Die gefährliche Spezies der NGO-Gutmenschen

Ringos, Gringos und Bingos

Von Roland Baader, Waghäusel/Deutschland – Schweizerzeit 21. September 2001

Nichtregierungs- oder nichtstaatliche Organisationen, sogenannte NGOs, haben sich zu gewichtigen Machtfaktoren entwickelt. Die Einflußmöglichkeiten dieser Organisationen auf das politische Geschehen, ja selbst auf das Handeln von Regierungen hat zum Teil beängstigende Ausmaße erreicht.

Wenn die Regierungen der Industrieländer oder der ganzen Welt wirklich uneingeschränkten Freihandel wollten, dann würden sie ihn einfach zulassen. Es bedürfte dann weder der WTO (World Trade Organization) noch ihrer Konferenzen.
Wenn den Regierungen der Industrienationen wirklich daran gelegen wäre, die Gefahren der internationalen Verschuldung zu vermeiden, dann würden sie
a) die eigene Staatsverschuldung beenden und
b) aufhören, die Schulden anderer Nationen erst mit Giga-Krediten aufzublähen und anschließend mit den Steuergeldern der eigenen Bürger zu bezahlen. Es bedürfte dann weder eines Internationalen Währungsfonds (IMF) noch einer Weltbank noch der permanenten Schuldenkonferenzen.

Diese internationalen Großorganisationen und Abkommen sind also, genau betrachtet – aber zugegebenermassen ein wenig simplifiziert dargestellt – antiliberale Institutionen. WTO, IMF und Weltbank sind keineswegs Garanten der Freiheit von Menschen und Märkten, sondern gewaltige Interventionshebel der Regierungen und der politischen Machteliten gegen wahrhaft freie Marktwirtschaft und wirklich freien Welthandel. Das macht es für die Freunde der Freiheit so schwierig, zu erklären, warum sie diese Institutionen dennoch gegen den Massenangriff durch die NGOs (Non-Government Organisations = Nichtregierungs- oder nichtstaatliche Organisationen) verteidigen und deren Chaos-, Gewalt- und Blutspur von Davos über Seattle, Melbourne und Prag bis Genua aufs schärfste verurteilen.

Etwas grobschlächtig ausgedrückt, kann man die Haltung liberaler Ökonomen mit dem Satz zusammenfassen: Notgedrungen lieber einen staatlich versumpften Kapitalismus mit seinem Geklüngel zwischen «big government» und «big business» als einen von den NGOs herbeigeknüppelten Weltsozialismus, dessen Gelingen nicht weniger bedeuten würde als Massensterben der Weltbevölkerung und Rückfall der Menschheit in die Steinzeit.

Millenniums-Kollektivisten
Was nun sind NGOs, wie setzt sich die gewaltige Weltanschauungs-Armee der neuen «Millenniums-Kollektivisten» (David Henderson) aus Globalisierungsgegnern und Kapitalismusfeinden zusammen?
Zunächst ist zu konstatieren, daß die Zahl der NGOs in den 90er Jahren von sechstausend auf über dreißigtausend geradezu explodiert ist. Sie sind zwar nichtstaatliche Organisationen, unterscheiden sich aber von anderen nichtstaatlichen Organisationen wie bspw. Arbeitgeberverbänden oder Gewerkschaften. Sie stehen nicht für spezielle Interessen (jedenfalls nicht offiziell), sondern für spezielle Themen. Dazu gehören Verbraucherverbände, Umweltgruppen, Dritte-Welt-Gemeinschaften, Menschenrechtsgruppierungen, humanitäre Vereine, Einbürgerungs-Organisationen, linksgewerkschaftliche und kirchliche Gruppen aller Richtungen.

Die NGOs haben eine illustre Reihe von Untergruppen aufzuweisen. Da gibt es die RINGOs (Religious Non-Government Organizations), die besonders in den USA überaus mächtige Vereinigungen bilden. Dann gibt es die GRINGOs (Government-Related NGOs), die noch mächtiger sind, weil sie mit staatlichen Geldern gestützt werden. Bei den sogenannten BINGOs (Business Front Organizations) handelt es sich um NGOs, die von Unternehmen gegründet und unterhalten werden, um in Entwicklungsländern, in denen NGOs eine wichtige Rolle spielen, an große Aufträge zu kommen.

Die Bezeichnung als Nichtregierungs- oder nichtstaatliche Organisationen täuscht darüber hinweg, daß die meisten sehr wohl etwas mit Regierung oder Staat zu tun haben, denn der Zweck einer solchen Organisation ist es, Druck auf die Regierung(en) auszuüben, und zwar mit wesentlich mehr Erfolg als irgendeine Einzelperson erreichen könnte. Und die Regierungen haben rasch ihre Bereitschaft signalisiert, zuzuhören, denn hinter jedem organisierten Schreihals der NGOs vermutet man eine nicht unerhebliche Wählerzahl.

