Nicht alle Tschechen verehren Bene
Zum Leserbrief Der geschätzte Dr. Bene meiner Landsmännin Frau Tachovská-Vestman (F.A.Z. vom 17. März 2004) möchte ich mit Nachdruck feststellen, daß nicht alle Tschechen so denken wie sie. Daß sie offensichtlich unter mangelnden Geschichtskenntnissen leidet, ist wohl das bekannte, traurige Erbe der vierzigjährigen kommunistischen, auf Desinformation, Halbwahrheiten und Lügen gegründeten Propaganda, die bei vielen Menschen in der Tschechischen Republik bis heute Früchte trägt. Das werfe ich ihr nicht vor, um so mehr aber den unversöhnlichen Ton ihres Briefes.
Dr. Edvard Bene, dessen sicher vorhandene Verdienste
Frau Tachovská-Vestman nicht zu konkretisieren wußte, gehörte von Anfang an zu den
Anhängern und Funktionären der ersten (aber nicht letzten) europäischen Partei, die die
nationale mit der sozialistischen Idee verband und die entsprechend auch so hieß:
Nationalsozialistische Partei (Národne-socialistická strana). Als tschechoslowakischer
Präsident hat Bene während seiner insgesamt sechsjährigen Amtszeit zweimal
widerstandslos vor dem Druck der totalitären Mächte gekuscht: im Oktober 1938 und im Februar 1948.
In Europa gab es Staatsoberhäupter, die in einer vergleichbaren Lage würdevoller
reagierten. Das fluchtartige Verlassen des ihm anvertrauten Landes im Herbst 1938,
nicht erst nach Hitlers Einmarsch im März 1939 stürzte das Land ins politische
Chaos (und beschleunigte die verheerende Entwicklung des Landes in den nächsten sechs
Jahren), wirkte auf ehrliche Tschechen wie ein Verrat und brachte Hunderttausende von
ihnen auch einen so überzeugten Demokraten, wie es mein Vater gewesen war
auf den Weg zum Kommunismus.
Bene hat sich schon vor dem Krieg als Außenminister der Tschechoslowakei oft für die Lösung der Probleme mit unseren Deutschen ausgesprochen. 1943 besuchte Bese Stalin und verkaufte ihm die Tschechoslowakei für dessen Zusage, daß Moskau nach dem gewonnenen Krieg die Vertreibung der Sudetendeutschen unterstützen würde. Von London aus zog Bene in den tschechischen Sendungen des Londoner Radios nicht nur gegen Hitler und die Nazis zu Felde: Er hat gegen alle Deutschen gehetzt und zur Vergeltung aufgerufen und damit den Weg für die bestialische Abrechnung durch zweifelhafte Rächerbanden vorbereitet, deren Toben 1945 monatelang von keiner Regierungsstelle gebremst wurde und die ein Jahr später durch die bekannten Dekrete straffrei gesprochen wurden. Daß man sich durch die Vertreibung der Sudetendeutschen des Völkermordes schuldig gemacht und sich so auf die gleiche Stufe mit dem verbrecherischen Hitler-Regime gestellt hat, hört man in der Tschechischen Republik nicht gerne. Aber es ist eine historische Tatsache und einer der Schuldigen heißt Bene egal wie er sich sonst um die Republik verdient gemacht hatte.
In einem Punkt stimme ich Frau Tachovska-Vestman zu: Der sudetendeutsch-tschechische
Konflikt fängt nicht erst 1945 an. Allerdings auch nicht 1938, wie sie meint, sondern mit
der Gründung der Tschechoslowakei am 28. Oktober 1918.
In dieser Gründerzeit nämlich haben die von Bene maßgebend
beeinflußten verfassunggebenden Organe die einmalige Chance verpaßt, den neu
entstehenden Staat auf eine föderative Grundlage zu stellen. Das, was die Tschechen in
der k.u.k. Monarchie jahrzehntelang für sich selbst beansprucht hatten eine
Autonomie innerhalb des Kaiserreiches , vermochten sie jetzt den vielen Völkern
ihres künstlich gebildeten Staates nicht zu gewähren. Das war ein riesiger Fehler, der
mit dem für solche Lösungen noch nicht reifen Zeitgeist erklärt werden kann, was aber
nichts daran ändert, daß er eine verheerende Wirkung haben sollte.
Daß man nämlich den fast vier Millionen Deutschen quasi über Nacht das Tschechische als Amtssprache überstülpte (nachdem sie jahrhundertelang in den k.u.k.-Ämtern wie selbstverständlich ihre Muttersprache benutzen konnten), daß in die sudetendeutschen Gebiete massenweise tschechische Gendarmen, Verwaltungsbeamte und Lehrer kamen, daß an jeder Volksschule in den deutschen Siedlungsgebieten eine tschechische Klasse einzurichten war und vieles mehr das brachte böses Blut mit sich, das trieb Keile zwischen die zwei seit sieben Jahrhunderten friedlich neben- und miteinander lebenden Völker. Das war der beste Nährboden für Hitlers Rattenfänger: Die meisten Sudetendeutschen folgten ihnen allerdings nicht aus politischer Überzeugung, sondern, weil sie sich von Hitler eine Verbesserung ihrer Lebensqualität versprachen.
So wurden das Münchner-Abkommen von 1938 und der spätere Zerfall des Staates durch die unsensible, von Bene maßgebend mitgeprägte Nationalitäten-Politik der Prager Regierungen mitverschuldet. Nicht nur die Sudetendeutschen, auch die anderen Minderheiten, denen die Autonomie verweigert wurde Slowaken, Polen, Ungarn , nutzten die Chance und kehrten dem gemeinsamen Staat den Rücken. In gewissem Maße war auch die tschecho-slowakische Trennung von 1993 eine verspätete Folge dieser verfehlten Vorkriegspolitik.
Und noch etwas möchte ich Frau Tachovská-Vestman, die von Hypokrisie der
Sudetendeutschen spricht, mitteilen:
Ich kenne persönlich viele Sudetendeutsche. Alle haben 1945 ihr ganzes Vermögen und oft
auf eine grauenvolle Art und Weise nächste Verwandte verloren. Alle pflegen Kontakte zur
alten Heimat, sind mit Tschechen befreundet, die in ihren Elternhäusern wohnen. Alle
leisten finanzielle Unterstützung für den Wiederaufbau von Kirchen, Klöstern und
Denkmälern in ihren Heimatorten. Keiner von ihnen will zu rückkehren oder sein Vermögen
zurückhaben. Was nicht heißt, daß es doch einige gibt, die das wollen. Doch das ist
eine absolute Minderheit, auch wenn diese von bestimmten Kreisen in der Tschechischen
Republik verhältnismäßig oft zitiert wird.
Aber alle Sudetendeutschen wünschen sich, ohne es laut zu verkünden, daß ihr Leid
endlich auch in der Tschechischen Republik offiziell anerkannt wird; und sie sind maßlos
enttäuscht, wenn das tschechische Parlament diese Anerkennung nicht den Opfern, sondern
ausgerechnet einem der Täter ausspricht.
Vojtech Terber, Wiehl. Leserbrief in der FAZ 2004-04-10
Wer kann mir den Brief der Frau Tachovská-Vestman zutragen, auf den Herr Terber sich bezieht?
ML 2004-05-19