Drei Festungen der tschechischen Gesellschaft.

Franz Chocholatý Gröger Bc.

Die tschechische Gesellschaft manifestiert ihre unterdrückten Sehnsüchte durch einen irgendwie gemachten Umweg als ein Surrogat: durch die Rückwendung zum deutschfeindlichen Nationalismus und Chauvinismus: Unter ausgiebiger Hilfe seitens bewußt manipulierender Politiker und Journalisten hat sich die tschechische Schizophrenie in drei Festungen eingeigelt:

  1. die Festung Edvard Beneš und seine „unverletzlichen Dekrete“,
  2. die Festung der Unzulässigkeit einer „Revision der Ergebnisse des zweiten Weltkriegs“,
  3. die Festung des bedingungslosen Fortbestandes der „Potsdamer Vereinbarungen“.
  1. Die untere Parlamentskammer hat am Dienstag mit 118 Stimmen von 183 anwesenden Abgeordneten ein Gesetz verabschiedet, das einen einzigen Satz beinhaltet: „Edvard Beneš hat sich um den Staat verdient gemacht“.
    Die Parlamentarier zeichnen einen Mann aus, der dem Tschechischen Volke die über vierzig Jahren lange Knechtschaft des Kommunismus gebracht hat.
    Wie einerseits die sogenannten Beneš-Dekrete, so haben auch die geopolitischen Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs direkt die Sowjetisierung und die Kommunistische Unterdrückung Mitteleuropas bewirkt, und dies sowohl im innenpolitischen (Nationalisierungsdekrete, Dekret über die Betriebsräte u.a.) als auch im außenpolitischen Bereich.
    Zielbewußt bekennt Beneš sich von Ferne zu J. W. Stalin als dem „mächtigen Beschützer der Interessen des Slaventums“.
    Am 5. März sind es genau 58 Jahre her gewesen, daß es zu Ereignissen kam, welche den Rest des Jahrhunderts kennzeichneten: Churchills Rede in Fulton, wo erstmals die Metapher vom „Eisernen Vorhang“ benutzt wurde, die wiederum den Kalten Krieg durchstartete. Churchill wußte – zum allermindesten mit zweijährigem Vorsprung gegenüber Edvar Beneš und Jan Masaryk – was er sagte. Gerade die Zielsetzung einer Absicherung der Sicherheitslage der Tschechoslowakei endigte mit einem totalen Mißerfolg. Die slawische Großmacht, die Sowjetunion, in deren Abhängigkeit sich die erneuerte Republik mit einer derartigen Begeisterung hineinwarf, daß sie sie schütze, begann sich schon bald als künftiger Aggressor zu zeigen. Andererseits wurde aus dem gefürchteten Deutschland ein demokratischer Staat, dessen Aggressivität gleich Null ist – was Tschechen bis heute nicht ausreichend zur Kenntnis zu nehmen vermögen.
  2. Einer überwiegenden Mehrheit von uns erschien jene besondere Zeit vom Mai 1945 bis zum Februar 1948 als eine große Zeit demokratischer Entwicklung. Die hauptsächlichen Tatsachen waren jedoch bekannt und sind hart. Aus ihnen geht hervor, daß auf dem politischen Feld nach dem Kriege keineswegs die Demokratie errichtet wurde, sondern auch das autoritäre System der Nationalen Front und daß es auf wirtschaftlichem Gebiet zu Konfiskationen kam, welche aufgrund ihres ungeheuren Umfangs nichts Vergleichbares im gesamten damaligen Europa aufwiesen. Das außerordentliche Gerichtswesen, welches zur Bestrafung von Delikten während der Besatzungszeit eingeführt worden war, wurde mißbraucht und verhalf dazu, Gewalt hervorzurufen und abzusichern. Die Vertreibung der Sudetendeutschen war dann die Grundlage dieses besondere Prozesses, welcher die Funktion der Nationalen und Sozialen Revolution (oder tschechisch nationalsozialistischen Revolution) erfüllte. Wir sollten aber sehen, daß diese Tat gleichfalls eine tiefgreifende Erschütterung des demokratischen Systems bedeutete: Wenn es möglich ist, drei Millionen Bürgern auf der Grundlage ihrer ethnischen Zugehörigkeit sämtliches Eigentum und alle Bürgerrechte und -freiheiten zu entziehen, warum denn wäre es nach einer gewissen Zeit nicht auch möglich, dies bei anderen Bürgern so zu machen, diesmal aber unter dem Schlüsselbegriff der „Klassenmäßigkeit“?

