Der Vater einer vorbildlichen Konfliktlösung
Zum 90. Geburtstag von Silvius Magnago

In dem von Gottfried Solderer herausgegebenen fünfbändigen Werk „Das 20. Jahrhundert in Südtirol“ (Edition Raetia Bozen), beherrscht seit Ende des Zweiten Weltkriegs Silvius Magnago das Geschehen zwischen Bozen, Rom und Wien. Das Wirken der überragenden Gestalt zwischen Brenner und Salurner Klause hat den Landstrich in Europa bekannter werden lassen, als es seiner Größe oder Lage entsprechen würde. Sich der Persönlichkeit Magnagos zu nähern, der heute sein 90. Lebensjahr vollendet, heißt daher zugleich die Einsicht zu erlangen, daß niemand für die Sache der Südtiroler mehr hätte herausholen können als der Kriegsinvalide, auf den die Militärärzte nach Amputation seines 1943 im Kaukasus zerschossenen Beins keinen Pfifferling mehr gegeben hatten. Der Pflege durch seine aus Essen stammende, unlängst verstorbene Frau Anna-Sofia verdankt der seitdem auf Krücken gehende, respektgebietende Mann mit den asketischen Gesichtszügen sein Leben und die Kraft, über die Jahrzehnte zur prägenden politischen Gestalt zu werden. Eitelkeit ist Magnago fremd, Auszeichnungen und Ehrungen schmeicheln ihm. Magnago empfing sie sonder Zahl.

Seine sprichwörtliche Zähigkeit, sein beharrliches Verhandeln, aber auch sein unbedingter Wille zum vernünftigen Kompromiß haben schließlich die Befriedung eines jahrzehntelangen Konflikts herbeigeführt und gewährleistet. Seit der Annexion durch Italien 1918 war Südtirol ein territorialer Zankapfel, hier prallten zwei Kulturen aufeinander, bevor sie sich nach dem Pariser Gruber-de Gasperi-Abkommen (1946) und den Autonomiestatuten von 1948 und 1972 berühren konnten, ohne daß die deutsche und die ladinische Volksgruppe – wie bis dahin – um ihren Fortbestand fürchten mußten im damals wenig geliebten Italien, das seinerzeit unübersehbare zentralstaatliche Assimilationsbestrebungen verfolgte.

Daß Magnago nur so handeln konnte, wie er es tat, wird aus seiner Biographie deutlich. Die Wurzeln des 1914 in Meran geborenen Sohnes eines Welschtiroler königlichen und kaiserlichen Oberlandesgerichtsrats und einer Vorarlbergerin überspannen die ganze Zwittrigkeit des südlichen Teils Tirols. In ihn gestellt und um den zu kämpfen sollte die Lebensaufgabe des nach Studien in Bologna promovierten Rechts- und Staatswissenschaftlers werden. Im Jahre 1936 war er zum italienischen Militärdienst einberufen worden und hatte sich – aufgrund des zwischen Hitler und Mussolini geschlossenen „Optionsabkommens“ – für das Reich entschieden. Nach Kriegsende schloß sich der Heimgekehrte der Südtiroler Volkspartei (SVP) an und wurde 1948 Vizebürgermeister in Bozen.

Als Regionalratspräsident von Trentino-Alto Adige (1951) lehnte sich Magnago gegen die von Rom forcierte Ansiedlung weiterer Italiener in Südtirol auf und trat zurück. 1957 wurde er zum SVP-Vorsitzenden gewählt. Er focht unter dem Leitwort „Los von Trient“ gegen die autonomiewidrige Majorisierung Südtirols in der Region; ein „Los von Rom“ erklärte der Realpolitiker, der strikt an der Verwirklichung der Selbstverwaltung festhielt, gegen eine starke Minderheit in der eigenen Partei für abwegig. 1961 trat Magnago das Amt des Landeshauptmanns an, das er 28 Jahre innehaben sollte. Vom Vorsitz der SVP nahm er 1991, nach 34 Jahren, Abschied.

Nicht erst seit der völkerrechtlich verbindlichen Beilegung (1992) des von Bombenanschlägen, Belagerungszustand, Massenverhaftungen und Folterungen mancher seiner aus Idealismus handelnden Bewohner gekennzeichneten Südtirol-Konflikts vor den Vereinten Nationen ist das Überleben der deutschen und der ladinischen Volksgruppe gesichert. Heute weiß die Welt, da diese Lösung an vielen Orten als vorbildlich erachtet wird, daß die Geschichte Magnago recht gegeben hat. Gleichwohl dürfte der „Vater der Südtirol-Autonomie“, der vehement für die Wahrung der Eigenständigkeit im „auf Punkt und Beistrich“ geregelten ethnischen Nebeneinander bei politisch notwendigem Miteinander plädierte, die beiden stets als Bereicherung empfundenen „Nationalkulturen“ bisweilen für zu sehr „einander befruchtend“ halten. (R.O.)

Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung 2004-02-05, Nr. 30 / Seite 4