THERESIENSTADT
Internierungslager „Kleine Festung“
Berichter: Dr. med. E. Siegel, prakt. Arzt
Da ich selbst acht Monate in Theresienstadt verbracht habe, wobei ich als Arzt Gelegenheit hatte, mehr zu sehen als andere, so will ich die Vorgänge in der sogenannten „Kleinen Festung“ in Theresienstadt (Tschecho-Slowakei) schildern; eine Schilderung, die mit geringen Änderungen auch auf jedes andere Internierungslager oder Gefängnis der Tschechoslowakei passen würde.
Als erste Insassen kamen dorthin die auf dem Durchmarsch oder Heimweg befindlichen Soldaten der Deutschen Wehrmacht, die von der tschechischen „Revolutionsgarde“ (in Abkürzung RG genannt) aufgegriffen wurden. Damals bildete die RG zum Großteil die Besatzung.

EMPFANG DER OPFER
Hier will ich einen größeren Empfang von ankommenden neuen Gefangenen schildern, wie er unter anderem am 24. Mai 1945 stattfand. Es handelte sich um einen ungefähr 600 Menschen beiderlei Geschlechtes umfassenden Transport. Alle Altersstufen waren vertreten. Unter den Eingelieferten befanden sich viele Rot-Kreuzschwestern aus den Prager Kliniken.
Auf dem Wall, durch den der Zugang zu dem 4. Hof führt, wehten Rot-Kreuz-Fahnen, verschiedene Empfangspersonen trugen Rot-Kreuz-Binden am Arm, wozu allerdings die mit Eisen beschlagenen Erdhackenstiele, die sie in den Händen hielten, wenig paßten. In dem dunklen Durchgang war ungefähr 4 m vor dem Ausgang das Pflaster tief aufgerissen worden. Unter Gebrüll und Drohungen, Faustschlägen und Prügel wurden die angekommenen Männer als erste im Laufschritt den dunklen Gang hinuntergetrieben. Gleich die Ersten kamen bei dem tiefaufgerissenen Pflaster, das wie ein Graben quer zum Weg lief und im Dunkeln kaum gesehen werden konnte, zu Fall, auf sie traten und stürzten die Nächsten und in diesen meterhohen Haufen von sich windenden Menschenleibern schlug die RG, die sich auf beiden Seiten des Ganges aufgestellt hatte, unaufhörlich mit den langen, eisenbeschlagenen Knüppeln mit voller Wucht ein. Ohne schwere Schläge und Verletzungen kam wohl niemand auf den Hof. Der Grundsatz, daß jeder, der nicht von selbst wieder aufsteht, ganz totgeschlagen (der KZ-Ausdruck lautet hierfür: „fertig gemacht“) wird, wurde eisern festgehalten. Am Hof wurden die Leute weiter herumgetrieben, es war eine Art Spießrutenlaufen. Wer zu Fall und von selbst nicht wieder hoch kam, zu dem trat, sich herablassend, der Festungskommandant Prusa und schlug ihm mit einigen Schlägen die linke und dann die rechte Niere ab. Die so „Fertiggemachten“ wurden in die Betonzellen geschleift, wo man sie verröcheln ließ. Der Herr Kommandant zählte die Reihen derart ab, daß er beim Zählen die in der Reihe stehenden mit einem Eisenknüppel über den Schädel schlug. Nach dieser Prügelei mußten sich alle mit erhobenen Händen acht Stunden an die Wand stellen. Wer die Arme sinken ließ, wurde erbarmungslos wieder geprügelt. Allein bei diesem Empfang büßten etwa 70 Mann ihr Leben ein. 500 Mann wurden in eine Großzelle hineingetrieben, in der sie, eng aneinandergepreßt und nur auf der Seite liegend, Platz landen. So mußten sie die Nacht zubringen, deren Stille immer wieder von Schüssen und dem Geschrei der Geprügelten unterbrochen wurde. Die Hitze war entsetzlich, die Luft zum Ersticken. Und solche Nächte reihten sich monatelang aneinander.
