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Dr. Rudolf Hilf, München
GRIECHENLAND UND DIE TÜRKEI GEBEN EIN BEISPIEL
Der Fall Loizidou

Die Süddeutsche Zeitung vom 4.November dieses Jahres bringt unter der Überschrift „Millionen-Scheck für ein verlassenes Haus – Ankara akzeptiert erstmals die Verantwortung für die Vertreibungen auf Zypern vor 30 Jahren“ eine auch für uns bedeutsame Nachricht. Es handelt sich hier um den „Fall Loizidou“. Frau Titiana Loizidou mußte 1974, als türkische Truppen Nordzypern besetzten, ihr Eigentum – sozusagen Haus und Hof – verlassen, mit ihr rund 180.000 griechische Zyprer und zwar bis zum heutigen Tag. Am 22. Juli 1989 erhob Frau Loizidou Menschenrechtsbeschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof und trug vor, daß die Türkei für diese Eigentumsverletzung völkerrechtlich verantwortlich sei. 1996 hat der Gerichtshof in Straßburg der Klägerin Recht gegeben und ihr eine Entschädigung von 700.000 Dollar zugesprochen. Die Türkei hat sich bis jetzt geweigert zu zahlen, und die Zinsen sind seit 1996 weiter angewachsen. Der Grund: Die Türkei befürchtete zahlreiche weitere Klagen der fast 200.000 vertriebenen griechischen Zyprer. Heute nun kommt die Meldung, daß die türkische Regierung der Klägerin einen Scheck von 1,2 Mio.Dollar übersandt hat. 

Prof. Blumenwitz erkannte schon frühzeitig die Parallelität dieses Falls zu den Rechten der deutschen Vertriebenen. Er schrieb vor Jahren in einem juristischen Aufsatz:

„Im Hinblick auf das Vertreibungsverbot erscheint bedeutsam, daß die Konfiskation des Vermögens der betroffenen Bevölkerung wichtiges Element meist sogar integrierender Bestandteil erzwungener Bevölkerungsüberführung ist. Diese wiederum verletzt als »ethnische Säuberung« das Diskriminierungsverbot aus rassischen oder ethnischen Gründen. Als Überführung im großen Rahmen erfüllt sie den Tatbestaand eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit. Die erzwungene Bevölkerungsüberführung kann schließlich auch unter die Völkermord-Konvention fallen.“

„Die zwangsweise Massenüberführung bewirkt die völkerrechtliche Verantwortlichkeit jedes betroffenen Staates. Als Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Völkermord verjährt es nicht, so daß der Faktor Zeit, der in der Vertriebenenrechtsprechung der Kommission mehrfach angesprochen wurde, zumindest hier keine Rolle spielen kann. Ein Staat, der durch zwangsweise Massenüberführung zwingende Normen des allgemeinen Völkerrechts verletzt, ist dazu verpflichtet, vollständige Wiedergutmachung zu leisten, und – wenn die rechtswidrige Haltung andauert, dieses Verhalten zu beenden. Hieraus resultiert das Recht betroffener Personen, in ihr Heimatland, zu ihrer Wohnstätte und zu ihrem Vermögen zurückzukehren. Jeder Versuch, eine Situation, die sich aus einer erzwungenen Bevölkerungsüberrführung oder ethnischen Säuberung ergibt, durch gesetzliche oder andere Maßnahmen, die die Rückkehr vertriebener Personen verbieten oder faktisch unmöglich machen, aufrecht zu erhalten, ist völkerrechtswidrig.“ 

Für uns ergibt sich eine andere Frage: Warum hat der Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg dieser griechischen Klägerin Recht gegeben und warum konnten bisher deutsche Vertriebene mit diversen Klageversuchen dort niemals Fuß fassen? Es sind weniger die juristischen Unterschiede in den einzelnen Klagesätzen. Es ist eher ein anderes sehr hartes Faktum: Frau Loizidou hatte einen Fürsprecher, der sich mit Nachdruck für sie eingesetzt hat: Es ist der Staat Griechenland, der die Menschen seiner Nation nicht im Stich läßt. 

