Politische Bücher
Mit Hakenkreuzen auf dem Rücken – Nach der Vertreibung: Die „anerkannten“ Deutschen und die „Grenzbevölkerung“ in Polen
Piotr Madajczyk. Niemcy polscy 1944-1989. Oficyna Naukowa, Warschau, 2001. 371 Seiten, 39,- Zloty

Über das Schicksal der Deutschen, die nach der Vertreibung – also nach 1947 – in den von Polen übernommenen Gebieten verblieben, weiß man wenig.
Sie wurden oft erst zur Kenntnis genommen, nachdem sie im Westen „aufgetaucht“ waren. Und sie kamen ständig, meistens nach Liberalisierungsschüben in Polen – ein bis heute nicht versiegender Strom.
Die offizielle Politik und die Medien der Bundesrepublik ignorierten seit der neuen Ostpolitik Willy Brandts – getragen vom Versöhnungswillen gegenüber Polen – die Tatsache, daß es sich bei der Volksrepublik Polen bis 1989 um ein repressives, totalitäres Regime handelte, das sich insbesondere gegen die Deutschen wandte. Der Deutschenhaß galt als Mörtel des gesamten sowjetischen Imperiums – wie der polnische Publizist Adam Krzeminski schrieb. Nach 1989 änderte sich wenig im westdeutschen Perzeptionsmodus der deutschen Bevölkerung in Polen. Auch die wenigen Publikationen zu diesem Thema – etwa von Helga Hirsch und von Thomas Urban – fanden kaum Interesse.
Jetzt befassen sich polnische Autoren mit diesem Thema und erfüllen das Postulat des Vordenkers der deutsch-polnischen Verständigung, des Publizisten Jan Jozef Lipski: „Wir müssen uns alles sagen unter der Bedingung, daß jeder über seine eigene Schuld spricht.“
Der Warschauer Politologe Piotr Madajczyk legt nun eine bahnbrechende und gut lesbare Publikation zum Thema „Niemcy polscy 1944-1989“ (Die polnischen Deutschen) vor, die sich vor allem auf Archivmaterialien der Woiwodschaftskomitees der Partei und des Innenministeriums stützt. Die Publikation gewährt Einblicke in die Funktionen eines menschenverachtenden Regimes. Madajzcyk befaßt sich wenig oder kaum mit der schlimmsten Zeit der Vertreibung und der Konzentrationslager für Deutsche, sondern charakterisiert die Situation der in Polen verbliebenen Deutschen. Deren Schicksal wird in den Kategorien „anerkannte Deutsche“ und die zur Assimilierung vorgesehene „Grenzbevölkerung“ dargestellt. So nennt der Autor die Bevölkerungsgruppe, die im allgemeinen Sprachgebrauch im sozialistischen Polen als Autochthone bezeichnet wurde und in Ermland und Masuren sowie in Oberschlesien ansässig war und zu einem geringen Teil immer noch ist.
Um die Rückkehr auf „urpiastischen Boden“ zu begründen, wie es im Nachkriegspolen hieß, berief man sich auf die Existenz dieser deutsch-slawischen Mischbevölkerung, die bis 1945 im deutsch-polnischen Grenzgebiet lebte, also auch zeitweise unter polnischen Einflüssen stand. Das bewies zum Beispiel das Plebiszit-Ergebnis im Jahre 1921 in Oberschlesien, das zugunsten Deutschlands ausfiel, jedoch den Polen 40 Prozent der Wählerstimmen einbrachte. Diese Grenzbevölkerung erklärte man nach der Übernahme der deutschen Gebiete zu germanisierten Polen und begann, sie mit den Methoden des Repressionsregimes einer rigorosen Assimilierung zu unterwerfen.
Den „anerkannten“ Deutschen in Niederschlesien, Pommern und Ostpreußen wurden nach der schlimmsten Zeit – als sie weiße Binden tragen und mancherorts mit Hakenkreuzen auf dem Rücken Zwangsarbeiten leisten mußten – einige Freiheiten zugestanden. Sie durften Deutschunterricht abhalten und die deutschsprachige Zeitung, „Die Arbeiterstimme,“ lesen. Demgegenüber wurde in Gebieten mit zur Zwangsassimilierung vorgesehener Bevölkerung ein rigoroses Verbot der deutschen Sprache eingeführt. Deutsch wurde in den Schulen sogar als Fremdsprache nicht unterrichtet, obwohl es andernorts eine der begehrtesten Fremdsprachen in polnischen Schulen war.
