KK 1146 vom 10. März 2002 Seite 16 und 17

Bücher und Medien

Pädagogischer Eros im wenig christlichen Alltag

Christa Braun: Abenteuer Brünn / Schuljahr 1995/96 Brno.
Erlebnisse eines deutschen
Lehrerehepaars

„Abenteuer Brünn“: Wer hier beim ersten Blick auf das Cover an einen Abenteuerurlaub denkt, der hat sich gründlich geirrt; eher paßt die mittelalterliche Bedeutung: auf aventiure gan, und das heißt neue, aber oft entbehrungsreiche, meist sogar gefährliche Situationen zu suchen und zu bestehen, um durch schmerzhafte Erfahrungen zu höherem mentalem und emotionalem Erleben und Wissen zu gelangen. Das Jahr als Deutschlehrer bzw. als Lektorin in Brünn, das Adolf Braun an einer christlichen Grundschule und Christa Braun am Bischöflichen Gymnasium geleistet haben, ist in diesem Sinne ein abenteuerliches Jahr gewesen.

Brünn, nur 125 km von Wien entfernt, schon Mitte des 13. Jahrhunderts von Wenzel I. mit süddeutschem (speziell: Iglauer) Stadtrecht ausgestattet und seitdem kultureller und ökonomischer Mittelpunkt einer deutschen Sprachinsel, Hauptstadt Mährens und der Bedeutung entsprechend mit großartigen sakralen und weltlichen Bauten in den Stilen der Gotik und Renaissance geschmückt, war schon immer eine expandierende Stadt, das industrielle Vorzeigeobjekt der Donaumonarchie mit 200000 Einwohnern, davon etwa 60 Prozent deutschsprachig und 40 Prozent tschechischsprach, deren Anteil sich durch Zuwanderung zu attraktiven Arbeitsplätzen ständig vergrößerte. Als die Brünner Tschechen, im vollen Bewußtsein der Rechtmäßigkeit ihres Vorgehens aufgrund der politischen Absichtserklärungen des Präsidenten Masaryk und direkt gestützt auf die Benesch-Dekrete, am Fronleichnamstag 1945 25000 Deutsche zu einem Marsch an die österreichische Grenze hetzten –  als „Brünner Todesmarsch“ in die Geschichte der Vertreibung eingegangen –‚ meinten sie, alle Deutschen aus ihrer Stadt vertrieben zu haben. Heute hat Brünn 400000 Einwohner in einer nach tschechischer Lesart rein tschechischen Stadt. Doch da sind nach der Wende allmählich wieder Deutsche, meist Sudetendeutsche, als Reisegruppen, aber auch Deutschstämmige, die bisher mehr oder weniger entrechtet in einfachen Berufen gearbeitet hatten oder in sogenannten Mischfamilien bei Verbot der deutschen Sprache lebten, aufgetaucht und verwenden zaghaft die deutsche Sprache wieder.

Brauns haben sich ausgiebig mit der Geschichte des böhmisch-mährischen Raumes seit 1918 befaßt, und dabei mußten sie immer mehr feststellen, daß da auf beiden Seiten, in der deutschen wie in der tschechischen Geschichtsschreibung, nicht alles geschrieben werden durfte, was man insgeheim aber denken zu können glaubte. Vorsichtig ausgedrückt: Es gibt Tabus zu beachten: über Sudetendeutsche und ihr Heimatrecht, über die Vertreibung, über Kollaboration während des Protektorats, über die Zeit des Kommunismus und leider auch des sogenannten Postkommunismus. Diese Tabus hat Christa Braun in zwei ganz wichtigen Kapiteln behutsam, immer auf Quellen gestützt, zu analysieren unternommen.

Brauns kannten von verschiedenen Ausflügen her die Heimat Adolf Brauns, das Egerland, und auch Brünn, sie waren sogar bei der Einweihung des Mahnmals zum Gedenken an den Brünner Todesmarsch dabei. Während der Messe, von einem jungen tschechischen Priester zelebriert, lernten sie eine Stadträtin aus Stuttgart kennen, die Frau Brauns spontanen Wunsch, hier in Brünn wie zuvor in Oberschlesien Deutsch zu unterrichten, schnell in die Tat umsetzen konnte, und so fanden sich für beide Ehegatten, inzwischen pensioniert, die obengenannten Stellen der Beginn des „Abenteuers Brünn“.

Ihre Ziele haben sie so formuliert: „Wir wollten tatkräftig mithelfen, einerseits Brücken zu bauen zwischen Tschechen und Deutschen, andererseits aber auf verträgliche Art von der Wahrheit zu sprechen.“ Sie wollten mit vielen Menschen in Kontakt kommen, ihre Sicht der Geschichte hören und natürlich Deutschunterricht erteilen. Diese Ziele umzusetzen, ist dem Ehepaar Braun sogar gelungen, und davon handelt der größte Teil des Buches.

Beeindruckend sind die Schilderungen von Begegnungen mit aufgeschlossenen älteren tschechischen Ehepaaren und mit jüngeren Kollegen, als diese merkten, was da an der Bischöflichen Schule ablief: keine Vorstellung, keine Einladung zu Konferenzen, kein Curriculum, keine Bücher, da halfen sie spontan, luden nach Hause ein und trösteten, wenn der Alltag am Bischöflichen Gymnasium wieder einmal so gar nicht christlich abgelaufen war und offenbar die alten kommunistischen Seilschaften quergeschossen hatten. Und die Schüler verehrten Frau Braun nach anfänglicher Irritation –‚ war doch das Unterrichtsziel selbständiges Sprechen statt Ducken in einer autoritären Lernschule. Das Titelbild zeigt spontan geäußerte Dankbarkeit des Primanerkurses.

Die Brauns haben mit ihrem Buch eine Tür zum Verstehen aufgestoßen. Die niedergeschriebenen Erfahrungen sind im Grunde unbezahlbar. Das handliche Büchlein von 170 Seiten und zusätzlich eingeschobenen Quellentexten sowie statistischem Material sollte in keinem Handgepäck von austauschwilligen Lehrern, Lektoren und Kulturinteressierten fehlen, damit sie auf alle Situationen vorbereitet sind und notfalls Trost finden, wenn im Umgang mit tschechischen Bekannten oder Mitarbeitern doch mal etwas schiefgeht. Es wird für einen Unkostenbeitrag von 10 Euro direkt vom Ehepaar Adolf und Christa Braun abgegeben.

Adresse: Dobelstraße 43, 73110 Hattenhoren, Telefon: 07164/2594. Erika Warneke (KK)