Aus RZECZPOSPOLITA vom 12.07.2001, Publizistik, Meinungen
Die Landsmannschaften rechnen damit, daß sie nach dem Beitritt Polens zur
Europäischen Union eine Entschädigung für das jenseits der Oder zurückgelassene
Vermögen erhalten. Prozesse werden sich nicht vermeiden lassen.
Die Ausgesiedelten werden Wiedergutmachung verlangen
PIOTR JENDROSZCZYK
AUS BERLIN Zehn Jahre nach dem Vertrag über die Regelung der deutsch-polnischen
Beziehungen gibt es in Deutschland niemanden, der öffentlich schlecht über Polen redet.
Immer seltener sind Sprüche wie dieser: fahre nach Polen, dein Auto ist schon
dort. Diese positive Veränderung in der Wahrnehmung unseres Landes könnte sich in
Kürze als eine Episode erweisen. Die Atmosphäre in den beiderseitigen Beziehungen kann
sich verdüstern. Und all dies wegen der durch kein Abkommen geregelten
Eigentumsfrage. Es geht hauptsächlich um das Vermögen der Ausgesiedelten, d. h. der
Deutschen, die gezwungen wurden, die Gebiete zu verlassen, die Polen von den
Siegermächten nach dem Zweiten Weltkrieg zugesprochen wurden.
Deutsche Kenner des Völkerrechts haben keinen Zweifel, daß die Eigentumsfrage noch
einige Überraschungen zutage fördern kann. Die Ausgesiedelten werden Wiedergutmachung
auf dem Gerichtsweg in Polen, Deutschland, den USA, vor dem Gerichtshof für
Menschenrechte in Straßburg und wie der Berliner Anwalt Stefan Hamura feststellt
auch vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg suchen.
Wir werden Polen nicht ruinieren
Erika Steinbach, Präsidentin des Bundes des Vertriebenen wie man hört,
verdankt sie diese Position dem ehemaligen Kanzler Helmut Kohl, der ihr nahelegte, im
Sinne der deutsch-polnischen Versöhnung zu arbeiten beschränkt sich auf, wie sie
sagt, symbolische Entschädigungsvorhaben. Wir wollen Polen nicht ruinieren
erklärt sie und führt das Beispiel Ungarns an, wo die Deutschen eine symbolische
Entschädigung erhalten haben. Ähnlich war es in Estland. Dort hatten die
Reprivatisierungsbons einen Wert von kaum 50 Dollar.
Die Ausgesiedelten verlangen nicht offiziell von der deutschen Regierung, daß sie Polen
zu Ersatzzahlungen für ihr Vermögen zwänge. Sie haben eine andere Strategie. Sie warten
mit dem Beginn der Entschädigungskampanie bis zum Zeitpunkt des Beitritts Polens zur
Europäischen Union.
Professor Dieter Blumenwitz, Experte im internationalen öffentlichen Recht an der
Universität Würzburg, der sich mit der Problematik des Vermögens der Vertriebenen
befaßt, meint folgendes: Mangels einer abschließenden Regelung der Eigentumsfragen in
den deutsch-polnischen Beziehungen sind sowohl die Rückgabe- wie auch die
Schadensersatzansprüche an die Adresse Polens nicht erloschen. Er verweist auf die
Erklärungen der Landsmannschaften, daß der Zeitraum, in dem sich Polen um die Aufnahme
in die Union bemühe, die letzte Gelegenheit für eine Regelung der Vermögensfragen der
Ausgesiedelten sei. Deutschland könnte gegen die Aufnahme Polens ein Veto einlegen.
Natürlich wird die deutsche Regierung das nicht tun, aber in diesem Fall können die
Geschädigten Ansprüche gegen die Regierung haben, weil diese nicht entschieden genug
ihre Vermögensrechte schütze. Sie könnten theoretisch Schadensersatz
fordern.
Zu ähnlichen Konsequenzen kann der Streit des Fürsten von Liechtenstein um das Bild führen, das nach dem Krieg in der Tschechoslowakei als deutsches Vermögen konfisziert wurde. Als das Bild auf einer Ausstellung in Köln auftauchte, verlangte es der Fürst sofort als sein Eigentum zurück. Die deutschen Gerichte gaben ihm nicht Recht. Die Sache gelangte bis zum Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, welches die Entscheidung verweigerte, indem es sich auf ein Abkommen der drei Besatzungsmächte vom Jahre 1954 berief. Darin hatten diese festgelegt, daß die Beschlagnahme deutschen Vermögens zum Zweck der Befriedigung von Reparationen nicht Grundlage für Vermögensansprüche sein könne. Dies sah der Fürst als eine Menschenrechtsverletzung an und wandte sich an den Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Dessen Entscheidung wird in diesem Jahr erwartet.