Nachdem Wladyslaw Gomulka 1956 die Regierung in Polen übernommen hatte, das Ende des Stalinismus ausgerufen und Liberalisierung angesagt war, erhielten alle Minderheiten in Polen (Ukrainer, Weißrussen, Litauer) das Recht auf ein eigenes Schulwesen und kulturelle Entfaltungsmöglichkeiten. Ähnliche Rechte für die Deutschen – man sprach bereits offiziell von einer deutschen Minderheit – wurden intensiv in den Parteigremien und in der Presse erwogen. Die Bereitschaft, auch dieser Gruppe Rechte einzuräumen, war bei den Kommunisten groß. Der masurische Journalist Tadeusz Willan formulierte die Bedürfnisse der einheimischen Bevölkerung, der das Recht auf die deutsche Sprache in den Schulen und Zugang zu deutschen Büchern und Zeitschriften gewährt werden sollte.
Die Meinungen änderten sich unter den Protesten polnisch gesinnter Oberschlesier, die ihren Traum von einem polnischen Schlesien gefährdet sahen. Am schärfsten gegen die Rechte für Deutsche trat der Publizist Wilhelm Szewczyk auf, der in einer Sitzung des Woiwodschaftskomitees der Partei in Kattowitz verlauten ließ, daß alle deutschsprechenden Oberschlesier Adenauer-Agenten seien; gegen sie solle man einen „erbarmungslosen Terror“ anwenden. Die von Szewczyk geleitete Zeitschrift „Przemiany“ veröffentlichte einen scharfen Protest gegen die Zulassung der deutschen Sprache in den ehemaligen Grenzgebieten.
Auch in Warschau änderte sich der Kurs. Aleksander Zawadzki, damaliger Vorsitzender des Staatsrates, sprach sich für ein weiterhin national einheitliches sozialistisches Polen aus. Als Antwort auf die enttäuschten Hoffnungen und die anhaltenden Repressionen stieg die Anzahl der Ausreisewilligen sprunghaft an. In den folgenden Jahren siedelten Hunderttausende Deutsche aus Polen in die Bundesrepublik über, obwohl es nach offiziellen Angaben kaum wenige Tausende im Lande gab. Madajczyk liefert exaktes Zahlenmaterial. Allerdings waren Akademiker und Fachkräfte von der Möglichkeit, legal auszureisen, ausgeschlossen.
Der Liberalisierungskurs Gomulkas ließ sich auch in diesem Bereich nicht halten. Die Ausreisen wurden wieder gestoppt. Die nächste Ausreisewelle erfolgte Anfang der siebziger Jahre. Es war wiederum ein Menschenhandel, wie ihn die Bundesrepublik auch der DDR gegenüber praktizierte: Für Milliardenkredite war das Gierek-Regime bereit, eine große Anzahl Deutscher aus seinem Staatsbereich zu entlassen.
In den achtziger Jahren wurden mehrmals Versuche gestartet, eine Organisation der deutschen Minderheit durchzusetzen, doch die führenden Personen landeten meistens noch in den Kellern der Sicherheitsbehörden. Erst mit der Erstarkung der Solidarnosc-Bewegung gab es Chancen für die Deutschen, die eigentlich nur noch Bekenntnisdeutsche waren. Ein akzeptables Deutsch sprachen zumeist nur noch die Älteren.
Madajczyks Darstellung endet mit der Zulassung der „Deutschen Freundschaftskreise“ (DFK) und der Gleichberechtigung der bisher Diskriminierten, Bedenken weckt lediglich der Titel des Buches. Als „polnische Deutsche“ bezeichneten sich im Mittelalter diejenigen, die sich freiwillig unter die Obhut der polnischen Herrscher begeben hatten; sie waren nicht nur gleichberechtigt, sondern anfangs sogar privilegiert. Die nach dem Zweiten Weltkrieg im polnischen Herrschaftsbereich Verbliebenen waren jedoch Opfer eines repressiven Regimes. Sie können nur als Deutsche in Polen bezeichnet werden.
RENATA SCHUMANN

Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.10.2001
übermittelt vom Nachrichtendienst Ostpreußen