DER STACHELDRAHT FÜR FREIHEIT, RECHT UND DEMOKRATIE
Gegründet 1991 vom BSV-Landesverband Berlin
Auszüge aus Heft 9 des 13. Jahrganges 2003.
Ich bin gerne bereit, mehr solcher politisch wichtigen Beiträge zu veröffentlichen, schaffe aber die Arbeit (scannen, korrigieren, aufbereiten, hochladen) nicht! ML 2004-01-04

Entführt und ermordet

Die kommunistischen Verbrechen an einem Zeugen der Freiheit
Am 15. Dezember 1953, also vor fünf Jahrzehnten, starb – nach siebzehn Monaten Martyrium – in der Moskauer Butirka Dr. Walter Linse, sicherlich durch den üblichen sowjetischen Genickschuß. Bis heute kennen wir nicht die Stunde seines Todes, denn in dem streng geheimen Hinrichtungsbefehl des Militärkollegiums des Obersten Gerichtshofes der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken vom 15. Dezember 1953 und in der Vollzugsmeldung sowie in der Mitteilung des Zentralen Sicherheitsdienstes der Russischen Föderation am 26.8.1996 steht darüber nichts; lediglich die Angabe, daß der Leichnam auf dem Gelände des Donskoj-Klosters eingeäschert und die Asche vermutlich auch dort beigesetzt worden sei.

Acht Tage später ereilte das gleiche Schicksal seltsamerweise den obersten Befehlshaber der entsetzlichen Leiden Dr. Linses, den Massenmörder Lawrentij Pawlowitsch Berija, ob er nun nach offizieller Lesart im Gefängnis oder – nach Chruschtschows Bericht an den französischen Botschafter – von den Mitgliedern des sowjetischen Politbüros „während einer Sitzung in seinem Stuhl erschossen“ wurde.

An einem Sommermorgen, am 8. Juli 1952, 7.22 Uhr, wurde Dr. Walter Linse wenige Meter von seiner Wohnung in der Lichterfelder Gerichtsstraße Nr. 12 entfernt vom Anführer einer Gruppe vorbestrafter Krimineller, die der SSD gedungen hatte, um Feuer gebeten. Als Dr. Linse in seine Anzugtasche griff, riß ihn der Verbrecher am Handgelenk herum und zu Boden, während ein zweiter ihn mit Fausthieben auf die Schläfe traktierte. Sie zerrten das Opfer in den bereitgestellten Wagen, der sofort losfuhr, obwohl Gesäß und Beine sich noch außerhalb befanden. Als Dr. Linse sich mit aller Kraft wehrte, schoß einer der Verbrecher ihn in die Wade, worauf der Entführte „sofort zusammenfiel“, wie es im Bericht des SSD heißt, und der Wagen trotz entschiedener Gegenwehr von Zeugen in rasender Fahrt die Grenze des US-Sektors in Teltow erreichen und überqueren konnte. Die weiteren Stationen des Leidensweges sind in den Einzelheiten aus den Akten des MfS und der Sowjetjustiz bekanntgeworden, nachdem am 8. Mai 1996 die Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation Dr. Linse als Opfer politischer Repression „rehabilitiert“ hatte. Die Täter an den Schreibtischen sind nie zur Rechenschaft gezogen worden. Die beiden Photographien Dr. Walter Linses von 1951, auf dem Höhepunkt seines Lebens, und vom November 1953, gezeichnet von den Qualen der Haft, sprechen deutlicher als Worte die Wahrheit aus.

Ja, die Wahrheit – die auch über dieses scheußliche Geschehen siegte, so wie immer. Mehr als vier Jahrzehnte leugneten die kommunistischen Behörden der Sowjetunion und der DDR in teilweise grotesker Leninscher Konsequenz, den Namen Dr. Walter Linse überhaupt zu kennen, ähnlich wie im Fall Raul Wallenbergs. Es half nichts: Seit sieben Jahren kennen wir die Einzelheiten des monströsen Verbrechens. Nach dem gegenwärtigen Wissensstand wurde eine noch nicht genau bekannte Zahl, jedenfalls mehr als 500 andere Menschen von westlichem, d. h. fremdem Territorium entführt, also durch „Grenzverletzer“ der besonderen Art, diese weiteren Opfer wurden oft ebenfalls hingerichtet oder in jahrelanger Haft zu Grunde gerichtet, so Manfred Smolka, Robert Bialek, Dr. Erwin Neumann. „Wir bekommen jeden, wo immer er sich aufhalten mag“, war einer der Grundsätze Erich Mielkes und des SSD. Solches Treiben anzuprangern, für immer unmöglich zu machen, um die Ermordeten und Gefolterten zu trauern, ist unsere elementare Pflicht.

