KK 1202
2005-05-10

Wolf Oschlies: Die Tragikomödie eines Stalin-Denkmals in Prag  
Franz Gissau: PAMO-Studientagung über die Rußlanddeutschen
Hans-Günther Parplies: Zum Tod des Rechtsgelehrten Dieter Blumenwitz 
Markus Bauer: Politische Weiterbildungswoche der Jungen Aktion
Ausstellung über Kurt Schumacher in Stuttgart  

Bücher und Medien

Literatur und Kunst
Herbert Hupka: Der schlesische Kunsthistoriker Ernst Schleyer
Peter Spiro: Gedenken an Eugen Spiro in Breslau 
Edith Ottschofski: Hansi Breiers filmische Lebensgeschichten aus Rumänien
Bernard Schultzes „Tanz der Migofs“ in Regensburg
Timo Fehrensen: Zum 80. Geburtstag von Eddi Arent
Bernsteinkunst aus dem Grünen Gewölbe in Dresden

KK-Notizbuch  

Chruschtschow befand: „Zu groß – zu spät“: Die Tragikomödie eines Stalin-Denkmals in Prag und seines Schöpfers
„Lacrimae Christi“ (Tränen Christi) heißt seit Jahrhunderten ein goldgelber Wein von den Hängen des Vesuv. „Stalinovy slzy“ (Tränen Stalins) ist ein neuer Wodka in Prag benannt, der den Tschechen aber nicht sonderlich zu schmecken scheint. Statt vorher 119,90 Kronen, umgerechnet etwa vier Euro, kostet ein halber Liter dieser Tränen nun 79,90 Kronen. Und absehbar ist, daß der Preis im Mai weiter sinkt.
Das hat etwas mit dem „Stalinuv pomník“ zu tun, dem Stalin-Denkmal, das vor fünfzig Jahren, am 1. Mai 1955, mit gigantischem Pomp auf dem Prager Letna-Hügel enthüllt wurde. Im Dezember 1949 war der Bau, anläßlich von Stalins 70. Geburtstag, beschlossen worden, und wäre er einige Jahre früher vollendet gewesen, hätte das Monument eine gewisse Zuneigung erfahren: In den ersten Nachkriegsjahren war Stalin bei Tschechen durchaus populär. Zwar war Böhmen größtenteils von den Amerikanern befreit worden, aber von Osten her rückte die Rote Armee vor, deren Oberbefehlshaber Stalin an der Moldau Ansehen genoß – als Slave, als Sieger über Hitler, als Befreier aus dem „Protektorat Böhmen und Mähren“, wie das Völkergefängnis hieß, in dem Hitler die Tschechen seit März 1939 gefangenhielt. Aber die Zeit war weitergegangen und hatte den Tschechen ein Unglück nach dem anderen beschert: Dürre 1947, kommunistischer Putsch 1948, stalinistische Schauprozesse ab 1949 und 1953 eine räuberische „Währungsreform“, die alle Tschechen alle Ersparnisse kostete.
Unter solchen Umständen wetzte man nun seine schwejkischen Zungen an dem Monument. Schon dessen Standort störte: Die Letna war seit je Prager Vergnügungsviertel – mit Schwimmbad, Pferderennbahn und Tanzlokalen von legendärem Ruf –, zudem ein geologisches Kleinod, welches der Franzose Joachim Barrande (1799-1883), nach dem später ein Prager Stadtteil benannt wurde, und der Deutsche Caspar von Sternberg (1761-1838), der 1818 das Tschechische Nationalmuseum gegründet hatte, den Pragern ab 1860 erschlossen. Außerdem fiel das Denkmal selber bei den Pragern durch: Überall im Lande standen bereits Stalin-Denkmäler, die Hauptstadt baute als letzte eines, dann aber gleich „das größte Stalin-Denkmal der Welt“. Und schließlich ging die Form des Monuments allen gegen den ästhetischen Strich: Ein Granit-Monster von über 17 000 Tonnen Gesamtgewicht, das zu dem gotisch-barocken Prag paßte wie die Faust aufs Auge.
