Archiven zugeschlagen hat. Doch was der katholischen Kirche in
Deutschland recht ist, ist den Protestanten billig:
Nach dem Grundsatz der Trennung von Kirche und Staat obliegt es den
Glaubensgemeinschaften, ihre Angelegenheiten selbständig regeln. Der Umgang mit den
Kirchenbüchern macht da keine Ausnahme. Die Evangelische Kirche der Union (EKU) ist nach
unbestrittener Rechtsprechung die Rechtsnachfolgerin der früheren evangelischen Gemeinden
in den ehemals deutschen Gebieten jenseits von oder und Neiße. Daß deren Kirchenbücher
heute in Berlin sind, ist daher nur Recht.
Die katholischen Kirchenbücher aus West- und Ostpreußen fanden in den letzten
Kriegsmonaten ebenfalls einen Weg nach Westen. Alliierte Kulturoffiziere stellten auch sie
in Bergwerken sicher. Der größte Teil wurde nach Berlin verbracht, wo die Kirchenbücher
zum ersten Mal verfilmt wurden. Anschließend wurden sie dem Bistum der geteilten Stadt
angedient.
Doch die Katholiken in der geteilten Stadt waren außerstande, für das Kirchengut Sorge
zu tragen. 1949 schloß das Bistum als Treuhänder einen Depositalvertrag mit dem Geheimen
Staatsarchiv Berlin-Dahlem, das für die Sammlung ostdeutscher Kulturgüter zuständig
war. Die Beziehungen zwischen beiden Ländern und beiden Kirchen Deutschlands waren so
schlecht, daß eine Rückgabe ausgeschlossen war. Hatte nicht der polnische Kardinalprimas
Augustyn Hlond die deutschen katholischen Bischöfe wider alles Recht für abgesetzt
erklärt und außer Landes getrieben? Und den Protestanten hinterhergerufen: Mit den
Deutschen verschwindet die Häresie?
Mehr als zwei Jahrzehnte blieben die katholischen Ostkirchenbücher in Berlin. Dann trat
in Abstimmung mit dem Vatikan der Verband der Diözesen Deutschlands in den Vertrag mit
dem staatlichen Archiv ein und kündigte ihn.
Die Kirchenbücher wurden in treuhänderischer Verwaltung ins Katholische Kirchenbuchamt
in München gebracht. Dort war schon 1952 ein erster, kleiner Bestand Ostkirchenbücher
eingestellt worden, den es nach Kriegsende nach Hildesheim verschlagen hatte.
Die Irrfahrt der Bücher war noch nicht beendet. Im Benediktinerinnenkloster Eibingen,
wo die Deutsche Bischofskonferenz eine Restaurationswerkstatt eingerichtet hatte, wurden
nun die schadhaften Exemplare wiederhergestellt und neu eingebunden. Mitte der siebziger
Jahre gingen sie auf ihre vorerst letzte Reise nach Regensburg. Dort wurden sie
fachgerecht archiviert und abermals verfilmt. Kleine und große, schmale und gewichtige:
gut zwei Jahrhunderte deutscher Geschichte zusammengeschnurrt auf lange, unregelmäßige
Reihen. Doch die Kirchenbücher sind nicht nur höchst aufschlußreiche Dokumente für
Familienforscher und Nachlaßgerichte. Für viele Heimatvertriebene sind die
Matrikelbücher bis heute eine Nabelschnur, die sie mit ihren Vorfahren in der fernen
Heimat verbindet.
Prälat Mai, der Archivdirektor, läßt sich nicht anmerken, daß er die Überstellung der
Bücher noch erleben muß: In der katholischen Kirche ist der Verbleib der
Kirchenbücher durch das Kirchenrecht geregelt, sagt er mit fester Stimme. Es gelte
das Herkunftsprinzip. Anders als evangelische Gemeinden, die als eine
Personenvereinigung ihren Sitz da- oder dorthin verlegen können, sind katholische
Pfarreien kanonisch errichtet. Die einen werden vertrieben, andere kommen, die Kirche
bleibt. Und mit der Kirche auch die Kirchenbücher. So ist es recht.
Und warum werden die Kirchenbücher erst jetzt zurückgegeben? Allein zehn Jahre sind
vergangen, seit Deutschland und Polen einen Freundschafts- und Nachbarschaftsvertrag
geschlossen und Verhandlungen über die Rückführung kriegsbedingt verlagerter
Kulturgüter aufgenommen haben. Bei den Matrikelbüchern handelt es sich um
Kirchengut, nicht um Kulturgut, sagt Mai. Solange der polnische Staat Ansprüche auf
die Bücher erhoben habe, seien die deutschen Bischöfe in Übereinstimmung mit der
polnischen Kirche nicht bereit gewesen, die Bücher aus der Hand zu geben.
Im Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz in Bonn war man gleich doppelt auf der Hut.
Man habe sich vom polnischen Außenministerium und von Kulturstaatsminister Nida-Rümelin
schriftlich bestätigen lassen, daß die Übergabe der Matrikelbücher an staatliche
Archive ausgeschlossen sei, sagt der Sekretär Pater Langendörfer. So zerstreut er alle
Befürchtungen, polnische Behörden könnten die Archivalien beschlagnahmen, sobald sie
den Schlagbaum passiert haben. Die Kirche ist gewarnt: So manches Kirchenbuch einer
polnischen Pfarrei findet sich heute im Archiv der Wojewodschaft.
Vorkehrungen haben die deutschen Bischöfe aber auch für andere Fälle getroffen.
Peinlich genau halt die Übergabe-Vereinbarung fest, wie die polnische Kirche mit dem
wertvollen Kirchengut umzugehen hat. Ausdrücklich wird ausgeschlossen, daß die
Kirchenbücher an die einzelnen Pfarrämter zurückgebracht werden. Sie werden den
Archiven der jeweiligen Bistümer anvertraut, damit sie sachgerecht untergebracht und von
fachkundigem Personal betreut werden können. Auch das Zugangsrecht deutscher
Archivbenutzer ist gewährleistet, im Fall einer Anfrage eine fristgerechte Bearbeitung
und eine Gebühr, wie sie bei gleichem Aufwand für einheimische Benutzer entstünde.