Für die Ausgesiedelten ist das eine wichtige Frage, denn die Feststellung, daß ihr früheres Vermögen von der deutschen Justiz als Teil der Kriegsreparationen behandelt wird, kann einen Anspruch gegen den deutschen Staat begründen, der verpflichtet ist, das Vermögen der Bürger zu schützen, anstatt mit ihm zu handeln.
Arbeit für Tausende von Anwälten
Natürlich berührt die Frage, ob die Ausgesiedelten von der deutschen Regierung
Schadensersatz fordern können, Polen nicht unmittelbar. Aber das Echo des Streits würde
über die Weichsel hallen, mit unguten Folgen für die Atmosphäre zwischen beiden
Ländern.
Nach Ansicht von Marek Cichocki aus dem Zentrum für internationale Beziehungen in
Warschau hätte der Beginn individueller Schadensersatzprozesse gegen Polen tatsächlich
katastrophale Folgen für die gegenseitigen Beziehungen. Ich fürchte, die
polnischen Politiker und Medien müssen auf solche Klagen vorbereitet sein, und dabei ist
der Hinweis wichtig, daß dies nicht der deutsche Staat ist, sondern daß die Forderungen
von einzelnen Bürgern erhoben werden, sagt der Politologe Markus Mildenberger, der
sich in der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik mit polnischen Themen befaßt.
Auf die Gefahr, daß die Angelegenheit von polnischen nationalistischen und
antieuropäischen Kreisen ausgenutzt werden könnte, weist ebenfalls der Grünen-Politiker
Helmut Lippelt hin.
Rechtsanwalt Stefan Hambura weist auf Artikel 17 der Charta der Grundrechte der EU hin,
die in Nizza angenommen wurde und die Teil des europäischen Verfassungsrechts sein wird.
Darin ist vom Recht eines jeden Menschen auf den Besitz von Eigentum die Rede, das
rechtmäßig erworben wurde. Solch eine Klausel fordert zur Diskussion über
ihre Auslegung heraus, erklärt Hambura, der dieses Problem im einzelnen in der neuesten
Nummer der deutsch-polnischen Schrift Dialog darstellt. Das Problem liege
darin, daß dasselbe Eigentum der Ausgesiedelten, das sich heute unstreitig auf dem Gebiet
Polens befinde, sowohl durch Artikel 14 des Grundgesetzes der BRD als auch durch Art. 21
der Verfassung der RP geschützt werde. Der Anwalt schließt nicht aus, daß die Fragen
des Eigentums in den ehemaligen deutschen Gebieten in Kürze auf der Tagesordnung des
Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg stehen werden.
Nach der EU-Erweiterung können die Ausgesiedelten auch versuchen, mit
Schadensersatzklagen vor polnischen Gerichten aufzutreten. Unter der beeindruckenden
Anzahl von 110.000 deutschen Rechtsanwälten, die verbissen um Mandanten kämpfen, sind
nur wenige, die sich mit dieser Materie befassen. Umso mehr könnten sie schon binnen
kurzem als Rechtsberater oder Prozeßbevollmächtigte auch in Polen, dem Mitgliedsland der
Union, auftreten.
Professor Blumenwitz glaubt allerdings, daß Schadensersatzansprüche insbesondere vor dem
Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg erhoben werden, wenn die Kläger nachweisen
können, daß sie beim Reprivatisierungsprozeß in Polen diskriminiert wurden, d. h., daß
sie bei der Erstattung des Vermögens nicht im gleichen Umfang beteiligt werden wie die
Juden oder die katholische Kirche. Nach seiner Meinung wußte Präsident Kwasniewski sehr
wohl, was er tat, als er sein Veto gegen das Reprivatisierungsgesetz einlegte. Das Gesetz
hätte nämlich zu einer Ungleichbehandlung der Enteigneten bzw. ihrer Erben führen
können.
Blumenwitz meint, daß man auch die vor amerikanischen Gerichten gegen polnische
Unternehmen vorgebrachten Schadensersatzklagen anführen könne, wenn den Antragstellern
der Beweis gelinge, daß es diese Firmen gewesen seien, die ihr Eigentum übernommen
hätten. Einen Präzedenzfall gebe es schon, nämlich ein Versicherungsunternehmen, das in
der Tschechoslowakei tätig gewesen sei.
Die Ausgesiedelten haben Geduld
Die rechtlichen Möglichkeiten, Schadensersatzansprüche zu verfolgen, bedeuten
noch nicht automatisch ihre Befriedigung.
