Sudetendeutsche Landsmannschaft eröffnete Büro in Prag
Umstrittene Botschaft ,Keine Propagandazentrale
Tschechische Politiker empört
NÜRNBERG/PRAG Die Sudetendeutsche Landsmannschaft (SL), die von der
Staatsregierung traditionell stark unterstützt wird, hat jetzt in Prag ein Kontaktbüro
eröffnet. Sie ist damit nach eigenen Angaben die erste Vertriebenenorganisation, die eine
solche Einrichtung nach dem Zweiten Weltkrieg in einem ehemaligen Ostblockland unterhält.
Bei tschechischen Politikern ist das Projekt heftig umstritten, teils sind sie empört.
Unser Büro soll keine Propagandazentrale für unsere Anliegen sein, sondern es soll
als eine Art Botschaft Vertrauen schaffen und Vorurteile abbauen, sagte Bernd
Posselt, SL-Bundesvorsitzender und für die CSU Mitglied des Europarlaments. In der
Informationsstelle die Adresse im Prager Regierungsviertel: Tomaska 14,
Telefon 00420-2-5753 55 04 arbeiten derzeit drei Mitarbeiter. Sie sollen, so
Posselt, einen Beitrag dazu leisten, das gemeinsame Erbe vor dem nahen
Beitritt Tschechiens zur EU zu erhalten, und die Wunden der Vergangenheit zu
heilen.
Die SL verlangt vor allem die offizielle Rücknahme der so genannten Bene-Dekrete,
die die rechtliche Grundlage für die Vertreibung der Sudetendeutschen nach dem verlorenen
Krieg waren. In jüngster Vergangenheit war die dabei ausgeübte Gewalt von führenden
tschechischen Politikern bedauert worden. Die Bene-Dekrete gelten dort als nicht
mehr wirksam.
Tschechiens Premier Vladimir Spidla von der sozialdemokratischen Partei (CSSD) sagte, er
sei von dem sudetendeutschen Büro zwar nicht begeistert, er respektiere es aber als
Bestandteil einer demokratischen Gesellschaft. Parteigenossen wurden deutlicher. Sie
nannten es eine Unverschämtheit und eine Provokation. Ein
sozialdemokratischer Senator, der an dem Eröffnungsempfang für die SL-Einrichtung
teilgenommen hatte, wurde mit einer speziellen Parteitagsresolution abgestraft.
Kürzlich hatten die zehn CSU-Abgeordneten im Europaparlament geschlossen gegen den für
2004 geplanten EU-Beitritt Tschechiens gestimmt, weil sich, so Posselt, der tschechische
Staat noch nicht von der nationalistischen Erblast der Dekrete und allem, was
dazugehört, getrennt hat. Die Sudetendeutschen gelten als vierter Stamm
Bayerns. Rund zwei Millionen Angehörige der Volksgruppe leben heute im Freistaat.
M. KASPEROWITSCH
Quelle: Nürnberger Nachrichten (2003-04-30)