Darüber hinaus werden mehr und mehr NGOs zu Front-Organisationen nationaler Regierungen und beziehen dann erhebliche Teile ihrer Mittel aus den Staatshaushalten. So stammen bspw. bei «Médecins sans Frontières» die Hälfte aller Einnahmen von der französischen und anderen Regierungen. Ferner haben die politischen Eliten der Industrieländer gelernt, daß sie weniger Angriffsflächen bieten, wenn sie die internationale Hilfe auf private Organisationen verlagern. Das Publikum traut einfach dem Roten Kreuz mehr zu als einer Partei-Abordnung. Außerdem spart man viel Geld, weil die Leute an private Organisationen freimütiger spenden als an staatliche.

Nun ist zwar die Privatisierung der internationalen Hilfe immer noch besser als deren Nationalisierung, aber effizienter oder sinnvoller wird sie dadurch – aufgrund der ihr inhärenten Irrationalität – keineswegs. Die einzelne NGO besitzt zwar weniger Herrschaftsgewalt als eine nationale Exekutive, aber das Gesamtgeflecht der NGOs summiert sich zu einer mächtigen Struktur des internationalen Interventionismus, die sich vor keiner Wählerschaft und keinem Parlament mehr zu rechtfertigen braucht.

In einigen Fällen sind die NGOs sogar dabei, die legislative und exekutive Potenz der gewählten Parlamente und Regierungen zu übertrumpfen und auszuhebeln. Als Beispiel sei die Anti-Tabak-Lobby genannt. Da die nationalen Regierungen nicht gewillt sind, auf die reichlich und sogar unter öffentlichem Beifall fließenden Tabaksteuern zu verzichten, richten die Anti-Raucher-Gruppen ihren Druck auf die WHO (World Health Organization/Weltgesundheitsorganisation, eine der vielen Unterorganisationen der UNO), um internationale Anti-Tabak-Gesetze durchsetzen zu können. Als Ergebnis zeichnet sich ab, daß die Staaten nicht nur eine lukrative Steuerquelle verlieren, sondern auch relativ hilflos zusehen müssen, wie der Tabakhandel in schwarze Märkte abwandert und wie sich dort Brutstätten für kriminelle Banden und Mafia-Syndikate bilden.

Auch richten sich immer mehr NGO-Vorstöße an die Adresse der anderen UN-Organisationen, die zunehmend gesetzgeberische Macht ausüben und mit deren Hilfe die Beschränkungen der nationalen Legislativen umgangen werden. Die rasch voranschreitende Aushöhlung der demokratischen Institutionen, wie sie die nationalen Wählerschaften Europas bereits von seiten der EU und ihrer Räte-Diktatur erleben, bekommt durch das Zusammenspiel zwischen den UN-Organisationen und den NGOs eine zusätzliche Turbo-Dimension. Das, was dem laut polternden Sozialismus des 20. Jahrhunderts – trotz seiner Blutspur von weit über hundert Millionen Toten – nicht gelungen ist, nämlich die Errichtung einer sozialistisch-kommunistischen Weltherrschaft, das scheint nun im 21. Jahrhundert durch den auf Samtpfoten daherkriechenden Sozialismus der NGOs und der mehr und mehr mit ihnen verfilzten internationalen Großorganisationen heimtückische und bürokratische Wirklichkeit zu werden.

Immun gegen Kritik
Nichts zeichnet sich ab, was diese Entwicklung aufhalten könnte. Daß einige NGOs inzwischen selber zu den «Multis» gehören, die sie bekämpfen – wie bspw. Greenpeace mit einem jährlichen Mittelaufkommen von 120 bis 150 Millionen Dollar –, macht die Sache nicht besser, sondern schlimmer. (Das Spendenaufkommen aller NGOs liegt bei fünf Milliarden Dollar jährlich). Außerdem kann niemand es wagen, Kritik an den angeblich der Welt- und Menschheitserrettung dienenden Kohorten zu üben, gelten sie doch als Inbegriff des Guten und Edlen. Daneben haben sie erheblichen Einfluß auf die Medien, weil sie genau den «Stoff» liefern, den die hypermoralische Attitüde der visuellen Menschheitsbelehrer benötigt, um ihren irdischen Sakralstatus zu unterlegen.

