Königsberg in Ostpreußen
Eine sowjetische Stadt auf den Trümmern von Königsberg
ruh.

Ist von der russischen Stadt Kaliningrad die Rede, so folgt dem Namen als erklärender Zusatz generell die Klammerbemerkung, es handle sich um das ehemals deutsch-ostpreußische Königsberg. Dies ist richtig und falsch zugleich. Denn es stimmt zwar, daß Kaliningrad dort liegt, wo bis 1946 Königsberg war. Doch ist die Identität des Ortes praktisch die einzige Gemeinsamkeit der zwei Städte. Königsberg stand auf dem Fundament von siebenhundert Jahren deutscher Präsenz an der Ostsee, was sich nicht zuletzt im historisch geprägten Stadtbild ausdrückte. Doch gerade mit dieser Geschichte wollte Kaliningrad nichts zu tun haben; ja sie sollte gar aus dem Bewußtsein verdrängt werden.

Eine Stadt für den Homo Sovieticus
Kriegszerstörung, Bevölkerungswechsel, Wiederaufbau: Dies charakterisierte auch andere Städte der Region wie etwa Gdansk (Danzig) oder Wroclaw (Breslau). Doch nirgends war der Bruch so total wie in Königsberg. Die ostpreußische Hauptstadt mit ihrer wuchtigen Ordensburg war für die Sowjetunion, die nach dem Zweiten Weltkrieg Nordostpreußen als Kriegsbeute für sich beanspruchte, steinerner Ausdruck des deutschen Militarismus. Die engen, verwinkelten Gassen sollten lichten, breiten Alleen, die historischen Häuser moderner Architektur Platz machen: dem neuen Sowjetmenschen eine neue Stadt.
Die widerspruchsvolle Umsetzung dieses Vorhabens wird von einer Publikation beleuchtet, die in der Schriftenreihe »Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte« erschienen ist und sich der Epoche von 1946 bis 1970 widmet. Abgestützt auf die extensive Analyse örtlicher Quellen, werden die Diskrepanzen zwischen den ideologischen Vorgaben und den Sachzwängen des Neuaufbaus, die Diskussionen um den Umgang mit der erhaltenen historischen Bausubstanz, die Wellenbewegungen in der Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit, aber auch die Konflikte zwischen der Zentralmacht und der allmählich zu einer eigenen Identität findenden neuen Stadt nachgezeichnet.
Vieles verlief dabei anders, als es den Parteistrategen vorschwebte. Sollte Kaliningrad als Gegensatz zum »militaristischen« Königsberg zu einem architektonisch gestalteten Symbol des Friedens werden, so ging der Neuaufbau so schleppend vor sich, daß noch Jahre nach Kriegsende Ruinen und Trümmer an die Verwüstungen erinnerten. Ironischerweise wurde Kaliningrad deswegen als Kulisse einer »feindlichen deutschen Stadt« zu einem beliebten Drehort für sowjetische Spielfilme, was von der Bevölkerung mit zunehmendem Unmut getragen wurde.
Eine Beschleunigung des Aufbaus durch die Instandsetzung von Gebäuden, die den Krieg in einem renovationsfähigen Zustand überdauert hatten, wurde aus politischen Gründen lange gebremst. Denn im Wiederaufbau deutscher Gebäude sahen die kommunistischen Ideologen eine Gefahr für die weltanschauliche Entwicklung der Kaliningrader. Doch war die Staatsmacht nicht in der Lage, ausreichend neuen Wohnraum bereitzustellen, zumal das Kaliningrader Gebiet einige Zeit als Lieferant von Baustoffen für andere kriegszerstörte sowjetische Städte zu dienen hatte.

Denkmäler statt Wohnungen
Gegen Ende der fünfziger Jahre begann deshalb das zunächst im Einklang mit der Sowjetideologie negativ geprägte Verhältnis der Bevölkerung zu Königsberg zu kippen. Die Mißerfolge beim Aufbau Kaliningrads führten zu einer Neubewertung des Rückblicks auf die deutsche Zeit. Königsberg verlor allmählich die Konnotation der abschreckenden kapitalistischen Stadt; was über den Vorkriegszustand bekannt war, wurde zur Meßlatte für das sozialistische Kaliningrad. Dieser Entwicklung versuchte die politische Führung dadurch entgegenzutreten, daß – in Ermangelung greifbarer Baufortschritte – die Erzeugung einer sozialistisch geprägten städtischen Identität über das Aufstellen von Denkmälern angestrebt wurde. Monumente sollten die Rechtmäßigkeit der sowjetischen Annexion Ostpreußens unterstreichen und den Mythos der Gründung Kaliningrads durch die Erstürmung Königsbergs stärken.
Bei Denkmälern, die über diesen historischen Punkt zurück in die Vergangenheit wiesen (wie etwa bei der Statue für den russischen Feldherrn Suworow, der sich einmal im Königsberger Schloß von Verletzungen aus einer Schlacht des Siebenjährigen Krieges erholte), gerieten die Parteistrategen allerdings auf dünnes Eis. So lenkte der dem Suworow-Denkmal zunächst zugewiesene Ort in der Nähe des Schlosses nämlich den Blick auf dessen Ruine – den jahrzehntelang empfindlichsten und kontroversesten Punkt der Kaliningrader Stadtgestaltung.

Umstrittenes Schloß
Am Schloß kristallisierten sich die ideologischen Kämpfe um die Geschichte Königsbergs und die Zukunft Kaliningrads aufs Schärfste. Der Streit darum, ob es als Symbol des deutschen Militarismus abgetragen oder als die Stadt prägendes Baudenkmal erhalten bleiben sollte, kulminierte in den späten sechziger Jahren. Damals verfügte die Parteiführung gegen den Willen einer breiten Öffentlichkeit die Sprengung. An die Stelle sollte als neue Dominante der Stadt ein »Haus der Sowjets« treten. Das überrissene Projekt scheiterte indes an mangelnden finanziellen Ressourcen und Problemen mit der Statik. So symbolisieren die Bauruine des »Hauses der Sowjets« und die Leere des Zentrumsplatzes heute den Bankrott des Sowjetsystems und unterstreichen die Orientierungslosigkeit Kaliningrads, die durch die Lage des Gebiets als Exklave nach dem Zusammenbruch der UdSSR noch dramatischer als zuvor zutagetritt.
In diesen Entwicklungen läge wohl ausreichend Stoff für Nachforschungen, die die interessante Studie der Epoche von 1946-70 weiterführen könnten.
Seit der Öffnung des Kaliningrader Gebiets hat eine vorsichtige Annäherung an die Geschichte eingesetzt. Der Königsberger Dom, nur um Haaresbreite einem ähnlichen Schicksal wie das Schloß entronnen, ist beinahe fertig renoviert. Und russische Neureiche lassen sich inzwischen Häuser im traditionellen ostpreußischen Stil bauen.

Bert Hoppe: Auf den Trümmern von Königsberg. Kaliningrad 1946-1970.
Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte,
Band 80. München 2000. 166 S., Fr. 35.-.

Quelle: Neue Zürcher Zeitung 2001-07-02

Was mir hier fehlt: Wer eigentlich war Kalinin?
Dieser (Un)Mensch war der größte Verbrecher und Massenmörder neben Lenin und Stalin!
Die altehrwürdige nordrussische Stadt Twer hat bereits vor vielen Jahren den Namen des kommunistischen Verbrechers abgelegt, der ihr 1931 aufgedrückt worden war. Warum muß Königsberg weiterhin das kommunistische Kainsmal mit sich herumschleppen?
ML 2001-07-14