Dabei hatte Prag noch Glück gehabt: Kundige Historiker wissen Schreckensdinge von den über 90 Denkmalsentwürfen zu berichten, die bei einem Wettbewerb eingingen und einander an Pathos und Servilität überboten. Den Auftrag bekam schließlich Otakar Svec (1892 -1955), einer der begabtesten Bildhauer seiner Zeit, nicht nur in der Tschechoslowakei. Noch heute kann man in manchen Orten der Tschechischen Republik, etwa in dem traumschönen Domazlice in Südböhmen, Skulpturen von Svec finden, die von der großen Kunst ihres Schöpfers künden.

Auch Svec‘ Stalin-Denkmal war vom Kunsthandwerk her eine Augenweide: So gut hat der kleine, dickliche und behinderte Stalin in natura nie ausgesehen. Aber das bemerkte schon niemand mehr, weil die allgemeine Abneigung gegen den Kreml-Diktator ästhetische Bewertungen seiner Denkmäler gar nicht mehr aufkommen ließ. Svec hatte sein Monument als Gruppenbild angelegt: Vorn steht Stalin in „Napoleon-Pose“, also mit der Hand im aufgeknöpften Mantel. Dahinter zwei Reihen mit „typischen“ Vertretern des tschechischen und des sowjetischen Volks: Partisan und Rotarmist, Kolchosbäuerin und Arbeiter. Das alles war klug arrangiert und bis ins kleinste Detail in liebevoller Kunstfertigkeit ausgeführt. Aber es kam überhaupt nicht an: „Tlacenice“ nannten es die Prager respektlos, „Gedrängel“. Und noch ein paar andere Namen, die ob ihrer Drastik lieber nicht erwähnt werden sollten. Die berühmteste Verhohnepiepelung, an die sich bis heute Prager Rentner auf sonnigen Letna-Bänken gern erinnern, war „Fronta na maso“, „Schlangestehen für Fleisch“. Und boshaft versuchte Prager Volkswitz herauszubekommen, wie erfolgreich jede Denkmalsfigur bei diesem Schlangestehen wohl war. Der Rotarmist beispielsweise, letzte Figur der rechten Gruppe, hat wohl schon resigniert – er blickt nach hinten, weil er heute gewiß nichts einkaufen wird.
Im südlichen Stadtteil Hodkovicky, dem wohl schlichtesten des „goldenen Prags“, lebt der betagte Jan Kryhut, vormals von Beruf Pyrotechniker, dem 1953 die Bauleitung des Denkmals übertragen wurde. Im Jahre 2002 publizierte er in der Fachzeitschrift „Kamen“ (Stein) den kurzen Aufsatz „Ich baute Stalins Denkmal“ – ein ernstgemeinter, aber ungemein komisch wirkender Bericht. Die Dimensionen der Skulptur – Stalins Kopf allein wog 52 Tonnen, sein linker Fuß gar 72 – erforderten Granitquader, die kein tschechoslowakischer Kran anzuheben vermochte. Was tun, um die Blöcke aus nordböhmischen Steinbrüchen nach Prag zu bringen? Kryhut wörtlich: „Dann kam mir die rettende Idee: Die schwachen Kräne wurden durch Panzer des Typs ,Panther', Kriegsbeute von der deutschen Wehrmacht, ersetzt.“ Und das klappte: Die 2 200 Pferdestärken der deutschen Panzer hievten die Blöcke, aus denen eine knapp 16 Meter hohe Statue Stalins werden sollte, auf riesige Tieflader, und ab ging's. Zuvor waren noch ein paar Kleinigkeiten zu erledigen: ganz Nordböhmen von der Staatssicherheit abzusperren (nachdem die britische Rundfunkstation BBC sich bereits über die Mühen der Denkmalbauer lustig gemacht hatte), alle Straßen nach Prag zu verbreitern, einige Brücken abzustützen – Lappalien! Oder Stoff für eine surreale Komödie, wie sie niemand erfinden könnte.