Bei den Deutschen ist es anders. Die Bundesrepublik Deutschland, die ganz gerne wieder eine führende Rolle in Europa spielen möchte, verweigert den vertriebenen Deutschen bisher diesen Schutz. Sie geht, wenn sie deutsche Rechte verteidigen soll – z. Bsp. gegen Vertreiberstaaten – bisher nur auf den „Zehenspitzen“ vor. Sie fürchtet sich, für Rechte der eigenen Staatsbürger einzutreten. Das haben wir schon bei der Deutsch-Tschechischen Deklaration von 1997 unter Bundeskanzler Kohl erlebt und das wurde bisher genauso gehandhabt, als sich Bundeskanzler Schröder seinerzeit mit Ministerpräsident Zeman traf, um die rassistischen Vertreibungsdekrete Benešs für „obsolet“, d. h. für nicht mehr wirksam zu erklären. Ich habe damals meine Bereitschaft erklär, auf Haus und Grund meiner Eltern vor einem tschechischen Notar zu verzichten, um zu beweisen, daß die Vertreibungsdekrete nach wie vor wirksam sind. Und genau das hat Prag mir dann offiziell von höchster Stelle mitgeteilt. 

Aber daß diese Dekrete völkerrechtswidrig sind, hat im Vorjahr selbst für das Europäische Parlament keine Rolle gespielt. Man hat die eigene Forderung von 1999 stillschweigend fallengelassen. Und Widerspruch hat nur unser Schirmherr, der bayerische Ministerpräsident Stoiber, geleistet, der seine Abgeordneten auf ein einstimmiges NEIN vergattert hat, obwohl Frau Merkel das noch im letzten Moment verhindern wollte.

Es gibt ein eigentümliches Zeichen in der Gegenwartsgeschichte: Immer wieder steht von Zeit zu Zeit die Frage der Sudetendeutschen, die die Tschechoslowakei vor einem halben Jahrhundert durch die Vertreibung für immer lösen wollte, in irgendeiner Form wieder auf. Es ist in erster Linie eine Frage an die Tschechen, ob sie Recht gewähren wollen? Es ist aber ebenso eine Frage an die Sudetendeutschen, ob sie Frieden gewähren wollen? Mitbetroffen sind immer im deutschsprachigen Bereich die politischen Machtträger, die Parteien in Deutschland und in Österreich. Außer schönen und gleichzeitig belanglosen Gesten (wie jetzt in Österreich) hat sich bisher nicht viel ergeben. Auf bloße Gesten aber können wir gerne verzichten. In der Demokratie gibt es nur zwei Mittel, wie sich eine Menschengruppe, sei es eine Volksgruppe, seien es die Vertriebenen insgesamt, durchsetzen können:  Durch Abstimmung in den Wahlen system-intern und in den Rechtsprechungsorganen grundsätzlich, jenseits jeder Parteipolitik. Alles andere ist vom Ziel her belanglos oder dient nur persönlichen Karrieren.

Die Zeit selbst läßt sich nicht mehr auf den status quo ante zurücktreten, aber das Unrecht darf auch nicht als Unrecht legalisiert werden, das haben vor Jahrzehnten schon Hans Schütz und Wenzel Jaksch gesagt. Mein persönlicher Verzicht von damals bedeutet nicht, daß ich der Meinung bin, irgendjemand in der Volksgruppe  – schon gar nicht der Staat – hätte das Recht, generell einen Verzicht auszusprechen. Das ist rechtlich gar nicht möglich. Was wir wollen, ist zu verhandeln darüber, was bei einigermaßen gutem Willen möglich und was nicht möglich ist. Wenn man sich aber – wie bisher – uns gegenüber verschließt, dann bin ich der Meinung, daß es nur einen Weg gibt, nämlich unseren Willen, mit schwerem Geschütz aufzufahren, d. h. vor nationalen, europäischen und internationalen Gerichten das Recht der Sudetendeutschen einzuklagen. Politisch werden wir dabei sehen, wer in Zukunft für die Vertriebenen noch wählbar sein wird.

Die von der islamischen Partei Tayyip Erdogans geführte Türkei hat nun erstmals Europa ein Beispiel gegeben. Regierung und Opposition Griechenlands ziehen ihr Veto, wenn eine Zypern-Lösung erreichbar ist, gegen den Eintritt der Türkei in die EU zurück. Die deutschen Vertriebenen würden gewiß die Türkei auch als wichtige Brücke zwischen Europa und der islamischen Welt willkommen heißen, wenn die Türkei zu einer Macht des Rechts werden würde, zu der Europa leider immer noch nicht geworden ist.

2004-01-02 übermittelt von Dieter Max, SL Bayern.