Beglaubigungen mit rechtlicher Relevanz sollen jeweils nach vorheriger Recherche
durch das Bischöfliche Zentralarchiv in Regensburg regelmäßig binnen Monatsfrist
bearbeitet werden. All dies erklärt, im Namen der aufnehmenden Diözesen, die Polnische
Bischofskonferenz.
Doch wozu dieser Aufwand, wenn doch die Microfiches in Regensburg verbleiben? Nicht immer
sind die Eintragungen lesbar. Bald wird der freundliche Bibliothekar in Regensburg das
Original nicht mehr heranziehen können. Manche der mehr als 700 Anfragen aus allen Teilen
der Weit, die bisher in jedem Jahr in Regensburg bearbeitet wurden, müssen künftig von
der Donau an ein polnisches Diözesanarchiv weitergeleitet werden. Aber nicht alle: Sollte
sich jemand für das schweinsledern-speckige Kirchenbuch mit der Signatur E 294
interessieren, wird er das Original auch künftig in Regensburg einsehen können. Es ist
das aus dem achtzehnten Jahrhundert stammende Matrikelbuch der katholischen Pfarrei St.
Johannes in Königsberg. Und Königsberg heißt heute Kaliningrad und liegt nicht in
Polen, sondern in Rußland.
PRESSEMITTEILUNG DES BUNDES DER VERTRIEBENEN
Berlin, den 18. September 2001
Gerettete deutsche Kirchenbücher dürfen nicht nach Polen überführt werden
Steinbach warnt vor Kirchenbuch-Transfer
Vertriebene werden dadurch benachteiligt.
BdV-Präsidentin Erika Steinbach, MdB, spricht sich gegen die geplante
Überführung der im Zweiten Weltkrieg in den Westen geretteten Kirchenbücher der
deutschen Gemeinden aus Schlesien, Ost- und Westpreußen, Ostbrandenburg und Pommern aus.
Die Präsidentin erklärt: Dies ist psychologisch eine zweite Vertreibung,
und in der Sache bringt es Nachteile für die Betroffenen.
Die nach einer Vereinbarung zwischen der Deutschen und der Polnischen Bischofskonferenz
zurückzuführenden 3661 deutschen Kirchenbücher stellen mit ihren Eintragungen mehrere
Jahrhunderte deutscher Geschichte in den genannten Provinzen des Deutschen Reiches dar.
Sie sind damit ein Stück Kulturgut, das in die Hände der geflüchteten und vertriebenen
Einwohner gehört. Denn sie geben Auskunft über Taufen, Hochzeiten, Sterbefälle und das
kirchliche Leben ausschließlich der deutschen Bewohner dieser Provinzen.
Die Heimatvertriebenen fühlen sich durch diese über ihre Köpfe hinweg getroffene
Entscheidung verletzt. Unverständlich bleibt, warum die katholische Kirche sich jetzt
darauf eingelassen hat.
Auch wenn in der katholischen Kirche der Verbleib der Kirchenbücher durch das
Herkunftsprinzip geregelt ist, stellt die jetzt getroffene Vereinbarung, daß die Bücher
in die Diözesanarchive der jeweiligen Bistümer gebracht werden sollen, für die
Vertriebenen in der Sache nur Nachteile dar. Zwar sind die Kirchenbücher vorher in
Regensburg auf Mikrofilm kopiert worden. Aber um eine Anzahl von Eintragungen lesen zu
können, muß man doch die Originale heranziehen und diese liegen demnächst in Polen.
Außerdem steht zu befürchten, daß bei Auszügen aus den Kirchenbüchern die deutsche
Schreibweise nicht eingehalten wird. Schon bislang sind bei Auskünften von polnischen
Gemeinden die in den verbliebenen deutschen Personenstandsurkunden stehenden deutschen
Bezeichnungen verändert worden.
Deutsche Personen- und Ortsnamen werden zum Teil in den Urkunden in polnischer
Schreibweise wiedergegeben. Die betroffenen Heimatvertriebenen befürchten eine
Polonisierung ihrer Geschichte und eine verzerrte Darstellung bei der Einholung von
Urkunden.
Quelle: http://www.bund-der-vertriebenen.de
Von Detlef Kühn (1972 bis 1991 Präsident des
Gesamtdeutschen Instituts in Bonn) in Junge Freiheit 21.9.01
Anfang dieser Woche reiste der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz,
Kardinal Lehmann, zu seinen Glaubensbrüdern nach Polen. In seinem Gepäck befand sich ein
wertvolles Gastgeschenk ein Vertrag, den sein Gastgeber, der polnische
Kardinalprimas Glemp, gern unterschreiben wird. Danach werden demnächst 3661
Kirchenbücher ehemaliger deutscher katholischer Gemeinden vorwiegend in Ost- und
Westpreußen, die bei Kriegsende in den Westen Deutschlands gelangt waren und sich bislang
im Bischöflichen Zentralarchiv in Regensburg befanden, der Republik Polen überlassen und
in Zukunft in den Archiven der (Erz-) Bistümer Allenstein und Elbing, Danzig, Gnesen,
Lyck, Pelpin, Stettin-Kammin, Thorn, Leslau und Plock zu suchen und, so Gott will, auch zu
finden sein.
Die Aktion ist von der Kirche und dem offenbar informiert gewesenen Kulturstaatsminister
Nida-Rümelin als geheime Kommandosache vorbereitet worden.
