Einen Pranger will niemand
BERLIN / Geplante Gedenkstätte für deutsche Vertriebene findet nicht nur Befürworter.
BERLIN.
Eigentlich liegen Kritiker und Befürworter der Gedenkstätte für deutsche Vertriebene gar nicht so weit auseinander. Die Aufarbeitung von Geschichte ist ein hartes Brot. Unendliche Debatten, zähe Auseinandersetzungen und brisante Wettbewerbe begleiteten die Entscheidung für den Bau des Holocaust-Mahnmals in Berlin. Zwischen der Idee und der gegenwärtigen künstlerischen Umsetzung im Zentrum der Hauptstadt liegen mehr als zwei Jahrzehnte.
Einen derartigen Prozeß wollte sich der Bund der Vertriebenen (BdV) eigentlich ersparen. Die „Requiem-Rotunde“ zum Gedenken an Vertreibungsopfer, die BdV-Chefin Erika Steinbach (CDU) vorschwebt, wurde bewußt eher im Stillen geplant. Die dafür gegründete Stiftung, dessen Vorsitz sich Steinbach mit dem früheren SPD-Geschäftsführer Peter Glotz teilt, vermied das öffentliche Rühren der Werbetrommel. Unterstützung gab es von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD), der sich kürzlich für eine Arbeitsgruppe von Regierung, Parlament und Stiftung einsetzte, um rasch einen geeigneten Standort im Berliner Zentrum zu finden.
Die Gruppe kam bislang nicht zustande. Ein Grund: Mehrere Dutzend Politiker und Intellektuelle wenden sich in einem Aufruf gegen ein nationales Denkmal. Unter der Überschrift „Vertreibung ist nicht nur ein deutsches Schicksal“ warnen sie davor, daß die „Gestaltung eines solchen Zentrums als vorwiegend nationales Projekt“ das Mißtrauen der Nachbarn hervorrufe. Sie sehen die Gefahr, „das Leid der einen gegen das Leid der Anderen aufzurechnen“ und setzen deshalb auf ein „Europäisches Zentrum gegen Vertreibungen“ als „Zeichen der Aussöhnung und des gegenseitigen Verständnisses für ganz Europa“.
Zu den Unterzeichnern gehören Ex-Außenminister Genscher (FDP) und seine früheren polnischen Kollegen Wladyslaw Bartoszewski und Bronislaw Geremek, Bundestagspräsident Thierse (SPD) und seine Vorgängerin Rita Süssmuth (CDU) sowie Literaturnobelpreisträger Günter Grass, der mit seiner Novelle „Krebsgang“ die Vertreibung Deutscher nach dem Zweiten Weltkrieg thematisierte.
Ziel: Dialog und Versöhnung
Steinbach und Glotz wehren sich gegen den Vorwurf, sie planten ein „nationales Projekt“. Die künftige Einrichtung solle „kein Pranger“ werden, sondern dem Dialog und der Versöhnung dienen, erklärte die CDU-Politikerin. Was sie allerdings fürchtet, ist eine „Verhinderungsstrategie“ zu Lasten der deutschen Heimatvertriebenen. Wenn man anfange, darüber mit der polnischen und tschechischen Regierung zu verhandeln, befürchtet gar Glotz, „ist das ein tot geborenes Kind und dauert die nächsten 30 Jahre“. (NRZ)
PETER GÄRTNER 
Quelle: Neue Ruhr-Zeitung 2003-07-16

 

