GEDENKVERANSTALTUNG AUSSIGER MASSAKER
Der Gewalt gewichen
VON DANIEL BRÖSSLER
50 Jahre danach ist die Aussöhnung zwischen Deutschen und Tschechen immer noch schwierig. Dies zeigt sich auch zum 50. Jahrestag des Massakers von Aussig.
Seit 15 Jahren beschäftigt den Stadtarchivar der nordböhmischen Stadt Aussig (Usti nad Labem), Vladimir Kaiser, immer wieder ein einziger Tag in der Geschichte seiner Heimat: der 31. Juli 1945.
Nach Darstellung sudetendeutscher Publizisten sind an diesem Tag 2000 Deutsche aus Aussig bei einem organisierten Massaker umgebracht worden. Glaubt man Tschechen aus dem nationalen Lager, so sind sechs Menschen nach einem deutschen Sabotageakt spontaner Empörung der Bevölkerung zum Opfer gefallen. Kaiser glaubt beiden nicht.
Jahrelang recherchierte der tschechische Historiker, was an diesem Nachkriegstag in Aussig geschah. Seine Ergebnisse wollte er nun zum 50. Jahrestag der blutigen Ereignisse vor einer Gruppe interessierter Tschechen und Deutscher vortragen. Doch daraus wurde nichts. Der Klub des tschechischen Grenzgebietes, eine unheilige Allianz aus rechtsradikalen Republikanern und Altkommunisten, hatte angekündigt, alle Gedenkveranstaltungen zu stören. Der deutsche Kulturverband sagte die Veranstaltung ab, die Drohungen wurden erstgenommen.

Kaiser rekonstruiert den Tag so: Nach der wahrscheinlich inszenierten und dann den Deutschen in die Schuhe geschobenen Explosion der Munitionsfabrik trieben nicht aus Aussig stammende „Revolutionsgarden“ die mit einer weißen Armbinde gekennzeichneten Deutschen zusammen und schlugen mit Zaunlatten und Brechstangen wahllos auf sie ein. Viele wurden schließlich von der Beneš-Brücke in die Elbe gestoßen.

Dabei sind, so schätzt Kaiser, rund 80 bis 100 Menschen ums Leben, gekommen. Für sudetendeutsche Angaben, 2000 Menschen seien gestorben, fand er keine Belege.

Kaum zufällig fiel das Aussiger Massaker mit der Konferenz der Siegermächte in Potsdam zusammen. Es sollte, glaubt Kaiser, gezeigt werden, daß Tschechen und Deutsche nicht zusammenleben können. Am 2. August 1945 verankerten die Alliierten im „Potsdamer Abkommen“ die Ausweisung der deutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei, Polen und Ungarn. 3,5 Millionen Deutsche mußten die Tschechoslowakei verlassen.

Jahrelang Tabuthema
Gerade mal 23 Prozent aller Tschechen sind einer Meinungsumfrage zufolge für einen Dialog mit den früheren Mitbürgern. Das liegt zum einen an der jahrzehntelangen Tabuisierung des Themas zu kommunistischen Zeiten, zum anderen aber auch an der unerbittlichen Haltung vieler Sudetendeutscher. In Tschechien herrscht der Eindruck, jene erinnerten zwar lautstark an ihre Vertreibung, aber kaum an die 360 000 tschechoslowakischen Opfer der Besatzung durch Nazi-Deutschland und die Rolle sudetendeutscher Funktionäre bei der Zerschlagung der Tschechoslowakei im Jahr 1938. (dpa)

Wiedergegeben nach einem Zeitungsausschnitt HNA175 S. 4 1995-07-03
ML 2004-01-04

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