Erst eine Woche vor der Reise Lehmanns erschien im Trierer Bistumsblatt Paulinus eine
Kurzmeldung, die allerdings wegen der Terrorakte in New York und Washington keine
Beachtung fand. Ansonsten wurden über das Vorhaben weder die deutsche Öffentlichkeit
noch insbesondere die betroffenen Vertriebenenverbände und genealogischen Vereine
unterrichtet. Im Gegenteil nur zwei Wochen vorher wurde der Direktor des
Brandenburgischen
Landeshauptarchivs in Potsdam, Klaus Neitmann, von wem auch immer dazu mißbraucht, eine
wie jetzt deutlich wird falsche Fährte zu legen:
In einem Artikel in der Kulturpolitischen Korrespondenz
des Ostdeutschen Kulturrats vom 30.August 2001 über deutsch-polnische Archivalienprobleme
erklärte der offenbar gutgläubige Experte, selbst Polen hat den Bezug der
Archivalien auf die deutsche Bevölkerung wenigstens in einem Punkt anerkannt, indem es
nicht mehr die Abgabe der evangelischen und katholischen Kirchenbücher verlangt
hier ist allzu deutlich, daß die Nachfahren der darin aufgeführten Personen nicht mehr
in ihren Heimatorten östlich von Oder und Neiße leben, sondern ihre Existenz in den
deutschen Nachkriegsgrenzen haben aufbauen müssen. Zu dieser Zeit muß schon
verabredet gewesen sein, daß die strittigen Kirchenbücher doch nach Polen kommen, zwar
nicht in staatliche, aber in kirchliche Archive, was für die Deutschen kaum einen
Unterschied macht.
Für viele Heimatvertriebene und ihre Nachkommen ist die Entscheidung der Deutschen
Bischofskonferenz eine Katastrophe. Kirchenbücher sind unbestritten von großer Bedeutung
für Familienforscher, Nachlaßgerichte und viele sozialgeschichtliche Fragestellungen.
Darüber hinaus sind sie aber auch, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung schreibt,
gerade für Vetriebene bis heute die Nabelschnur, die sie mit ihren Vorfahren in der
fernen Heimat verbindet. Für die dort jetzt lebenden Polen, die erst nach 1945
angesiedelt wurden, haben die Kirchenbücher die emotionale Bedeutung naturgemäß nicht.
Sie könnten sich, wenn sie historisch interessiert sind, ohne Probleme mit Verfilmungen
behelfen, wie es nun von den Deutschen verlangt wird. Warum legt die polnische Seite
überhaupt Wert auf Kirchenbücher? Neben kaum nachzuvollziehenden kirchenrechtlichen
Begründungen (Die einen werden vertrieben, andere kommen, die Kirche bleibt. Und
mit der Kirche auch die Kirchenbücher. So ist es recht, beschreibt die FAZ die
Meinung kirchlicher Würdenträger), geht es auch um die Möglichkeit, mit Auskünften aus
den Kirchenbüchern Deviseneinnahmen zu erzielen. Auch die polnische Kirche hat halt immer
noch einen großen Magen. Die Entscheidung der Deutschen Bischofskonferenz entspricht
dagegen in ihrer masochistischen Würdelosigkeit einem Zeitgeist, gegen
den sich die katholische Kirche in anderen Fällen mit guten Gründen wendet. Für
Bemühungen Deutschlands, falls sie überhaupt noch unternommen werden, in Polen und
Rußland die Rückgabe deutscher Kulturgüter zu erreichen, ist sie ein böses Omen.
Vorleistungen dieser Art werden nie honoriert, sondern führen nur zu weiteren Forderungen
an die offenkundig einfältigen Deutschen.
Im Ostpreußen-Forum:
Nun ja, ich bin schon zwei Generationen weiter entfernt, aber finde, daß die Übergabe
einfach auf gut Deutsch Scheiße ist. In Israel geben Sie ja auch keine Torah an eine
nicht-jüdische deutsche Stadt, bloß weil rein technisch die der Ursprungsort war.
Und darüber ist es nicht sicher, ob die polnische katholische Kirche (die ja so ziemlich
national orientiert ist), mit den Kirchenbüchern, die ja belegen, wer dort 1945 wohnte,
wirklich kulant sein wird. Wie oft haben wir denn nicht der polnischen Kirche vetraut
aber bis auf Bischof Nossol, wer ist dort schon neutral, wer verdient volles
Vertrauen ohne Garantien?
Thomas Reimer (Reimer aus der Elbinger Gegend)
2001-09-21 im Ostpreußen-Forum.
AUS DER FAZ 2001-09-22:
Zurückkehrende Kirchenbücher, ferngehaltene Menschen
Mit nicht geringem Entsetzten lese ich im Artikel D steht für Danzig
(F.A.Z. vom 17. September), daß die Deutsche Bischofskonferenz im Zweiten Weltkrieg
glücklicherweise in den Westen gerettete und bisher hier aufbewahrte Kirchenbücher
deutscher katholischer Vertriebenengemeinden an Polen übergeben will. Diese
Kirchenbücher enthalten wichtige persönliche Lebensdaten hier lebender vertriebener
Mitbürger und ihrer Vorfahren und gehören daher als Teil der eigenen Identität zu
diesen Menschen, von denen sie und für die sie geschaffen worden sind. Sie gehören
dagegen nicht in die Hand von Nichtbetroffenen, staatlichen oder kirchlichen
Institutionen, die sich fremdes Land und fremdes Eigentum durch Massenvertreibung der
eingesessenen landzugehörigen Bevölkerung angeeignet hatten.
Verbrechen gegen die Menschlichkeit können keine Rechtstitel begründen.
Kanonisches Recht und Territorialprinzip, auf die man sich kirchlicherseits im
vorliegenden Fall beruft, haben nur dann einen Sinn, wenn die vorauszusetzende
unverzichtbare Einheit von Territorium und rechtmäßig ansässiger Bevölkerung gegeben
ist.
Andernfalls entfällt die entscheidende Voraussetzung und Grundlage. Es kann dann nicht
formalistisch abgehoben so argumentiert werden, als ob die tragende Basis noch
vorhanden sei. Kann etwa ein Autodieb vom Bestohlenen die Herausgabe der Autopapiere mit
der Begründung verlangen, daß sie laut Straßenverkehrsordnung zum Auto gehörten und in
diesem mitzuführen seien? Eine absurde Vorstellung. Die deutsche katholische Kirche
sollte zusammen mit der polnischen katholischen Kirche vielmehr zunächst alles
Erdenkliche tun, damit die Vertriebenen, soweit sie es wollen, in ihre Heimat
zurückkehren können. Dann wäre die Mitnahme der Kirchenbücher sinnvoll und richtig.
