Einen Pranger will niemand
BERLIN / Geplante Gedenkstätte für deutsche Vertriebene findet nicht nur
Befürworter.
BERLIN. Eigentlich liegen Kritiker und Befürworter der Gedenkstätte für
deutsche Vertriebene gar nicht so weit auseinander. Die Aufarbeitung von Geschichte ist
ein hartes Brot. Unendliche Debatten, zähe Auseinandersetzungen und brisante Wettbewerbe
begleiteten die Entscheidung für den Bau des Holocaust-Mahnmals in Berlin. Zwischen der
Idee und der gegenwärtigen künstlerischen Umsetzung im Zentrum der Hauptstadt liegen
mehr als zwei Jahrzehnte.
Einen derartigen Prozeß wollte sich der Bund der Vertriebenen (BdV) eigentlich ersparen.
Die Requiem-Rotunde zum Gedenken an Vertreibungsopfer, die BdV-Chefin Erika
Steinbach (CDU) vorschwebt, wurde bewußt eher im Stillen geplant. Die dafür gegründete
Stiftung, dessen Vorsitz sich Steinbach mit dem früheren SPD-Geschäftsführer Peter
Glotz teilt, vermied das öffentliche Rühren der Werbetrommel. Unterstützung gab es von
Bundesinnenminister Otto Schily (SPD), der sich kürzlich für eine Arbeitsgruppe von
Regierung, Parlament und Stiftung einsetzte, um rasch einen geeigneten Standort im
Berliner Zentrum zu finden.
Die Gruppe kam bislang nicht zustande. Ein Grund: Mehrere Dutzend Politiker und
Intellektuelle wenden sich in einem Aufruf gegen ein nationales Denkmal. Unter der
Überschrift Vertreibung ist nicht nur ein deutsches Schicksal warnen sie
davor, daß die Gestaltung eines solchen Zentrums als vorwiegend nationales
Projekt das Mißtrauen der Nachbarn hervorrufe. Sie sehen die Gefahr, das Leid
der einen gegen das Leid der Anderen aufzurechnen und setzen deshalb auf ein
Europäisches Zentrum gegen Vertreibungen als Zeichen der Aussöhnung
und des gegenseitigen Verständnisses für ganz Europa.
Zu den Unterzeichnern gehören Ex-Außenminister Genscher (FDP) und seine früheren
polnischen Kollegen Wladyslaw Bartoszewski und Bronislaw Geremek, Bundestagspräsident
Thierse (SPD) und seine Vorgängerin Rita Süssmuth (CDU) sowie Literaturnobelpreisträger
Günter Grass, der mit seiner Novelle Krebsgang die Vertreibung Deutscher nach
dem Zweiten Weltkrieg thematisierte.
Ziel: Dialog und Versöhnung
Steinbach und Glotz wehren sich gegen den Vorwurf, sie planten ein
nationales Projekt. Die künftige Einrichtung solle kein Pranger
werden, sondern dem Dialog und der Versöhnung dienen, erklärte die CDU-Politikerin. Was
sie allerdings fürchtet, ist eine Verhinderungsstrategie zu Lasten der
deutschen Heimatvertriebenen. Wenn man anfange, darüber mit der polnischen und
tschechischen Regierung zu verhandeln, befürchtet gar Glotz, ist das ein tot
geborenes Kind und dauert die nächsten 30 Jahre. (NRZ)
PETER GÄRTNER
Quelle: Neue Ruhr-Zeitung 2003-07-16
Streit um Vertriebenen-Zentrum
Bundesinnenminister Schily will mit allen Beteiligten sprechen
Berlin/Warschau/dpa. Um die geplante Gedenkstätte für die deutschen
Vertriebenen in Berlin ist Streit entbrannt. Bundesinnenminister Otto Schily (SPD)
kündigte am Mittwoch in Berlin an, er wolle alle Beteiligten zu einem Gespräch einladen.
Er setze sich für eine vernünftige Lösung ein, die sowohl den Bund der
Vertriebene als auch andere Vertriebenengruppen mit einbezieht, sagte eine Sprecherin
Schilys der dpa. Der Streit dreht sich um die Frage, ob es sich um ein
nationales oder europäisches Vertriebenenzentrum handeln soll.
Kulturstaatsministerin Christina Weiß (parteilos) plädiert für eine europäische
Lösung, will sich aber aus dem gegenwärtigen Streit heraushalten. Eine Sprecherin
verwies auf die im Jahr 2006 geplante Ausstellung Flucht und Vertreibung im
Bonner Haus der Geschichte. Danach werde man über den weiteren Umgang mit der Sammlung
und über die Einrichtung eines Vertriebenen-Zentrums in einer Grenzstadt
weitere Einzelheiten festlegen, sagte eine Sprecherin der dpa.
Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach wandte sich gegen eine Europäisierung
des Projektes, wie es verschiedene Politiker und Schriftsteller jetzt forderten. Wer
dieses Projekt zu einer Veranstaltung aller europäischen Länder und Regierungen machen
will, der bringt das gesamte Projekt in Gefahr, sagte er im Deutschland-Radio
Berlin. Die Bedenken von osteuropäischen Politikern nehme er ernst, doch warne er vor
einer Vertagung des Projektes auf den Sankt Nimmerleinstag.
Die grüne Bundestagsfraktion lehnt ein nationales Zentrum ab. Ihr stellvertretender
Vorsitzender Winfried Nachtwei sagte dem Kölner Stadtanzeiger (Donnerstag),
ein nationales Zentrum käme in den Geruch, Antipode zum Holocaust-Mahnmal zu sein.
Es ist entscheidend, das ganze als europäisches Projekt zu betreiben.
Die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, wandte sich gegen eine
Verhinderungsstrategie. Die europäische Dimension des Themas habe
von Anfang an zur Konzeption gehört, sagte sie der Tageszeitung Die
Welt. Steinbach gibt sich fest überzeugt, daß wir in absehbarer Zeit ein
Gebäude in Berlin bekommen werden mit oder ohne Unterstützung des Bundes.
Der ehemalige polnische Außenminister Wladyslaw Bartoszewski sagte der Welt,
Berlin als Ort würde in Polen böse Erinnerungen wecken. Auch Marek Edelman, der letzte
überlebende Kommandeur des Warschauer Getto-Aufstands, äußerte sich kritisch über ein
Vertriebenenzentrum in Berlin. Ein solches Zentrum müsse internationalen Charakter haben,
warnte er im polnischen Rundfunk vor einem deutschen Alleingang.
Die mögliche Einrichtung eines Zentrums gegen Vertreibungen stieß in
Tschechien auf Zurückhaltung. Wir verweisen in diesem Zusammenhang auf die
langjährige Tätigkeit der gemeinsamen Deutsch-Tschechischen Historikerkommission,
teilte die tschechische Botschaft in Berlin am Mittwoch auf Anfrage mit. Prag begrüße
die Ergebnisse der Kommission, die wesentlich zur Versachlichung der Diskussionen
über Ursachen und Folgen der Kriegs- und Nachkriegsereignisse in Europa geführt
hätten.
65 Persönlichkeiten aus sechs Ländern, darunter die Literatur-Nobelpreisträger Günter
Graß und Imre Kertesz sowie Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, hatten am Montag in
einem öffentlichen Appell geschrieben, die Gestaltung des Zentrums als vorwiegend
nationales Projekt, wie es die Stiftung der Heimatvertriebenen plane, rufe das Mißtrauen
der Nachbarn hervor.
Quelle: dpa 2003-07-17
Streit um Mahnmal für Vertriebene
Nationales Zentrum oder europäische Gedenkstätte?
Auch in der SPD prallen unterschiedliche Meinungen aufeinander
Von unserem Korrespondenten Dieter Stäcker
BERLIN. In welcher Form sollen sich die kommenden Generationen an die Vertreibung
von fast 15 Millionen Landsleuten nach dem Zweiten Weltkrieg erinnern? Um diese heikle
Frage geht es in einem in diesen Tagen ausgebrochenen erbitterten Streit zwischen zwei
Fraktionen innerhalb der SPD. Die Auseinandersetzungen gehen allerdings noch weit über
die SPD hinaus.
Auf der einen Seite steht der von Innenminister Otto Schily (SPD) unterstützte Bund der
Vertriebenen (BdV), dessen Präsidentin, die CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach,
den Bau eines nationalen Mahnmals in der Hauptstadt Berlin fordert. Geplant ist ein
Gebäude in Form einer Rotunde, das vor allem auf das Leid der deutschen Vertriebenen
hinweisen soll. Auf der anderen Seite der Debatte stehen die SPD-Politiker Wolfgang
Thierse und Markus Meckel, die die Vertreibung nicht allein als deutsches Problem, sondern
europaweit darstellen wollen. Die Gestaltung eines solchen Zentrums als vorwiegend
nationales Projekt ruft das Mißtrauen der Nachbarn hervor und kann nicht im gemeinsamen
Interesse unserer Länder sein, heißt es in einer von Markus Meckel formulierten
Erklärung.
