Die Kommunisten hatten früher vollkommen andere Strategien verfolgt!
Bitte auch den
Bericht von 1931 lesen!

Memorandum an die Regierung
der tschechoslowakischen Republik

Im Namen des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei erlauben wir uns, der Regierung der Tschechoslowakischen Republik folgendes Memorandum vorzulegen.

Die deutschen Gebiete der Republik sind bereits heute zum Hauptaufmarschraum des Hitler-Imperialismus für seine Offensive gegen die Tschechoslowakei geworden; sie können sich morgen in den Schauplatz eines bewaffneten Aufstandes der Hitler-Agenten oder sogar in den Schauplatz eines kriegerischen Angriffs verwandeln. In dieser Situation ist die Beziehung der deutschen Bevölkerung zur Republik und zu ihrer Verteidigung für das Schicksal der Tschechoslowakei von außerordentlicher Bedeutung.
...
(Passage durch die Zensur entfernt)
... und daß die Regierung bei gleichzeitiger entschiedener Bekämpfung des Terrors der faschistischen Feinde der Republik den berechtigten politischen und nationalen Forderungen der deutschen Bevölkerung stattgibt. Dadurch würde die Beziehung der deutschen Bevölkerung zur Republik verbessert und die Positionen der Verteidigung der Republik gegen den deutschen lmperiaIismus gestärkt werden.

Von verschiedenen Seiten wird immer häufiger die Notwendigkeit betont, die grundlegenden Forderungen der deutschen Bürger der Republik zu erfüllen. Verwiesen sei auf die Rede des Präsidenten der Republik, Dr. Eduard Benesch, der bei seinem Besuch Reichenbergs die NotwendigkeIt der Verbesserung der Beziehung von Tschechen und Deutschen unterstrich. Allein die ständig wachsende Gefahr eines faschistischen Angriffs gegen die Republik verlangt, daß unverzüglich von Worten zu Taten übergegangen wird.

Deshalb wendet sich die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei an die Regierung und verlangt, daß sie verwaltungstechnische und legislative Maßnahmen zur Gewährleistung der verfassungsmäßigen staatsbürgerlichen Rechte der deutschen Bevölkerung setzt und ihre grundlegendsten politischen, kulturellen und sozialen Forderungen erfüllt. Die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei steht auf dem Prinzip einer konsequent demokratischen Lösung der Nationalitätenfragen in der Tschechoslowakei und lehnt entschieden alle Versuche ausländischer Eingriffe in Nationalitätenfragen sowie in Separatismus, Föderalismus und Autonomismus ab, was in der gegebenen Situation auch die faschistischen Feinde der Republik stärken würde. Die heute von der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei der Regierung vorgelegten Forderungen enthalten bloß den Ruf nach bürgerlicher GleichberechtIgung für die deutsche Bevölkerung, ihre grundlegenden politischen, kulturellen und sozialen Forderungen, und betreffen keine staatsrechtlichen Fragen der Tschechoslowakei. Deshalb würde die Erfüllung der im Memorandum enthaltenen Forderungen noch keine konsequent demokratische Lösung der Nationalitätenfrage im Sinne der Gleichberechtigung des tschechischen und des deutschen Volkes der Republik bedeuten. Wir sind jedoch zutiefst davon überzeugt, daß die Verwirklichung dieser elementaren Voraussetzungen der staatsbürgerlichen Gleichberechtigung schlagartig die Einstellung der deutschen Bewohnerschaft zur Verteidigung der Republik verbessern, die Tätigkeit der Hitler-Agenten in den deutschen Gebieten untergraben, den Weg zu einem weiteren versöhnlichen demokratischen Ausgleich zwischen dem tschechischen und dem deutschen Volk bis zur völligen nationalen Gleichberechtigung des tschechischen und des deutschen Volkes öffnen und zur Herausbildung ihres Bruderbundes führen würde.

Als wichtigste Maßnahmen zur Gewährleistung der staatsbürgerlichen Gleichberechtigung der deutschen Bevölkerung und Äußerungen des Entgegenkommens gegenüber den grundlegenden politischen, kulturellen und sozialen Forderungen betrachten wir folgende Punkte:

1. Gewährleistung der staatsbürgerlichen Gleichberechtigung der Deutschen in der Republik.
Im Verfassungsgesetz der tschechoslowakischen Republik heißt es "Alle Staatsbürger der Tschechoslowakischen Republik sind vor dem Gesetz einander vollkommen gleich und genießen die gleichen bürgerlichen und politischen Rechte ohne Rücksicht auf Rasse, Sprache oder Religion. Der Unterschied in Religion, Glauben, Konfession und Sprache ist keinem tschechoslowakischen Staatsbürger in der Grenzen der allgemeinen Gesetze hinderlich, namentlich in Bezug auf den Zutritt zum öffentlichen Dienste, zu Ämtern und Würden oder in bezug auf die Ausübung welchen Gewerbes oder Berufes immer"

Im gleichen Sinne spricht von der völligen Gleichberechtigung aller Bürger der Republik ohne Unterschied der Sprache auch der Wortlaut des Vertrages von Saint Germain.