Die Kirchenbücher aber zu verlangen und die Menschen, für die sie ein Teil der eigenen
Identität sind, fernzuhalten, wäre grotesk. Genau umgekehrt muß es sein! Zuerst die
Menschen und die Menschenrechte, dann die Dinge, das kanonische Recht und das
Territorialprinzip. Für eine Kirche, die menschennah und glaubwürdig sein will, sollte
das eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Im übrigen sind die Kirchenbücher
Bestandteil des kulturellen Erbes der Vertriebenen und als solches zu schützen. Nichts
spricht dabei dagegen, im Sinne guter Nachbarschaft polnischen Interessenten Kopien zu
überlassen.
Dr. Martin Menzel, Mainz.
******************************
Mit Erstaunen
Mit Erstaunen entnehme ich dem Artikel D steht für Danzig
(F.A.Z. vom 17. September), daß der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz sowie
Kardinalprimas Glemp für die Polnische Bischofskonferenz am 17. September in Warschau
ihre Unterschriften unter einen Vertrag setzen, der die Rückführung von 3661 deutschen
Kirchenbüchern besiegelt. Endlich. Nach der Rückführung der Materialien steht wohl doch
auch bald wenn schon nicht die Rückführung wenigstens die
Rückkehrmöglichkeit von Heimatvertriebenen und die Möglichkeit, in ihren alten
Heimatgebieten Eigentum zu erwerben, ins Haus.
Denn was den Sachen möglich ist, mag doch wohl erst recht Personen gelten und
diesen zuerst.
Gerhard Pieschl, Weihbischof, Limburg.
CDU-Abgeordneter will Kardinal verklagen
Streit um Weitergabe von Kirchenbüchern an Polen
Dresden/Bonn.
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, sieht sich mit
schweren Vorwürfen aus Sachsen konfrontiert.
Der Dresdner CDU-Landtagsabgeordnete Andreas Grapatin hat Lehmann jetzt
mit einer Klage gedroht, falls dieser, wie geplant, Kirchenbücher aus Schlesien und
Ostpreußen an polnische Bistümer verschenken sollte. In einem persönlichen Brief
Grapatins an den Kardinal heißt es: Meine Familie stammt aus Schlesien und ich
fühle mich als Erbe meiner Familiengeschichte. Als solcher verbiete ich Ihnen hiermit
unter Verweis auf strafrechtliche Konsequenzen gegen Sie, Material egal welcher Herkunft
aus meinem Herkunftsgebiet zu verschenken. Grapatin wirft Lehmann weiterhin vor,
sich in diesem Fall zum Handlanger linker Geschichtsfälscher zu machen, die
heute bereits in der Bundesregierung vertreten seien. Gleichzeitig drohte er mit der
Gründung einer Exilkirche der Vertriebenen, die nicht Mitglied der Bischofskonferenz sein
würde.
Kardinal Lehmann hat noch nicht auf das Schreiben reagiert. (SZ/gs)
Quelle: Sächsische Zeitung, 2001-09-25
eBrief von Markwart Lindenthal, geschrieben 2001-09-26
Sehr geehrter Herr B.. ...!
Es ist kein öffentliches Thema aber es sickert doch durch:
Die Katholische Kirche ist damit beschäftigt, Personenstandsbücher ostdeutscher
katholischer Kirchengemeinden nach Polen zu verschenken.
Hiergegen erhebe ich schärfsten Protest.
Die Empfänger haben außer einer auf gröbster Gewaltanwendung beruhenden geografischen Beziehung keinerlei Verbindungen zum Inhalt der Personenstandsbücher.
Die Menschen, die sich mit dem Inhalt dieser Bücher beschäftigen wollen, sollen und können, wurden mit Gewalt außer Landes getrieben, ohne daß die Kirche sich diesem Völkerrechtsverbrechen widersetzt hätte. Im Gegenteil: die katholische Kirche Polens hat die Vertreibung der Deutschen gefördert, sie hat die Bistümer und Erzbistümer in eigenen Besitz genommen ohne Ansehen des Leides, das den angestammten Bewohnern des Landes angetan wurde.
Jetzt will die Katholische Kirche ohne jegliche Not und ohne irgendeine Gegenleistung die Personenstandsbücher der vertriebenen Deutschen verschenken an die Nation, die die gewaltsame Vertreibung zu verantworten uund durchgeführt hat. Welcher Sinn liegt darin? Sollen die Ostdeutschen nun auch aus ihrer eigenen Personenstandsgeschichte vertrieben werden?
Bitte kommen Sie mir nicht mit wissenschaftlichen Grundsätzen. Auch kirchlich-organisatorische Grundsätze können hier nicht Ausschlag geben. Denn für die völkermordende Vertreibung von Millionen deutscher Menschen aus ihrer vielhundertjährigen Heimat gab und gibt es keine kirchlichen Regeln.
Wenn die Katholische Kirche in völkisch gemischten Gegenden die Kirchenbücher am Ort
aufbewahrt, damit die Bevölkerung bei Nachforschungen am Ort fündig werden kann, so habe
ich dafür ein gewisses Verständnis. Das mag zum Beispiel viele Orte im Sudetenland
betreffen.
Wo aber die gesamte Bevölkerung verjagt wurde, um Fremde dort anzusiedeln, die keinerlei
Beziehungen in die Geschichte der deutschen Vergangenheit haben, so ist die Preisgabe der
Personenstandsbücher an die Vertreiberstaaten einer Vertreibung der Deutschen aus ihrer
heimatlichen Geschichte gleich. Da macht es keinen Unterschied, ob der Staat oder die
Kirche die Bücher verwahrt. Am Ort seiner Entstehung wird keines der Bücher mehr zu
finden sein.