Der verbale Schlagabtausch zeigt wieder einmal, wie schwer es den Deutschen fällt, sich
mit der eigenen Vergangenheit zu beschäftigen. Die Idee zum Bau der Berliner
Vertriebenen-Gedenkstätte ging von der im Jahre 2000 gegründeten Stiftung Zentrum
gegen Vertreibungen aus, ein Gremium, in dem der SPD-Politiker Peter Glotz und die
CDU-Frau Erika Steinbach an einem Strang ziehen. Die beiden erhielten dabei bundesweit
Unterstützung: Im Juli 2002 hat sich auch der Deutsche Bundestag für den Bau einer
Gedenkstätte ausgesprochen. Außerdem haben fast 400 deutsche Städte Patenschaften für
den Bau des Projekts übernommen und stützen es mit fünf Cent pro Einwohner.
Das Zentrum ist wichtig, weil die Aufnahme und Eingliederung der Vertriebenen aus
den unterschiedlichsten Herkunftsgebieten noch nirgendwo thematisiert worden ist,
begründete BdV-Chefin Steinbach den vorwiegend nationalen Charakter der Gedenkstätte.
Allerdings sieht auch sie die europäischen Dimensionen: Es geht uns auch darum, das
Vertreibungselend der Menschen anderer Nationen deutlich zu machen.
Solchen Versprechungen stehen Meckel und Thierse sowie eine größere Anzahl von
Politikern, Künstlern und Schriftstellern allerdings skeptisch gegenüber. Sie verweisen
darauf, daß die Vertreibung der 15 Millionen Deutschen aus den Ostgebieten nur ein Teil
des Problems gewesen sei schließlich seien im 20. Jahrhundert europaweit zwischen
50 bis 70 Millionen Menschen aufgrund ihrer ethnischen Herkunft, ihres nationalen
Bekenntnisses oder ihrer Religion vertrieben oder deportiert worden. Wir können
nicht das Leid der einen gegen das Leid der anderen aufrechnen, heißt es in einer
Erklärung, die Wolfgang Thierse, Markus Meckel, der Schriftsteller Günter Grass, der
frühere polnische Außenminister Wladyslaw Bartoszewski sowie die CDU-Politikerin Rita
Süßmuth unterschrieben haben.
Die Kritiker des nationalen Projekts warnen denn auch vor einem deutschen
Alleingang und schlagen vor, ein gesamteuropäisches Mahnmal statt in Berlin in
einer Stadt im Osten zu errichten: Entweder in Breslau, wie Markus Meckel anregte, oder in
der deutschen Grenzstadt Görlitz, die Günter Graß empfahl. Keine Frage, daß solche
Vorschläge beim Bund der Vertriebenen auf empörten Widerstand stoßen. Das ist
Verhinderungsstrategie. Das ist nur ein Versuch, unsere Stiftung an den Rand zu
drängen, schimpfte die BdV-Präsidentin Steinbach. Auch der SPD-Mann Peter Glotz
empfahl den Kritikern aus der eigenen Partei, zumindest in der Standortfrage noch einmal
nachzudenken: Die Deutschen sollten vor Berlin nicht davonlaufen, sagt der
frühere SPD-Bundesgeschäftsführer.
Quelle: Badische Zeitung 2003-07-17
Gleicher als gleich?
50 Jahre nach den Bene-Dekreten wollen deutsche
Vertriebene ein Denkmal
Der Streit um eine geplante Gedenkstätte für die deutschen Vertriebenen in Berlin
eskaliert zusehends und zeigt, wie emotionsgeladen die Frage von Schuld, Recht und Moral
bis zum heutigen Tage ist. Zu national ist vielen osteuropäischen Nachbarn das Projekt,
und sogar vom Henker in der Opferrolle ist die Rede.
Das Ausmaß an Ungerechtigkeit und Leid, das sich in diesem Jahrhundert zwischen
Tschechen, Polen und Deutschen ereignete, ist noch immer nicht verarbeitet. Seit Hitler im
Münchner Abkommen 1938 die Annektion Sudeten-Deutschlands unter schärfster
Gewaltandrohung durchsetzte, um 1939 alle Abkommen zu brechen und in Polen und die
Tschechoslowakei einzumarschieren, wurden Millionen von Menschen aus ihren Heimatgebieten
umgesiedelt.
Rausschmiß aus dem Satellitenstaat
Nach dem Krieg waren es die sogenannten Bene-Dekrete (verfaßt
vom damaligen tschechoslowakischen Staatschef), die die Sudetendeutschen zum Verlassen des
sowjetischen Satellitenstaats zwangen. Seitdem ist die Frage nach einer angemessenen
Entschädigung ein Politikum. Sah man sich in der Bundesrepublik lange Jahre der
historischen Verantwortung wegen außerstande, auf die nicht verstummenden Forderungen der
sudetendeutschen und schlesischen Vertriebenen zu reagieren, so ist man nun im Zuge des
europäischen Einigungsprozesses bemüht, für einen angemessenen Ausgleich zu
sorgen finanziell wie moralisch.
