Die Tschechen lieben den Liquidator
Die untere Parlamentskammer hat am Dienstag nach Ostern, dem 13. April 2004, mit 123 Stimmen von 187 anwesenden Abgeordneten ein Gesetz wieder verabschiedet, das einen einzigen Satz beinhaltet: „Edvard Beneš hat sich um den Staat verdient gemacht“. Dafür stimmten die überwiegende Mehrheit des deutschfeindlichen populistischen Blocks – der chauvinistische Flügel der CSSD (Sozialdemokratische Partei), die KSCM (Kommunistische Partei Böhmens und Mährens) und die ODS (Bürgerlich-Demokratische Partei).
Edvard Beneš ist der Nationalisten heiliger Patron. Aus der ursprünglich multinationalen Tschechoslowakei im Jahre 1918 hatte er einen ethnisch gesäuberten Staat der Tschechen gemacht. Beneš war ein extremer Nationalist, der einen Nationalstaat unter Führung der Tschechen ohne die deutsche und ungarische Volksgruppe umsetzte. Er lieferte zudem die Tschechen und Slowaken für vier Jahrzehnte an die sowjetische Gewaltherrschaft aus.

Ich appelliere an  Staatspräsident Klaus, der der Vorlage noch zustimmen muß, dieses vergangenheitsorientierte und nationalistische Gesetz zu stoppen, das ein miserabler Start der Tschechischen Republik in der Europäischen Union wäre.

Es ist unfaßbar, daß fast 60 Jahre nach Ende des Zweites Weltkrieges das tschechische Parlament mehrheitlich mitleidlos in den menschenrechtsfeindlichen Schützengräben der Vergangenheit verharrt.

Die tschechische Regierung, der Präsident und das Parlament würden sich um die Zukunft des tschechischen Volkes verdient machen, wenn sie die sich mit dem Beitritt zur Europäischen Union bietende Gelegenheit nutzen würden, um schleunigst die Aufhebung der Folgen anzugehen, die die gewaltsame Vertreibung der Deutschen aus Böhmen und Mähren nach dem Zweiten Weltkrieg brachte.

Pardubitz, am 13. April 2004
Franz Chocholatý Gröger

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Die Tageszeitung Lidové Noviny berichtete:
Lidové Noviny, 13. April 2004 / Auszug

Die Abgeordneten überstimmten das Senats-Veto zum Gesetz über Beneš
Die Wahrscheinlichkeit, daß der tschechoslowakische Präsident Beneš posthum durch ein Sondergesetz geehrt wird, dauert an. Das Abgeordnetenhaus hat heute das Veto des Senats überstimmt und damit erneut die Gesetzesnovelle bestätigt, die die Verdienste Benešs um den Staat würdigt.

Für das Gesetz stimmten heute 123 von 187 der anwesenden Abgeordneten, 29 stimmten dagegen. Zur Überstimmung des Vetos des Senats wären mindestens 101 Stimmen erforderlich, die gleiche Stimmenanzahl wäre erforderlich zur Überstimmung eines etwaigen Präsidenten-Vetos.

Der Standpunkt des Präsidenten Klaus zu der Gesetzesvorlage ist noch nicht bekannt. Als das Gesetz vor einigen Wochen durch den Senat abgelehnt wurde, kommentierte Klaus, der Senat mache seine eigene Situation einfacher, damit müßte er nicht zum Entscheidungsträger in dieser Sache werden.

Das neue Gesetz hat zwei Paragraphen. Der eine sagt aus „Edvard Beneš hat sich um den Staat verdient gemacht.“, der zweite, daß das Gesetz ab dem Zeitpunkt seiner Verabschiedung wirksam wird.

Der Erwartung nach haben die Kommunisten, ein erheblicher Teil der Sozialdemokraten und auch ein Teil der bürgerlichen Parteien die Abstimmung beeinflußt. Nicht unterstützt haben die Gesetzesannahme die KDU-CSL, US-DEU und der Rest der ODS-Abgeordneten. Es ist zu erwarten, daß mit gleicher Stimmenverteilung auch ein Präsidenten-Veto überstimmt werden würde.

Mejstrík durfte nicht begründen
Der Verlauf der heutigen Parlamentssitzung könnte das Verhältnis des Parlaments zum Senat erheblich beeinträchtigen. Das Unterhaus hat dem Senator Martin Mejstrík nicht erlaubt zu begründen, warum das Oberhaus das Gesetz nicht angenommen hat. Es ist das erste Mal in der Geschichte des Hauses, daß sich das Unterhaus gegenüber einem Repräsentanten des Oberhauses auf diese Art und Weise benommen hat. Manche der Abgeordneten haben kaum verhehlen können, daß hinter der Entscheidung des Parlaments eine Aversion gegenüber Mejstríks kritischer Haltung zu der Gesetztesvorlage steht.

„Es ist ein gewisses Zeichen von Feigheit. Das Unterhaus glaubt, daß es alles darf und daß es, wenn es nicht will, mit niemanden zu diskutieren braucht“ sagt Mejstrík. Das Verhalten des Unterhauses hält Mejstrík für unfair. „Ich war vorbereitet und habe mich auf eine Argumentation / Gegenargumentation gefreut.“ Er glaube, daß gegen seinen Auftritt die Kommunisten gestimmt haben, die „ahnen, was sie von mir hören müßten“, aber auch die ODS. „Die ODS versucht den Eindruck einer Rechtspartei zu erwecken, nichtsdestoweniger spricht ihr Einvernehmen mit den Kommunisten Bände ..“. fügt Mejstrík hinzu.

Der Abstimmung ging eine sehr emotionale Diskussion voraus, in der sich die Befürworter und die Gegner darüber stritten, ob es Sinn hat, die Verdienste von Edvard Beneš durch ein Sondergesetz zu würdigen. Es ist eine überflüssige Norm, die das gleichlautende Gesetz über Thomas Garrigue Masaryk degradiert. Ich bin zutiefst überzeugt, daß nur eine einzige Persönlichkeit der tschechischen Historie ein derartiges Gesetz verdient, und das war Masaryk selbst. Und wenn das Abgeordnetenhaus durch dieses Gesetz Edvard Beneš würdigt, so würde eine ganze Reihe anderer Politiker diese Auszeichnung ebenfalls verdienen“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der KDU CSL Jan Kasal. Er glaube, daß dieses Gesetz die tschechisch-deutschen und die tschechisch-österreichischen Beziehungen nicht gerade verbessern wird.

Es war ein Urteil über Edvard Beneš; und es war kein anderer Ausweg möglich, würdigte die Abstimmung der Chef des Auswärtigen Ausschusses Vladimír Laštuvka (CSSD). Aufgrund der Reaktionen aus Deutschland und Österreich ist er überzeugt davon, daß jedes andere Abstimmungsergebnis als eine Verurteilung Benešs qualifiziert werden würde. Und dies ist unannehmbar. Laštuvka war nie ein Befürworter eines ähnlichen Gesetzes, seiner Meinung nach kann dadurch die Tschechische Republik weder in ihrer Beziehung zur eigenen Vergangenheit noch im Verhältnis zum Ausland irgendetwas erreichen. In diesem Augenblick ist jedoch das Abgeordnetenhaus in einem Stadium der Diskussion, in der eine andere Vorgehensweise nicht möglich ist, fügt er hinzu.

Original: Poslanci prehlasovali senátní veto zákona o Benešovi LN 13. April 2004

Hana