Am nächsten Tage wurden alle Kleidungsstücke weggenommen und zerlumpte Sträflingskleider ausgegeben. Jedem Mann wurden mit der Nuller-Haarschneidemaschine ein Streifen von der Stirn zum Nacken ausgeschoren. Als Kapos wurden in der Mehrzahl Schwerverbrecher und ausgesprochene Sadisten ernannt, die sich dadurch ihre Posten hielten und denen es Vergnügen machte, die Internierten auf jede erdenkliche Weise zu quälen. Der Verkehrston war nur Brüllen. Die Gefangenen mußten in Hockestellung mit vorgestrecktem Arm eine halbe Stunde auf Brot- und Essenempfang warten. Ein Umfallen oder Schwanken gab Anlaß, die Betreffenden neuerlich zu prügeln. Im Raum selbst standen die Menschen dicht gedrängt einer an dem andern. Sitzen oder Liegen war tagsüber streng verboten. So also standen die Menschen von 5 Uhr in der Frühe bis 9 Uhr abends, manchmal zu einem stundenlangen Appell auf den Hof getrieben, wobei gebrüllt, geprügelt und auf jede nur erdenkliche Art schikaniert wurde. Kommandant Prusa und sein Verwalter Tomes erklärten wiederholt, daß jeder, der hereingekommen sei, auch hier krepieren müsse. Die Gnade, sofort erschlagen oder erschossen zu werden, wurde niemandem erwiesen. Erst müsse jeder ordentlich „büßen“, auf deutsch gesagt: durfte nur langsam zu Tode gefoltert und geprügelt werden.
Aus technischen Gründen scheiterte die beabsichtigte VERGASUNG und so blieb nur das langsame Zu-Tode-Peinigen am Programm. Das unmenschliche Hineinpressen von über 500 Menschen in die Zelle 43 dauerte Wochen hindurch.

DAS EIGENE SCHICKSAL
Wenn ich jetzt meine Verhaftung so ausführlich schildere, dann nur deshalb, um ein Beispiel aus eigener Erfahrung zu bringen.
Ich schicke voraus, daß ich nie politisch tätig war. Ich war Kreisführer-Stellvertreter des Deutschen Roten Kreuzes. Kreisführer konnte ich nicht sein, weil dies ein Vertrauensmann der Partei sein mußte. Während des ganzen Krieges hatte ich täglich viele Tschechen, Slowaken, Slawen u. a. in meiner Ordination. Mit diesen wurde stets tschechisch gesprochen. Ich hatte also keinerlei Ursache anzunehmen, daß mir von den Tschechen etwas geschehen würde. Am 30. Mai 1945, in der Mittagszeit, donnerte man plötzlich an meine Haustür. Zwei Autos mit Schwerbewaffneten standen draußen. „Hier Polizei, sofort öffnen!“ hörte ich brüllen. Ich öffnete, wurde sofort vor die Brust gestoßen und mußte die Horde in die Wohnung einlassen. Zuerst wurde ich fürchterlich geohrfeigt und mit der Faust geschlagen. Man brüllte mich an, wo ich die SA-Uniform und die Waffen versteckt habe. Auf meine Antwort, daß ich nie bei der SA gewesen sei, und die Waffen ordnungsgemäß abgeliefert habe, erhielt ich neuerlich Ohrfeigen. Meine Frau wurde, wie auch ich selbst, dauernd mit der auf die Brust gesetzten Pistole bedroht, die Wohnung wurde systematisch geplündert. Wertgegenstände, Schuhe, Wäsche, Kleider, Uhren, Geld usw. wurde in die bei mir vorhandenen Lederkoffer verpackt und weggeschleppt. Gold, Brillanten, wertvolle Uhren fand man nicht, da meine Frau alles in einem Säckchen am Dachboden versteckt hatte. Ich kannte das Versteck aber gar nicht. Ehe ich noch etwas erklären konnte, wurde ich solange gewürgt, bis ich bewußtlos am Divan lag. Meiner Frau wurde ich in diesem Zustand gezeigt und es wurde ihr erklärt, daß sie ebenfalls erwürgt werde und den Kindern werde man die Augen ausstechen, wenn nicht sofort das Gold und der Schmuck herbeigebracht würden. Angstzitternd lief meine Frau nach den Wertsachen. Die gründliche und systematische Plünderung der Wohnung bewies die bereits erworbene Praxis der Polizei. Da man keine SA-Uniform fand, wollte man mich durchaus zwingen, zu gestehen, wo ich dieselbe versteckt hätte. Ich konnte jedoch nichts angeben, weil ich nie eine SA Uniform besessen hatte. Ich wurde deshalb wiederholt mit einem eisernen Schürhaken mit aller Gewalt geschlagen, mußte die Schuhe ausziehen, mich auf den Bauch legen, die Fußsohlen hochheben und erhielt eine Bastonade (Schläge auf die Fußsohlen). Nach vielen Schlägen, Ohrfeigen und anderen Mißhandlungen wurde ich schließlich, ohne meine Angehörigen nochmals gesehen zu haben, die Treppe hinuntergestoßen und in einem Auto nach Theresienstadt gebracht. Während der Fahrt wurde mir ununterbrochen erklärt, auf welche grausame Art und Weise man mich totprügeln werde.