Streit um Vertriebenen-Zentrum
Bundesinnenminister Schily will mit allen Beteiligten sprechen
Berlin/Warschau/dpa.
  Um die geplante Gedenkstätte für die deutschen Vertriebenen in Berlin ist Streit entbrannt. Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) kündigte am Mittwoch in Berlin an, er wolle alle Beteiligten zu einem Gespräch einladen. Er setze sich für eine „vernünftige Lösung“ ein, die sowohl den Bund der Vertriebene als auch andere Vertriebenengruppen mit einbezieht, sagte eine Sprecherin Schilys der dpa. Der Streit dreht sich um die Frage, ob es sich um ein „nationales“ oder „europäisches Vertriebenenzentrum“ handeln soll.
Kulturstaatsministerin Christina Weiß (parteilos) plädiert für eine europäische Lösung, will sich aber aus dem gegenwärtigen Streit heraushalten. Eine Sprecherin verwies auf die im Jahr 2006 geplante Ausstellung „Flucht und Vertreibung“ im Bonner Haus der Geschichte. Danach werde man über den weiteren Umgang mit der Sammlung und über die Einrichtung eines Vertriebenen-Zentrums „in einer Grenzstadt“ weitere Einzelheiten festlegen, sagte eine Sprecherin der dpa.  
Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach wandte sich gegen eine „Europäisierung“ des Projektes, wie es verschiedene Politiker und Schriftsteller jetzt forderten. „Wer dieses Projekt zu einer Veranstaltung aller europäischen Länder und Regierungen machen will, der bringt das gesamte Projekt in Gefahr“, sagte er im Deutschland-Radio Berlin. Die Bedenken von osteuropäischen Politikern nehme er ernst, doch warne er vor einer Vertagung des Projektes „auf den Sankt Nimmerleinstag“.
Die grüne Bundestagsfraktion lehnt ein nationales Zentrum ab. Ihr stellvertretender Vorsitzender Winfried Nachtwei sagte dem „Kölner Stadtanzeiger“ (Donnerstag), ein nationales Zentrum „käme in den Geruch, Antipode zum Holocaust-Mahnmal zu sein. Es ist entscheidend, das ganze als europäisches Projekt zu betreiben“.  
Die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, wandte sich gegen eine „Verhinderungsstrategie“. Die „europäische Dimension des Themas“ habe von Anfang an zur Konzeption“ gehört, sagte sie der Tageszeitung „Die Welt“. Steinbach gibt sich „fest überzeugt, daß wir in absehbarer Zeit ein Gebäude in Berlin bekommen werden – mit oder ohne Unterstützung des Bundes“.
Der ehemalige polnische Außenminister Wladyslaw Bartoszewski sagte der „Welt“, Berlin als Ort würde in Polen böse Erinnerungen wecken. Auch Marek Edelman, der letzte überlebende Kommandeur des Warschauer Getto-Aufstands, äußerte sich kritisch über ein Vertriebenenzentrum in Berlin. Ein solches Zentrum müsse internationalen Charakter haben, warnte er im polnischen Rundfunk vor einem deutschen Alleingang.
Die mögliche Einrichtung eines „Zentrums gegen Vertreibungen“ stieß in Tschechien auf Zurückhaltung. „Wir verweisen in diesem Zusammenhang auf die langjährige Tätigkeit der gemeinsamen Deutsch-Tschechischen Historikerkommission“, teilte die tschechische Botschaft in Berlin am Mittwoch auf Anfrage mit. Prag begrüße die Ergebnisse der Kommission, die „wesentlich zur Versachlichung der Diskussionen über Ursachen und Folgen der Kriegs- und Nachkriegsereignisse in Europa geführt“ hätten.
65 Persönlichkeiten aus sechs Ländern, darunter die Literatur-Nobelpreisträger Günter Graß und Imre Kertesz sowie Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, hatten am Montag in einem öffentlichen Appell geschrieben, die Gestaltung des Zentrums als vorwiegend nationales Projekt, wie es die Stiftung der Heimatvertriebenen plane, rufe das Mißtrauen der Nachbarn hervor.
Quelle: dpa 2003-07-17

 