Henker in der Opferrolle?
Moralisch wird die Debatte schnell: So fordern die sudetendeutschen
Vertriebenen Entschädigungszahlungen für ihre Vertreibung als humanitäre
Geste. Auf polnischer und tschechischer Seite spricht man hingegen vom einstigen
Henker, der nun in die Opferrolle schlüpfe.
Für Aufruhr in den deutsch-tschechischen Beziehungen sorgte in der vergangenen Woche nun
ein Antrag sudetendeutscher Sozialwerke auf Zahlungen an Vertriebene aus Prag.
Außenminister Joschka Fischer (Bündniß 90/Grüne) unterstützte dies in einem Brief an
den bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CDU) unter Vorbehalt. In Tschechien
begegnet man derartigen Forderungen skeptisch: Viele wollen lediglich eine
Geste gegenüber den einstigen Besatzern zugestehen.
Uneinigkeit besteht auch über die Rechtslage. So bezeichneten tschechische
Spitzenpolitiker die Entschädigungsforderung als ungerechtfertigt, da das durch die
Bene-Dekrete an den tschechischen Staat gefallene Eigentum unantastbar sei. Schon
Ende Juni hatte das Parlament in Prag eine Forderung des Deutschen Bundesrates
zurückgewiesen, die Bene-Dekrete aus den Jahren 1945 und 1946 zurückzunehmen.
Eine Gedenkstätte?
Nun soll eine Gedenkstätte an die deutschen Vertriebenen erinnern. Der
Bund der Vertriebenen (BdV) forderte letzte Woche ein solches Projekt. Wenn es
nach seiner Präsidentin, Erika Steinbach, geht, wird es in Berlin bald ein Zentrum geben,
das den Schicksalsweg der deutschen Vertriebenen anmahnt. Ein geeigneter Ort
ist indes noch nicht in Sicht: Ein repräsentatives Gebäude in
zentraler Lage soll es dann aber doch schon sein. Wunschplätze des BdV sind
das ehemalige Staatsratsgebäude der DDR oder auch der Platz gegenüber der
Humboldt-Universität in geschichtlicher und räumlicher Nähe zum
Holocaust-Denkmal. Ein Plan, der polarisiert und die Gemüter hochköcheln läßt.
Für den ehemaligen polnischen Außenminister Wladyslaw Bartoszewski weckt die Stadt
Berlin bei den Polen böse Erinnerungen, und auch Marek Edelman, der letzte
überlebende Kommandeur des Warschauer Getto-Aufstands, spricht sich gegen ein solches
Zentrum in Berlin aus.
Warschau und Prag sind dagegen
Bei aller Kontroverse ist gleichwohl Kompromißbereitschaft erkennbar. So hatte
das Prager Kabinett am 19. Juni eine Erklärung verabschiedet, in der die Vertreibung der
Sudetendeutschen aus der Tschechoslowakei nach dem zweiten Weltkrieg erstmals offiziell
als nicht hinnehmbar bezeichnet wird. Trotzdem: Ein rein nationales Denkmal
für die deutschen Vertriebenen will man in Warschau wie in Prag nicht ohne Vorbehalte
akzeptieren. Vielmehr solle es sich hierbei um ein europäisches Vertriebenenzentrum
handeln, um allen Geschädigten gerecht zu werden. Und auch jenseits der politischen
Kanäle mehren sich die Stimmen, die gegen ein solches national geprägtes Projekt
votieren. So warnten 65 Persönlichkeiten aus sechs Ländern, unter ihnen die
Literaturnobelpreisträger Günter Graß und Imre Kertesz, vor einem nationalen
Alleingang, der das Mißtrauen der Nachbarn hervorrufe.
Gleicher als gleich
Wie der Streit um die geplante Gedenkstätte auch ausgehen mag: Deutlich wird,
daß auch fast 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs manche Opfer des Unrechts auf
beiden Seiten gerne gleicher als gleich wären eine Tatsache, die besonders im
Hinblick auf die bevorstehende Aufnahme der Tschechoslowakei in die EU nachdenklich
stimmt.