In der Festung Theresienstadt angekommen, mußte ich erst einige Stunden mit erhobenen Händen an der Wand stehen, eine Zeit, die nur durch wiederholte heftigste Ohrfeigen unterbrochen wurde. Dann begann das Verhör. Es wurde gefragt: „Warst du bei der SS?, SA?? usw.“. Und auf jede Antwort erhielt ich Ohrfeigen und Faustschläge mit voller Wucht. Dann wurde ich vor der Kanzlei aufgestellt und erhielt schwere Fausthiebe in die Magengegend, so heftig, daß ich jedesmal zu Boden stürzte. Am Boden liegend wurde ich mit aller Gewalt mit Füßen getreten und gehackt, besonders auf den Brustkorb, Kopf und Geschlechtsteile. Einer versuchte mir immer wieder, den Arm auszurenken. Später sah ich viele mit ausgerenkten Armen. Kaum stand ich wieder, ging ich infolge Bauchschlags zu Boden. Dies wiederholte sich längere Zeit. Dann wurde ich auf eine Pritsche gesetzt und man stopfte mir ein schmutziges Handtuch in den Mund. Dann zeigte man mir einen mehr als meterlangen, mit Eisen beschlagenen Knüppel und erklärte mir, man werde mir alle Zähne aus dem Mund stoßen. Ein Internierter mußte meinen Kopf halten und mit dem eisenbeschlagenen Ende des Knüppels stieß man mir dann mit aller Gewalt gegen die Zähne. Da sich das Tuch vor die Zähne legte, hielten die Zähne die Stöße aus, die Lippen aber wurden unförmig zerstoßen. Wie mir später der Internierte, ein gewisser Karl Erben, erzählte, konnte er es nicht mehr mit ansehen und mußte weg, da ihm beim Halten meines Kopfes übel wurde. Dann wurde ich mit dem Bauch auf die Pritsche gelegt und mit dem Knüppel, der mit beiden Händen geführt wurde, mit voller Wucht auf das Gesäß, den Rücken und den Nacken geschlagen. Auch jedes Gelenk sowie der Brustkorb erhielt systematisch einen oder mehrere Hiebe. Dabei wurde mir der Zeigefinger der rechten Hand gebrochen und zwei weitere Brüche erlitt ich an den Mittelhandknochen. Auf meiner Stirn zieht sich von der Stirnhaargrenze senkrecht bis durch die Augenbrauen eine Narbe, die rechte Ohrmuschel wurde eingerissen und zerquetscht und zahllos waren damals die Abschürfungen und Risse. Der ganze Körper war blutunterlaufen. In diesem Zustand wurde ich in eine direkt an dem Festungswall liegende Zelle geschleift, die noch voller Winterkälte steckte. Dort ließ man mich drei Tage und drei Nächte lang, am blanken Beton in einer Blutlache liegen. Bekleidet war ich nur mit einem total zerfetzten Hemd, sodaß der Oberkörper so gut wie nackt war, und den Hosen.
Durch die Schläge auf die Wirbelsäule und die Gelenke kam es zu einer teilweisen Lähmung meines Körpers, sodaß ich fast bewegungslos mit wahnsinnigen Schmerzen und vor Kälte zitternd am eiskalten Betonboden lag. Ich flehte zu Gott, er möge mich schon sterben lassen und von meinen Qualen erlösen. Am dritten Tag kam ein tschechischer Arzt und brüllte mich an, ich solle aufstehen, da ich mich jedoch nicht rühren konnte, riß er mich am Haar hoch und warf mich wieder zu Boden. Dies war die erste ärztliche Behandlung von einem tschechischen Kollegen. Wahnsinnig quälte mich der Durst. Zu essen bekam ich auch nichts, aber ich hätte mit meinen Mundverletzungen auch gar nichts essen können. Als ich dann eine Schale Kaffee hingestellt bekam, mußte mir ein Soldat, den man in der dritten Nacht zu mir in die Zelle gesperrt hatte, die Flüssigkeit langsam durch einen Mundwinkel einflößen. Wiederholt wurde durch die Schergen nachgesehen, ob ich noch lebe. Dabei wurde jedesmal festgestellt: er krepiert schon, er wird gleich verreckt sein, usw.