Wir fordern deshalb:
Die Regierung möge Maßnahmen zur Gewährleistung der staatsbürgerlichen Gleichberechtigung der Deutschen in der Republik ergreifen;
die Regierung möge alle Taten verhindern und ahnden, die eine politische oder wirtschaftliche Zurücksetzung und Unterdrückung aus nationalen Gründen bedeuten sowie nationale Hetze, jede Aufforderung zum Boykott von Bürgern anderer Völker und dergl.

2. Demokratische Novellierung des Sprachengesetzes
Dieses Gesetz ist ein ernsthaftes Hindernis für den Ausgleich zwischen Tschechen und Deutschen und wird heute immer mehr zu einem ernsthaften Hindernis im Kampf um die Gewinnung der deutschen Bewohnerschaft für die Belange der Verteidigung der Republik.

Wir fordern deshalb:
Das Sprachengesetz möge im Geiste des demokratischen Ausgleiches zwischen Tschechen und deutschen dermaßen novelliert werden, daß jeder Deutsche die Möglichkeit hat, vor Behörden und Gerichten seine Muttersprache anzuwenden, und daß er in eben dieser Sprache bedient wird ( deutsche Anträge, Antworten und Entscheidungen der Behörden usw.). Alle diese Fragen mögen vom Standpunkt der Zweckmäßigkeit beantwortet werden und soweit im Verkehr mit den Behörden Übersetzungen erforderlich sind, mögen diese auf Staatskosten erarbeitet werden. Was die Beschriftungen und Bezeichnungen in deutschen oder gemischtsprachigen Gebieten anlangt, darf nicht vom Standpunkt des nationalen Prestiges, sondern im Geiste der nationalen Verträglichkeit so vorgegangen werden, daß der Verkehr für alle Bürger der Republik erleichtert wird.

3. Gewährleitung des Muttersprachenunterrichts für alle Kinder deutscher Nationalität
Die nationale Unterdrückung an den Schulen war zur Zeit Österreichs eine der brennendsten Fragen des tschechischen Volkslebens. Die Forderung der deutschen Bewohnerschaft nach muttersprachlicher Bildung für jedes deutsche Kind ist heute für die deutsche Bewohnerschaft ebenso heikel und muß als einer der Grundsteine des demokratischen Nationalitätenausgleiches erfüllt werden.

Wir fordern deshalb: Die “Lex Uhlir" möge aufgehoben und es mögen dort, wo es notwendig ist, Schulen für die nationalen Minderheiten ebenso wie tschechische Minderheitenschulen errichtet werden. Im Rahmen der allgemeinen Gesetze und Verordnungen möge in allen Fragen des deutschen Schulwesens und Unterrichts nach den Bedürfnissen der deutschen Bewohnerschaft entschieden werden. Gleichzeitig möge die Kontrolle intensiviert werden, damit der Unterricht einem demokratischen Geist entspricht.

4. Gewährleistung der vollen Unterstützung deutscher kultureller Einrichtungen.
Die kulturelle Annäherung des deutschen und des tschechischen Volkes soll von der Regierung mit allen Mitteln unterstützt werden. Zu diesem Zweck sollen deutsche kulturelle Einrichtungen und Vorhaben der deutschen Bewohnerschaft in der Tschechoslowakei (Theater, Literatur, Kunst, Volksbildung, Sport usw. ) ebenso unterstützt werden, wie die tschechische Kultur. Gegen hitlerorientierte Tendenzen und nationalistische Hetze in Schule, Theater, Literatur, Kunst, und Sport möge mit aller Schärfe vorgegangen werden.

