KZ, Erschießung von 20-30 Menschen, Juni 1945
Berichter: N. N. Ich bewohnte in Trautenau mit meiner Gattin ein
Eigenheim und betrieb seit 1926 ein Agentur- und Kommissionsgeschäft. Politisch habe ich
mich niemals betätigt.
Am 8. 5. 1945 wurde in den Parterre-Teil meines Hauses eine 26-köpfige russische
Wachmannschaft einquartiert, die sich verhältnismäßig rücksichtsvoll benahm und
anderntags frühzeitig wieder abging.
Wenige Tage später machten sich tschechische SNB-Partisanen unangenehm bemerkbar. Es
waren zumeist Studenten und Intelligenzler aus der Gegend von Neupaka und aus
Prag, die bald Hausdurchsuchungen oder Vernehmungen durchführten, oft mehrmals am Tage.
Ich beherrsche die tschechische Sprache sehr gut und konnte ihnen leicht Rede und Antwort.
stehen. Da ich schon seit mehreren Monaten an einem schweren Darmleiden laborierte, mußte
ich zumeist das Bett hüten. Trotzdem ich eine tschechisch geschriebene ärztliche
Bescheinigung vorwies, wurde ich etwa Mitte Mai 1945 zeitig früh aus dem Bett gerissen
und mit Kolbenstößen zur Mitarbeit an der Niederreißung der deutschen Straßensperren
gezwungen. An einem der nächsten Arbeitstage mußte ich auf Befehl eines
aufsichtsführenden SNB-Mannes auf ein an einem Arbeitswagen angeheftetes Hitlerbild mit
einer Spitzhacke einschlagen und Heil Hitler bei jedem Hieb ausrufen. Dafür
bekam ich einen schweren Fußtritt in den Hintern und fiel zu Boden. Mein After blutete
deshalb sehr stark, doch ich wurde mit Kolbenstößen zum Weiterarbeiten gezwungen. Erst
nach Abtragung mehrerer großer Straßensperren und anderer Aufräumungsarbeiten wurde ich
und meine Arbeitskameraden entlassen. Es hatte sich verschiedenes, lichtscheues Gesindel
und auch bolschewistische Soldaten, besonders nachtsüber, unangenehm bemerkbar gemacht,
weshalb wir Deutschen vom Národní Výbor aufgefordert wurden, Nachtwachen zu
halten. Dazu Bestimmte bekamen einen Ausweis und eine Armbinde. Dazu mußten wir deutschen
Männer und Frauen für die Russen anstrengende Trag- und Schleppdienste leisten.
So kam der 19. Juni 1945, ein Dienstag heran. Eine amtliche Zuschrift langte ein mit der
Mitteilung, daß meine 83jährige Mutter am heutigen Tage aus einer nahen Stadt des
ehemaligen Protektorates zu mir ausgesiedelt werde. Ich war glücklich darüber, habe sie
aber nie wiedergesehen. Sie starb 1½ Jahre darauf elend und notleidend, in einer Stadt an
der Ostsee. Um die Mittagstunde erschienen drei sich als Geheimpolizisten legimitierende
Männer (Zizka, Dolccal, ?) und verlangten die Besichtigung meines Hauses. Nach
oberflächlicher Inaugenscheinnahme verließen sie das Haus. Kaum eine Stunde nach ihrem
Abgang forderten mehrere SNB-Männer Einlaß und hießen mich und meine Frau, uns für
einen 2-3-tägigen auswärtigen Arbeitsdienst, binnen einer Viertelstunde bereitzustellen.
Wir wurden unter Drohungen und Kolbenstößen zur Eile gedrängt. Wir zogen unsere
älteste Kleidung an, verstauten einige Notwendigkeiten rasch in einen Rucksack und schon
schoben uns die SNB-Männer zur Türe hinaus. Sie führten uns zu einem unweit (beim
Wehrbezirkskommando) bereitstehenden Gefangenen-Lastkraftwagen und stießen uns mit
Kolbenstößen hinein. Eine Menge Bekannter, Frauen und Kinder (von 2-15 Jahren) standen
bereits im Wagen. Bald wurde der überfüllte Wagen geschlossen und fuhr mit uns nach dem
etwa 13 km entfernten tschechischen Städtchen Eipel. In Eipel angekommen, wurden wir in
einem alten verfallenen und verwahrlosten Theatersaal auf schmutzigen und unzureichenden
Strohsäcken untergebracht. Eine Menge bereits am Abend zuvor auf dieselbe Weise
hergebrachter Trautenauer empfing uns hier. Es dürften etwa 200-250 Personen auf solche
Art zusammengetrieben worden sein. Decken und Nahrungsmittel hatten die wenigsten.
