Aus der Prager Zeitung 2001-07-04:
Aufwertung der Auslandsungarn
Ungarn rüttelt zum Entsetzen der Nachbarn an den Ergebnissen von Trianon
Von Lubo Palata
Das ungarische Parlament hat Ende Juni ein Gesetz für die im Ausland lebenden
ungarischen Minderheiten verabschiedet. Deren Position erfährt dadurch eine deutliche
Aufwertung: bei einem Aufenthalt im Mutterland haben sie Anspruch auf
kostenlose ärztliche Fürsorge, sie genießen Vorzug bei der Arbeitssuche, sie dürfen an
ungarischen Universitäten studieren und erhalten eine relativ hohe Unterstützung für
eine Ausbildung in der Muttersprache. Um diese Rechte einfordern zu können, stellt ihnen
die Budapester Regierung einen speziellen Ausweis aus. Das selbstbewußte und national
orientierte Kabinett von Premier Viktor Orbán hat somit einen ersten Schritt getan, um
den Komplex der Friedensverträge von Trianon zu überwinden. Die nach dem ersten
Weltkrieg vorgenommene Grenzziehung hatte fünf von fünfzehn Millionen Ungarn anderen
Staaten zugeschlagen.
Der ungarische Staat zwischen den Weltkriegen hatte sich damit nie abgefunden. Mit
Unterstützung des nazistischen Deutschlands stellte er die Vorkriegsgrenzen wieder her.
Der Traum von einem Großungarn hielt jedoch nicht lange, mit der Niederlage
Deutschlands 1945 mußte sich Ungarn wieder in den Grenzen vor 1938 bescheiden.
Der heutige Lösungsansatz ist europaorientiert. Orbán ist Vertreter eines
regionalisierten Europas. Deshalb auch glaubt er, daß nach einem EU-Beitritt nicht mehr
die Staatszugehörigkeit allein ausschlaggebend sein wird. Die gemeinsamen ethnischen und
kulturellen Wurzeln sowie die wirtschaftlichen und regionalen Interessen aller Ungarn
sollten dann wichtiger sein. Und das nun verabschiedete Gesetz ist ein Schritt in diese
Richtung. Der ungarische Regierungschef spricht deshalb heute schon von einer
kulturellen und wirtschaftlichen Einheit aller von Ungarn bewohnten Territorien.
Diese sind für ihn auch vorrangiges Zielgebiet der Wirtschaftsexpansion seines Landes.
Und Ungarn gehört in diesem Raum zu den erfolgreichsten Volkswirtschaften. Einige
Beobachter sprechen sogar von dem Tiger an der Donau.
Daß diese Politik bei den Nachbarn nicht auf Beifall stößt, verwundert nicht. Die
dortigen ungarischen Minderheiten bewohnen großflächige Territorien zu den Grenzen
Ungarns und machen zunehmend kein Hehl aus ihren Sympathien für das wirtschaftlich und
politisch erfolgreiche Mutterland. Im Unterschied zu Rumänien und Serbien ist Ungarn
schon Teil der westlichen Zivilisation: Es ist NATO-Mitglied und auf dem besten Weg zur
EU-Mitgliedschaft. Auf die Ungarn in den ärmeren Nachbarländern übt das eine enorme
Anziehungskraft aus. Und große wirtschaftliche Differenzen haben stets separatistische
Bestrebungen der Minderheiten angefacht. In Rumänien und Jugoslawien kritisiert man denn
auch das Gesetz über die Auslandsungarn. Ungarn fördert so den Separatismus,
erklärte der rumänische Premier Adrian Nastase. Die Ungarn reagieren auf diese Vorwürfe
gelassen. Ihnen ginge es doch nicht um die Lostrennung der von Ungarn bewohnten
Territorien, man verstehe ihre Politik falsch, weil man die falschen Maßstäbe anlege.
Die Regierung Dzurinda in der Slowakei hat zwar auch Besorgnis signalisiert, schließt
sich allerdings den kritischen Stimmen der anderen Nachbarn nicht an. In Preßburg hat man
anscheinend begriffen, daß es vor allem darum geht, die ungarische Minderheit in die
Politik des Landes einzubeziehen. Die Verabschiedung der Europäischen Charta der
Minderheiten- und Regionalsprachen belegt das. Und das ist eine europäische Antwort auf
die Anstrengung der Ungarn in Budapest, das Trauma von Trianon zu überwinden.
Vielleicht sollten das ungarische und slowakische Beispiel die Regierungen in Prag und
Warschau zum Nachdenken anregen. Aufmerksam sollten sie die Stimmungen unter ihren
Minderheiten, insbesondere der deutschen, verfolgen. Diese müssen in die Landespolitik
einbezogen werden. Und Tschechien könnte das ungarische Beispiel noch anders nutzen. Den
insbesondere in Bayern lebenden Deutschen aus Böhmen und Mähren könnte doch die Prager
Regierung ebenfalls Ausweise ausstellen. Das wäre ein europäischer Lösungsansatz und
eine großzügige Geste. Tschechien würde das nicht schaden, und in Bayern müßte man
sich den Kopf zerbrechen, was mit dem zunehmenden tschechischen Einfluß zu tun ist.
Der Autor ist Slowakei-Korrespondent der Hospodárské noviny.
Diese Entwicklung ist durchaus beachtenswert.
Aber was soll ein tschechischer Ausweis für Sudetendeutsche in Bayern?
Hat der Autor hier nicht etwas verwechselt? ML 2001-07-07