In Regensburg aber wären die Bücher für deutsche Forscher und Familienkundige leichter erreichar. Zumindest wären sie nicht der Willkür derer ausgeliefert, die sich mittelbar und unmittelbar an der Vertreibung der Deutschen beteiligt und sich an ihrer Hinterlassenschaft bereichern und bereichert haben.
Forschern aus Polen, die ja sowieso die deutsche Sprache beherrschen müssen, wenn
sie die alten deutschen Personenstandsbücher lesen wollen, kann man den Weg nach
Regensburg zumuten zumal die Bücher dort zentral gelagert werden im Gegensatz zur
geplanten Zerstreuung der Bücher auf viele polnische Kirchenarchive.
Warum sollen sich die Eigner der Bücher mit Fotokopien zufrieden geben, von denen bekannt
ist, daß viele Eintragungen aus technischen Mängeln heraus nicht lesbar sind?
Die Unterbringung der Bücher unter sachgerechten Archiv-Bedingungen ist in Regensburg
sichergestellt.
Warum gehen Sie das Risiko ein, daß die Schätze der Geschichte, nachdem sie unter
größten Opfern durch die wechselnden Jahre und Gezeiten gerettet wurden, in den
unterschiedlichsten fremden Kirchenarchiven verloren gehen aus Unachtsamkeit, aus
Boswilligkeit vielleicht sogar? Oder nur aus technischem Unvermögen???
Ich fordere ... ... ... ... ... den polnischen Forschern in den Vertreibungsgebieten die Kopien zu geben, die Urschriften der Bücher aber für alle Zeiten in Regensburg oder einem anderen sicheren Sammelplatz in Deutschland in der Nähe der Heimatvertriebenen aufzubewahren.
Ihrer geschätzten Antwort sehe ich mit Interesse entgegen.
Hochachtungsvoll verbleibe ich Ihr Markwart Lindenthal, e-Post: markwart@lindenthal.com
Robert Laack an das Ostpreußen-Forum: gesendet: Mittwoch,
26. September 2001 21:42
Betreff: Kirchenbücher
Liebe Freunde, hoffentlich finde ich in dieser Angelegenheit den rechten Ton und
kann mich Euch allen gegenüber verständlich machen. Jedenfalls möchte ich es mit
meinem Beitrag versuchen.
Ich bin der Überzeugung, daß man gerade in diesem Fall sprichwörtlich die Kirche im
Dorf lassen muß und zu jeder Kirche gehören auch die Kirchenbücher, die an ihren
Ursprung zurückgeführt werden müssen. Ich kann diese Forderung natürlich nur an meiner
eigenen Lebensgeschichte festmachen.
Am 31.10.1937 (ein Sonntag) wurde ich morgens beim Glockenschlag um 8 Uhr im Krankenhaus
in Marienwerder geboren. Am 05.12.1937 wurde ich in der kleinen Kirche (es gibt sie noch)
in Klein Tromnau im Kreis Rosenberg/Westpreußen getauft. Mein Taufspruch aus dem Psalm
91, Vers 11 lautet: Denn er hat seinen Engeln befohlen über dir, daß sie dich
behüten auf allen Wegen. Ich denke, daß meine Eltern diesen Spruch in der Wohnung
des 1. Beamten (mein Vater war dies zu jener Zeit) für mich aussuchten. Wenn ich nun
meine bisherige Lebensgeschichte betrachte, ist der Wunsch meiner Eltern in Bezug auf mein
Leben auch in Erfüllung gegangen. Festzuhalten ist, daß dieser Taufspruch mir in der
Kirche von Klein Tromnau mitgegeben wurde und auch dort in das Kirchenbuch eingetragen
wurde. Daraus resultiert dann auch meine Hoffnung, daß ich in meiner Heimat auch das
Kirchenbuch einsehen kann, die mich betreffenden Eintragungen lese und mich dann aus der
Kirche und dem Pfarramt auf den Weg mache und vieles entdecken werde, was meine Heimat
betrifft. Ich werde bei dieser Gelegenheit auch mit den Menschen näher in Kontakt kommen,
die heute dort leben und über unsere gemeinsame Vergangenheit sprechen. Wir werden uns
dann aber auch über die Gegenwart und unsere gemeinsame Zukunft unterhalten. Als Landwirt
gibt es auch in Bezug auf den EU-Beitritt zusätzlich viel Gesprächsstoff.
Dies ist nun nicht nur ein frommer Wunsch. Natürlich bin ich mit meiner Frau schon in
Marienwerder und in Klein Tromnau gewesen. Die Möglichkeit, eventuell über die
Kirchenbücher noch mehr über meine Heimat zu erfahren und insbesondere einen noch
besseren Kontakt zu den Menschen, die dort leben, zu bekommen, läßt bei mir Freude und
Zuversicht aufkommen. Ich wüßte auch nicht, warum ich in irgend einem Archiv in
Westdeutschland oder Berlin in mein Kirchenbuch schauen sollte. Das würde mich keineswegs
befriedigen, da es nur in meiner Heimat Sinn macht. Einen Anspruch auf meine Heimat
brauchte ich für mich und meine Familie nie zu formulieren. Ganz selbstverständlich ist
meine Heimat dort, wo ich geboren wurde und meine Vorfahren über Jahrhunderte lebten. In
diesem Zusammenhang ist das Kirchenbuch vor Ort das einzige Dokument, das diesen
Sachverhalt attestiert und dies insbesondere den Menschen gegenüber, die heute dort
leben.
Natürlich respektiere ich alle Meinungen, die in diesem Zusammenhang geschrieben wurden.
Allerdings dies nur in einem Rahmen, der sicherstellt, daß unsere Heimat und die
Menschen, die dort leben oder in Zunkunft dort leben wollen, in ihrer Entwicklung nicht
geschädigt werden. Ich bin auch gerne bereit, meine eigene Einstellung in dieser oder
jener Hinsicht mit dem Ziel zu korrigieren, daß wir in allen Fragen des Umgangs mit
unserer Heimat einen Konsens finden, der nicht nur uns, sondern auch den Menschen östlich
der Oder-Neiße-Linie gerecht wird und von ihnen mit getragen wird.