Angekleidet, je 2-3 Personen auf einem Strohsack, verbrachten wir die Nacht und noch
einige Nächte. Eine Wasserleitung stand uns nicht zur Verfügung und nur ein Abort. Zwei
Tage wurden wir ohne jedwede Verpflegung gelassen, konnten uns aber in Nachbarhäusern
Wasser holen. Erst am dritten Tage wurden uns täglich drei Mahlzeiten
gereicht, bestehend aus schwarzem Kaffee, Wassersuppe und einem Schnittchen trockenen
Brotes. Dafür mußten wir Männer gleich am ersten Morgen Schwerstarbeiten im Orte
verrichten, während die Frauen die Straßen, öffentliche Aborte und Räumlichkeiten zu
reinigen hatten. Am dritten Tage unseres tschechischen KZ-Aufenthaltes wurden sämtliche
Männer zu Erdaushubarbeiten für einen uns zugedachten Barackenbau herangezogen, während
in unserer Abwesenheit die meisten Frauen in der näheren oder weiteren Umgebung Eipels zu
Bauern als Mägde abgegeben wurden oder sonst als Dienst- und Arbeitskräfte an die
tschechische Bevölkerung verteilt [wurden]. Die Eipler Bevölkerung erging sich vielfach
in unflätigen Beschimpfungen gegen uns. Stöße und Schläge von Seiten der uns
beaufsichtigenden SNB-Partisanen, öfter auch seitens der zivilen Tschechen, waren zu
erdulden. Morgens um 6 Uhr wurden wir zur Arbeitsstätte geführt und mußten, mit kaum
einstündiger Mittagspause (heißes Wasser [Suppe?] mit einem kleinen, kaum
handflächengroßen Brotstückchen), bis in den späten Abend hinein arbeiten. Wir
erlebten es aber auch, daß uns mitfühlende tschechische Zivilisten Lebensmittel in
geeigneten Augenblicken zusteckten. Am 21. 6. 1945, es war ein Donnerstag, hörten wir
zufällig davon, daß unsere Frauen an Bauern als Hilfskräfte zugeteilt worden seien. Ich
fragte den tschechischen Aufseher (Hlásek, ca. 60 Jahre) sehr höflich, ob das wahr sei,
denn meine Frau habe meine wenigen Habseligkeiten in ihrer Tasche. Hlásek fuhr mich an
und sagte, daß mich das einen Dreck anginge. Er rief sich einen SNB-Mann herbei und
erklärte ihm, ich hätte gesagt, was hier geschähe, wäre Barbarismus, er möge mich
für Samstag zur Auspeitschung aufschreiben. So geschah es, trotz des höflichen Hinweises
auf die Unwahrheit dieser Behauptung.
Wegen der mir am Samstag bevorstehenden Auspeitschung, die der im Lager berüchtigte
Podzimek in grausamster Art vollzog, hatte ich eine schlaflose Nacht und sann auf Flucht.