von Oliver Georgi Quelle: ZDF-online 2003-07-18
Union will Berlin als Sitz des Zentrums gegen
Vertreibungen
Von Gernot Facius
Berlin/Bonn Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion steht nach den Worten des
Abgeordneten Erwin Marschewski voll und ganz hinter den Plänen für ein
Zentrum gegen Vertreibungen in der Hauptstadt. Sie unterstützt damit das von
der Präsidentin des Bundes der Vertriebenen (BdV), Erika Steinbach (CDU), und dem
ehemaligen SPD-Bundesgeschäftsführer Peter Glotz initiierte und geleitete
Stiftungsprojekt, gegen das sich heftiger Widerstand in Deutschland, Polen und der
Tschechischen Republik regt. Im Gespräch mit der Berliner Morgenpost gab Marschewski, der
Vorsitzender der Arbeitsgruppe Vertriebene und Flüchtlinge der Unionsfraktion ist, dem
von Markus Meckel (SPD) vorgestellten Gegenprojekt keine Chance. Wer, wie
Meckel, ein solches Zentrum auf internationale Füße stellen möchte und etwa
noch an die Einbeziehung von Regierungen denke, werde scheitern. Etwas anderes
anzunehmen wäre unrealistisch.
Die Bedeutung der von seiner Fraktionskollegin Steinbach ins Leben gerufenen Stiftung
liege darin, daß es sich eben um eine nichtstaatliche Einrichtung handele,
die unabhängig agieren könne. Damit wird ein hoffnungsvoller Anfang gemacht, das
Schicksal auch der deutschen Vertriebenen sachlich zu dokumentieren, sagte
Marschewski. Und dann kann man ja irgendwann auch offen für andere sein.
Der CDU-Politiker, selbst kein Heimatvertriebener, sieht in der Meckel-Initiative eine
Fortführung der neuen Berliner Kulturpolitik, die es darauf anlegt, die Deutschen
aus dem Osten möglichst aus allem rauszuhalten. Verwundert zeigte er sich über die
frühere Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU), deren Name unter dem Aufruf für die
Gründung eines Europäischen Zentrums gegen Vertreibungen steht: Als
Mitglied der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat sie seinerzeit unseren Antrag
mitunterschrieben.
Die Union und die Mehrheit der Ministerpräsidenten sind wie der BdV für Berlin als
Standort des Zentrums gegen Vertreibungen. Bundesinnenminister Otto Schily
(SPD), der von Anfang an das Projekt mit Sympathie begleitete, hat sich in der Frage des
Standortes nicht festgelegt. Im Innenministerium heißt es dazu, Schily werde die
Diskussion mit allen Beteiligten fortsetzen. In absehbarer Zeit wolle er zu
einem gemeinsamen Gespräch einladen. Dies dürfte nach der Sommerpause geschehen.
Anläßlich des 50. Jahrestages des Bundesvertriebenengesetzes hatte Schily im Mai
angekündigt, er wolle die Pläne zur Errichtung eines Europäischen Zentrums gegen
Vertreibungen rasch umsetzen.
Quelle: Berliner Morgenpost 2003-07-18
SZ-Interview mit Petr Pithart
Zentrum gegen Vertreibung in Tschechien denkbar
Der Präsident des Senats in Prag erinnert an die europäische Dimension des Traumas
Im Streit um ein Zentrum gegen Vertreibungen unterstützt der Präsident des tschechischen Senats, Petr Pithart, eine europäische Lösung. Der Christdemokrat ist Unterzeichner des Aufrufs gegen ein deutsches Zentrum in Berlin.
SZ: Was haben Sie gegen ein Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin?
Pithart: Für uns hat die Vertreibung mit dem Münchner Abkommen
begonnen. Im Jahr 1938 sind zehntausende Tschechen aus dem an Deutschland gefallenen
Grenzgebiet geflohen. Das haben sie als Vertreibung wahrgenommen. Die Besatzer hatten
ihnen zu verstehen gegeben, daß sie dort nichts zu suchen haben. Für uns Tschechen ist
daher die Darstellung unannehmbar, die Vertreibungen hätten erst mit der Vertreibung der
Sudetendeutschen begonnen. Leider ist die Vertreibung der Sudetendeutschen auch nicht die
letzte geblieben. Das hat sich in den neunziger Jahren in Südosteuropa gezeigt. Das ist
ein europäisches Trauma. Keiner kann es monopolisieren. Es wäre nicht weitsichtig, wenn
so ein Zentrum gerade deshalb in Berlin entstünde, weil einige Deutsche so tun, als ob
vor der Vertreibung der Deutschen nichts Vergleichbares geschehen wäre.
SZ: Wo gehört dann das Europäische Zentrum gegen Vertreibungen hin,
das Sie unterstützen?
Pithart: Es kann an vielen Orten in Europa entstehen, natürlich auch in
der Tschechischen Republik. Aber das muß es nicht, auch Srebrenica wäre denkbar.