Abschließend ist auch zu bedenken, daß mit der Übergabe der Kirchenbücher auch die
Verantwortung für diese Bücher übergeben wird. Wir sollten dies mit vollem Vertrauen in
die Personen, die sie übernehmen, tun und davon überzeugt sein, daß dieses Vertrauen
keine Einbahnstraße ist oder nur in einem Umfang, in dem auch wir nicht vertrauenswürdig
sind. Das wär's für heute.
Robert Laack. eMail: HRLaack@t-online.de
Hallo Robert,
heute las ich im Ostpreußenblatt, daß wohl die kath.Kirche nach dem Prinzip verfährt,
Kirchenbücher an ihren Ursprungsort zu geben. Es war eine Kritik von Erika Steinbach
gedruckt, die wohl die Sachlage sehr gut trifft. In Regenburg bleiben gefilmte
Kopien.
Bei Deiner Lebenserfahrung glaube ich gerne, daß Vertrauen eine gute Grundlage ist.
Normalerweise bin ich auch erstmal vertrauensvoll. Hier ist die Sachlage aber etwas
anders, weil wir es mit politischen Strömungen in Polen zu tun haben, die
reaktionär sind und unserem Anliegen nicht dienlich sein können. Daß die
Kirchendokumente nach Polen gegeben werden, ohne unsere Anliegen gehört und in
Erwägung gezogen zu haben, ist für uns eine Ohrfeige. Wir sind der Meinung, daß
vorher einiges aufgearbeitet werden muß. Die polnische Seite handelt meiner Ansicht
nach etwas schlitzohrig, indem sie auch EU-Richtlinien umgehen möchte (Grundstückserwerb
z.B.) und sich einseitig EU-Vorteile verschaffen möchte, ohne ernsthaft Freundschaft mit
uns ins Auge zu fassen. Das heißt nicht, daß private Kontakte trotzdem gut und herzlich
sind. Es handelt sich um Politik. Und da mischt die katholische Kirche heftig mit.
Beate Kappelhoff, Salzbergen, 2001-09-28 im Ostpreußen-Forum.
Briefe an die Herausgeber
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8. 10. 2001
Kirchengut, nicht Kulturgut
Der Brief von Leser Hartmut Koschyk, MdB, Zweifelhafter Umgang mit
Kirchenbüchern (F.A.Z. vom 27. September) zur Übergabe von 3661 historischen
Kirchenbüchern aus Bistümern, die heute sämtlich zu Polen gehören, an ihre
Ursprungsorte gibt wesentliche Tatsachen nicht richtig wieder: Nur ein kleiner Teil der
Kirchenbücher stammt aus Diözesen, die in den deutschen Grenzen von 1937 lagen, oder aus
dem Bistum Danzig. Der weitaus überwiegende Teil stammt aus den schon damals polnischen
Ursprungsbistümern Gnesen, Kulm, Plock oder Wloclawek; sie spiegeln also mindestens
ebenso polnische wie deutsche Kirchengeschichte wider. Die Kirchenbücher wurden auch
nicht von vertriebenen oder geflüchteten katholischen Gemeindemitgliedern
gerettet. Sie waren vielmehr infolge einer deutschen Beschlagnahmeaktion im
Rahmen der nationalsozialistischen Rassenpolitik nach Westdeutschland gelangt und wurden
von den Alliierten in die Obhut der Kirchen gegeben.
Das Kirchenrecht sieht die Aufbewahrung der Kirchenbücher in den betreffenden Gemeinden
und Diözesen, die ja nicht aufgelöst worden sind, vor. So sind zum Beispiel die
katholischen Kirchenbücher Schlesiens eine weitaus größere Zahl als die jetzt in
Rede stehende dort verblieben. Das Recht der katholischen Weltkirche kennt in dem
Sinne keine deutschen oder polnischen Kirchenbücher, sondern nur
die Bücher einer bestimmten kanonisch errichteten Pfarrei. Davon zeugen im übrigen
gerade die Kirchenbücher hier in Mecklenburg, die für die Vorkriegszeit Tausende
Taufeintragungen von Kindern polnischer Erntearbeiter aufweisen. Überdies würdigen die
Kritiker leider nicht, daß es nach der Übergabevereinbarung gerade keine langen Wege und
komplizierten Verfahren geben soll. Die polnischen Diözesen sagen sachkundiges Personal,
kurze Bearbeitungszeiten und das Zugangsrecht deutscher Archivbenutzer zu.
Zudem unterstreicht der Vertrag unter Zustimmung beider Regierungen , daß es
sich bei den Kirchenbüchern gerade nicht um Kulturgut, sondern um Kirchengut handelt. Die
streitigen Fragen hinsichtlich der profanen Archivalien werden also weder berührt noch
gar präjudiziert. Die Kirche hat hier von ihrem Selbstbestimmungsrecht Gebrauch gemacht.
Der Vertrag ist von dem Willen zu Zusammenarbeit und gegenseitigem Vertrauen bestimmt.
Vielleicht ist er damit sogar stilbildend bei Verhandlungen über Kulturgüter, was man
angesichts manch kleinlicher Kritik nur wünschen muß.
Matthias Crone, Erzbischöfliches Amt Schwerin
Briefe an die Herausgeber,
FAZ 9. 10. 2001
Das letzte Stück Heimat
Zum Artikel D steht für Danzig 3661 Kirchenbücher sollen
nach Polen zurück (FAZ. vom 17. September): Da ich im Ausland lebe, erfuhr
ich erst jetzt durch unsere ostpreußische Ahnenforschung-Internet-Mailing
List von der Übergabe der katholischen Kirchenbücher aus den Ostgebieten an Polen.
Nahezu alle Deutschen aus den Ostgebieten leben im Westen. Was will Polen denn mit
Kirchenbüchern, zu denen das Volk keinerlei Beziehung hat? Wir sollen uns mit den Filmen
begnügen, und Polen bekommt die Originale das ist ja wohl ein Witz der
Weltgeschichte. Es sollte doch wohl umgekehrt sein.
