Das Ostpreußenblatt 8. Januar 1994 - Folge 1 - Seite 5

Forschung:
Benešs Ideen zum Egerland

CSR-Präsident wollte 1943 Grenzgebiete an Deutschland abtreten

Im Kriegsjahr 1943, als Edvard Beneš bei den Alliierten um Zustimmung zu seinen Vertreibungsplänen warb, ging er vorübergehend mit dem Gedanken um, das Egerland an Deutschland abzutreten.

Diese Mitteilung machte der Neuhistoriker Dr. Alfred Schickel auf der diesjährigen Herbsttagung der Zeitgeschichtlichen Forschungsstelle in Ingolstadt. Er berief sich dabei auf eine Aussage der tschechoslowakischen Exulanten Vaclav Kopecky und Klement Gottwald, denen der frühere und nachmalige tschechoslowakische Staatspräsident anläßlich eines Zusammentreffens im Dezember 1943 in Moskau eine entsprechende Landkarte von der künftigen Tschechoslowakei gezeigt hatte. Auf ihr war nach dem Zeugnis der beiden kommunistischen Emigranten das Gebiet um Eger Nachkriegsdeutschland zugegliedert und die „Tschechoslowakei im Gegensatz zu ihrer Vorkriegsgestalt abgehackt und in ihren Grenzen zu Deutschland abgerundet“.

Auf den entschiedenen Protest seiner kommunistischen Landsleute in Moskau habe Beneš mit der Feststellung geantwortet, daß er gewillt sei, das Egerland und die übrigen „vorspringenden Grenzteile“ von der CSR (= Tschechoslowakische Republik) abzuschneiden und mit ihnen „Millionen Deutsche“ nach Deutschland „abzuschieben“.

Auf diese Weise solle das deutsche Minderheitenproblem, welches die erste Teschechoslowakei von 1918 bis 1938 so stark belastet und schließlich zum „Diktat von München“ geführt habe, seine „Endlösung“ finden. Um nicht in den Verdacht eines antideutschen Rassismus zu kommen, erklärte Beneš sein Vorhaben, die meisten Sudetendeutschen nach dem Kriege „abzuschieben“, mit der Notwendigkeit, in der künftigen Tschechoslowakei die Existenz von Minderheiten zu vermeiden.

Diese Begründung vermochte er laut Schickel besonders dem damaligen amerikanischen Präsidenten Roosevelt plausibel zu machen, was sich auch in einem Brief des stellvertretenden amerikanischen Militärgouverneurs, Lucius D. Clay, an die deutschen Erzbischöfe und Kardinäle vom 15. Juli 1946 dokumentiert. Darin schrieb der amerikanische General im Namen seines Landes an die deutschen Kirchenführer wörtlich: „Beispielsweise hat die Existenz der deutschen Minderheit in der Tschechoslowakei zu vorsätzlicher Unruhe und zu subversiver Aktion gegen die etablierte Regierung geführt. Diese Minderheiten ... haben nicht nur zu ständigen Unruhen beigetragen, sondern auch bereitwillig auf die Bestrebungen der deutschen Kriegsleitung reagiert, sich gegen ihre Länder zu wenden. 

Einige rein deutsch besiedelte Gebiete sollten als „menschliches Zugeständnis“ mit an Deutschland abgetreten werden bzw. beim Deutschen Reich verbleiben, da sie ja mit dem Münchener Abkommen bereits Deutschland angegliedert worden waren. Obwohl die tschechoslowakischen Kommunisten in Moskau Beneš mit Vorwürfen überschütteten und ihm erklärten, es niemals erlauben zu wollen, „die Integrität der böhmischen Länder anzutasten“, und „daß keinesfalls der Boden mit den Sudetendeutschen, sondern die Sudetendeutschen aus unserer Republik abgeschoben werden müssen“, blieb der CSR-Chef zunächst noch bei seiner Abtretungsidee und „Abrundungslösung“ für die Nachkriegszeit. Alfred Schickel dokumentierte dies mit dem Hinweis auf amerikanische Regierungspapiere, welche von möglichen Grenzveränderungen sprechen, die die tschechische Regierung noch erwäge“.

Noch näher zu klären ist nach Meinung des Historikers, ob Präsident Beneš mit seinem Abtretungsplan auf frühere Vorlagen zurückgriff. Immerhin hatte er schon 1938 einen ähnlichen Plan den Westmächten insgeheim unterbreitet und sich darin bereit erklärt, an das Deutsche Reich ein Gebiet von 4 000 bis 6 000 Quadratkilometer“ abzutreten. [siehe Necas-Papier]

Eine Offerte, die sich nach den Forschungen Alfred Schickels wiederum auf „zwei Präzedenz-Empfehlungen stützen konnte“.

Zum einen hatte im gleichen Jahr 1938 der britische Sonderbotschafter und Sachverständige Lord Runciman in seinem Bericht vom 14. September 1938 ebenfalls die Abtretung der „zwischen Deutschland und der Tschechoslowakei liegenden Grenzbezirke, in denen die Sudetendeutschen die klare Mehrheit besitzen“ angeregt und dies für einen zwingenden Akt des Selbstbestimmungsrechtes erklärt.

Zum anderen war der Sonderberater des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson, Prof. Dr. Archibald Cary Coolidge, bereits im März 1919 mit dem Vorschlag an die Pariser Friedenskonferenz herangetreten, bestimmte Grenzbezirke der neu entstandenen Tschechoslowakei wegen ihrer fast ausschließlich deutschen Bevölkerung von der CSR abzutrennen. Wörtlich hatte Coolidge, der nach dem Bericht Schickels eine eingehende Studienreise durch die betroffenen Gebiete unternommen hatte, in seinem Abtretungsvorschlag empfohlen: „Betrachtet man die Grenzen Böhmens und Mährens der Reihe nach, so bin ich der Ansicht, daß im Süden Nieder- und Oberösterreich so weit als möglich bis zur jetzigen ethnischen Grenzlinie ... auszudehnen wäre ... und dem Bezirk Eger, der nicht zum ursprünglichen Böhmen gehört, die Vereinigung mit Bayern gestattet werden sollte ... “

In der Tat war das Egerland mit seinen zuletzt über 860 Städten und Gemeinden kein original böhmisches Territorium, sondern wurde im 14. Jahrhundert zusammen mit der ehemals Freien Reichsstadt Eger an die böhmische Krone verpfändet. Ein Umstand, der nicht nur dem amerikanischen Präsidenten-Berater Coolidge bekannt war, sondern auch dem tschechoslowakischen Präsidenten Dr. Edvard Benesch.

So liegt es nahe, daß Benešs Abtretungsidee von 1943 sich an der Empfehlung Archibald Cary Coolidges orientiert haben dürfte.

Für alle erscheint es bemerkenswert, daß Beneš überhaupt solche Uberlegungen angestellt hat, war er doch nach verbreiteter Auffassung ein sehr national-patriotischer tschechischer Politiker, der 1918/19 zu den wichtigsten politischen Architekten der Tschechoslowakei gehörte und die CSR in ihren Grenzen von 1919 als „ebenso gerechtfertigt wie erforderlich“ betrachtete. (zfi)