SZ: Sie können sich das Zentrum in Tschechien tatsächlich vorstellen?
Pithart: Ich kann mir das vorstellen, ja.
SZ: Wo wäre der richtige Ort in Tschechien?
SZ: Worin könnte der tschechische Beitrag zu so einem europäischen Zentrum
bestehen?
Pithart: Bei uns hat 1938 der zweite Weltkrieg begonnen zwar nicht
an der Front, aber durch Anwendung von Gewalt. Unsere Erfahrung prädisponiert uns, die
Tragödie des Zweiten Weltkrieges in größerem Zusammenhang zu verstehen und nicht nur
das eigene Leid und die eigenen Traumata zu sehen.
SZ: Sollte der deutsche Bund der Vertriebenen beteiligt sein an einem
Europäischen Zentrum gegen Vertreibungen?
Pithart: Dazu will ich nur sagen, daß niemand das Thema Vertreibung
vereinnahmen darf. Ich sage Ja zum Gedenken an die Schicksale der vertriebenen Menschen
und zum Gedenken an die Vertreibung an sich. Aber ich sage Nein zur politischen
Monopolisierung und Instrumentalisierung.
Ich wünsche mir mehr Beachtung für die Vertriebenen genauso wie für Leute aus dem
Widerstand und den zur Zwangsarbeit Verschleppten.
Die Zwangsarbeit ist ein globales, immer noch lebendiges Problem. Dagegen werden leider
keine Zentren gebaut.
Deutschland erlebt eine Debatte darüber, ob das Gedenken national oder europäisch sein
soll. Für uns und ganz Europa wäre es besser, wenn Deutschland sich für die zweite
Möglichkeit entscheiden würde. Ich bin überzeugt, daß es so kommen wird.
Interview: Daniel Brössler
Süddeutsche Zeitung 2003-07-18
Entzaubertes Feigenblatt
Heftige Debatte über in Berlin geplantes Zentrum gegen
Vertreibungen
Von Peter Richter
Ein Zentrum gegen Vertreibungen soll nach dem Willen des Bundes der
Vertriebenen (BdV) in Deutschland entstehen. Er selbst aber trägt dazu bei, daß sich
dagegen Widerstand regt.
Gewiß fehlt es in der dürren Skizze der Aufgaben eines Zentrums gegen
Vertreibungen auf dessen Homepage (www.z-g-v.de) nicht an Verweisen auf den
internationalen Charakter des Projekts. Es solle Vertreibungen weltweit
entgegenwirken, heißt es da gleich zu Anfang. Und später: die Vertreibung
anderer Völker, insbesondere im Europa des 20. Jahrhunderts, erfahrbar machen und
im konstruktiven Dialog mit den Nachbarvölkern die gemeinsame Vergangenheit
aufarbeiten, um daraus Friedenspotential für die Zukunft zu schaffen. So weit, so
gut, doch dazwischen ballen sich Zielbeschreibungen, die den Verdacht wecken, die so
deklarierte Internationalität des Zentrums diene nur dazu, die wahren Absichten seiner
Initiatoren zu verbergen.
Denn sie sind auf das deutsche Vertreibungsschicksal konzentriert und weitaus konkreter:
einen Gesamtüberblick über die Vertreibungen der mehr als 15 Millionen Deutschen
geben, Kultur, Schicksal und Geschichte der deutschen Vertriebenen und ihrer
Heimat im Zusammenhang erfahrbar machen, die Veränderung Deutschlands ...
durch die Integration Millionen vertriebener Landsleute und die Auswirkungen auf alle
Lebensbereiche dokumentieren und darstellen. Im Mittelpunkt der Gedenkstätte ist
eine Rotunde nur zum Gedenken der deutschen Vertriebenen geplant, ist es doch für die
BdV-Vorsitzende Erika Steinbach ganz verständlich und berechtigt, daß jedes Volk
seinen eigenen Opfern die Ehre erweist.
Natürlich wußten sie und die überwiegend im BdV angesiedelten Initiatoren des
Vorhabens, daß sich Akzeptanz dafür am ehesten herstellen ließ, wenn der nationale
Charakter des Zentrums nicht allzu sehr in den Vordergrund tritt. Und sie hatten insofern
Erfolg, als sie neben Arnulf Baring, Michael Wolffsohn, Guido Knopp und Peter
Scholl-Latour auch den Sozialdemokraten Peter Glotz, den Präsidenten der Berliner
Akademie der Künste, György Konrád, und Alfred-Maurice de Zayas vom
UNO-Menschenrechtsausschuß als Unterstützer präsentieren konnten. In der Jury des von
den Zentrumsinitiatoren in diesem Jahr erstmals verliehenen
Franz-Werfel-Menschenrechtspreises (ND berichtete) sitzen Daniel Cohn-Bendit und Ralph
Giordano.