Dr. Walter Linse hat sich als Leiter der Abteilung Wirtschaft im Untersuchungsausschuß freiheitlicher Juristen, schließlich als Opfer des Staatssicherheitsdienstes und des MWD um die Freiheit verdient gemacht. Wir verneigen uns in Ergriffenheit vor ihm.

Harald Strunz



aktuell (Seite 4)

Aller Diktaturopfer gedenken

(hib/WOL) Ein Gesamtkonzept für ein würdiges Gedenken aller Opfer der beiden deutschen Diktaturen fordert die Bundestagstraktion der CDU/CSU in einem Antrag zur Förderung von Gedenkstätten in Deutschland. Sie verweist in diesem Zusammenhang auf eine Reihe historischer Orte und heutiger Gedenkstätten, die zur Unterdrückung der Opposition und des Widerstands von beiden Diktaturen genutzt wurden. Der Umgang mit dieser „Doppelten Vergangenheit“ bilde dabei eine besondere Herausforderung. Neben zentralen Orten der Erinnerung an Repression und Widerstand gegen die NS-Diktatur, wie der Stiftung „Topographie des Terrors“, dem Haus der Wannsee-Konferenz, dem Denkmal für die ermordeten Juden Europas und den KZ-Gedenkstätten Bergen-Belsen und Dachau werden von der Union auch authentische Orte der Erinnerung und des Gedenkens an die Verbrechen der NS-Diktatur und der kommunistischen Gewaltherrschaft genannt.

Erinnert werden müsse darüber hinaus an Repression und Widerstand in der SED-Diktatur und an Flucht und Vertreibung. Aufgelistet werden Berlin-Hohenschönhausen als Zentrale Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit, der ehemalige Sitz des MfS in der Normannenstraße in Berlin, die Gedenkstätte Bautzen, der geschlossene Jugendwerkhof Torgau und das Notaufnahmelager Marienfelde in Berlin. Konzeptionell eingebunden und gefördert werden sollen des weiteren authentische Orte zur Geschichte der deutschen Teilung als Bestandteil der Nationalgeschichte. Dazu gehören die Gedenkstätte und das Dokumentationszentrum Bernauer Straße in Berlin, die Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn und das deutsch-deutsche Museum Mödlareuth. In Abstimmung mit den Ländern soll die Bundesregierung einen Vorschlag vorlegen, mit welchen Instrumenten und Regelungsmöglichkeiten eine Pluralität der Konzeptionen sowie die Integration in die universitäre Forschung garantiert werden könne. Dabei müßten trotz der zentralen finanziellen Verantwortung des Bundes dezentrale Lern- und Zugangsmöglichkeiten der Gedenkstätten für Schulen und andere Träger politischer Bildungsarbeit garantiert werden.

In der Begründung wird darauf hingewiesen, daß in der öffentlichen Auseinandersetzung der ehemaligen DDR mit der NS-Diktatur ein ideologisch definierter Antifaschismus-Begriff maßgeblich gewesen sei. Dieser habe auf Grund seiner von der SED-Ideologie geprägten Erinnerungskultur erhebliche Defizite insbesondere bei der Darstellung der Geschehnisse an authentischen Orten ergeben. Darüber hinaus sei nicht aller Opfer der NS-Diktatur gedacht worden. Es werde trotz eines unmittelbaren Zusammenhanges von nationalsozialistischer und kommunistischer Herrschaft als Bestandteil deutscher Nationalgeschichte nur marginal an die SED-Diktatur auf nationaler Ebene erinnert. Einer solchen für die Erinnerungskultur fatalen Fehleinschätzung dürfe nicht weiterhin Vorschub geleistet werden.

