Freispruch für Totschläger
Dankenswerterweise hat die F.A.Z. (vom 25. und 27. Juni) immer wieder darauf hingewiesen, in welcher Weise die deutsche Regierung leichtfertig ihre Haltung zu Fragen der Vertreibung vergißt, wenn es um die tschechische Interpretation der unmittelbaren Nachkriegsgeschichte geht. In der deutsch-tschechischen Erklärung von 1997 bedauert die tschechische Seite noch eine kollektive Schuldzuweisung an die Deutschen. Das scheint längst vergessen. Auch vom Europäischen Parlament wurde die tschechische Regierung 1999 aufgefordert, fortbestehende Gesetze und Dekrete aus den Jahren 1945 und 1946 aufzuheben. Daran darf heute nicht mehr erinnert werden. So konnte der tschechische Ministerpräsident Spidla in seiner Rede vom 6. Mai 2003 in der Aula der Frankfurter Universität unwidersprochen sagen: „Die Beneš-Dekrete sind gültig und werden gültig bleiben.“ Das in der Aula versammelte Auditorium hat diese Aussage noch beklatscht. Weit sind wir gekommen mit dem Freispruch von Mördern und Totschlägern, straffrei gestellt durch die Beneš-Dekrete.

Mehr noch. Das Prager Parlament wünscht ein Gesetz, das Beneš die gleiche Ehrung zubilligen soll wie weiland dem Gründerpräsidenten T. G. Masaryk. Er habe sich „um den Staat verdient gemacht.“ Aber die deutsche Regierung schweigt wie gewohnt, denn die Tschechische Republik wird inzwischen EU-Mitglied. Ihr Aussitzen hat sich gelohnt. Offenbar ist es schon anrüchig, an die erwähnte Entschließung des Europäischen Parlamentes zu erinnern. Dafür haben wir uns auf ewige Zeiten zu den verabscheuungswürdigen Verbrechen der Nazis zu bekennen, die Tschechen dagegen von den verübten Verbrechen freizusprechen, die der tschechische Mob, angeregt durch Benešs Rundfunkaufforderungen, an unschuldigen deutschen Zivilisten verübte. Die vom tschechischen Parlament beschlossene Ehrung des Präsidenten Beneš ist zwar eine innertschechische Angelegenheit, aber die deutsche Regierung spricht – nicht zum ersten Mal – mit gespaltener Zunge, wenn sie einerseits die Anklage gegen Miloševic wegen Vertreibungsverbrechen in Den Haag billigt, zu der nach europäischem Rechtsverständnis unverständlichen Beneš-Ehrung aber schweigt. Spätestens jetzt sollte beziehungsweise müßte unser Außenminister dem tschechischen Botschafter in Berlin mitteilen, daß diese Ehrung der Europäischen Gemeinschaft nicht zu vermitteln ist, solange Benešs Verdienste auch darin zu sehen sind, daß er dazu aufrief, die Deutschen „hinauszuliquidieren“, und die dabei tätig gewordenen Mörder straffrei stellte.

Otto Bauer, Ludwigsburg
Als Leserbrief veröffentlicht in der FAZ 2003-07-24