ALS LAGERARZT EINGESETZT
Am 4. Tage kam ein Häftling zu mir herein, um nachzusehen, ob ich noch lebe. Er sagte mir, ich müßte mich arbeitsfähig melden, sonst müßte ich hier elend zugrunde gehen. Da ich glaubte, man würde mich aufgrund der falschen Meldung wenigstens rasch im Freien erschlagen, meldete ich mich arbeitsfähig. Ich hatte Glück. Ich wurde als Arzt eingesetzt. Nach einer Stunde teilte mir dies der Häftling mit. Er hob mich hoch, stellte mich auf, sodaß ich dann, nach mehrfachen Versuchen ganz langsam heraustaumeln konnte. ...

TÖTUNG AUF BEFEHL
Langsam fing meine ärztliche Tätigkeit wieder an, da wurde ich aber auch schon aufgefordert, Internierte, die auf der nebenanliegenden Zelle Nr. 50 untergebracht waren, durch Injektionen zu töten. Ein „Nein“ meinerseits hätte nur bedeutet, zu Tode geprügelt zu werden. Ich wies auf meine zerschlagene rechte Hand hin und erklärte, daß ich noch keine Injektionen ausführen kann. Zwei oder drei Tage später wurde mir neuerdings der Befehl gegeben, diese Leute mit der Spritze ins Jenseits zu befördern. Man erklärte mir kurz, es sei schade, diese älteren Leute weiter zu füttern, der Aufwand stehe in keinem Verhältnis zu dem, was sie noch leisten könnten. Daß meine zerschlagene Hand dies unmöglich mache, wurde nicht anerkannt. Welche Pein mir dieser Auftrag verursachte, kann jeder fühlende Mensch ermessen. Die Weigerung bedeutete für mich den Tod. So sagte ich „ja“, ließ aber die für die Injektion bestimmten Ampullen heimlich aus dem Medikamentenschrank verschwinden und versteckte sie unter meinem Strohsack. Ein weiteres Hinausziehen aber war kaum möglich - es ging nur um Tage - es wurden neue Ampullen besorgt. Da kam mir ein anderer Umstand zu Hilfe. Da im Lager Flecktyphus ausgebrochen war, kam der Vorstand des Hygienischen Institutes in Prag, Dr. Patocka, nach Theresienstadt und überprüfte die Internierten auf Infektionsfälle. Er stellte 16 Fleckfieberkranke fest und gab daraufhin den Auftrag, außerhalb des 4. Hofes, in den Räumen des abseits liegenden Kinos eine Fleckfieberstation zu errichten, und ich wurde als Arzt für dieselbe bestimmt. Dies war am 6. Juni 1945.