 

Förderverein für Gedenkstätte
(sb) Zur Unterstützung der Gedenkstätte im ehemaligen Stasi-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen haben am 27. November Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens einen Förderverein gegründet. Zu den Gründern zählen u. a. Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl, der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, Michael Glos, der ehemalige Verkehrsstaatssekretär Stephan Hilsberg, und der Fraktionsgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen, Lukas Beckmann. Aus Berlin haben die Gründung u. a. der Vizepräsident des Berliner Abgeordnetenhauses, Christoph Stölzl, der frühere Justizsenator Wolfgang Wieland, der Chefredakteur des „Tagesspiegel“, Giovanni di Lorenzo, und der Historiker Arnulf Baring unterstützt.

Zum Vorsitzenden des Vereins wurde MDR-Redakteur Jörg Kürschner gewählt, Stellvertreter ist der Berliner Staatsanwalt Matthias Bath. Beide waren früher selber in Hohenschönhausen inhaftiert. Darüber hinaus gehören dem Vorstand die Bundestagsabgeordneten Vera Lengsfeld und Stephan Hilsberg, das Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses Holger Kestel sowie der Diplom-Psychologe Hans-Eberhard Zahn an.

Der neu gegründete Verein setzt sich für eine kritische Auseinandersetzung mit der kommunistischen Diktatur in Ostdeutschland ein und will die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen vor allem finanziell fördern. Jörg Kürschner kündigte an, daß man schon bald mit konkreten Projekten an die Offentlichkeit treten werde. Jeder, der etwas dafür tun wolle, daß die Verbrechen der SED-Diktatur nicht in Vergessenheit geraten, sei aufgefordert, den Verein durch Spenden zu unterstützen.

Kürschner würdigte die Arbeit der Gedenkstätte unter ihrem Direktor Hubertus Knabe, der vor drei Jahren ins Amt berufen wurde. „Die Zahl der Besucher hat sich in dieser Zeit fast verdoppelt, und die Gedenkstätte hat bundesweite Bekanntheit erlangt. Das ist ein Erfolg, mit dem niemand gerechnet hat.“ Kürschner kritisierte zugleich die mangelhafte finanzielle Ausstattung der Gedenkstätte durch den Bund und das Land Berlin. Viele Verfolgte hätten das Gefühl, Opfer zweiter Klasse zu sein.

 

Teurer Kommunismus
Die Bundestagsabgeordnete Vera Lengsfeld (CDU) informierte, auf ihre Anfrage hin habe die Staatsministerin für Kultur, Dr. Christina Weiß, bestätigt, daß die Kulturstiftung des Bundes mit 81400 Euro einen internationalen Kongreß zum Thema „Kultur und Kommunismus“ gefördert habe. Ziel der Veranstaltung vom 7. bis 9. November 2003 sei es gewesen, die „kulturelle Relevanz des gesellschaftlichen Phänomens Kommunismus nach dem Scheitern des sozialistischen Gesellschaftssystems neu zu bestimmen“.

Vera Lengsfeld dazu: „Es ist skandalös, daß es weder Geld für eine Ehrenrente für die Verfolgten des SED-Regimes gibt noch daß im Budget der Staatsministerin genügend Mittel für die angemessene Unterhaltung der authentischen Erinnerungsorte der Verfolgungen der SED-Diktatur bereitstehen, daß es aber Mittel für die rückwärtsgewandte Trauerarbeit derjenigen gibt, die sich mit dem Ende des Kommunismus nicht abfinden können. Statt die gesellschaftliche Relevanz einer Ideologie, die Millionen Todesopfer gefordert hat, künstlich am Leben zu halten, sollte die Kulturstiftung des Bundes besser die Lebensleistung derjenigen anerkennen, die sich gegen ein Regime gewehrt haben, das das kulturelle Erbe der von ihnen beherrschten Völker zerstören wollte.“

Bereits im Vorfeld des Kongresses hatte die Bundesförderung dieser Veranstaltung bei vielen ehemaligen Verfolgten des Kommunismus Unverständnis und Entsetzen ausgelöst.

ML 2004-01-04