Streit um Mahnmal für Vertriebene
Nationales Zentrum oder europäische Gedenkstätte?
Auch in der SPD prallen unterschiedliche Meinungen aufeinander
Von unserem Korrespondenten Dieter Stäcker
BERLIN
. In welcher Form sollen sich die kommenden Generationen an die Vertreibung von fast 15 Millionen Landsleuten nach dem Zweiten Weltkrieg erinnern? Um diese heikle Frage geht es in einem in diesen Tagen ausgebrochenen erbitterten Streit zwischen zwei Fraktionen innerhalb der SPD. Die Auseinandersetzungen gehen allerdings noch weit über die SPD hinaus.
Auf der einen Seite steht der von Innenminister Otto Schily (SPD) unterstützte Bund der Vertriebenen (BdV), dessen Präsidentin, die CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach, den Bau eines nationalen Mahnmals in der Hauptstadt Berlin fordert. Geplant ist ein Gebäude in Form einer Rotunde, das vor allem auf das Leid der deutschen Vertriebenen hinweisen soll. Auf der anderen Seite der Debatte stehen die SPD-Politiker Wolfgang Thierse und Markus Meckel, die die Vertreibung nicht allein als deutsches Problem, sondern europaweit darstellen wollen. „Die Gestaltung eines solchen Zentrums als vorwiegend nationales Projekt ruft das Mißtrauen der Nachbarn hervor und kann nicht im gemeinsamen Interesse unserer Länder sein“, heißt es in einer von Markus Meckel formulierten Erklärung.
Der verbale Schlagabtausch zeigt wieder einmal, wie schwer es den Deutschen fällt, sich mit der eigenen Vergangenheit zu beschäftigen. Die Idee zum Bau der Berliner Vertriebenen-Gedenkstätte ging von der im Jahre 2000 gegründeten „Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen“ aus, ein Gremium, in dem der SPD-Politiker Peter Glotz und die CDU-Frau Erika Steinbach an einem Strang ziehen. Die beiden erhielten dabei bundesweit Unterstützung: Im Juli 2002 hat sich auch der Deutsche Bundestag für den Bau einer Gedenkstätte ausgesprochen. Außerdem haben fast 400 deutsche Städte Patenschaften für den Bau des Projekts übernommen und stützen es mit fünf Cent pro Einwohner.
“Das Zentrum ist wichtig, weil die Aufnahme und Eingliederung der Vertriebenen aus den unterschiedlichsten Herkunftsgebieten noch nirgendwo thematisiert worden ist“, begründete BdV-Chefin Steinbach den vorwiegend nationalen Charakter der Gedenkstätte. Allerdings sieht auch sie die europäischen Dimensionen: „Es geht uns auch darum, das Vertreibungselend der Menschen anderer Nationen deutlich zu machen.“
Solchen Versprechungen stehen Meckel und Thierse sowie eine größere Anzahl von Politikern, Künstlern und Schriftstellern allerdings skeptisch gegenüber. Sie verweisen darauf, daß die Vertreibung der 15 Millionen Deutschen aus den Ostgebieten nur ein Teil des Problems gewesen sei – schließlich seien im 20. Jahrhundert europaweit zwischen 50 bis 70 Millionen Menschen aufgrund ihrer ethnischen Herkunft, ihres nationalen Bekenntnisses oder ihrer Religion vertrieben oder deportiert worden. „Wir können nicht das Leid der einen gegen das Leid der anderen aufrechnen“, heißt es in einer Erklärung, die Wolfgang Thierse, Markus Meckel, der Schriftsteller Günter Grass, der frühere polnische Außenminister Wladyslaw Bartoszewski sowie die CDU-Politikerin Rita Süßmuth unterschrieben haben.
Die Kritiker des nationalen Projekts warnen denn auch vor einem „deutschen Alleingang“ und schlagen vor, ein gesamteuropäisches Mahnmal statt in Berlin in einer Stadt im Osten zu errichten: Entweder in Breslau, wie Markus Meckel anregte, oder in der deutschen Grenzstadt Görlitz, die Günter Graß empfahl. Keine Frage, daß solche Vorschläge beim Bund der Vertriebenen auf empörten Widerstand stoßen. „Das ist Verhinderungsstrategie. Das ist nur ein Versuch, unsere Stiftung an den Rand zu drängen“, schimpfte die BdV-Präsidentin Steinbach. Auch der SPD-Mann Peter Glotz empfahl den Kritikern aus der eigenen Partei, zumindest in der Standortfrage noch einmal nachzudenken: „Die Deutschen sollten vor Berlin nicht davonlaufen“, sagt der frühere SPD-Bundesgeschäftsführer.
Quelle: Badische Zeitung 2003-07-17

 

Gleicher als gleich?
50 Jahre nach den  „Beneš-Dekreten“ wollen deutsche Vertriebene ein Denkmal