Ich war dadurch außerhalb des 4. Hofes, der am Abend immer abgesperrt wurde und hatte Gott sei Dank keine Gelegenheit mehr, die Einspritzungen, die in der Nacht durchgeführt wurden, auszuführen. Als Flecktyphusarzt hatte ich die Pflicht, regelmäßig sämtliche Zellen zu kontrollieren, und so kann ich auch als Augenzeuge über die bereits erwähnte Zelle 50 berichten. Die ärztliche Ambulanz befand sich auf Zelle 49, die der Zelle 50 angegliedert wurde. Strohsäcke gab es in diesen Zellen nicht, sondern nur ungehobelte, ungesäumte Bretter lagen auf dem Fußboden. Da lagen nun die Kranken so eng, daß sie nicht auf dem Rücken, sondern nur auf der Seite liegen konnten. Dabei befanden sich unter den Kranken viele frisch amputierte, meistens handelte es sich um Bein- bzw. Oberschenkelamputationen, mehrere hatten auch den Arm abgesetzt. Es waren fast durchweg Burschen im Alter von 16-18 Jahren, angeblich SS-Leute. Sie saßen am blanken Betonboden aneinandergepreßt, stießen sich gegenseitig mit den Stümpfen, die Verbände waren völlig mit Eiter durchtränkt, stanken entsetzlich und wimmelten von Fliegenmaden. Bei einigen waren die Verbände abgefallen, und es war die bloße eiternde Wunde, bzw. der Knochenstumpf zu sehen. Sie baten flehentlich, verbunden zu werden und ich werde nie in meinem Leben die verhärmten und von furchtbaren Qualen und unendlicher Verzweiflung gezeichneten Gesichter vergessen, wie sie eng aneinandergepreßt am Boden hockten und dauernd sich gegen ihre Wunden stießen. Diese Ärmsten waren das Entzücken des Festungskommandanten Prusa und seiner Helfershelfer. Im allgemeinen wurden diese Zellen den wiederholt von Prag kommenden Kommissionen nicht gezeigt; nur ab und zu kam es zu Vorführungen der dort Liegenden, wenn der Kommandant Prusa speziell guten Bekannten eine kleine Freude machen wollte. Ich durfte als Arzt weder einen Verband anlegen, noch ein Wort zu den Burschen sprechen. Beim Kontrollieren wurde ich am Arm gehalten und man erklärte mir, wenn ich nur ein Wort mit den Amputierten spräche, müsse ich gleich mit hier bleiben. Das Martyrium dieser Ärmsten dauerte einige Wochen. Ich sah sie noch einmal - als Leichen, mit Spuren von Hieben, besonders auf den Stümpfen Blutunterlaufungen. Ob sie zu Tode geprügelt oder nach „Patent Theresienstadt“ erwürgt worden waren, oder eine gnädige Spritze bekommen hatten, das entzieht sich meiner Kenntnis.

MENSCHLICHE BESTIEN
Ich hatte einen neuen Fleckfieberfall festgestellt und ließ den Kranken vom Hof heraus zur Infektionsabteilung tragen. Als ich aus dem dunklen Durchgang herauskam, wurde ich vom Verwalter Tomes gestellt: „Was hast Du für ein Schwein hier auf der Bahre?“ Ich entgegnete: „Einen Fleckfieberkranken.“ Darauf er: „Wozu die Umstände mit dem Schwein, schlag doch die Bestien gleich tot! Warum man überhaupt solche Bestien hier füttert, das ganze Lager muß krepieren.“ So brüllte er laut und hielt weiter brüllend eine Ansprache an die in seiner Nähe stehenden Gendarmen mit der Aufforderung, doch alles zu erschlagen. Da der Kommandant, er und der größte Teil der Besatzung alles, was an Wertgegenständen, Kleidern, Geld usw. im Besitze der Internierten gewesen war, sich angeeignet hatten, bzw. dem Staate unterschlagen hatten, wurden der Kommandant, Tomes und mehrere andere später verhaftet und an das Kreisgericht in Leitmeritz eingeliefert.
Dies geschah nicht wegen der unzähligen Morde, die diese auf dem Gewissen hatten, sondern wegen Unterschlagungen von Gold und Wertsachen, die sie, statt an den Staat abzuführen, für sich zurückbehalten hatten. Des Kommandanten Tochter Sonja Prusova hat z. B. ein kleines Köfferchen voll von Brillanten, Gold, Damenuhren, Schmuck und anderen Wertgegenständen, welches alles von Internierten aus Prag stammte. Sie läuft heute noch in Leitmeritz in einer Wildlederjacke herum, die sie einer Ärztin gestohlen hat. Ich habe übrigens noch nie ein Mädchen gesehen, welches derart sadistisch veranlagt war wie diese Sonja, die kaum 20 Jahre alt war. Man sagte mir, sie habe allein 28 Leute mit totprügeln helfen. Daß sie Frauen büschelweise die Haare ausriß, sie mit den Fäusten ins Gesicht oder in den Bauch schlug, oder mit den Füßen trat und sie auspeitschte, haben mir davon betroffene Frauen selbst erzählt. Jedenfalls wußte ich immer, wenn sie aufgeregt, mit leuchtenden Augen und gierigem Mund zum 4. Hof lief, jetzt werden wieder Leute gepeinigt und Blut wird in Strömen fließen.
