ZUSAMMENFASSUNG DER TAGUNGSERGEBNISSE
(Dr. Ortfried Kotzian)
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Der Mährische Ausgleich ist als historisches Phänomen der Nationalitäten- oder
Minderheitenpolitik in seinem historischen Kontext zu erforschen und zu bewerten.
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Sein historischer Wert besteht darin, daß er praktizierter Ausgangspunkt eines modernen
europäischen Volksgruppen- und Minderheitenrechtes war.
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Der Wert des Mährischen Ausgleichs für die Gegenwart und Zukunft wird von seinen
Grundideen bestimmt:
Dem politischen Willen zwischen ethnischer Mehrheit und Minderheit eine gerechte
Beteiligung an den politischen Mitwirkungsmöglichkeiten sicherzustellen und diese für
beide Seiten so zu gestalten, daß sie längerfristig gesichert wird.
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Dahinter steht die zentrale Aufgabe des Staates oder Teilstaates mit multi-ethnischer
Bevölkerung, durch entsprechende Mechanismen das friedliche Zusammenleben der ethnischen
Gruppen zu konstituieren oder wieder herzustellen.
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Die hierfür vom Mährischen Ausgleich und der Südtiroler Autonomieregelung
bereitgestellten grundlegenden politischen Mechanismen sind
die Territorialautonomie
die Personal- oder Kulturautonomie und
die Lokalautonomie
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Zentrales Bestreben des Selbstverwaltungssystems ist die Sicherung der Existenz einer
Volksgruppe (ethnischen Gruppe) unabhängig von ihrer Zahl und ihrem kulturellen
Aggregatzustand (sozial unterprivilegiert, teilassimiliert, von Sprachverlust bedroht oder
wirtschaftlich dominant).
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Alle Regelungen zur Sicherung der Existenz einer oder mehrerer Volksgruppen sind jedoch
nur möglich, wenn sich diese auf einem bestimmbaren Territorium befinden. Vertreibungs-
und Deportätionsmaßnahmen entziehen daher allen Autonornieregelungen die Grundlage und
sind als Mittel der nationalistischen Politik
nicht nur abzulehnen, sondern als das zu kennzeichnen, was sie sind: Verbrechen gegen das
Völkerrecht und die Menschheit.
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Aus diesem Grunde sind Bevölkerungsverschiebungen als konfliktlösende Maßnahmen
grundsätzlich abzulehnen.
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Die Regelungen des Mährischen Ausgleiches betrafen die Bereiche
politische Repräsentanz (Regierung)
politische Organisation (Parlament)
Sprachengebrauch (Landes- und Amtssprache)
Schule und Schulsystem
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Eine Beteiligung ethnischer Gruppen an der Regierung ist grundsätzlich zu begrüßen,
auch wenn sie auf freiwilliger Basis stattfindet und nicht durch politische Vorgaben (wie
etwa in der Verfassung im Kosovo) erzwungen wird.
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Die Möglichkeit der Differenzierung eines Parlamentes in Kammern oder Kurien sollte in
der Gegenwart stärker in Verbindung mit Personalautonomie in das politische
Konfliktlösungsprogramm internationaler Gemeinschaften einbezogen werden. Durch die
erreichte vorübergehende Trennung der ethnischen Gruppen im Parlament würde die Angst
vor Überstimmung (Majorisierung) entfallen (Nordirland, Kosovo).
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Kuriensysteme müssen immer auf das Konkordanzprinzip ausgerichtet sein, d. h. die
Übereinstimmung in Gesetzgebungsverfahren erzwingen.
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Der Sprachengebrauch bei Behörden ist großzügig und im Sinne positiver Diskriminierung
zu gestalten. Mehrsprachigkeit sollte als Bereicherung auch des politischen Lebens
betrachtet werden. Sprache darf im öffentlichen Leben (Medien etc) nicht Kampfinstrument
nationalistischer Ideologien sein, sondern muß als Kommunikationsmittel eine Rolle im
politischen Leben spielen.
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im Schulwesen sind alle pädagogisch sinnvollen Möglichkeiten zur Existenzsicherung einer
Volksgruppe auszuloten und zu organisieren. Hierbei sind grundlegende pädagogische
Erkenntnisse über den Spracherwerb des Kindes zu berücksichtigen. Entscheidend ist für
den Erwerb der Zweitsprache eine gute Basis in der Muttersprache, welche in diesem Falle
die Ausgangssprache darstellt.