Der Streit um eine geplante Gedenkstätte für die deutschen Vertriebenen in Berlin eskaliert zusehends und zeigt, wie emotionsgeladen die Frage von Schuld, Recht und Moral bis zum heutigen Tage ist. Zu national ist vielen osteuropäischen Nachbarn das Projekt, und sogar vom „Henker in der Opferrolle“ ist die Rede.
Das Ausmaß an Ungerechtigkeit und Leid, das sich in diesem Jahrhundert zwischen Tschechen, Polen und Deutschen ereignete, ist noch immer nicht verarbeitet. Seit Hitler im Münchner Abkommen 1938 die Annektion Sudeten-Deutschlands unter schärfster Gewaltandrohung durchsetzte, um 1939 alle Abkommen zu brechen und in Polen und die Tschechoslowakei einzumarschieren, wurden Millionen von Menschen aus ihren Heimatgebieten umgesiedelt.
Rausschmiß aus dem Satellitenstaat
Nach dem Krieg waren es die sogenannten „Beneš-Dekrete“ (verfaßt vom damaligen tschechoslowakischen Staatschef), die die Sudetendeutschen zum Verlassen des sowjetischen Satellitenstaats zwangen. Seitdem ist die Frage nach einer angemessenen Entschädigung ein Politikum. Sah man sich in der Bundesrepublik lange Jahre der historischen Verantwortung wegen außerstande, auf die nicht verstummenden Forderungen der sudetendeutschen und schlesischen Vertriebenen zu reagieren, so ist man nun im Zuge des europäischen Einigungsprozesses bemüht, für einen angemessenen „Ausgleich“ zu sorgen – finanziell wie moralisch.
Henker in der Opferrolle?
„Moralisch“ wird die Debatte schnell: So fordern die sudetendeutschen Vertriebenen Entschädigungszahlungen für ihre Vertreibung als „humanitäre Geste“. Auf polnischer und tschechischer Seite spricht man hingegen vom einstigen „Henker“, der nun in die Opferrolle schlüpfe.
Für Aufruhr in den deutsch-tschechischen Beziehungen sorgte in der vergangenen Woche nun ein Antrag sudetendeutscher Sozialwerke auf Zahlungen an Vertriebene aus Prag. Außenminister Joschka Fischer (Bündniß 90/Grüne) unterstützte dies in einem Brief an den bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CDU) unter Vorbehalt. In Tschechien begegnet man derartigen Forderungen skeptisch: Viele wollen lediglich eine „Geste“ gegenüber den einstigen Besatzern zugestehen.
Uneinigkeit besteht auch über die Rechtslage. So bezeichneten tschechische Spitzenpolitiker die Entschädigungsforderung als ungerechtfertigt, da das durch die Beneš-Dekrete an den tschechischen Staat gefallene Eigentum unantastbar sei. Schon Ende Juni hatte das Parlament in Prag eine Forderung des Deutschen Bundesrates zurückgewiesen, die Beneš-Dekrete aus den Jahren 1945 und 1946 zurückzunehmen.
Eine Gedenkstätte?
Nun soll eine Gedenkstätte an die deutschen Vertriebenen erinnern. Der „Bund der Vertriebenen“ (BdV) forderte letzte Woche ein solches Projekt. Wenn es nach seiner Präsidentin, Erika Steinbach, geht, wird es in Berlin bald ein Zentrum geben, das „den Schicksalsweg der deutschen Vertriebenen“ anmahnt. Ein geeigneter Ort ist indes noch nicht in Sicht: Ein „repräsentatives Gebäude“ in „zentraler Lage“ soll es dann aber doch schon sein. Wunschplätze des BdV sind das ehemalige Staatsratsgebäude der DDR oder auch der Platz gegenüber der Humboldt-Universität – in „geschichtlicher und räumlicher Nähe“ zum Holocaust-Denkmal. Ein Plan, der polarisiert und die Gemüter hochköcheln läßt.
Für den ehemaligen polnischen Außenminister Wladyslaw Bartoszewski weckt die Stadt Berlin bei den Polen „böse Erinnerungen“, und auch Marek Edelman, der letzte überlebende Kommandeur des Warschauer Getto-Aufstands, spricht sich gegen ein solches Zentrum in Berlin aus.
Warschau und Prag sind dagegen
Bei aller Kontroverse ist gleichwohl Kompromißbereitschaft erkennbar. So hatte das Prager Kabinett am 19. Juni eine Erklärung verabschiedet, in der die Vertreibung der Sudetendeutschen aus der Tschechoslowakei nach dem zweiten Weltkrieg erstmals offiziell als „nicht hinnehmbar“ bezeichnet wird. Trotzdem: Ein rein nationales Denkmal für die deutschen Vertriebenen will man in Warschau wie in Prag nicht ohne Vorbehalte akzeptieren. Vielmehr solle es sich hierbei um ein europäisches Vertriebenenzentrum handeln, um allen Geschädigten gerecht zu werden. Und auch jenseits der politischen Kanäle mehren sich die Stimmen, die gegen ein solches national geprägtes Projekt votieren. So warnten 65 Persönlichkeiten aus sechs Ländern, unter ihnen die Literaturnobelpreisträger Günter Graß und Imre Kertesz, vor einem nationalen Alleingang, der „das Mißtrauen der Nachbarn“ hervorrufe.  
Gleicher als gleich
Wie der Streit um die geplante Gedenkstätte auch ausgehen mag: Deutlich wird, daß auch fast 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs manche Opfer des Unrechts auf beiden Seiten gerne gleicher als gleich wären – eine Tatsache, die besonders im Hinblick auf die bevorstehende Aufnahme der Tschechoslowakei in die EU nachdenklich stimmt.  
von Oliver Georgi Quelle: ZDF-online 2003-07-18

 

