Memorandum an die Regierung
der tschechoslowakischen Republik
Im Namen des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei erlauben wir uns, der Regierung der Tschechoslowakischen Republik folgendes Memorandum vorzulegen.
Die deutschen Gebiete der Republik sind bereits heute zum Hauptaufmarschraum des
Hitler-Imperialismus für seine Offensive gegen die Tschechoslowakei geworden; sie können
sich morgen in den Schauplatz eines bewaffneten Aufstandes der Hitler-Agenten oder sogar
in den Schauplatz eines kriegerischen Angriffs verwandeln. In dieser Situation ist die
Beziehung der deutschen Bevölkerung zur Republik und zu ihrer Verteidigung für das
Schicksal der Tschechoslowakei von außerordentlicher Bedeutung.
...
Von verschiedenen Seiten wird immer häufiger die Notwendigkeit betont, die grundlegenden Forderungen der deutschen Bürger der Republik zu erfüllen. Verwiesen sei auf die Rede des Präsidenten der Republik, Dr. Eduard Benesch, der bei seinem Besuch Reichenbergs die NotwendigkeIt der Verbesserung der Beziehung von Tschechen und Deutschen unterstrich. Allein die ständig wachsende Gefahr eines faschistischen Angriffs gegen die Republik verlangt, daß unverzüglich von Worten zu Taten übergegangen wird.
Deshalb wendet sich die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei an die Regierung und verlangt, daß sie verwaltungstechnische und legislative Maßnahmen zur Gewährleistung der verfassungsmäßigen staatsbürgerlichen Rechte der deutschen Bevölkerung setzt und ihre grundlegendsten politischen, kulturellen und sozialen Forderungen erfüllt. Die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei steht auf dem Prinzip einer konsequent demokratischen Lösung der Nationalitätenfragen in der Tschechoslowakei und lehnt entschieden alle Versuche ausländischer Eingriffe in Nationalitätenfragen sowie in Separatismus, Föderalismus und Autonomismus ab, was in der gegebenen Situation auch die faschistischen Feinde der Republik stärken würde. Die heute von der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei der Regierung vorgelegten Forderungen enthalten bloß den Ruf nach bürgerlicher GleichberechtIgung für die deutsche Bevölkerung, ihre grundlegenden politischen, kulturellen und sozialen Forderungen, und betreffen keine staatsrechtlichen Fragen der Tschechoslowakei. Deshalb würde die Erfüllung der im Memorandum enthaltenen Forderungen noch keine konsequent demokratische Lösung der Nationalitätenfrage im Sinne der Gleichberechtigung des tschechischen und des deutschen Volkes der Republik bedeuten. Wir sind jedoch zutiefst davon überzeugt, daß die Verwirklichung dieser elementaren Voraussetzungen der staatsbürgerlichen Gleichberechtigung schlagartig die Einstellung der deutschen Bewohnerschaft zur Verteidigung der Republik verbessern, die Tätigkeit der Hitler-Agenten in den deutschen Gebieten untergraben, den Weg zu einem weiteren versöhnlichen demokratischen Ausgleich zwischen dem tschechischen und dem deutschen Volk bis zur völligen nationalen Gleichberechtigung des tschechischen und des deutschen Volkes öffnen und zur Herausbildung ihres Bruderbundes führen würde.
Als wichtigste Maßnahmen zur Gewährleistung der staatsbürgerlichen Gleichberechtigung der deutschen Bevölkerung und Äußerungen des Entgegenkommens gegenüber den grundlegenden politischen, kulturellen und sozialen Forderungen betrachten wir folgende Punkte:
1. Gewährleistung der staatsbürgerlichen Gleichberechtigung der Deutschen in der Republik.
Im gleichen Sinne spricht von der völligen Gleichberechtigung aller Bürger der Republik ohne Unterschied der Sprache auch der Wortlaut des Vertrages von Saint Germain.
Wir fordern deshalb:
Die Regierung möge Maßnahmen zur Gewährleistung der staatsbürgerlichen
Gleichberechtigung der Deutschen in der Republik ergreifen;
die Regierung möge alle Taten verhindern und ahnden, die eine politische oder
wirtschaftliche Zurücksetzung und Unterdrückung aus nationalen Gründen bedeuten sowie
nationale Hetze, jede Aufforderung zum Boykott von Bürgern anderer Völker und dergl.
2. Demokratische Novellierung des Sprachengesetzes
Wir fordern deshalb:
Das Sprachengesetz möge im Geiste des demokratischen Ausgleiches zwischen Tschechen und
deutschen dermaßen novelliert werden, daß jeder Deutsche die Möglichkeit hat, vor
Behörden und Gerichten seine Muttersprache anzuwenden, und daß er in eben dieser Sprache
bedient wird ( deutsche Anträge, Antworten und Entscheidungen der Behörden usw.). Alle
diese Fragen mögen vom Standpunkt der Zweckmäßigkeit beantwortet werden und soweit im
Verkehr mit den Behörden Übersetzungen erforderlich sind, mögen diese auf Staatskosten
erarbeitet werden. Was die Beschriftungen und Bezeichnungen in deutschen oder
gemischtsprachigen Gebieten anlangt, darf nicht vom Standpunkt des nationalen Prestiges,
sondern im Geiste der nationalen Verträglichkeit so vorgegangen werden, daß der Verkehr
für alle Bürger der Republik erleichtert wird.