Die katholische Kirche meint, daß die Kirchen noch am Ort sind nur die Menschen
sind weg. Sind denn Gebäude aus Stein wichtiger als die Menschen, deren Vergangenheit
diese Bücher aufzeigen? Auch das Zugangsrecht deutscher Archivbenutzer ist
gewährleistet so lese ich im Artikel. In unserer ostpreußischen
Internet-Mailing List fehlt es nicht an Beispielen, wie das in Wirklichkeit
aussieht, wenn man an polnische Archive schreibt (hohe Gebühren, Abschriften in
polnischer Sprache verfaßt, Anfragen, die unbeantwortet bleiben). Schon unsereins hat
Schwierigkeiten mit dem Lesen der alten deutschen Schrift was denken Sie denn,
welchen Genauigkeitswert eine in Polnisch geschriebene Kopie eines alten deutschen
Kirchenbucheintrages haben wird? Wir Flüchtlinge aus den Ostgebieten haben alles verloren
jetzt wird uns noch das letzte Stück Heimat und Vergangenheit weggenommen.
Wie kann man die über zehn Millionen Flüchtlinge und ihre Nachkommen so einfach
über den Tisch ziehen?
Ich vermute, daß keiner der Bischöfe, die dies ausgebrütet haben, das
Flüchtlingsschicksal miterlebt hat.
Dr. Elke Hedstrom, Garland, Texas
Briefe an die Herausgeber
FAZ vom 16. 10. 2001
Was ist mit dem Selbstbestimmungsrecht der Gläubigen?
Die Zuschrift von Matthias Crone vom Erzbischöflichen Amt Schwerin
Kirchengut, nicht Kulturgut (F.A.Z. vom 8. Oktober) ist in ihrer
menschenverachtenden Kälte bestürzend. Sie übertrifft die Gefühlskälte Kardinal Karl
Lehmanns noch um einiges. Für mich ist es unverständlich, daß sich die verschiedenen
ostdeutschen Visitatoren nicht lautstark protestierend zu Wort gemeldet haben. Oder sollte
der Protest von Bischof Gerhard Pieschl für alle gegolten haben? Etwas wenig scheint mir
das doch zu sein. Durch Roms Anweisung sind diese Visitatoren schon zu einfachen Zuhörern
in der deutschen Bischofskonferenz erniedrigt worden. Kardinal Lehmann, sonst bekannt als
streitbarer Seelenhirte, hat hier die Rom-Weisungen offensichtlich abgenickt. Leser Crone
schreibt, nicht um Kulturgut, sondern um Kirchengut handele es sich. Vielleicht liefert er
seine Definition von Kultur nach. Warum sind die Kirchenbücher zum Beispiel in Schlesien
verblieben? Weil sich niemand vorstellen konnte, daß dieses ostdeutsche Land durch
Vertreibung seiner deutschen Menschen in Niederschlesien total leergefegt und auch die
ostdeutsche Priesterschaft von ihren polnischen Amtsbrüdern hinausgeworfen wurde. Man
muß zustimmen. Die Bistümer sind geblieben, nur ohne die sie tragende Bevölkerung. Die
Kirche hat von ihrem Selbstbestimmungsrecht Gebrauch gemacht. Wann wird sie
sich zum Selbstbestimmungsrecht ihrer Gläubigen bekennen? Oder ist das für
Ostdeutschland nicht opportun, weil es beispielsweise in Niederschlesien nur 30 Prozent
Katholiken und 70 Prozent protestantische Häretiker gab, wie der Breslauer Kardinal
Henryk Gulbinowicz zu sagen beliebt.
Wie soll eine gute Nachbarschaft zwischen Deutschen und Polen gedeihen, wenn
polnischerseits immer wieder dagegen opponiert wird? Wann wird Kardinal Jozef Glemp
verlangen, daß die Kirchenglocken, die während des Krieges entfernt wurden und heute oft
in katholischen Kirchen im Westen für die vertriebenen Ostdeutschen läuten, an die
Ursprungskirchen zurückzugeben sind?
Herbert Gröger, Buxheim
Briefe an den Herausgeber,
FAZ 22. 10. 2001
Geregeltes Eigentum evangelischer Kirchenbücher
Zum Artikel D steht für Danzig (F.A.Z. vom
17. September):
Die Diskussion auf dem 72. Deutschen Archivtag in Cottbus und Anfragen im Evangelischen
Zentralarchiv in Berlin, ob die evangelische Kirche dem Beispiel der katholischen Kirche
folgen werde und die von ihr verwahrten Kirchenbücher aus den historischen deutschen
Ostgebieten an polnische Einrichtungen abgeben werde, veranlassen mich, noch einmal die
Stellung der evangelischen Kirche darzustellen: In der evangelischen Kirche ist die
Kirchengemeinde Eigentümerin ihrer Kirchenbücher. Sie ist eine Körperschaft des
öffentlichen Rechts.
Die evangelischen Kirchengemeinden in den östlich von Oder und Neiße gelegenen
Kirchenprovinzen der damaligen Evangelischen Kirche der altpreußischen Union sind durch
die Vertreibung der Gemeindeglieder untergegangen. Mit Ausnahme der Kirchenprovinzen
Pommern und Schlesien sind auch die dort gelegenen Kirchenprovinzen mit ihren
Leitungsorganen untergegangen, so daß die Landeskirche, die damalige Evangelische Kirche
der altpreußischen Union, die Rechtsnachfolgerin des Eigentum der Kirchengemeinden
geworden ist. Für die Evangelische Kirche der Union, der Rechtsnachfolgerin der
Evangelischen Kirche der altpreußischen Union, hat das Kammergericht in Berlin 1910 (Tippfehler??ML)
dies für das in der Bundesrepublik gelegene Eigentum der untergegangenen Gemeinden
festgestellt, Damit ist das Eigentum an diesen Kirchenbüchern in der Bundesrepublik
Deutschland eindeutig geregelt, so daß keine Ansprüche auf sie erhoben werden
können, wie es die Konferenz der polnischen katholischen Bischöfe für die 3361
nicht 3661 Kirchenbücher getan hat, die derzeit im Bischöflichen
Zentralarchiv Regensburg aufbewahrt werden.
