Zwangsarbeit
ein Beitrag aus dem „Kleinen Brünner Gassenboten“ 2003 Heft 3 Seite 3

Schon mehrere Jahre bin ich Mitglied in der Museums- und heimatkundlichen Gesellschaft in Brünn und beziehe von dieser Organisation die „Mährischen heimatkundlichen Mitteilungen“, eine kleine Zeitschrift. In der Nummer 4 aus dem Jahre 2002 fand ich einen außerordentlich interessanten Artikel. Ein gewisser Herr Jan Travnicek aus Wischau / Vyškov beschreibt seine Einberufung aus dem Protektorat zur Zwangsarbeit und seinen damaligen Aufenthalt in Berlin, wo er arbeiten mußte. Dieser Mann lebt auch noch heute in Deditz / Dedice bei Wischau. Mit diesem Artikel möchte ich die Leser des KBG bekannt machen und daraus auch meine Folgerungen ziehen.

Also am Anfang schreibt Herr Travnicek, daß er als sehr junger Mensch seine Heimat verlassen mußte, um in Berlin zu arbeiten. Der Abschied von den Eltern und der Schwester fiel ihm sehr schwer. In Berlin angekommen, wurde er in den Stadtteil Spandau gebracht und zwar in das Arbeitslager »Große Halle«. Er gewöhnte sich wohl bald, denn auf Seite 344 schreibt er, daß „die Arbeit leicht war, daß sie alle am Abend vor dem Lager die tschechische Nationalhymne gesungen haben, aber auch andere Lieder, alles in Tschechisch“. Auf der selben Seite sagt er wortwörtlich: „Die Arbeit war interessant und wurde gut bezahlt“. Auf Seite 345 berichtet er darüber, wie er aus der Heimat Pakete bekommen hat, wie sie unbeschädigt ankamen und wie er immer im Brot eingebackenes Selchfleisch oder ein großes Stück Butter fand. Er fand es auch angenehm, daß er seine Deutschkenntnisse verbessern konnte. Er konnte sich auch deutsche Zeitungen abonnieren, die er dann las. Herr Travnicek nennt auch einen gewissen Herrn Behrendt, der ein Meister im Lager war und der nie die Tschechen angeschrieen hatte, einer von vielen anderen. Er sagt auch, daß es unter den Deutschen nie so viele Angeber gab wie unter den Tschechen. Auch konnten die Tschechen nach der Arbeit im Lager kochen – Seite 347 – z.B. eine Linsensuppe oder Kartoffeln, die sie von zu Hause im Paket bekamen. Im Lager gab es sogar zweimal einen Besuch von tschechischen Sängergruppen, die in der heimischen Tracht gekommen sind und die dann die bekannten Lieder gesungen haben.
Auch konnten die Arbeiter etwas Sport treiben, z.B. spielten sie Fußball und Herr Travnicek selber Volleyball. Auch hatte er seine Ziehharmonika mit, das alles war erlaubt. Nach der Arbeit besichtigte er die Stadt Berlin oder ging nach Gartenfeld wo in einem Restaurant eine sehr gute tschechische Kapelle gespielt hat und wo man auch die Lieder spielte und sang, die bei uns verboten waren.
Die Lage verschlechterte sich aber dadurch, daß es später die Bombenangriffe der Amerikaner und Engländer auf Berlin gab. Da war die Angst riesengroß und auch die Versorgung verschlechterte sich zunehmend. Aber die Pakete von zu Hause durfte man immer bekommen und nie kamen sie ausgeraubt an. Diese Bombenangriffe trafen auch oft solche Viertel, wo es keine Fabriken gab und wo keine Industrie war und dabei kamen viele Zivilpersonen ums Leben, vor allem Frauen und Kinder.
Ich könnte noch lange darüber berichten, was Herr Travnicek alles in Berlin erlebt, aber auch durchlitten hat, aber ich habe nur das wichtigste daraus genannt.
Nun, Herr Travnicek bekommt – oder bekam schon – seine Entschädigung als Zwangsarbeiter und ich gönne ihm diese aus ganzen Herzen! Ich stelle mir aber dabei folgende Fragen:
Als wir, meine Familie und ich, im Jahre 1945 auch in Zwangsarbeit eingesetzt wurden, durften wir am Abend unsere deutschen Lieder singen oder auf einem Instrument spielen? Vor allem war unsere Arbeit nicht „leicht und interessant“, sondern sehr schwer, denn wir arbeiteten bei den Bauern auf dem Feld. So waren wir froh, wenn wir am Abend schlafen gehen konnten. Nebenbei sei bemerkt, daß wir in keinem Lager, sondern im Schweinestall schlafen mußten! Später dann in einer Kammer, wo man das Futter für das Vieh vorbereitete und wo es einen Betonboden gab und darauf ein bißchen Stroh als Lager für uns. Durften wir Deutsch singen oder reden? Das war streng verboten, dafür hätte man uns sogar umbringen können! Und wer brachte für uns eine Kapelle, wer gab uns eine Möglichkeit zum Sport? Und was die Verköstigung betrifft: Wer konnte, wer durfte uns Pakete schicken? Niemand, das war ja nicht erlaubt! Dabei war wohl kein so großer Altersunterschied zwischen mir und Herrn Travnicek. Dieser war ein schon junger erwachsener Mann, ich ein größerer Junge mit damals 14 Jahren. Was haben wir beide getan, daß der eine durch einen Arbeitseinsatz bestraft wurde und der andere unter menschenunwürdigen Bedingungen schuften mußte? Waren wir beide irgendwie schuld am Krieg? Keiner von uns beiden!
Aber der eine, dem es eigentlich doch besser gegangen ist, der bekommt nun eine Entschädigung,
der andere, als Kind bestrafte, der bekommt ein großes NICHTS!
Wo ist die Gerechtigkeit, wo?
Warum nimmt sich unser Staat auch nicht unser an, warum nicht die Bundesrepublik Deutschland?
Da kann ich nur mit Herrn Mlynarik sagen: Ich schäme mich als Mensch.

Georg Wrablik lebt Tschechien, die Adresse ist dem Betreiber von MITTELEUROPA bekannt.
Briefe an den Autor werden gerne weitergeleitet.
ML 2003-07-07