Am 25. Februar 1952, dem offiziellen „Tag der Sowjetarmee“, war der erste Granitquader des Denkmalsockels gesetzt worden, ein gutes Jahr später schien alles vorbei zu sein: Am 5. März 1953 starb Stalin, am 14. März Klement Gottwald, der Chef der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei. In Prag bekam die Front der Svec-Neider gewaltigen Auftrieb, die den Künstler zuvor schon auf alle Weise beim Staatssicherheitsdienst angeschwärzt hatte: Sein Denkmal sei ein „Plagiat“, nämlich von einer Pariser Vorlage abgekupfert, die Anordnung der Figurengruppe erinnere an einen Trauerzug oder Katafalk und ähnliches mehr. Dagegen konnte sich Otakar Svec leicht wehren: 1952 präsentierte er ein Modell seines Denkmals auf einer „Ausstellung der tschechoslowakisch-sowjetischen Freundschaft“, 1954 war er selber bei einer Ausstellung tschechoslowakischer Kunst in Moskau zugegen – von sowjetischer Seite drohte ihm keine Gefahr, also auch keine von tschechoslowakischen Stellen.
Mehr Probleme schuf das Monument selber: Von der vorbeifließenden Moldau stieg ständig Feuchtigkeit hoch, die mit immer teureren Abdichtungen bekämpft werden mußte. Und als man das Modell des Denkmals für den Bau auf fünffache Größe streckte, hatten Frauen der Figurengruppe plötzlich Beine wie Pinguine – was hektische Änderungen erforderte. Überhaupt hat der Künstler noch manches Detail hinzufügen müssen, um Mängel zu verbergen, die im kleineren Modell nicht ins Auge gefallen waren. Er drückte einfach seinen Figuren Fahnen in die Hände und kümmerte sich nicht weiter um die ganze Sache. Im Tschechischen Nationalarchiv sind die Dossiers aufbewahrt, mit welchen die Staatsicherheit seine rückläufige „Arbeitsmoral“ rügte: Er erschien gegen 10 Uhr auf dem Bau, telefonierte ein bißchen, schwatzte etwas mit Mitarbeitern und war für den Rest des Tages verschwunden.
Um so mehr Arbeit hatten die, denen der Bau direkt oblag, 600 exzellente Fachleute, die auf jedes Detail achteten. Beispielsweise wurden von jedem Quader genaue Reliefzeichnungen angefertigt, damit einer genau zum nächsten paßte. Hinter ihnen stand eine Regierungskommission unter Ministerpräsident Antonin Zápotocký (1884-1957), dem späteren Staatspräsidenten, die nichts durchgehen ließ, aber auch nicht knauserig war: Zu den ohnehin hohen Gehältern kamen pro Jahr noch sechs Monatsgehälter extra. Niemals gab es auf der Baustelle die berüchtigten „freiwilligen Arbeitseinsätze“ – nur beste Profis hatten dort etwas zu tun.
Als der Bau beendet war, bekamen die meisten Beteiligten Prämien, Auszeichnungen und Ehrenurkunden, aber sie blieben dennoch anonym. Weil der Hauptakteur Otakar Svec in Verruf geriet: 10 Millionen Kronen Honorar hatte er gefordert, 6,4 Millionen waren vertraglich vereinbart worden, 500000 blieben davon nach der „Währungsreform“, und um die betrog ihn noch die Staatsicherheit. 1954 starb seine Frau, er selber mußte sich in einer Prager Klinik einer komplizierten Operation unterziehen – und hatte kein Geld, um die Ärzte zu bezahlen.
Seine zahlreichen Briefe, in denen er sein Honorar einforderte, sind erhalten geblieben; genützt haben sie ihm nichts, und am 4. April 1955 nahm er sich das Leben. Zuvor soll er seine ganze Habe einer Blindenschule vermacht haben – „weil die Schüler das Denkmal nicht sehen können“.
Im Prager Rundfunkarchiv liegen noch Tonaufnahmen von der Enthüllung des Denkmals am 1. Mai 1955. „Seinem Befreier – das tschechoslowakische Volk“ stand auf dem Denkmal. Aber wer war gemeint? Alle Reden wirkten geisterhaft: Weder wurde Stalin groß erwähnt (nachdem auch in Moskau nicht mehr viel vom ihm die Rede war), noch nannte man irgendeinen beteiligten Künstler, Steinmetz, Bauingenieur etc. beim Namen. Otakar Svec war kurz vor seinem Tod zur Ehrung als „Nationalkünstler“ ausersehen, woraus nicht nur nichts wurde – alle seine Mitarbeiter wurden plötzlich zu Unpersonen.