Am Freitagnachmittag spielte bei offenem Fenster der SNB-Kaserne laut ein Radio. Die
Sendung wurde plötzlich unterbrochen und der Sprecher des Senders Prag sprach: Pozor,
pozor, pozor! dann etwa: die Bevölkerung wird von der Regierung aufgefordert,
die Verfolgungen der Deutschen einzustellen. Dieser Ruf erging dreimal
hintereinander. Das Radio wurde daraufhin ausgeschaltet und zwei SNB-Leute traten aus der
Kaserne zu unserem Aufseher Hlásek heraus und erwähnten diese Meldung vom Prager Sender,
daß derlei Verfügungen doch nur für das Ausland bestimmt wären, denn sie, die SNB
hätten andere Direktiven. Bald darauf setzte ein starker anhaltender Wolkenbruch alles
unter Wasser, doch wir mußten knietief im Wasser stehend und völlig durchnäßt
weiterarbeiten. Ing. Effenberger suchte unter einem nahen Dachvorsprung Regenschutz. Der
Aufseher Hlásek trieb ihn zurück und ließ ihn ebenfalls zur morgigen Auspeitschung
aufschreiben. In der folgenden Nacht erwogen wir (Ing. Effenberger und ich), wie wir der
Auspeitschung entgehen könnten und einigten uns darauf, gleich beim Weckruf uns zur
Krankenvisite anzumelden, denn täglich wurde nur eine sehr beschränkte Anzahl zur
ärztlichen Untersuchung zugelassen. Es gelang uns, vorgemerkt zu werden. Als dann beim
folgenden Aufruf der tschechische Aufseher Hlásek zur Auspeitschung unsere Namen aufrief,
meldeten wir ihm unseren Abgang zur Krankenuntersuchung. Hlásek drohte uns nach unserer
Rückkehr mit umso härterem Strafvollzug. Ein Wachtposten führte uns zum Kreisarzt Dr.
P., der uns alle (7-8 Personen) nach vierstündigem Warten dann eingehend untersuchte. Wir
erfuhren, daß wir alle krank und nur zu leichter Arbeit zu verwenden seien. Der junge
Leiter des Arbeitsamtes sagte uns, für leichte Arbeiten hätte er genügend Leute, am
besten sei es, uns heim nach Trautenau zu entlassen. Wir baten darum und er entsprach dem.
Hier erfragten wir auch die Adressen unserer bei Bauern arbeitenden Frauen. Man hieß uns,
ins Wohnlager zu gehen, wohin uns die Entlassungsscheine gebracht wurden. Des Kameraden
Lehrer Amlers Frau war im selben Dorfe (Libnatov) beschäftigt, wo sich meine Frau befand,
etwa 4-5 km entfernt von Eipel. Mit ihm, der gleich mir entlassen worden war, floh ich
unverzüglich, Seitenwege benützend, um ja Hlásek nicht zu begegnen, in der Richtung
nach Libnatov. Wir fanden unsere Frauen in mutloser Verfassung an. Ich besprach mich mit
meiner Frau und drängte in sie, sich raschmöglichst zur amtsärztlichen Untersuchung zu
melden. Auch sie wurde zwei Tage darauf entlassen. Der Bauer meiner Frau wies mir noch
einen Abkürzungsweg nach Trautenau und im Verein mit Amler und dessen freigegebener Frau
eilten wir der Heimat zu. Als Erstes hörte ich von mir begegnenden Bekannten, daß mein
Haus sogleich nach unserem Abgange am 19. 6. 45 ausgeraubt worden sei und am selben Tage
der Geheimpolizist Zizala darin Einzug gehalten habe und mit seinen Angehörigen unter
Benützung meiner Möbel dort wohne.
Ich fand im Hause meiner Kontoristin ein kleines Stübchen, wo mich zwei Tage darnach auch
meine Frau fand. Mit Hilfe wohltätiger Freunde, die uns mit Nahrungsmitteln und einiger
Bekleidung unterstützten, verbrachten wir dort drei Monate. Nach Beschlagnahme dieses
Hauses lebten wir weitere drei Monate in einer Dachbodenkammer und dann bis zu unserer
Aussiedlung die letzten 2½ Monate bei einem alten Manne.
Es war etwa Ende Juli oder Anfang August 1945, als ich meinen früheren deutschen
Tabaktrafikanten Herrn Morawek fragte, ob er mir etwas zum Rauchen beschaffen könnte.