Des öfteren in der Woche, besonders des abends oder nachts kamen Russen in die Festung in betrunkenem Zustand. Die Frauen mußten antreten und man suchte die zum Geschlechtsverkehr gewünschten heraus. Dafür erhielten die Vorgesetzten Schnaps, Tabak, Speck und dergleichen. Der damalige Hofkommandant, ein gewisser Alfred Kling, der aus Polen stammte, infizierte sich mit Tripper, was ihn jedoch nicht hinderte, immer wieder neue internierte Mädchen zum Geschlechtsverkehr mit ihm zu kommandieren.
Dieser „Alfred“ betrachtete übrigens das Totschlagen von der wissenschaftlichen Seite. Er erklärte, er könne so prügeln, daß der Betreffende sofort, in zwei Stunden oder in zwei Tagen, selbst erst nach 8 Tagen sterbe oder auch in 14 Tagen wieder gesund sei. Diese seine Fähigkeit führte er auch praktisch ad exemplum wiederholt vor. Ein Beispiel: ein Internierter hatte zum dritten Male Brot gestohlen. Der Zellenkapo, ein früherer Berufsverbrecher, Männe genannt, bestimmte ihn daher zum „Fertigmachen“. Vorher wurde er etwas blutig geschlagen. Als ich ihn das letzte Mal lebend sah, rann ihm das Blut aus verschiedenen Rißwunden über das Gesicht und in diesem Zustand wurde er zu Alfred gebracht. Dieser erklärte: „Fünfzig Schläge - zwei Stunden.“ Vor internierten Mädchen, die zusehen mußten, zerschlug er dann zählend dem Herbeigebrachten Arme und Beine, Brustkorb usw. und ließ ihn so am Boden liegen. Nach zwei Stunden starb dieser und Alfred war sichtlich stolz. Diese unsere Kommandanten waren wirklich stolz darauf, daß nach zwei bis drei Monaten Internierungslager die Internierten so elend und herabgekommen aussahen, wie früher die KZler nach 3-4 Jahren. Man warf sich in die Brust: „Wir haben Euch in zwei Monaten so fertig gemacht, wozu die Gestapo 5 Jahre gebraucht hat.“

DIE KOMMANDANTEN
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Der erste Kommandant der „Kleinen Festung“ vom Mai 1945 an war ein gewisser Alois Prusa, der sich Kapitän (in der tschechischen Armee war Kapitän soviel wie Hauptmann) nannte und meist mit dem Sowjetstern, Hammer und Sichel, geschmückt in Uniform herumlief. Er war sehr feist, hatte ein brutales Aussehen und war früher im KZ Theresienstadt Kapo unter den Deutschen gewesen. Quälereien waren seine größte Freude, ebenso möglichst brutal Totschlagen und besonders ergötzte er sich an den in zwei Zellen zusammengepreßten Amputierten, die er immer wieder aufsuchte. Bei diesen Besuchen sprang er wie ein Clown vor Freude auf und nieder. Fast alltäglich wurden Feste gefeiert, d. h. wüste Gelage. Diese fanden in den Räumen statt, die knapp neben seiner Wohnung lagen, wo seine Frau mit zwei Töchtern schlief. Dazu wurden internierte Mädchen „eingeladen“, und das Gelage schloß meist mit seinem Lieblingsspiel ab: es wurde Puff oder Bordell gespielt, und die Mädchen mußten sich nackt ausziehen und von den folgenden Orgien will ich nicht weiter erzählen. Diese Mitteilung habe ich von einem Mädchen erhalten, dem Prusa in seiner Trunkenheit eine Weinflasche am Knie zerschmetterte. Sie erlitt dadurch eine tiefe lange Wunde, deren Heilung Monate in Anspruch nahm. Auch eine Zweite bestätigte mir das gleiche, die ebenfalls von ihm „geladen“ worden war. Näherer Details will ich mich enthalten.

600 Kalorien  – aber Millionen Raubgut pro Tag
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Man kann daraufhin einwenden, daß 250 g Brot und knapp 70 g Nährmittel unbedingt zum Tode führen müßten, was auch richtig ist und auch beabsichtigt war. Wenn dennoch ein großer Teil der Lagerinsassen den vorgeschriebenen und gesetzlich festgelegten Hungertod nicht starben, so nur deshalb, weil eines Teils die Russen, die sich ja in vieler Hinsicht viel menschlicher zeigten als die Tschechen, vielen Kommandos, die bei ihnen arbeiten mußten, reichlich Verpflegung gaben, sodaß diese sogar ihren Kameraden im Lager Nahrungsmittel mitbringen konnten; andererseits war es bei den landwirtschaftlichen Arbeitern ähnlich, da sich die tschechischen Bauern sehr oft nicht als Bestien, sondern als Menschen zeigten. Darüberhinaus kam es immer wieder bei dem vielfach herrschenden Durcheinander Gelegenheit zu wiederholten und auch größeren Diebstählen.