Bei der Enthüllungsfeier soll auch Moskaus neuer „starker Mann“ Nikita Chruschtschow präsent gewesen sein, der über das Denkmal nur lakonisch-abfällig urteilte: „Zu groß – zu spät“.
Das spürten die Prager auch, und als 1956 der 20. Parteitag der sowjetischen Kommunisten ganz offiziell eine „Entstalinisierung“ startete, gab es in Prag ein paar mutige KP-Funktionäre, die einen Sonderparteitag forderten, auf welchem die tschechoslowakischen Genossen eine ähnliche Selbstkritik unternehmen sollten. Das wurde verhindert, selbst Chruschtschows berühmte „Geheimrede“ blieb weitestgehend unter Verschluß. Natürlich war sie längst bekannt, aus westlichen Rundfunkstationen, selbst wenn diese permanent gestört wurden. Aber der Prager Witz machte sich selber seinen Reim darauf. Auf dem Stalin-Denkmal (so flüsterte man) sei ein Graffito aufgemalt: „Seppl, gib Obacht – sie sind dir auf den Fersen!“
Niemand war auf Stalins Fersen. Tschechoslowakische Kommunisten galten nicht umsonst als die dusseligsten ihrer Art – die auch jetzt so taten, als sei überhaupt nichts geschehen. Auf Prager Tanzböden wurde längst getwistet und gerockt – auf der Letna stand unverrückbar Stalin. Man solle doch auf der Moldaubrücke eine Kanone aufstellen (schlugen Witzbolde vor), Stalin ein Auge ausschießen und das Denkmal auf den Nationalhelden, den Hussitenführer Jan Zizka, umwidmen. Der aber hatte längst sein Riesendenkmal in Prag, das bis heute auf dem Vítkov-Hügel steht und dessen Innenraum gelegentlich von italienischen Werbefilmern als Kulisse genutzt wird.
Vermutlich hätte Stalin noch lange dort gestanden, wäre 1962 nicht ein „Wink“ aus Moskau gekommen, ihn doch bitteschön wegzuräumen. Im Oktober 1962 baute man zuerst einen Palisadenzaun um das Denkmal, im November sprengte man es schließlich – mitten im „Monat der tschechoslowakisch-sowjetischen Freundschaft“. Eine Woche dauerten die Sprengarbeiten, die sehr unprofessionell ausgeführt wurden: Mindestens ein Mensch kam bei ihnen zu Tode, und Stalins Kopf soll polter-polter-polter den Letna-Hügel herab bis in die Moldau gekullert sein. So lästerte der Volksmund – aber das stimmte nicht. Stalins Kopf wurde sorgfältig abgetragen und irgendwo in Prag aufbewahrt. Wo das genau ist, bleibt geheim. Vielleicht weiß es Jan Kryhut, aber der lächelt und schweigt.
Und er lacht laut, wenn er sich an die offizielle Kostenrechnung des Denkmals erinnert: 140 Millionen Kronen soll es gekostet haben – „Milliarden waren es, Milliarden“, sagt er. Ähnlich sahen es die Prager: „Warum hat Stalin die Hand im Mantel? Er wollte die Brieftasche ziehen und das Denkmal bezahlen – und ist versteinert, als er den Preis erfuhr.“ 
Seither steht auf der Letna nur noch der riesige Sockel. Früher war darin ein Parteimuseum untergebracht, später ein Kartoffellager. Dann war es ein berüchtigtes Penner-Domizil, 1990 kurzfristig Studio eines Piratensenders. Inzwischen ist es fest verrammelt. Auf dem Sockel steht ein großes Metronom, das rechts-links-rechts vor sich hinknarzt – wenn die Stadt mal Geld hat oder einen Sponsor findet, der für die immense Stromrechnung aufkommt.
Wolf Oschlies (KK)

 

Das „Volk auf dem Weg“ kehrt zurück
Studientagung des Pädagogischen Arbeitskreises Mittel- und Osteuropa über die Deutschen in Rußland und aus Rußland
Zu der Studientagung in Wildeck-Richelsdorf hatten sich 40 Lehrerkollegen aus Hessen und dem angrenzenden Land Thüringen zusammengefunden. Das grundlegende Referat hielt Dr. Alfred Eisfeld gleich am Anfang. Er berichtete über Geschichte und Schicksal der Rußlanddeutschen im 20. Jahrhundert mit dem Schwerpunkt auf der Phase der letzten 20 Jahre. Sie waren geprägt durch den Auszug der Rußlanddeutschen aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion.