Union will Berlin als Sitz des „Zentrums gegen Vertreibungen“
Von Gernot Facius
Berlin/Bonn
– Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion steht nach den Worten des Abgeordneten Erwin Marschewski „voll und ganz“ hinter den Plänen für ein „Zentrum gegen Vertreibungen“ in der Hauptstadt. Sie unterstützt damit das von der Präsidentin des Bundes der Vertriebenen (BdV), Erika Steinbach (CDU), und dem ehemaligen SPD-Bundesgeschäftsführer Peter Glotz initiierte und geleitete Stiftungsprojekt, gegen das sich heftiger Widerstand in Deutschland, Polen und der Tschechischen Republik regt. Im Gespräch mit der Berliner Morgenpost gab Marschewski, der Vorsitzender der Arbeitsgruppe Vertriebene und Flüchtlinge der Unionsfraktion ist, dem von Markus Meckel (SPD) vorgestellten Gegenprojekt „keine Chance“. Wer, wie Meckel, ein solches Zentrum „auf internationale Füße stellen möchte“ und etwa noch an die Einbeziehung von Regierungen denke, werde scheitern. „Etwas anderes anzunehmen wäre unrealistisch.“
Die Bedeutung der von seiner Fraktionskollegin Steinbach ins Leben gerufenen Stiftung liege darin, daß es sich „eben um eine nichtstaatliche Einrichtung“ handele, die unabhängig agieren könne. „Damit wird ein hoffnungsvoller Anfang gemacht, das Schicksal auch der deutschen Vertriebenen sachlich zu dokumentieren“, sagte Marschewski. „Und dann kann man ja irgendwann auch offen für andere sein.“
Der CDU-Politiker, selbst kein Heimatvertriebener, sieht in der Meckel-Initiative eine „Fortführung der neuen Berliner Kulturpolitik, die es darauf anlegt, die Deutschen aus dem Osten möglichst aus allem rauszuhalten“. Verwundert zeigte er sich über die frühere Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU), deren Name unter dem Aufruf für die Gründung eines „Europäischen Zentrums gegen Vertreibungen“ steht: „Als Mitglied der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat sie seinerzeit unseren Antrag mitunterschrieben.“
Die Union und die Mehrheit der Ministerpräsidenten sind wie der BdV für Berlin als Standort des „Zentrums gegen Vertreibungen“. Bundesinnenminister Otto Schily (SPD), der von Anfang an das Projekt mit Sympathie begleitete, hat sich in der Frage des Standortes nicht festgelegt. Im Innenministerium heißt es dazu, Schily werde die Diskussion mit allen Beteiligten fortsetzen. „In absehbarer Zeit“ wolle er zu einem gemeinsamen Gespräch einladen. Dies dürfte nach der Sommerpause geschehen. Anläßlich des 50. Jahrestages des Bundesvertriebenengesetzes hatte Schily im Mai angekündigt, er wolle die Pläne zur Errichtung eines „Europäischen Zentrums gegen Vertreibungen“ rasch umsetzen.
Quelle: Berliner Morgenpost 2003-07-18

 

SZ-Interview mit Petr Pithart
„Zentrum gegen Vertreibung in Tschechien denkbar“
Der Präsident des Senats in Prag erinnert an die europäische Dimension des Traumas

Im Streit um ein Zentrum gegen Vertreibungen unterstützt der Präsident des tschechischen Senats, Petr Pithart, eine europäische Lösung. Der Christdemokrat ist Unterzeichner des Aufrufs gegen ein deutsches Zentrum in Berlin.

SZ: Was haben Sie gegen ein „Zentrum gegen Vertreibungen“ in Berlin?
Pithart: Für uns hat die Vertreibung mit dem Münchner Abkommen begonnen. Im Jahr 1938 sind zehntausende Tschechen aus dem an Deutschland gefallenen Grenzgebiet geflohen. Das haben sie als Vertreibung wahrgenommen. Die Besatzer hatten ihnen zu verstehen gegeben, daß sie dort nichts zu suchen haben. Für uns Tschechen ist daher die Darstellung unannehmbar, die Vertreibungen hätten erst mit der Vertreibung der Sudetendeutschen begonnen. Leider ist die Vertreibung der Sudetendeutschen auch nicht die letzte geblieben. Das hat sich in den neunziger Jahren in Südosteuropa gezeigt. Das ist ein europäisches Trauma. Keiner kann es monopolisieren. Es wäre nicht weitsichtig, wenn so ein Zentrum gerade deshalb in Berlin entstünde, weil einige Deutsche so tun, als ob vor der Vertreibung der Deutschen nichts Vergleichbares geschehen wäre.

SZ: Wo gehört dann das „Europäische Zentrum gegen Vertreibungen“ hin, das Sie unterstützen?
Pithart: Es kann an vielen Orten in Europa entstehen, natürlich auch in der Tschechischen Republik. Aber das muß es nicht, auch Srebrenica wäre denkbar.

SZ: Sie können sich das Zentrum in Tschechien tatsächlich vorstellen?
Pithart: Ich kann mir das vorstellen, ja.