Der Bundestag beschäftigte sich mit dem Anliegen und beschloß vor einem Jahr, die
Errichtung des Zentrums zu unterstützen, ohne freilich Einzelheiten festzulegen. Da aber
der BdV das Vorhaben auf vielfältige Weise vorantrieb und ganz in dessen Sinne
Innenminister Otto Schily bereits eine Kommission aus allein deutschen Politikern und der
Stiftung ins Auge gefaßt hatte, haben sich nun 65 Persönlichkeiten zu Wort gemeldet und
unter dem Motto Gemeinsame Erinnerung als Schritt in die Zukunft für ein
tatsächlich europäisches Zentrum gegen Vertreibungen, Zwangsaussiedelungen und
Deportationen plädiert. Angeregt hatte den Aufruf der SPD-Abgeordnete Markus Meckel, von
Anfang an ein Kritiker des Vorhabens der Vertriebenenverbände, unterzeichnet haben ihn
unter anderen der tschechische Vize-Premier Petr Mares, die polnischen Ex-Außenminister
Bartoszewski und Geremek, Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, die
Literatur-Nobelpreisträger Günter Graß und Imre Kertesz sowie Hans-Dietrich Genscher
und Rita Süssmuth. Sie verlangten einen Neuanfang der Debatte über das Zentrum, weil es
als vorwiegend nationales Projekt das Mißtrauen der Nachbarn
hervorrufe.
Anstatt aber auf diese mahnenden Stimmen einzugehen und sich konstruktiv in die Diskussion
über ein europäisches Vertreibungszentrum einzubringen, entfachten Erika Steinbach und
mit ihr die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion, der sie angehört, eine Kampagne gegen die
Mahner. Steinbach warf Meckel gestern in der Stuttgarter Zeitung vor, die
Diskussion auf perverse Weise von Deutschland nach Polen, von Deutschland nach
Tschechien getragen und dort Stimmung gemacht zu haben. Gleichzeitig
lehnte sie ein internationales Zentrum ab, fand sich allenfalls dazu bereit, daß
internationale Persönlichkeiten hinzugezogen werden. Auch vor allem aus dem Ausland
kommende Bedenken, das Zentrum in Berlin zu bauen, wies sie strikt zurück: Es ist
die schonendste Art für unsere Nachbarvölker, wenn wir es in Berlin machen.
Die Konzentration des geplanten Zentrums auf deutsche Vertriebene betonten auch andere
Unionspolitiker. Der CDU-Abgeordnete Erwin Marschewski nannte es in der Welt
einen Anfang, das Schicksal auch der deutschen Vertriebenen sachlich zu
dokumentieren, sein CSU-Kollege im Europaparlament, Bernd Posselt, warnte vor einer
Marginalisierung der deutschen Heimatvertriebenen und ihres Schicksals. Erika
Steinbach selbst bezeichnete den Vorschlag für ein europäisches Zentrum eine
Verhinderungsstrategie zulasten der deutschen Heimatvertriebenen. Sie könnte
diesen Vorwurf getrost auch auf ihr eigenes wütendes Agieren beziehen, durch das das
Projekt endgültig als das entzaubert wurde was es von Anfang an war ein
Feigenblatt.
Quelle: Neues Deutschland (Ex-SED-Zentralorgan und heute PDS-nah) 2003-07-19
Deutsche Opfer, deutsches Leid
Die Auseinandersetzung um ein Denkmal für die Opfer der Vertreibung berührt eine
geschichtspolitische Kernfrage
Von Sven Felix Kellerhoff
Jedes Denkmal wird sinnlos, wenn es pauschal ist. So formulierte es
der Förderkreis zur Errichtung eines Denkmals für die ermordeten Juden Europas 1992, als
die Debatte hochschlug, ob in Berlins Mitte nur der sechs Millionen jüdischen
Opfer des Holocaust gedacht werden sollte oder auch der 500 000 vernichteten
Sinti und Roma. Damals gab es neben Kritik von Interessenverbänden nichtjüdischer Opfer
viel Zustimmung für dieses klare Bekenntnis.
Wenigstens einige von denen, die vor elf Jahren ein spezifisches Holocaust-Mahnmal
forderten, haben Anfang dieser Woche den Aufruf des SPD-Abgeordneten Markus Meckel für
ein europäisches Zentrum gegen Vertreibungen unterschrieben. Und damit gegen ein Denkmal
zur Erinnerung an die deutschen Leiden und die Opfer der Zwangsmigration 1945 bis 1950,
wie es der Opferverband Bund der Vertriebenen (BdV) angeregt hatte. Satt dessen soll die
Geschichte der Vertreibungen im gesamten 20. Jahrhundert erforscht und aller Opfer gedacht
werden.