Am Abend führte Eckhard Scheld in die Thematik des Films „Russenkids – fremd im eigenen Land“ des Gießener Dokumentarfilmers Marc Wiese ein, der 1996 diesen Film über vier Wochen lang an sozialen Brennpunkten im Übergangswohnheim, genannt Thomaschewskihaus, in Lich, dem Übergangswohnheim im Falkenweg in Gießen und der Theodor-Litt-Schule für den WDR drehte. In der anschließenden Aussprache arbeitete er mit den Teilnehmern die Einsatzmöglichkeiten des Films im Unterricht heraus.
Der nächste Vormittag war dem Schülerwettbewerb Hessen-Thüringen gewidmet. In diesem Wettbewerb, der von den beiden Landeszentralen für politische Bildung durchgeführt wird, kann auch die wirtschaftliche und historische Situation im gemeinsamen Grenzgebiet der beiden Länder thematisiert werden. Hierzu gab Eckhard Scheld in seinem Vortrag entsprechende Anregungen. Sie wurden durch Erläuterungen bei einem Rundgang durch das Museum über den Kalibergbau in Heringen vertieft. Anschließend bestieg die gesamte Teilnehmerschaft der Tagung den Kaliberg. Von seiner Spitze konnte Jost Köhler den Grenzverlauf im Thüringer Zipfel sehr anschaulich erläutern. Der ist vom Gipfel dieses immer noch in Aufschüttung befindlichen Berges bestens einzusehen.
Am Nachmittag berichtete die Gießener Politologiestudentin Kadiriye Güven über die Entwurzelung der Rußlanddeutschen an Fallbeispielen. Sie zeigte den Kurzfilm „Blinde Katze“ des Medienprojekts Wuppertal, eine autobiographische Dokumentation junger Rußlanddeutscher mit Themenschwerpunkt „Gewalt“, und machte Vorschläge für die unterrichtliche Umsetzung. In dem Video beschreiben vier zugewanderte junge Erwachsene im Alter zwischen 18 und 22 Jahren aus Kasachstan und Kirgisien Stationen ihres Lebens. Diese Aussagen wurden anschließend durch Powerpointberichte dreier Rußlanddeutscher ergänzt. Wladislaw Stybin berichtete aus der Schwarzmeerregion, Peter Ritter aus der südsibirischen Region Omsk und Natalja Altenhof aus dem Ural. Einen Schwerpunkt legten sie auf ihre Integration in Deutschland. Ein verbindender Aspekt aller Berichte war die Bedeutung der Sprache für das Gelingen der Eingliederung.
Anstelle von Freya Klier berichtete Else Thomas zu dem Thema „Deportiert nach Sibirien“. Gerolf Fritsche konnte mit ihr eine Zeitzeugin präsentieren. Sie war 1945 als junge Frau aus Schlesien zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion bis nach Sibirien deportiert worden. Damit teilte sie das Schicksal ca. 800000 Zivilverschleppter, meist Frauen, die dieses schwere Los traf. So erschütternd der Bericht von Frau Thomas war, konnte sie doch resümieren, daß sie Glück im Unglück hatte, denn sie überlebte und durfte 1950 zurückkehren. Ihre Aufzeichnungen sind in dem Band „Verschleppt ans Ende der Welt. Schicksale deutscher Frauen in sowjetischen Arbeitslagern“, der 1996 von Freya Klier herausgegeben wurde, abgedruckt. Sie ist im „Bund der Opfer des Stalinismus“ und steht auch für Lesungen in Schulen zur Verfügung.