3. Gewährleitung des Muttersprachenunterrichts für alle Kinder deutscher Nationalität
Wir fordern deshalb: Die Lex Uhlir" möge aufgehoben und es mögen dort, wo es notwendig ist, Schulen für die nationalen Minderheiten ebenso wie tschechische Minderheitenschulen errichtet werden. Im Rahmen der allgemeinen Gesetze und Verordnungen möge in allen Fragen des deutschen Schulwesens und Unterrichts nach den Bedürfnissen der deutschen Bewohnerschaft entschieden werden. Gleichzeitig möge die Kontrolle intensiviert werden, damit der Unterricht einem demokratischen Geist entspricht.
4. Gewährleistung der vollen Unterstützung deutscher kultureller Einrichtungen.
5. Nationale Gerechtigkeit im Verwaltungsapparat
und in staatlichen Betrieben
In sämtlichen Verwaltungsbereichen bei Bahn, Post, Finanz-,
staatlichen Verwaltungs- und Sicherheitsbehörden, Gerichten, kommunalen Dienststellen, in
staatlichen Betrieben usw. möge die Zusammensetzung der Staatsbediensteten nach
nationalem Schlüssel erfolgen, wobei der Verwaltungs- und Staatsapparat von reaktionären
Feinden der Republik und der Demokratie ohne Rücksicht auf deren Volkszugehörigkeit zu
säubern ist. Dabei möge von Beamten in gemischtsprachigen Gebieten verlangt werden, daß
sie die Sprache der Minderheit beherrschen und daß Amtshandlungen auch in dieser Sprache
erfolgen.
Die Nationale Gerechtigkeit im Verwaltungs- und Staatsapparat soll nicht durch Entlassung
tschechischer Arbeitnehmer erzielt werden, sondern durch Verkürzung der Arbeitszeit,
Diensterleichterung, Rückführung der tschechischen Arbeitnehmer in tschechisches Gebiet
und die Neueinstellung deutscher Arbeitnehmer.
6. Gewährung nationaler Gerechtigkeit in
Wirtschaftsfragen und Sozialpolitik
Die staatlichen Investitionen und Zuschüsse zu Sozialleistungen mögen
national gerecht und mit besonderer Berücksichtigung der Not in den deutschen Gebieten
der Republik verteilt werden. Bei Notstandsarbeiten und staatlichen Investitionen auf
deutschem Gebiet möge nach nationalem Schlüssel die dortige Bevölkerung berücksichtigt
werden. Bei der Vergabe von Bauaufträgen, Lieferungen und bei der Erteilung von Lizenzen
dürfen die deutschen Gewerbetreibenden nicht umgangen, sondern sie müssen gerecht
berücksichtigt werden. Für große Notstandsgebiete möge eine großzügige staatliche
Hilfsaktion durchgeführt werden. Staatliche Mittel sowie Mittel aus verschiedenen
Hilfsaktionen mögen von den Gemeinden und Bezirken auf national gerechte Weise verteilt
werden. Gesamtstaatliche Wirtschaftseinheiten mögen durch die Regierung angehalten
werden, sich im Rahmen ihrer Wirkungsbereiche an Hilfsaktionen für die deutschen
Notstandsgebiete zu beteiligen.
Die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei legt diese Forderungen der Regierung sowie der gesamten Öffentlichkeit vor und verlangt ihre Erfüllung im Interesse der Verbesserung der Beziehung der deutschen Bewohnerschaft zur Republik, im Interesse der Vertiefung und Ausweitung der Demokratie in der Tschechoslowakei sowie im Interesse der Wehrhaftigkeit der Republik gegen ihre ausländischen und inneren Feinde.
Prag, am 6.November 1936
Für das Zentralkomitee der KPTsch
Bruno Köhler und
Klement Gottwald
Für die Übermittlung und Aufbereitung dieses Berichtes danke ich meinem Freund Gerhard
Hanak. Er brachte ihn mit von dem Journalisten Felix Seebauer, Ostopovice bei
Brünn (Ostopovice/Brno), der ihn aus dem Tschechischen zuverlässig übersetzt hatte.
(Ablichtungen des tschechischen Textes können auch eingesehen
werden.
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Wenn sich auch die Strategie der Kommunisten gewandelt hatte: nicht mehr
Unterstützung der deutschen Forderungen auf Gleichberechtigung bis zur Losreißung
vom Staate wie noch 1931, sondern ganz im Gegenteil zur besseren Einbindung der
ungeduldig zum aufstrebenden Deutschland schauenden Sudetendeutschen in den
Tschechoslowakischen Staat weisen die Kommunisten 1936 auf das immer noch bestehende
Demokratie-Defizit hin, das den Sudetendeutschen immer noch die nationale
Gleichberechtigung mit Tschechen (und Slowaken) verweigerte.
Man mag die Argumentation bezweifeln ein Beweis, daß die nationalen Rechte der
Deutschen nicht gewährleistet waren, ist dieses KPTsch-Memorandum auf jeden Fall.
ML 2001-09-19