Was ist nun richtig: Soll ein Denkmal möglichst spezifisch sein? Oder pauschal? Die
meisten der zwölf Millionen deutschen Vertriebenen und der zwei Millionen Toten trugen
persönlich ebenso keine Schuld wie die Opfer des NS-Rassenwahns. Vielleicht sind die
Unterzeichner von Meckels Aufruf gegen das Projekt des BdV, weil es um deutsche Opfer geht
und nicht um deutsche Täter? Hier geht es um eine geschichtspolitische Kernfrage.
Vor knapp drei Wochen, anläßlich der Verleihung des Franz-Werfel-Menschenrechtspreises
des BdV und einer Tagung der Viadrina-Universität Frankfurt (Oder), ist die Debatte
wieder in Gang gekommen.
Jetzt verschärfen Meckel und seine Unterstützer den Tonfall, fahren polnische und
tschechische Prominente auf, die sich gegen das BdV-Projekt aussprechen. Für die bereits
gegründete Stiftung des Vertriebenenverbandes reagieren Peter Glotz (SPD) und Erika
Steinbach (CDU) mit dem Hinweis, ihr Zentrum sei ebenfalls europäisch
ausgerichtet, der Streit also überflüssig.
Die Debatte läuft, wie viele vergangenheitspolitische Diskurse seit der Einheit,
unweigerlich in eine Sackgasse. Denn einerseits haben deutsche Vertriebene Anspruch auf
Würdigung ihrer Leiden und auf Gedenken. Andererseits ist die Geschichte der
Massenvertreibungen im 20. Jahrhundert längst nicht genügend bearbeitet.
Immerhin mußten zwischen 1910 und 1922, zwischen 1938 und 1950 sowie in den neunziger
Jahren in Ostmittel- und Südosteuropa mindestens 50 Millionen Menschen zwangsweise ihre
Heimat verlassen. Zugrunde lag dem, lange bevor der Bürgerkrieg in Jugoslawien den
Begriff hervorbrachte, die Wahnidee der ethnischen Säuberung, der
völkischen Homogenität der Bevölkerung also. Dies aufzuarbeiten, ist ein
Desiderat der Forschung.
Unabhängig davon (und unabhängig von der großen Ausstellung über Vertreibungen, die
für das Jahr 2005 im Bonner Haus der Geschichte der Bundesrepublik geplant wird) braucht
Deutschland einen Ort, an dem die deutschen Opfer und ihre Leiden im Mittelpunkt stehen.
Es wäre falsch, dieses Gedenken weiter den Landmannschaften zu überlassen.
Die Debatte nach dem Erscheinen von Günter Grass' Novelle Im Krebsgang hat
gezeigt, daß am Ende der Lebensspanne der Erlebnisgeneration Mitteilungsbedarf besteht,
der in einer Demokratie nicht verdrängt werden darf.
Das Bundesvertriebenengesetz bestimmt in Paragraph 96, daß Bund und Länder verpflichtet
sind, das Kulturgut der Vertreibungsgebiete im Bewußtsein der Vertriebenen und
Flüchtlinge, des gesamten deutschen Volkes und des Auslandes aufrechtzuerhalten.
Seit Jahrzehnten werden nach dieser Vorschrift verschiedene Heimatmuseen und
Forschungsinstitute gefördert. Manche Buchverlage bestritten über Jahrzehnte den
größten Teil ihrer festen Kosten aus den regelmäßig gezahlten Zuschüssen für
Vertriebenenpublikationen.
Nach fast 60 Jahren haben sich die Bedürfnisse geändert; das Kulturgut der Vertriebenen
braucht in Zukunft nicht mehr im Mittelpunkt zu stehen. Bei einer Neuordnung der
Unterstützung könnte man der BdV-Stiftung die wichtigeren der bisher geförderten
Institutionen eingliedern, die weniger wichtigen einstellen und mit den gewonnenen Mitteln
ein Forschungsinstitut mit dem Namen Europäisches Zentrum gegen Vertreibungen
etablieren sowie mit einer sachlichen Ausstellung an die deutschen Opfer der Vertreibungen
erinnern. Dort muß an ihre verlorene Heimat, an den Ungeist des völkischen
Denkens, an die Leistung der Eingliederung in der jungen Bundesrepublik und das besonders
harte Schicksal der in der DDR angesiedelten Vertriebenen erinnert werden.
Quelle: Berliner Morgenpost (Onlineausgabe) 2003-07-20