Wenn ich die polnische Regierung wäre, würde ich die Entschädigungsfrage im
eigenen Interesse vor dem Beitritt zur EU lösen., warnt Erika Steinbach. Die
Ausgesiedelten warten. Ebenso warteten über viele Jahre die Eigentümer des in der
ehemaligen DDR belegenen Vermögens. Nach der Wiedervereinigung wurde dessen Rückgabe
nicht behindert. Daher ist die Feststellung nicht unbegründet, daß der Beitritt Polens
zur Union eine vergleichbare Auswirkung haben könne. Probleme von seiten der deutschen
Regierung sind allerdings auszuschließen. Dies unterstrich Kanzler Gerhard Schröder
ausdrücklich aus Anlaß des 50. Jahrestages der Unterzeichnung der Charta der deutschen
Heimatvertriebenen. Es geht lediglich um individuelle Bürger Deutschlands, die immer
häufiger in Anwaltskanzleien erscheinen und die Berichtigung von Grundbüchern in Polen
verlangen. Das bedeutet schon etwas. Bisher haben Ausgesiedelte noch kein Verfahrten
angestrengt, wohl wissend, daß sie zur Erfolglosigkeit verurteilt waren.
Der deutsche Anwalt Andreas Remin ist in seiner jahrelangen Praxis nur auf wenige Fälle
von deutschen Bürgern aus Schlesien gestoßen, die ihr Eigentum wiederhaben wollten.
Diese Ansprüche waren von vornherein wegen Verjährung aussichtslos sagt
Remin. Er erinnert daran, daß in Sachen Entschädigung der Zwangsarbeiter im Dritten
Reich ebenfalls keine Rechtsgrundlagen bestanden. Dennoch haben die Opfer sie erhalten.
Die Deutschen hören nicht auf, zu unterstreichen, daß eine Entschädigung keine
Wiedergutmachung für erlittenes Leid, sondern eine moralische Geste und ein Zeichen des
guten Willens wäre.
Was tun?
Unter den Kennern der Sache überwiegt die Meinung, daß die Eigentumsfrage der
ausgesiedelten Personen irgendwie gelöst werden muß. Marek Cichocki überlegt, ob es
nicht eine Geste guten Willens von polnischer Seite sei, wenn Polen der Gründung der
Berliner Stiftung zustimmt, einer deutsch-polnischen Einrichtung, die Eigentümerin eines
Teils der zahlreichen Sammlungen der Preußischen Bibliothek werden würde, die zur Zeit
in der Bibliothek der Jagiellonen-Universität in Krakau aufbewahrt werden. Eine solche
Geste müßte jedoch mit einem neuen Abkommen verbunden werden, in dem Polen und
Deutschland ausdrücklich erklärten, keinerlei Ansprüche mehr gegeneinander zu haben.
Professor Bogdan Koszel vom Westinstitut in Posen schlägt eine Null-Option eigener Art
vor, nämlich ein Abkommen, in dem Polen und Deutschland gegenseitig auf alle materiellen
Ansprüche verzichten. Er geht dabei von der Annahme aus, daß die Summe aller Verluste
Polens während des Krieges den gesamten materiellen deutschen Verlust in den polnischen
Gebieten aufwiegt. In diesem Fall bräuchte der gegenwärtige Status der Berliner Stiftung
nicht geändert zu werden.
Diese Lösung verwirft der bekannte Völkerrechtler Professor Gilbert Gornig von der
Universität Marburg aus rechtlichen Gründen. Er weist darauf hin, daß ein eventueller
Verzicht der deutschen Regierung auf vermögensrechtliche Ansprüche im Namen der Bürger
den Ausgesiedelten Klagen gegen die Regierung ermöglichen würde. Keine deutsche
Regierung kann sich das erlauben, stellt Markus Meckel, der Vorsitzende der
deutsch-polnischen Parlamentariergruppe im Bundestag, fest.
Es fehlt jedoch nicht die Meinung, das Problem nach dem gleichen Grundsatz zu lösen, den
die Regierung der USA im Fall der Klagen der ehemaligen Zwangsarbeiter angewandt hat,
indem sie den Gerichten empfahl, Schadensersatzansprüche abzuweisen, weil ihre
Befriedigung nicht im Interesse des Staates liege. Solch eine Lösung ist jedoch wenig
wahrscheinlich.
Anwalt Hambura meint, der deutsche Staat könne sich wirksam gegen die Ansprüche der
Ausgesiedelten schützen. Er legt dar, daß sie bereits Entschädigungen unterschiedlicher
Art erhalten hätten, Beihilfen, Steuererleichterungen und andere Leistungen. Deutschland
wüßte sich schon zu helfen.
Was macht jedoch Polen, das fest überzeugt ist, daß von seiten der Ausgesiedelten
praktisch keine Gefahr drohe? Selbst wenn es sich so verhält, wird nicht das ganze
Durcheinander um ihr (der Deutschen) ehemaliges Vermögen und die zu erwartenden
rechtlichen Auseinandersetzungen die Stimmung in Polen beeinflussen? Wird nicht die
Akzeptanz des EU-Beitritts durch die Mehrheit des Volkes in Frage gestellt, des Beitritts
zu einer Union, in der die unbelehrbaren Deutschen es auf das polnische Eigentum
abgesehen haben?
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