  3. Sofern es sich hier um die Revision der Ergebnisse der Weltkriege handelt, wurden bereits bis zu einem gewissen Maße die Ergebnisse des Ersten Weltkrieges revidiert (Zerfall der Tschechoslowakei und Jugoslawiens) und ebenso des Zweiten (die UdSSR war genötigt, sich aus denjenigen Gebieten zurückzuziehen, welche sie danach besetzt hatte). Das ist doch natürlich: Zeiten unmittelbar nach großen kriegerischen Kataklysmen, welche von einer Unmenge Grausamkeiten begleitet waren, sind nicht gerade gut geeignet zur Installierung von Gerechtigkeit.
    Eine spätere Revision von Nachkriegsentscheidungen ist eine ganz natürliche Angelegenheit, sofern wir verhüten wollen, daß bestimmte Rechtlosigkeiten mit der Zeit zu bombastisch werden und somit zu weiteren blutigen Konflikten führen würden.
    Für das Erbe des Zweiten Weltkrieges kann heute eine einzige Logik gelten, nämlich den Weg der Milderung der Ergebnisse etlicher Unrechtstaten. Gerade diesen Weg müssen wir wählen. In diesem Sinne gehört die Erbschaft aus dem Zweiten Weltkrieg noch nicht in die Geschichte hinein.
  4. Und wie sieht dies mit dem so oft berufenen „Potsdam“ aus?
    Vor dem Ende des Zweites Weltkrieg äußerte sich eine ganze Rolle von Politikern darüber, was denn alles nach dem Krieg geschehen werde. Es war landläufige Meinung, daß die Schuld am Krieg dem ganzen Deutschen Volk angelastet wurde. Richter Jackson, der Hauptankläger im Nürnberger Prozeß, war glücklicherweise anderer Ansicht. Er wußte, daß die strafrechtliche Verantwortlichkeit eine individuelle Sache sei und lehnte daher eine Kollektivschuld ab. Verbrechen wurden auf eine Art und Weise abstraft, die alle, auch die Opfer, für gerecht halten konnten. Es ist unschwer vorstellbar, um wieviel schwieriger das Zusammenwirken der früheren Sieger und Besiegten geworden wäre, hätten Jackson und die übrigen Juristen nicht ihre Vorstellungen durchgesetzt.

Das Schicksal der deutschen Minderheit in Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn wurde entsprechend diesem Prinzip jedoch nicht gelöst. Und so wurde denn zur gleichen Zeit, als in Nürnberg Todesurteile wegen der Deportation von Bevölkerungen verhängt wurden, in Potsdam die Deportation der deutschen Bevölkerung zur Maßnahme der Sieger. Es ist kein Zufall, daß beide direkt anwesenden westlichen Teilnehmer der Verhandlungen (W. Churchill und H. Truman) die ersten waren, welche die Beschlüsse der Konferenz in Frage stellten. Trumans Äußerung vom Januar 1946, welche sich speziell mit dem Transfer der Deutschen befaße: „In Potsdam wurden wir vor eine fertige Sache gestellt und durch die Umstände dazu genötigt, ihr zuzustimmen. Es handelte sich um einen Akt willkürlicher Gewalt.“ ist mehr oder minder bekannt. Ebenso oft wird die nicht minder grimmige Distanzierung W. Churchills zitiert „Ich übernehme keinerlei Verantwortung für keinerlei Beschluß, zu welchem es in Potsdam gekommen ist…
Bei einer Tagung der meist deutschen Experten für das internationale Recht am Institut de Droit International (1952) war man mehrheitlich der Auffassung, die Passagen zur Vertreibung der Sudetendeutschen im Potsdamer Protokoll seien im Widerspruch zu Internationalem Recht.
Und heute: In der amerikanischen wie auch britischen Erklärung (26. Februar 1992) wird lediglich von einer „Entscheidung“ oder „Schlußfolgerungen“ aus Potsdam gesprochen, jedoch keineswegs von einem Vertrag oder von einem Abkommen, wie dies die Tschechen gewöhnlich tun. Falls es sich jedoch nicht um einen Vertrag handelt, dann kann man auch die Potsdamer „Entscheidungen“ leicht als einseitiges Diktat erklären oder in Zweifel ziehen.

Versuchen wir doch einmal, und von Emotionen freizuhalten.

Vom Gesichtspunkt heutiger Moralanschauung und entsprechendem Rechtsbewußtsein – und wir haben nichts anderes – ist jegliche Art von Kollektivstrafe auszuschließen. Aber die böhmischen, mährischen und schlesischen Deutschen sind kollektiv bestraft worden, und nicht einmal die Schuldigen wurden von den bloß geduldigen Zeugen getrennt. Und da rede ich noch gar nicht von den Frauen und Kindern, welche hingemordet worden sich beim sogenannten Wilden Abschub. Wir können nicht und dürfen uns auch nicht aus moralischen Grundsätzen selbst entlassen, zu denen die Welt nach schweren Erfahrungen gelangt ist.

Aus ihrer Sicht war die Vertreibung der Deutschen ein beispielloses Unrecht und ein Muster ethnischer Säuberung.

Die tschechische Regierung sollte die vertrieben Deutschen auf eine symbolische Art und Weise entschädigen.

Das Ziel wäre der gerechte Ausgleich, vor allem durch die Abschaffung der fraglichen Dekrete des Präsidenten der Republik aus dem Jahre 1945, die sich auf die Vertreibung beziehen oder diskriminierender Natur sind. Damit hängt auch die Problematik der Konfiskation, des Rechts auf Heimat und auf Selbstbestimmung zusammen.

Pardubitz 8. März 2004