SZ: Wo wäre der richtige Ort in Tschechien?
Pithart: Für diese Frage ist es zu früh. In unserem Grenzgebiet, wo es zu einer zweifachen Vertreibung kam, würden sich solche Orte finden. Natürlich würde dort dann auch das Problem der Vertreibung der Sudetendeutschen behandelt, aber das Zentrum dürfte sich nicht auf das deutsche Trauma beschränken.

SZ: Worin könnte der tschechische Beitrag zu so einem europäischen Zentrum bestehen?
Pithart: Bei uns hat 1938 der zweite Weltkrieg begonnen – zwar nicht an der Front, aber durch Anwendung von Gewalt. Unsere Erfahrung prädisponiert uns, die Tragödie des Zweiten Weltkrieges in größerem Zusammenhang zu verstehen und nicht nur das eigene Leid und die eigenen Traumata zu sehen.

SZ: Sollte der deutsche Bund der Vertriebenen beteiligt sein an einem „Europäischen Zentrum gegen Vertreibungen“?
Pithart: Dazu will ich nur sagen, daß niemand das Thema Vertreibung vereinnahmen darf. Ich sage Ja zum Gedenken an die Schicksale der vertriebenen Menschen und zum Gedenken an die Vertreibung an sich. Aber ich sage Nein zur politischen Monopolisierung und Instrumentalisierung.
Ich wünsche mir mehr Beachtung für die Vertriebenen genauso wie für Leute aus dem Widerstand und den zur Zwangsarbeit Verschleppten.
Die Zwangsarbeit ist ein globales, immer noch lebendiges Problem. Dagegen werden leider keine Zentren gebaut.
Deutschland erlebt eine Debatte darüber, ob das Gedenken national oder europäisch sein soll. Für uns und ganz Europa wäre es besser, wenn Deutschland sich für die zweite Möglichkeit entscheiden  würde. Ich bin überzeugt, daß es so kommen wird.

Interview: Daniel Brössler
Süddeutsche Zeitung 2003-07-18

 