Auch sonst zeigten sich die Russen oft bedeutend anständiger. Sie schritten z. B. wiederholt dagegen ein, wenn unsere Leute zu stark geprügelt wurden. Ein russischer Arzt verband regelmäßig des morgens die zerschlagenen Köpfe derjenigen, die bei den Russen arbeiten mußten und nahm am Abend die Verbände selbst wieder ab, damit den Rückkehrenden in der Festung die Verbände nicht mit dem Prügel vom Kopf geschlagen werden sollten. Die Russen waren es auch, die vielen Internierten zur Flucht verhalfen, indem sie sie einfach im Auto mit über die Grenze nahmen. Ich gab in der damaligen Zeit vielen Mädchen den Rat, wenn sie verzweifelt zu mir kamen wegen wiederholter Vergewaltigungen, sich doch lieber an einen Russen zu halten und mit diesem abzuhauen und weiß, daß in vielen Fällen dieser Rat Erfolg hatte.
Eine Anerkennung muß man dem tschechischen Innenministerium zollen, nämlich, daß es durch auf streng wissenschaftlicher Basis gegründetem Ausschalten jeder nennenswerten Zuteilung von Eiweiß sowohl in den vielen Gefangenenlagern als auch an die übrige deutsche Bevölkerung außerhalb derselben, eine unbedingt Erfolg versprechende Ausrottung aller Nichttschechen durchzuführen versuchte. Wenn diese Ausrottung nicht so planmäßig und vollkommen gelang wie sie beabsichtigt war, so ist dieses z. T. auf eine gewisse Schlamperei zurückzuführen, die es der deutschen Bevölkerung doch ermöglichte, sich hinten herum noch Nahrungsmittel zu verschaffen, und das umsomehr, da ja reichlich solche zur Verfügung standen; desweiteren, weil immerhin einige Tschechen und auch die Russen Menschen geblieben waren und halfen, und auf ein Unverständnis der amtlichen Organe, die dem tatsächlichen Sinn und Zweck der Anordnung nicht erfaßten.

All dies vereitelte den Erfolg der Planung. Zum Verständnis für den Laien will ich nur bemerken, daß man durch Ausschaltung des Eiweises aus der Ernährung zwar nicht rasch, jedoch sicher den Tod jedes Menschen herbeiführen kann. (Deutsch: Hungerödem, Hungerwassersucht; Englisch: protein deficiency. Die Russen bezeichnen es als Dystrophie, was zugleich der lateinische, wissenschaftliche Ausdruck ist.) Die Leute starben dann entweder: „durch Mangel an anderer Nahrung zum Skelett abgemagert“ oder „unförmig aufgeschwollen“, wobei ein terminaler Durchfall das Sterben erleichtert.
Wir hatten reichlich Vertreter beider Arten, Skelette sowohl wie Aufgedunsene. Was aber ein Mensch vorher mitmacht, der zum Skelett abmagert, die Nacht auf rohen Brettern oder auf Betonboden liegend zubringen muß, durch nächtlichen Urindrang gequält, von Kälte oder Hitze gepeinigt in einer Luft zum Ersticken, mit Prügel oder Gebrüll immer wieder zur Arbeit gejagt wird, ist grauenhaft und den wohlgewogenen Intentionen des Prager Innenministeriums entsprechend. Auch die Prügel und Quälereien, die es jedesmal für die Insassen gab, wenn Aufseher durchgingen, dürften in allen Lagern aufgrund einer einheitlichen Regelung durchgeführt worden sein.

