Nomen est Omen auf sowjetisch

Bei der 750-Jahr-Feier von Königsberg soll nach russischem Willen nur von „Kaliningrad“ die Rede sein

Der Name Königsberg darf bei der 750-Jahr-Feier der alten Hauptstadt Ostpreußens nicht erwähnt und nicht benutzt werden. Diesen absurden Beschluß faßte der „Runde Tisch“ zur Vorbereitung des Festes. Es gelte, „bei diesem international wichtigen Jubiläum die russische Präsenz im baltischen Raum zu manifestieren“.

Der deutschsprachige „Königsberger Express“ berichtete: „Die Diskussionsteilnehmer griffen tief in die Mottenkiste der sowjetischen Rhetorik und wetteiferten um den Gebrauch solcher Propagandaklischees wie ‚Regermanisierung der Oblast‘, ‚Deutsche Präsenz‘. Zugleich wurden Angriffe gegen den Schutz deutschen Kulturerbes mit Applaus begrüßt. Seltene Gegenargumente wurden mit Buhrufen bedacht.“ Wer für den Gebrauch des Namens der alten ostpreußischen Hauptstadt Königsberg eintrat, wurde als „vaterlandsloser Geselle“ gebrandmarkt. Die anwesenden Veteranen geiferten:

„Kein Denkmal der deutschen Kultur ist mit den Opfern zu vergleichen, die die Sowjetunion im Krieg gegen den Faschismus getragen hat.“

Die Absurditäten machten auch vor der Pietät nicht halt. Die Veteranen sprachen sich gegen die Anlage eines deutschen Soldatenfriedhofs aus. Die Stadt- und Gebietsverwaltung hatte bereits 1997 ein neun Hektar großes Grundstück zur Beisetzung der 1945 bei den Kämpfen um Königsberg gefallenen deutschen Soldaten freigegeben. Etwas später wurde dort ein Gedächtniskreuz aufgestellt. Die Veteranen protestierten empört. Daraufhin ließ der Stadtrat die Arbeiten am geplanten Soldatenfriedhof einstellen, „trotz des deutsch-russischen Abkommens von 1992 über gegenseitige Kriegsgräberfürsorge“, wie der „Königsberger Express“ bemerkt. Das Gedenkkreuz wurde kurz danach mit einem Hakenkreuz verunziert, und an die Friedhofsmauer wurden Parolen geschmiert wie „Njet der Beisetzung von Faschisten“ und „Wehrmacht–Mörder“.

Den skurrilsten Beitrag lieferte ausgerechnet ein Vertreter des russischen Außenministeriums. Der Name Königsberg für die Stadt habe nur von 1724 bis 1946 existiert. Dann wörtlich: „Würden wir das 750. Jubiläum Königsbergs begehen, so hieße das, wir feiern das Jubiläum eines Ortsnamens.

„So was hat es niemals und nirgendwo gegeben. Als ob Königsberg bloß eine Fata Morgana war“, merkt der „Königsberger Express dazu an.

Der Mitarbeiter des Geschichtsarchivs, Anatolij Bachtin, machte interessante Angaben:
Es gebe eine „barbarische Vernachlässigung von Denkmälern deutscher Geschichte und Kultur. Von 4800 Ortschaften Ostpreußens, von denen viele schon im frühen Mittelalter Stadtrechte erhielten, bestehen lediglich noch 1108. Der Rest ist entweder zu Dörfern verkommen oder einfach ganz zerstört worden.“

Noch einmal der „Königsberger Express“:

Niemand hat es bisher gewagt, die Wahrheit offen auszusprechen. Spekulationen über eine angebliche Regermanisierung, die kürzlich aufs neue aufgebauscht wurden können unsere Region in eine neue Isolation treiben. Einen neuen Eisernen Vorhang kann vielleicht das große russische Kernland überleben, nicht aber unsere kleine Exklave, deren Schicksal ohnehin an einem dünnen Faden hängt.“

Diese ungeheuerlichen Vorgänge sind in Deutschland weitgehend unbekannt. Es gibt auch keine Informationen, ob die Bundesregierung Kenntnis davon hat, geschweige denn, ob sie sich darum kümmert. Ist dies kein Thema für die Gespräche in der Männerfreundschaft zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin? Haben solche Vorgänge noch Platz in der angeblich neuen Achse Rußland, Deutschland, Frankreich? Vor diesem Hintergrund darf man sich auch fragen, wieso die Bundesregierung und die Bundesländer das deutsch-russische Kulturjahr 2003 mit 15 Millionen Euro fördern.

Veteranen, die jede Erinnerung an den von Stalin geführten „Großen Vaterländischen Krieg“ pflegen, betrachten die Welt alles andere als realistisch. Die Sowjetunion hatte am Ende des Weltkrieges erreicht, daß, wie der Propagandaspruch stolz hieß, „ein Sechstel der Welt von Magdeburg bis Wladiwostok rot ist“. Dann zerbrach die Sowjetunion. Der Nachfolgestaat, die Gemeinschaft unabhängiger Staaten GUS, mußte die Siegesbeute wieder hergeben. Die Ukraine, Weißrußland und andere Gebiete im Fernen Osten wurden eigene Staaten. Sie mußte die DDR räumen und ihre Truppen von der Elbe bis zur Oder abziehen, denn Deutschland war wiedervereinigt. Aber auch ihren Satelliten Polen mußte die Sowjetunion ebenso aufgeben wie Rumänien, Bulgarien, Ungarn, die Tschechoslowakei. Schließlich mußte Moskau akzeptieren, daß die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen unabhängig wurden.

Was blieb von der großen Siegesbeute übrig?

Nur die Oblast Kaliningrad, also das Gebiet um Königsberg. Dieses Gebiet ist stark militärisch bestückt. Und nun wird es auch noch von dem Mutterland getrennt, man braucht selbst als Russe ein Visum für eine Reise in die eigene Hauptstadt Moskau. Nur das Stück Ostpreußen um die alte Hauptstadt Königsberg blieb den Militärs, das letzte Faustpfand des sowjetischen Sieges. Und dies halten die Veteranen starr und stur fest. Berichte von russischen Reisenden, die nun im Zug von litauischen Grenzern kontrolliert werden, klagen über die Prozedur, der sie sich unterziehen müssen. Sie denken natürlich nicht daran, wie unter sowjetischem Befehl an anderen Grenzen, vor allem an der innerdeutschen, schikaniert wurde. Jetzt sind sogar Kaliningrader Gruppen auf die Idee verfallen, die Kosten für die Visa könnte die EU bezahlen.

Alle Vergleiche mit der Situation zwischen der alten Bundesrepublik und Westberlin sind falsch, denn im gespaltenen Deutschland führte der Weg von Deutschland nach Deutschland, in Königsberg aber führt der Weg von einem eroberten, vom Verliererstaat abgetrennten und besetzten Territorium in die Hauptstadt Moskau.

Werner Bader (KK 1166 S. 5+6)