Entzaubertes Feigenblatt
Heftige Debatte über in Berlin geplantes „Zentrum gegen Vertreibungen“
Von Peter Richter
Ein „Zentrum gegen Vertreibungen“ soll nach dem Willen des Bundes der Vertriebenen (BdV) in Deutschland entstehen. Er selbst aber trägt dazu bei, daß sich dagegen Widerstand regt.
Gewiß fehlt es in der dürren Skizze der Aufgaben eines „Zentrums gegen Vertreibungen“ auf dessen Homepage (www.z-g-v.de) nicht an Verweisen auf den internationalen Charakter des Projekts. Es solle „Vertreibungen weltweit entgegenwirken“, heißt es da gleich zu Anfang. Und später: „die Vertreibung anderer Völker, insbesondere im Europa des 20. Jahrhunderts, erfahrbar machen“ und „im konstruktiven Dialog mit den Nachbarvölkern die gemeinsame Vergangenheit aufarbeiten, um daraus Friedenspotential für die Zukunft zu schaffen“. So weit, so gut, doch dazwischen ballen sich Zielbeschreibungen, die den Verdacht wecken, die so deklarierte Internationalität des Zentrums diene nur dazu, die wahren Absichten seiner Initiatoren zu verbergen.
Denn sie sind auf das deutsche Vertreibungsschicksal konzentriert und weitaus konkreter: „einen Gesamtüberblick über die Vertreibungen der mehr als 15 Millionen Deutschen geben“, „Kultur, Schicksal und Geschichte der deutschen Vertriebenen und ihrer Heimat im Zusammenhang erfahrbar machen“, „die Veränderung Deutschlands ... durch die Integration Millionen vertriebener Landsleute und die Auswirkungen auf alle Lebensbereiche dokumentieren und darstellen“. Im Mittelpunkt der Gedenkstätte ist eine Rotunde nur zum Gedenken der deutschen Vertriebenen geplant, ist es doch für die BdV-Vorsitzende Erika Steinbach „ganz verständlich und berechtigt, daß jedes Volk seinen eigenen Opfern die Ehre erweist“.
Natürlich wußten sie und die überwiegend im BdV angesiedelten Initiatoren des Vorhabens, daß sich Akzeptanz dafür am ehesten herstellen ließ, wenn der nationale Charakter des Zentrums nicht allzu sehr in den Vordergrund tritt. Und sie hatten insofern Erfolg, als sie neben Arnulf Baring, Michael Wolffsohn, Guido Knopp und Peter Scholl-Latour auch den Sozialdemokraten Peter Glotz, den Präsidenten der Berliner Akademie der Künste, György Konrád, und Alfred-Maurice de Zayas vom UNO-Menschenrechtsausschuß als Unterstützer präsentieren konnten. In der Jury des von den Zentrumsinitiatoren in diesem Jahr erstmals verliehenen Franz-Werfel-Menschenrechtspreises (ND berichtete) sitzen Daniel Cohn-Bendit und Ralph Giordano.
Der Bundestag beschäftigte sich mit dem Anliegen und beschloß vor einem Jahr, die Errichtung des Zentrums zu unterstützen, ohne freilich Einzelheiten festzulegen. Da aber der BdV das Vorhaben auf vielfältige Weise vorantrieb und ganz in dessen Sinne Innenminister Otto Schily bereits eine Kommission aus allein deutschen Politikern und der Stiftung ins Auge gefaßt hatte, haben sich nun 65 Persönlichkeiten zu Wort gemeldet und unter dem Motto „Gemeinsame Erinnerung als Schritt in die Zukunft“ für ein tatsächlich europäisches Zentrum gegen Vertreibungen, Zwangsaussiedelungen und Deportationen plädiert. Angeregt hatte den Aufruf der SPD-Abgeordnete Markus Meckel, von Anfang an ein Kritiker des Vorhabens der Vertriebenenverbände, unterzeichnet haben ihn unter anderen der tschechische Vize-Premier Petr Mares, die polnischen Ex-Außenminister Bartoszewski und Geremek, Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, die Literatur-Nobelpreisträger Günter Graß und Imre Kertesz sowie Hans-Dietrich Genscher und Rita Süssmuth. Sie verlangten einen Neuanfang der Debatte über das Zentrum, weil es als „vorwiegend nationales Projekt“ das „Mißtrauen der Nachbarn“ hervorrufe.
Anstatt aber auf diese mahnenden Stimmen einzugehen und sich konstruktiv in die Diskussion über ein europäisches Vertreibungszentrum einzubringen, entfachten Erika Steinbach und mit ihr die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion, der sie angehört, eine Kampagne gegen die Mahner. Steinbach warf Meckel gestern in der „Stuttgarter Zeitung“ vor, die Diskussion „auf perverse Weise von Deutschland nach Polen, von Deutschland nach Tschechien getragen“ und dort „Stimmung gemacht“ zu haben. Gleichzeitig lehnte sie ein internationales Zentrum ab, fand sich allenfalls dazu bereit, „daß internationale Persönlichkeiten hinzugezogen werden“. Auch vor allem aus dem Ausland kommende Bedenken, das Zentrum in Berlin zu bauen, wies sie strikt zurück: „Es ist die schonendste Art für unsere Nachbarvölker, wenn wir es in Berlin machen.“
Die Konzentration des geplanten Zentrums auf deutsche Vertriebene betonten auch andere Unionspolitiker. Der CDU-Abgeordnete Erwin Marschewski nannte es in der „Welt“ einen Anfang, „das Schicksal auch der deutschen Vertriebenen sachlich zu dokumentieren“, sein CSU-Kollege im Europaparlament, Bernd Posselt, warnte vor einer „Marginalisierung der deutschen Heimatvertriebenen und ihres Schicksals“. Erika Steinbach selbst bezeichnete den Vorschlag für ein europäisches Zentrum eine „Verhinderungsstrategie“ zulasten der deutschen Heimatvertriebenen. Sie könnte diesen Vorwurf getrost auch auf ihr eigenes wütendes Agieren beziehen, durch das das Projekt endgültig als das entzaubert wurde was es von Anfang an war – ein Feigenblatt.
Quelle: Neues Deutschland (Ex-SED-Zentralorgan und heute PDS-nah) 2003-07-19

 

Deutsche Opfer, deutsches Leid
Die Auseinandersetzung um ein Denkmal für die Opfer der Vertreibung berührt eine geschichtspolitische Kernfrage
Von Sven Felix Kellerhoff
„Jedes Denkmal wird sinnlos, wenn es pauschal ist.“ So formulierte es der Förderkreis zur Errichtung eines Denkmals für die ermordeten Juden Europas 1992, als die Debatte hochschlug, ob in Berlins Mitte „nur“ der sechs Millionen jüdischen Opfer des Holocaust gedacht werden sollte oder auch der 500 000 „vernichteten“ Sinti und Roma. Damals gab es neben Kritik von Interessenverbänden nichtjüdischer Opfer viel Zustimmung für dieses klare Bekenntnis.

