Karlovarske Noviny  Donnerstag, 10. Juli 2003

Rychetsky: Der Gang zu tschechischen Gerichten ist heute ein Lotteriespiel
Von Lída
Rakušanová

Der Justizminister sowie dem Vernehmen nach der künftige Verfassungsrichter Pavel Rychetsky hat unserem Blatt ein Exklusivinterview gewährt. Dieses betrifft einige der brennendsten Probleme der Gegenwart.

Die Regierung hat Sie mit der Aufgabe beauftragt, das Oberste Gericht um eine Stellungnahme zu Restitutionsstreitfällen zu bitten. Was versprechen Sie sich davon?

Die Regierung hat über einen solchen Auftrag nicht verhandelt. Gebeten hat mich darum der Premierminister. Ich muß allerdings sagen, daß ich mich mit diesem Ansinnen an die Vorsitzende des Obersten Gerichts bereits zu einem früheren Zeitpunkt gewandt habe und jetzt beabsichtige, dieses Ansinnen nur noch zu präzisieren. Die Tatsache, daß nicht nur Gerichte niedrigerer Hierarchien, aber auch das Oberste Gericht in den vergangenen Jahren unterschiedlich entschieden haben, insbesondere bei einer Kollision spezifischer Restitutionsgesetzgebung mit der allgemeinen Gerichtsbarkeit, erfordert zweifelsohne, daß das Oberste Gericht seine durch das Gesetz auferlegte Aufgabe, die der Vereinheitlichung der Rechtsprechung, auch erfüllt.

Wo sehen Sie das Hauptproblem unserer Justiz?

In der Wirksamkeit der Schutzfunktion der Menschenrechte vor tschechischen Gerichten. Ich erlaube mir aber zu sagen, daß dieses Problem nicht nur ein ausschließlich tschechisches ist. Alle hoch entwickelten Länder stehen dem Problem der Dauer von Gerichtsverfahren gegenüber, alle haben es mit der Frage zu tun, wie die Menschenrechte effizienter vor den Gerichten zu wahren sind bei gleichzeitiger Beibehaltung der Wertigkeit der Unabhängigkeit der Richterschaft. Bei uns haben diese Probleme nur eine kräftigere Form angenommen. Neben der unangemessenen Länge von Gerichtsverfahren ist hier jedoch auch ein weiteres Problem, das hoch entwickelte Demokratien nicht haben. Das ist die Tatsache, daß Entscheidungen tschechischer Gerichte nicht voraussehbar sind. Die Menschen haben also nicht genügend Rechtssicherheit.

Heißt das, das jedes Gericht auf eine andere Art entscheidet?

Ja, dem ist so. Und für einen Menschen, der wie ich lange Jahre in einer Rechtsanwaltskanzlei gearbeitet hat, ist dies eine außerordentlich schwierige Situation. Ich konnte meinen Klienten niemals sagen: „Wenn Ihre Ausgangssituation so richtig ist, wie Sie sie mir schildern, kann ich Ihnen garantieren, daß wir bei Gericht erfolgreich sein werden.“
Sich heute an tschechische Gerichte zu wenden, bedeutet eine große Unbekannte.

Ist es deshalb, weil die Richter nicht den Geist der Gesetze achten und sich eher an ihren Text halten, so daß niemand voraussehen kann, was für sie besondere Bedeutung haben mag?

Es gibt immer mehrere Gründe. Eines der Probleme der tschechischen Gerichtsbarkeit ist der sehr betonte Rechtspositivismus in der Durchsetzung des Rechts, aber dies ist nicht alles. Ein weiteres Problem ist die sich ständig ändernde Gesetzgebung und ihre damit entstehende Undurchsichtigkeit. Ich glaube aber, daß das absolut größte Problem der tschechischen Justiz in Wirklichkeit die Unsitte der tschechischen Richter ist, Entscheidungen aus dem Wege zu gehen: Formale Gründe zu suchen, warum die Sache jemand anderem zu übergeben, zurückzuweisen oder aus Prozeßgründen die eigene Entscheidung zu vertagen ist.

Welche Chancen haben Überlegungen zur Bereinigung des Unrechts, die die tschechischen Bürger deutscher Nationalität erfahren haben?

Ich muß sagen, daß ich Bemühungen, Unrecht im Bereich des Eigentumsrechte auszugleichen, das auf unserem Territorium bestimmten Gruppen oder Individuen entstanden ist, in erster Linie bei uns sehe. Kein anderes postkommunistisches Land hat eine Restitutionsgesetzgebung ähnlichen Umfangs wie wir angenommen. Kein anderes Land, und das gilt auch für die gesamte Geschichte der Rechtszivilisation, hat so weitreichende Schritte begangen, hat auf eine solche Weise versucht, Leid und Unrecht, verursacht innerhalb des vergangenen Zeitraums, auszugleichen und/oder zu lindern.

Vor dem Ausschuß für Menschenrechte in Genf  jedoch und vor dem Europäischen Gericht für Menschenrechte in Straßburg sind wir Objekt von Verhandlungen aus Gründen von Diskriminierungsselementen in unserer Restitutionsgesetzgebung, während Staaten, die keine Restitutionsgesetzgebung angenommen haben, Objekte eines solchen Verfahrens nie werden können. Ich denke, daß es, wenn wir schon den Weg des Bemühens um Ausgleich und Linderung von Unrecht gegangen sind, erforderlich ist, einen Weg zu suchen, wie auch mit diesem Problem fertig zu werden ist. Allerdings muß ich offen sagen, daß ich es für absolut unmöglich halte, noch einmal die gegenwärtigen Restitutionsgesetze zu öffnen oder neue anzunehmen. Es ist schon aus technischen Gründen unmöglich. Das Eigentum hat der Staat schon lange nicht mehr und es ist unmöglich zuzulassen, daß Restitutionen neues Unrecht verursachen.

Wie würden Sie also die Entschädigungen tschechischer Bürger deutscher Nationalität lösen?

Das Problem unserer tschechischen Bürger deutscher Nationalität, denen, drücken wir es vereinfacht aus, zuerst die Staatsangehörigkeit aberkannt wurde und aufgrund dieses Aktes dann auch ihr Eigentum, denen jedoch später die Staatsangehörigkeit zurückgegeben wurde, nicht jedoch das Eigentum, sollte mittels des gleichen Mechanismus gelöst werden, den ich vorgeschlagen und durchgesetzt habe in Sachen des Unrechtsausgleichs des Holocaust. Das heißt, durch einen besonderen Fond, in dem der Staat bestimmte Mittel zur Verfügung stellt und der, ähnlich wie der tschechisch-deutsche Fond der Zukunft, nicht Schadensersatz, sondern bestimmte soziale oder moralische Genugtuung denjenigen gewähren wird, denen Unrecht geschah. 

Was die Frage der deutschen Minderheit angeht, ist jetzt sie an der Reihe und nicht die tschechische Regierung.  Bevor wir konkrete und grundsätzliche Verhandlungen führen werden, sollten wir eine konkrete Vorstellung darüber haben, wie viele Menschen dies betrifft und was ihre Vorstellungen sind.

Hanne Zakhari  2003-07-15