Auf dem Archivtag in Cottbus wies Dr. Michael Silagi vom Institut für
Völkerrecht der Universität Göttingen darauf hin, daß nach der Staatennachfolgekonvention
von 1983, die allerdings bisher nur von fünf Staaten angenommen wurde und
deshalb noch nicht in Kraft getreten ist, bei der Vertreibung der Mehrheit der
Bevölkerung das Territorialprinzip für Archivgut durch das personale Herkunftsprinzip
ersetzt wird. Er kam zu der Schlußfolgerung, daß nach dieser völkerrechtlichen
Auffassung die Einrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland das Recht haben, von Polen
die Herausgabe des von deutschen Einrichtungen stammenden Archivgutes zu verlangen.
Dr. Hartmut Sander, Evangelisches Zentralarchiv, Berlin
Andrea Roth, A.roth@DBK.DE
2001-10-23-16:57
Sehr geehrter Herr Sobe,
im Auftrag von Kardinal Lehmann danke ich Ihnen für Ihr elektronisch übermitteltes
Schreiben vom 18. September 2001, das mir zur Beantwortung zugeleitet worden ist.
Den Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 17. September 2001 kann ich inhaltlich
in weiten Teilen bestätigen. Ihre Vorbehalte und Besorgnisse, die Sie im Hinblick auf die
Übergabe von über 3.000 Kirchenbüchern an Diözesen hegen, die allesamt auf heute
polnischem Staatsgebiet liegen, lassen sich bei Würdigung aller Gesichtspunkte
möglicherweise ausräumen.
Da wäre erstens auf die häufig vertretene Auffassung einzugehen, die fraglichen
Kirchenbücher seien von katholischen Gemeindemitgliedern gerettet worden, die sich zur
Flucht gezwungen sahen oder Opfer der Vertreibung wurden. Tatsächlich stammen alle
Bücher, die nunmehr in ihre Herkunftsgebiete zurückkehren werden, aus einer
Beschlagnahmeaktion der Kreisverwaltungen des Deutschen Reiches, die diese während des
Zweiten Weltkrieges im Interesse des Reichssippenhauptamtes durchgeführt haben.
Im Mai 1945 waren diese Bücher in teilweise erheblich beschädigtem Zustand von
alliierten Kulturoffizieren in einem Salzbergwerk gefunden und beschlagnahmt worden. Seit
bereits fast 10 Jahren ist dies in einer Veröffentlichung des Leiters des Bischöflichen
Zentralarchivs Regensburg nachzulesen.
Nur ein kleiner Teil der Bücher stammt zweitens aus Diözesen, die vor dem Zweiten
Weltkrieg in den Grenzen des Deutschen Reiches gelegen haben, oder aus der Diözese
Danzig. Überwiegend stammen sie aus damals zu Polen gehörenden Bistümern wie Gnesen,
Kulm, Plozk oder Wlozlawek.
Kirchenbücher gehören drittens nach dem kanonischen Recht nicht einer bestimmten Nation
oder Volksgruppe, sondern allein der katholischen Kirche, deren wechselvolle Geschichte
sie widerspiegeln. Kirchenbücher sind Kirchengut, und Kirchengut unterliegt
grundsätzlich dem Herkunftsprinzip. Die Bereitschaft zur Respektierung dieses
Sachverhalts durch beide Regierungen war die entscheidende Voraussetzung für die
Übergabe.
Trotz dieser Erwägungen gibt es einen Zusammenhang mit dem Schicksal, das Millionen
Deutsche durch Flucht und Vertreibung erlitten haben. Als die Alliierten die
Kirchenbücher 1947 in die Obhut der Kirche im Westen Deutschlands gaben, da bedeuteten
diese für den Teil der Vertriebenen, die aus den Herkunftsgebieten der Bücher stammen,
eine große Hilfe angesichts der Notwendigkeit, vor den Behörden die erforderlichen
Nachweise über Verwandtschafts- und daraus folgende Rechtsverhältnisse zu führen. Die
Rücksichtnahme auf diese Bedürfnisse der Menschen ist der wesentliche Grund, warum die
katholische Kirche dem im Kanonischen Recht verankerten Herkunftsprinzip nicht bereits
1947 Rechnung getragen hat. Hinzu trat bis 1989 die Sorge, daß der kommunistische
polnische Staat das Selbstbestimmungs- bzw. Selbstorganisationsrecht der katholischen
Kirche, von dem sie nunmehr Gebrauch macht, möglicherweise nicht respektieren und die
weitere Nutzung der Bücher von deutscher Seite nicht gewährleisten würde.
Neben der Festlegung einer kirchlichen Archivierung auf diözesaner Ebene beinhaltet der
am 17. September von Kardinal Lehmann und Kardinal Glemp unterzeichnete Übergabevertrag
eine bis ins Detail gehende Regelung des weiteren deutschen Zugangs- und Nutzungsrechtes.
Damit trägt der Übergabevertrag dem Umstand Rechnung, daß auch nach nunmehr über fünf
Jahrzehnten was bei urkundlichen Nachweisen der Fall sein kann mitunter noch
die Originale selbst konsultiert werden müssen. Die weit überwiegende Anzahl der
jährlich im Bischöflichen Zentralarchiv Regensburg noch eingehenden Anfragen indessen
wird dank der dort vorliegenden Kopien auch nach der Abgabe der Kirchenbücher weiterhin
von dort aus abschließend beantwortet werden können.
Mit freundlichen Grüßen
i. A. Helmut Wiesmann
Zentralstelle Weltkirche, Deutsche Bischofskonferenz
Kaiserstr. 163
53113 Bonn
Tel.: + 49 - 228 - 103 293
Fax: + 49 - 228 - 103 335
e-mail: zsweltkirche@dbk.de
(verbreitet durch das Ostpreußen-Forum 2001-10-24)