Der Massenwahn von der angeblichen Notwendigkeit und Wohltätigkeit der Entwicklungshilfe (die in Wirklichkeit die Armut zementiert und zur parasitären Pfründenwirtschaft für die Funktionäre und Hilfstruppen der Entwicklungshilfe-Kartelle geworden ist), tut ein übriges. Welche Dimensionen dieses Schauspiel angenommen hat, kann man in Nairobi (Kenia) betrachten. Dort gibt es ungefähr 120 Büros verschiedener NGOs, die mehr finanzielle und organisatorische Macht auf sich vereinigen als die Botschaften aller Länder zusammengenommen.

Und neuerdings tritt die «Demokratisierung» als heiliger Legitimationsquell für die Tätigkeit der organisierten Gutmenschen hinzu. So wurde z. B. in den Jahren 1999/2000 mehr Geld – gerechnet pro Kopf der Bevölkerung – nach Bosnien geschaufelt als in irgendein anderes Land der Erde, hauptsächlich zu Zwecken der «Demokratisierung» des Landes. Die bosnische Bevölkerung hat jedoch kaum etwas von diesem Segen gesehen; das meiste landete in den Taschen der fünfzigtausend dort tätigen NGO-Apparatschiks, die in Wahrheit alles andere taten, als demokratische Strukturen zu errichten. Sie dachten nicht daran, Einheimische mit Ämtern, Kenntnissen und Mitteln zu versehen – und sich damit selber überflüssig zu machen (vgl. David Chandler: Bosnia: Faking Democracy after Dayton, Pluto Press).

Krieg und Bildungssozialismus
Natürlich tummeln sich in den NGOs nicht lauter Betrüger. Die meisten dort tätigen Leute sind guten Willens und um Hilfe bemüht, jedenfalls soweit sie in humanitär motivierten Gruppen arbeiten. Aber viele NGOs wollen einfach nur Macht, Einfluß und Geld – egal mit welchen Mitteln, notfalls auch mit Erpressung nach dem Motto: «Sitz, Stimme und Honorar in Gremium X und Y gegen die stille Zusage, künftig weniger Schaden anzurichten» – und sie sind in ihrer Gesamtheit so mächtig und einflußreich geworden, daß sie uns sogar in Kriege ziehen können. Im Fall des äthiopischen Bürgerkrieges Mitte der 80er Jahre dachte noch niemand bei der Uno, in der Nato oder in nationalen Regierungen daran, sich militärisch einzumischen. Nun aber, mit den tausendfältigen Hilferufen und Appellen der NGOs, ist das jederzeit denkbar – und in einigen Fällen bereits geschehen. Es rückt das perverse Phänomen näher, daß wir Kriege führen, die weder von den Regierungen noch von ihren Wählern gewollt sind, und die von wohltätigen Organisationen initiiert und mit wohltätigen Spendenmitteln aus den Taschen karitativ engagierter Bürger mitfinanziert werden.

Genau besehen sind die Industriestaaten – vermittels ihres Bildungssozialismus – dabei, massenhaft die Schlangenbrut heranzuzüchten, die sie selbst zerstören wird. Wo soll sie denn hin, die Hunderttausendschaft an Akademikern, ob gescheitert oder diplomiert, die im staatlichen Bildungswesen auf Kosten der Steuerzahler mit Kenntnissen ausgestattet wird, die im praktischen Leben gar nicht oder nur vereinzelt gebraucht werden: die Philosophen und Soziologen, die Psychologen und Ethnologen, die Politologen und Historiker, die Anthropologen und Literaturwissenschaftler? Sie müssen sich ihre Jobs – und zwar möglichst hochdotierte, ihrem Selbstverständnis als Akademiker «angemessen» honorierte Jobs – selber erfinden und schaffen. Und das tun sie in geradezu idealer Weise, indem sie «edle» Organisationen gründen und massenweise besetzen, Organisationen, die angeblich unverzichtbar sind, um alle möglichen und unmöglichen apokalyptischen Reiter von der Menschheit abzuhalten, um scheinbar die Bürde der Armen und Unterdrückten der Erde zu erleichtern, und um vorgeblich die Schöpfung vor der Bestie Mensch zu schützen. Wer könnte es wagen, diesen messianischen Engeln mit niederer, ja «weltverbrecherischer» Gesinnung entgegenzutreten und sie zu beurteilen als das, was sie sind, nämlich so überflüssig wie ein Kropf und so parasitär wie eine Mistel, die ihren Wirtsbaum aussaugt und letztlich zerstört. Die «political correctness» ist nicht zuletzt deshalb erfunden worden, um dieses Wagnis zu verhindern.

Aus dem info-Ring „konservative@domeus.de“ 2001-09-22