Wenigstens einige von denen, die vor elf Jahren ein spezifisches Holocaust-Mahnmal forderten, haben Anfang dieser Woche den Aufruf des SPD-Abgeordneten Markus Meckel für ein europäisches Zentrum gegen Vertreibungen unterschrieben. Und damit gegen ein Denkmal zur Erinnerung an die deutschen Leiden und die Opfer der Zwangsmigration 1945 bis 1950, wie es der Opferverband Bund der Vertriebenen (BdV) angeregt hatte. Satt dessen soll die Geschichte der Vertreibungen im gesamten 20. Jahrhundert erforscht und aller Opfer gedacht werden.
Was ist nun richtig: Soll ein Denkmal möglichst spezifisch sein? Oder pauschal? Die meisten der zwölf Millionen deutschen Vertriebenen und der zwei Millionen Toten trugen persönlich ebenso keine Schuld wie die Opfer des NS-Rassenwahns. Vielleicht sind die Unterzeichner von Meckels Aufruf gegen das Projekt des BdV, weil es um deutsche Opfer geht und nicht um deutsche Täter? Hier geht es um eine geschichtspolitische Kernfrage.

Vor knapp drei Wochen, anläßlich der Verleihung des Franz-Werfel-Menschenrechtspreises des BdV und einer Tagung der Viadrina-Universität Frankfurt (Oder), ist die Debatte wieder in Gang gekommen.
Jetzt verschärfen Meckel und seine Unterstützer den Tonfall, fahren polnische und tschechische Prominente auf, die sich gegen das BdV-Projekt aussprechen. Für die bereits gegründete Stiftung des Vertriebenenverbandes reagieren Peter Glotz (SPD) und Erika Steinbach (CDU) mit dem Hinweis, ihr Zentrum sei ebenfalls „europäisch“ ausgerichtet, der Streit also überflüssig.

Die Debatte läuft, wie viele vergangenheitspolitische Diskurse seit der Einheit, unweigerlich in eine Sackgasse. Denn einerseits haben deutsche Vertriebene Anspruch auf Würdigung ihrer Leiden und auf Gedenken. Andererseits ist die Geschichte der Massenvertreibungen im 20. Jahrhundert längst nicht genügend bearbeitet.

Immerhin mußten zwischen 1910 und 1922, zwischen 1938 und 1950 sowie in den neunziger Jahren in Ostmittel- und Südosteuropa mindestens 50 Millionen Menschen zwangsweise ihre Heimat verlassen. Zugrunde lag dem, lange bevor der Bürgerkrieg in Jugoslawien den Begriff hervorbrachte, die Wahnidee der „ethnischen Säuberung“, der „völkischen“ Homogenität der Bevölkerung also. Dies aufzuarbeiten, ist ein Desiderat der Forschung.
Unabhängig davon (und unabhängig von der großen Ausstellung über Vertreibungen, die für das Jahr 2005 im Bonner Haus der Geschichte der Bundesrepublik geplant wird) braucht Deutschland einen Ort, an dem die deutschen Opfer und ihre Leiden im Mittelpunkt stehen. Es wäre falsch, dieses Gedenken weiter den Landmannschaften zu überlassen.

Die Debatte nach dem Erscheinen von Günter Grass' Novelle „Im Krebsgang“ hat gezeigt, daß am Ende der Lebensspanne der Erlebnisgeneration Mitteilungsbedarf besteht, der in einer Demokratie nicht verdrängt werden darf.
Das Bundesvertriebenengesetz bestimmt in Paragraph 96, daß Bund und Länder verpflichtet sind, das „Kulturgut der Vertreibungsgebiete im Bewußtsein der Vertriebenen und Flüchtlinge, des gesamten deutschen Volkes und des Auslandes aufrechtzuerhalten“. Seit Jahrzehnten werden nach dieser Vorschrift verschiedene Heimatmuseen und Forschungsinstitute gefördert. Manche Buchverlage bestritten über Jahrzehnte den größten Teil ihrer festen Kosten aus den regelmäßig gezahlten Zuschüssen für Vertriebenenpublikationen.
Nach fast 60 Jahren haben sich die Bedürfnisse geändert; das Kulturgut der Vertriebenen braucht in Zukunft nicht mehr im Mittelpunkt zu stehen. Bei einer Neuordnung der Unterstützung könnte man der BdV-Stiftung die wichtigeren der bisher geförderten Institutionen eingliedern, die weniger wichtigen einstellen und mit den gewonnenen Mitteln ein Forschungsinstitut mit dem Namen „Europäisches Zentrum gegen Vertreibungen“ etablieren sowie mit einer sachlichen Ausstellung an die deutschen Opfer der Vertreibungen erinnern. Dort muß an ihre verlorene Heimat, an den Ungeist des „völkischen“ Denkens, an die Leistung der Eingliederung in der jungen Bundesrepublik und das besonders harte Schicksal der in der DDR angesiedelten Vertriebenen erinnert werden.

Quelle: Berliner Morgenpost (Onlineausgabe) 2003-07-20