Herr Morawek wohnte nicht weit von mir in seinem kleinen Haus oberhalb des
Judenfriedhofes, war jetzt tagsüber vom Hause fort und kam erst am späteren Nachmittag
zurück. Deshalb ersuchte er mich, gegen 19 Uhr in seine Wohnung zu kommen. Ich war
rechtzeitig gekommen, aber Herr M. hatte sich verspätet und kam erst um 20 Uhr heim. Nach
dieser Zeit durfte sich kein Deutscher auf der Straße sehen lassen. Dieser Tag war
regenschwer und düster und ich wollte meinen Heimweg über den Schützenhausgarten
nehmen, damit ich ungesehen meine Wohnung erreichen konnte. Ich wartete nur noch den
kurzen aber starken Regenguß ab. Ich erreichte beinahe den Ausgang des
Schützenhausgartens und hatte nur wenige Schritte nachhause. In diesem Augenblick vernahm
ich rasch herankommendes Motorengeräusch, zögerte beim Zaungebüsch und erschrak heftig,
als ich merkte, daß ein gedecktes Lastauto zum Schützenhausgartentor einlenkte. Ich
drückte mich schnell ins regennasse Gesträuch. Das Lastauto hielt vor der Veranda des
zerstörten Schützenhauses, in meinem Blickfeld, und sogleich entstiegen dem Fahrzeug 5-7
SNB-Männer, hoben die rückwärtige Plane hoch, zogen etwas heraus, das ich als
menschliche, gefesselte, halb entkleidete Körper erkannte. Fast wortlos zog man rasch und
rücksichtslos Körper um Körper solch Unglücklicher, die sich krümmten und jedenfalls
geknebelt waren, hervor, warf sie zu Boden, und unter rychle, rychle
schleiften sie die SNB-Männer hinter das Schützenhaus zu der ehemaligen Schießstätte.
Es waren mindestens 21-23 menschliche Körper und nur Männer, wie ich erkennen konnte.
Gleich darauf krachten, zweimal hintereinander folgend, Maschinengewehrsalven, einige
Einzelschüsse, und schon schleppten die SNB-Männer eiligen Laufes die Leichen herbei
warfen sie wortlos zurück in das Lastauto, dessen Lenker zurückgeblieben war, verdeckten
es wieder rückseits und fuhren rasch dem Stadtinnern zu. Erst als es schon recht dunkel
war, wagte ich den Lauf zu meiner Wohnung. Es blieb äußerst gefährlich, über das
Geschehene jemanden Mitteilung zu machen. Erst nach einigen Tagen erwähnte die
Rot-Kreuz-Schwester Helene Demuth, daß sie gehört habe, im Schützenhaus sollen an die
15-20 deutsche Männer erschossen worden sein. Hunderte Selbstmorde wurden bekannt, ganze
Familien brachten sich um (siehe beiliegenden Brief, den meine Frau im Kohlenkübel beim
Bauer in Libatnov fand und dann in Trautenau hörte, daß sich die ganze Familie das Leben
genommen hatte). Jeder Deutsche bangte um sein und seiner Familie Leben.
Brief einer durch Selbstmord geendeten Familie aus Trautenau an ihre zu einem
tschechischen Bauern verschleppte Tochter
(Gisi Seidlová)
Pan Jan Celba, rolník
Libnatov 38
Freitag, 15. 6. 45Liebe Gisi!
Soeben Dein Schreiben vom Mittwoch erhalten. Pech, Müller und Schinkmann und Frauen,
sowie viele andere mußten heute ihre Wohnungen verlassen. Vielleicht kommen wir auch an
die Reihe und es wird nicht so viel Zeit sein, Dich abzuholen. Die Lage ist trostlos und
es bleibt nichts anderes übrig, als ein Ende zu machen. (Anm.: Ab hier eine andere
Schrift.)
Liebes Giserl! Heute sind vom Ort 72 Amtswalter mit ihren Frauen und Kindern fortgeschafft
worden. Vermögen und Wohnung sind sofort beschlagnahmt. Jetzt kommt die Frauenschaft an
die Reihe. Papa und ich sind alt und krank, wir können uns in der Fremde nicht mehr das
Brot verdienen. Darum fasse Mut und folge uns. Wir sind dann alle mit unserem Walter
vereint.
Gott verzeihe uns die große Sünde. Es bleibt uns kein anderer Ausweg. Wenn mir Zeit
bleibt, gehe ich Sonntag nochmals zur Beichte.
Wir haben Dich unendlich geliebt und wollten nur Dein Bestes. Gott gib, daß wir uns im
Jenseits wieder sehen.
Verzeihe diese unselige Tat.
Deine Eltern.
Aus: Dokumente zur Austreibung der Sudetendeutschen, Überlebende kommen
zu Wort.
Bericht 330 und 330a, Seite 477ff
Originalausgabe: Selbstverlag der Arbeitsgemeinschaft zur Wahrung Sudetendeutscher
Interessen, 1951
Einleitung und Bearbeitung von Dr. Wilhelm Turnwald