Die Euphorie kann ich nicht teilen
Der jugoslawische Ex-Präsident Milosevic vor dem Kriegsverbrechertribunal.

Bei aller Genugtuung über die Tatsache, daß endlich einmal ein verantwortlicher Staatschef für seine Untaten zur Verantwortung gezogen wird, vermag ich die Euphorie, mit der die Medien die Gerechtigkeit dieses Vorgehens preisen, nicht zu teilen.
Abgesehen von der erpresserischen Art, in der die sogenannten Geberländer unter Führung Amerikas das neue Jugoslawien zum Bruch seiner Verfassung zwingen, bleibt folgendes zu bemerken:

Recht ist nach Verfassungs- und völkerrechtlicher Definition grundsätzlich unteilbar.

Es ist schon erstaunlich, daß ausgerechnet Staaten, die selbst millionenfach heimtückischen Mord an unschuldigen Zivilisten zu verantworten haben, jetzt so vehement die Auslieferung der serbischen Kriegsverbrecher fordern. Für die sinnlosen Massenmorde von Hiroshima, die menschenverachtende Kriegsführung in Indochina, Korea, Marokko und viele andere, die hunderttausendfache Tötung von Frauen und Kindern in den Bombennächten des letzten Krieges fühlte sich bisher offenbar niemand verantwortlich. Daß auch in amerikanischer Verantwortung deutsche Kriegsgefangene 1945 buchstäblich verhungerten, gehört in der gesamten Nachkriegszeit zu den absoluten Tabuthemen. Ist Recht also doch teilbar?

Hat Milosevic mit seiner Behauptung, er werde vor ein Siegertribunal gestellt, wirklich so ganz Unrecht?

Herbert Schulz, Fuldabrück (Leserbrief in der HNA 167 Seite 23, 2001-07-21)

–––––––––––––

Das Gerichtsverfahren gegen Milosevic gibt – gleichgültig, welchen Ausgang es nimmt – wiedereinmal mehr Gelegenheit, die Verlogenheit der Politik deutlich werden zu lassen.
Wird Milosevic freigesprochen, so machen sich die Sieger lächerlich und stellen die angeblichen Ziele ihrer gesamten Kriegs- und Nachkriegspolitik  seit 1939 in Frage.
Wird Milosevic aber verurteilt, stellt sich automatisch wieder neu die Frage nach einer Verurteilung der Vertreibungsverbrechen der ost-mitteleuropäischen Staaten Polen, Tschechoslowakei, Yugoslawien, Rußland ...
ML 2001-07-21