Stuttgarter Zeitung 2003-07-18
„Streit wird pervers ins Ausland getragen“

Erika Steinbach verteidigt Konzept für Zentrum gegen Vertreibungen: Das soll kein Pranger werden

Das in Berlin geplante Zentrum gegen Vertreibungen ist in die Kritik geraten. Im Gespräch mit Stefan Braun verteidigt die Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, die Konzeption. Sie sieht darin einen Angriff auf ihre Organisation und attackiert ihrerseits die Kritiker.

Deutsche, polnische und tschechische Wissenschaftler haben das Konzept für ein Zentrum gegen Vertreibungen als zu deutschlandlastig kritisiert. Haben Sie als Mitorganisatorin etwas übersehen?

Die Kritik ist mir absolut unverständlich. Wer die Konzeption der Stiftung liest, erkennt, daß neben der Aufarbeitung der Vertreibung von Deutschen ein ganz wichtiger Bereich auch der Vertreibung anderer Völker gewidmet ist. Der entscheidende Satz in der Konzeption unserer Stiftung lautet: Die Vertreibungen anderer Völker werden im Zentrum dokumentiert und aufgearbeitet.

Wenn stimmt, was Sie sagen, wie erklären Sie sich dann, daß es so deutliche Kritik an der Konzeption gibt?

Diese Kritik resultiert aus der Tatsache, daß die Stiftung durch deutsche Heimatvertriebene geschaffen worden ist. Manche sitzen noch immer in ihren Schützengräben und wollen nicht begreifen, daß die Vertriebenen selbst über das eigene Schicksal hinaus den Blick auf andere Opfer werfen, andere Opfer ins Blickfeld rücken. Die Vertriebenen haben ihre Schützengräben verlassen, andere nicht.

Sie berufen sich auf die Konzeption. Aus dieser Konzeption läßt sich bisher aber ein deutliches Übergewicht für die deutsche Geschichte herauslesen. Wäre es nicht klug, mehr Gleichgewicht zwischen verschiedenen Vertreibungen zu schaffen?

Die Stiftung hat zu Recht bei der Vertreibung der Deutschen nicht nur das Kapitel Flucht, Vertreibung und Herkunft eingeplant. Ein wichtiger Teil ist auch der Wille, deutlich zu machen, wie sich Deutschland durch den Zuzug von zwölfeinhalb Millionen Menschen plus vier Millionen Spätaussiedler verändert hat. Im Grunde ist aus Vertriebenen und Nichtvertriebenen ein neues Volk entstanden. Dem wollen wir auf die Spur kommen.

Genau das aber macht doch eine sehr starke deutsche Betonung erkennbar. Wäre es nicht besser, das bei einem Zentrum gegen Vertreibungen auszugliedern?

Nein. Es ist ein weißer Fleck in unserer Betrachtung, den wir füllen müssen. Dieser Teil mag für die Nachbarn uninteressant sein – wir brauchen ihn zum Selbstverständnis.

Belastet dieser Schwerpunkt nicht die internationale Akzeptanz des Zentrums?

Nein. Die Konzeption besteht doch aus mehreren gleichwertigen Schichten. Wenn man alles in ein virtuelles Gebäude gliedert, dann gehört eine Etage dem Kapitel Flucht, Vertreibung und Herkunftsgebiete der Deutschen. Eine Etage gehört unserer binnendeutschen Sicht: Wie hat sich Deutschland verändert? Eine Etage gehört der Entwicklung des Nationalismus und der Vertreibung anderer Völker in Europa. Und eine Etage gehört gewiß auch aktuellen Vertreibungsaktionen auf der Welt.

Warum nennen Sie es dann nicht Internationales Zentrum gegen Vertreibungen?

Es spricht gar nichts dagegen, daß internationale Persönlichkeiten hinzugezogen werden.

Psychologisch geht es doch um den Namen und den Anspruch.

Mag sein. Aber die Stiftung ist juristisch auf der Welt. Der Name ist juristisch eingetragen – und sogar geschützt. Das Problem der Kritiker um Markus Meckel ist, daß ausgerechnet die Vertriebenen eine so fortschrittliche Konzeption entwickelt und sehr angesehene Mitstreiter haben. Wer jetzt der Stiftung das Konzept aus der Hand nehmen will, versucht doch nur, die Welt auf den Kopf zu stellen. Wir sind die Urheber dieses epochalen Gedankens gewesen. Vor uns hat kein Mensch auch nur eine kleine Windung seines Gehirns darauf verwendet, wie man das Thema sinnvoll anpacken könnte.

Was meinen Sie mit „epochal“?

Einen Ort der Erinnerung zu schaffen, ohne daß es ein Pranger wird; einen Ort zu schaffen, der nicht in Selbstmitleid erstickt und der die Solidarität mit anderen Opfern zeigt. Darum war es eine kontraproduktive Idee, das Zentrum plötzlich nach Breslau verlegen zu wollen.

Warum?

Stellen Sie sich vor, ich hätte das vorgeschlagen. Das wäre wie Landnahme wahrgenommen worden. Man engt es zudem auf eine deutsch-polnische Diskussion ein. Gerade dadurch aber würden sich viele Polen an den Pranger gestellt fühlen.

Sie halten den Vorschlag für falsch, das Zentrum anderswo zu errichten?

Es ist die schonendste Art für unsere Nachbarvölker, wenn wir es in Berlin machen, so wie wir es in der Satzung vorgesehen haben. Und ich bin sicher, daß wir in nicht allzu ferner Zeit ein Gebäude in Berlin haben werden.

Wenn es ist, wie Sie es einschätzen, warum fordern dann gerade auch tschechische und polnische Wissenschaftler, das Zentrum nicht in Deutschland zu bauen?

Der springende Punkt ist, daß man das Thema der Stiftung entreißen will. Und was Intellektuelle in Polen äußern, nämlich daß sie sich sehr gerne damit beschäftigen würden, entspricht nicht der Gefühlslage der Mehrheit der Menschen dort. Die Diskussion wurde nicht in Polen entfacht. Sie ist durch Meckel auf perverse Weise von Deutschland nach Polen, von Deutschland nach Tschechien getragen worden. Er hat dort Stimmung gemacht. Das ist das Ärgerliche.

Ist alles ein parteipolitischer Konflikt?

Nein, absolut nicht. Die SPD-Politiker Peter Glotz und Otto Schily unterstützen unser Konzept. Das sagt doch alles.

Aktualisiert: 19.07.2003, 05:04 Uhr
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