5. Nationale Gerechtigkeit im Verwaltungsapparat und in staatlichen Betrieben
In sämtlichen Verwaltungsbereichen – bei Bahn, Post, Finanz-, staatlichen Verwaltungs- und Sicherheitsbehörden, Gerichten, kommunalen Dienststellen, in staatlichen Betrieben usw. möge die Zusammensetzung der Staatsbediensteten nach nationalem Schlüssel erfolgen, wobei der Verwaltungs- und Staatsapparat von reaktionären Feinden der Republik und der Demokratie ohne Rücksicht auf deren Volkszugehörigkeit zu säubern ist. Dabei möge von Beamten in gemischtsprachigen Gebieten verlangt werden, daß sie die Sprache der Minderheit beherrschen und daß Amtshandlungen auch in dieser Sprache erfolgen.
Die Nationale Gerechtigkeit im Verwaltungs- und Staatsapparat soll nicht durch Entlassung tschechischer Arbeitnehmer erzielt werden, sondern durch Verkürzung der Arbeitszeit, Diensterleichterung, Rückführung der tschechischen Arbeitnehmer in tschechisches Gebiet und die Neueinstellung deutscher Arbeitnehmer.

6. Gewährung nationaler Gerechtigkeit in Wirtschaftsfragen und Sozialpolitik
Die staatlichen Investitionen und Zuschüsse zu Sozialleistungen mögen national gerecht und mit besonderer Berücksichtigung der Not in den deutschen Gebieten der Republik verteilt werden. Bei Notstandsarbeiten und staatlichen Investitionen auf deutschem Gebiet möge nach nationalem Schlüssel die dortige Bevölkerung berücksichtigt werden. Bei der Vergabe von Bauaufträgen, Lieferungen und bei der Erteilung von Lizenzen dürfen die deutschen Gewerbetreibenden nicht umgangen, sondern sie müssen gerecht berücksichtigt werden. Für große Notstandsgebiete möge eine großzügige staatliche Hilfsaktion durchgeführt werden. Staatliche Mittel sowie Mittel aus verschiedenen Hilfsaktionen mögen von den Gemeinden und Bezirken auf national gerechte Weise verteilt werden. Gesamtstaatliche Wirtschaftseinheiten mögen durch die Regierung angehalten werden, sich im Rahmen ihrer Wirkungsbereiche an Hilfsaktionen für die deutschen Notstandsgebiete zu beteiligen.

7. Verwaltungsreform zugunsten der deutschen Bevölkerung
Bei sämtlichen Ministerien mögen deutsche Sektionen errichtet werden, die besondere Anliegen der Deutschen behandeln und für eine national gerechte Durchführung der Gesetze und Verordnungen sorgen würden. Im Rahmen der Regierung möge ein besonderes Kollegium der deutschen Minister errichtet werden, das jedes Gesetz und jede Verordnung vor Kodifizierung vom Standpunkt der Bedürfnisse der Rechte der deutschen Bevölkerung prüfen würde. Das deutsche Ministerkollegium und die deutschen Sektionen in den Ministerien dürfen nicht auf bürokratische Weise arbeiten, sondern sollen im engsten Kontakt mit der deutschen Bevölkerung ihre Belange in der zentralen Verwaltung des Staates und der Regierung geltend machen.

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Die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei legt diese Forderungen der Regierung sowie der gesamten Öffentlichkeit vor und verlangt ihre Erfüllung im Interesse der Verbesserung der Beziehung der deutschen Bewohnerschaft zur Republik, im Interesse der Vertiefung und Ausweitung der Demokratie in der Tschechoslowakei sowie im Interesse der Wehrhaftigkeit der Republik gegen ihre ausländischen und inneren Feinde.

Prag, am 6.November 1936

Für das Zentralkomitee der KPTsch     
Bruno Köhler    und    Klement Gottwald

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Für die Übermittlung und Aufbereitung dieses Berichtes danke ich meinem Freund Gerhard Hanak. Er brachte ihn mit von dem Journalisten Felix Seebauer, Ostopovice bei Brünn (Ostopovice/Brno), der ihn aus dem Tschechischen zuverlässig übersetzt hatte.
(Ablichtungen des tschechischen Textes können auch eingesehen werden.
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Wenn sich auch die Strategie der Kommunisten gewandelt hatte: nicht mehr Unterstützung der deutschen Forderungen auf Gleichberechtigung „bis zur Losreißung vom Staate“ wie noch 1931, sondern ganz im Gegenteil zur besseren Einbindung der ungeduldig zum aufstrebenden Deutschland schauenden Sudetendeutschen in den Tschechoslowakischen Staat weisen die Kommunisten 1936 auf das immer noch bestehende Demokratie-Defizit hin, das den Sudetendeutschen immer noch die nationale Gleichberechtigung mit Tschechen (und Slowaken) verweigerte.
Man mag die Argumentation bezweifeln – ein Beweis, daß die nationalen Rechte der Deutschen nicht gewährleistet waren, ist dieses KPTsch-Memorandum auf jeden Fall.
ML 2001-09-19