„Hitler hat schlecht gearbeitet“
Vielleicht ist es interessant, einen vielfach erwähnten Vorwurf, den die dortigen Tschechen Hitler machten, anzuführen, nämlich, daß er schlecht gearbeitet habe, denn es seien noch immer Juden am Leben. Da hätte er wirklich bessere und gründlichere Arbeit leisten können. Diese Ansicht ist wohl allgemein im tschechischen Volk verbreitet, wie mir auch von anderer Seite bestätigt wurde. Die antisemitische Einstellung geht vielleicht am besten aus Folgendem hervor: Ein slowakischer Jude namens Müller, welcher bereits 5 Jahre im deutschen KZ zugebracht hatte, wurde Anfang Juni nach Theresienstadt in die Kleine Festung eingeliefert. Er hatte sich jedenfalls in der allerletzten Zeit gut erholt, sah blühend aus und war ein Held in seiner Art. Er sagte immer: „Zum Arbeiten werden sie mich nicht bringen.“ Da er ein etwas komisches Benehmen hatte, wurde er tagsüber des öfteren zu verschiedenen Arbeiten, die er nicht machen wollte, kommandiert. Das Ende war immer eine ausgedehnte Ohrfeigen- und Prügelszene zur Erheiterung der Besatzungsmannschaften. Wenn z. B. eine Gruppe flott Ziegel zureichte, dann steckte man plötzlich den Müller dazwischen, der aus Prinzip jeden Ziegel zu Boden warf, obwohl er wußte, was danach kam. „Nicht zu fest schlagen, Herr Kommandant“, sagte er immer und zog den Kopf ein und die Ohrfeigen und Prügel beendeten immer seine Arbeit. Oder es wurde ihm eine Eisenbahnerkappe auf den Kopf gesetzt und ein roter Schal um den Hals gebunden, und er mußte im Laufschritt einen Schubkarren schieben, wobei ein Kapo neben ihm herlief, ihm ein Bein stellte, sodaß er hinfiel. Wieder gab es Ohrfeigen. Er wurde dann einige Tage nach Theresienstadt kommandiert. Dort traf ich ihn wieder und erkannte ihn kaum mehr, so verfallen und elend sah er aus. Die Tschechische GPU fragte mich über ihn aus und ein Jude aus dem Reich, der das Ghetto von Theresienstadt noch nicht verlassen hatte, interessierte sich ebenfalls für Müller. Ich schilderte seine 5 Jahre KZ und bat, ihn doch zu entlassen, da er bestimmt kein Nazi und auch kein Deutscher sei. Aber Müller saß weiter und er, der nach 5 Jahren deutschen KZ's dasselbe in guter Gesundheit und gutem Aussehen verlassen hatte, starb nach 5 bis 6 Monaten in Theresienstadt infolge vieler Prügel und wenig Essen.
Auch andere Juden bzw. Halbjuden, die in Theresienstadt interniert sind und so viel ich weiß auch heute noch sitzen, will ich namentlich anführen: ein gewisser Schück, Glässner, Spieker, Herbert, Geitler u. a.

AUSSIGER OPFER TOT EINGELIEFERT
Ende Juli 1945 kam es bei Schön-Priesen (in der Nähe von Aussig a. E.) zur Explosion eines Munitionslagers. Darauf setzte besonders in Aussig in der Hauptsache durch herbeigeführte Swoboda-Gardisten eine allgemeine Deutschenverfolgung ein. Viele wurden in die Elbe getrieben und dort erschossen oder mit Handgranaten beworfen. Die aus der Schichtfabrik Kommenden wurden auf die Elbebrücke gestellt und gezwungen, von dort in die Elbe zu springen, wobei man ihnen nachschoß und Handgranaten warf. In einem geschlossenen Auto kamen am 31. Juli 1945 21 Leute an, mit weißen Binden am Arm, mit der Aufschrift: „Závody Schicht“. Sie standen den ganzen Nachmittag an der Wand und wurden als Werwölfe bezeichnet. Knapp vor Mitternacht hörten wir das wohlbekannte Krachen von Knüppeln auf Schädel, Gebrüll und Klatschen von Prügel auf Leiber besonders stark. Ein Bekannter teilte mir später mit, daß er mit anderen Internierten noch in der Nacht im Toreingang Blut, Gehirn, Zähne und Haare wegputzen und frischen Sand streuen mußte. Die 21 Mann sah ich nie mehr. Ich erkundigte mich unter der Hand in der Kanzlei; dort wurden sie geführt mit dem Vermerk: „tot eingetroffen“.

Aus: Dokumente zur Austreibung der Sudetendeutschen. Überlebende kommen zu Wort.
Auszüge aus Bericht 38, Seite 139
Originalausgabe: Selbstverlag der Arbeitsgemeinschaft zur Wahrung Sudetendeutscher Interessen, 1951
Einleitung und Bearbeitung von Dr. Wilhelm Turnwald