Mehr als 300 000 der deutschen Deportierten kamen durch Gewalt, Hunger und Krankheit um. Else Thomas stellte kritisch fest, daß es für sie in Deutschland keine nennenswerte Lobby gebe. Heute suche man fast schon Zwangsarbeiter, um ihnen eine Entschädigung zahlen zu können. Ihnen, den jungen deutschen Frauen und wenigen alten Männern, die damals das bittere Los der Zwangsarbeit traf, haben die Regierungen in Bonn und Berlin die bescheidenste Bitte um eine Entschädigung abgeschlagen. In der Moderation und Aussprache wurde deutlich, daß bisher wenigen Lehrern in Hessen die Deportation auch der vielen Rußlanddeutschen 1945 bekannt ist. Etwa 150 000 war es 1944/45 gelungen, in die drei Westzonen Deutschlands zu gelangen. Ca. 80 000 wurden dann 1945 von der russischen Militärpolizei aufgespürt und hauptsächlich nach Sibirien deportiert. Die Militärbehörden der Westmächte hinderten die Sowjets nicht an diesen Verschleppungen. Else Thomas konnte berichten, daß sie während ihrer Zwangsarbeitszeit in Sibirien Rußlanddeutschen begegnet sei, die ihr Mut gemacht hätten.
Berta Schöner-Wiest berichtete aus ihrer Zeit in Rußland, wie es ihrer schwarzmeerdeutschen Familie dort erging und wie schließlich ihre Eingliederung in Deutschland verlaufen ist. Dabei kam auch die große Verschiedenartigkeit in der Gruppe der Rußlanddeutschen zur Sprache. Sie ergebe sich aus der Prägung, die die Rußlanddeutschen bei der Zerstreuung unter andere Völkerschaften erfahren haben. Ihr liege aber auch zu Grunde, daß sie schon vor der massiven Verschleppung seit 1940 unter sehr verschiedenen Völkerschaften im russischen Europa gelebt hatten.
Gisela Kurze stellte unter dem Titel „Mein Weg von Potsdam nach Workuta“ die Arbeit der Internationalen Gesellschaft Memorial vor. Sie sei nach 1990 zunächst von russischen Dissidenten – unter anderen Sacharow – gegründet worden. Sie habe heute auch einen starken deutschen Zweig. In Deutschland sei das ehemalige KGB-Gefängnis im „Militärstädtchen Nr. 7“ von Potsdam einer der Arbeitsschwerpunkte. Wie durch Zeitzeugenarbeit die kahlen Mauern des Gefängnisses Teil lebendiger Zeitzeugenschaft werden können, führte Gisela Kurze anschaulich vor.
Von diesem Veranstaltungsteil wie auch von den meisten anderen sind Protokolle gefertigt, die Interessenten auch über den Teilnehmerkreis hinaus gegen Entrichtung einer Postgebühr zur Verfügung gestellt werden.
Schon am Morgen hatte Gerolf Fritsche den Bewertungsbogen vorgestellt. Die meisten Teilnehmer beteiligten sich mit einer Seminarbeurteilung. Über die Hälfte bewertete die Veranstaltung mit gut, fünf darüber hinaus mit sehr gut, zwei entschieden sich für befriedigend, einer befand sogar mit mangelhaft. Seine Kritik wurde jedoch in keiner Aussprache hörbar.
Nach der Schlußaussprache wies Gerolf Fritsche noch einmal auf die PAMO-Docs hin. Interessenten können jetzt auch ein Verzeichnis anfordern. Außerdem lud er zu der PAMO-Studienfahrt vom 13. bis zum 26. August ein: 15 Jahre nach dem Gewinn der Einheit durch Brandenburg und Pommern, durch Landschaften und Orte beiderseits der Oder, eine Reise, die bis nach Hinterpommern im jetzigen Polen führt.
Franz Gissau (KK)

 

Wissenschaftliche Kompetenz und staatspolitische Verantwortung
Zum Tod des Rechtsgelehrten Dieter Blumenwitz
Er war einer der prominentesten deutschen Staats- und Völkerrechtler der Gegenwart. Am 1. April 2005 ist Dieter Blumenwitz nach kurzer schwerer Krankheit im Alter von nur 65 Jahren gestorben.
Am 11. Juli 1939 in Regensburg geboren, begründete er frühzeitig seinen Ruf als exzellenter Staatsrechtslehrer und hervorragender Verfassungsrechtler, als er schon als junger Hochschullehrer mit 33 Jahren die Bayerische Staatsregierung 1973 vor dem Bundesverfassungsgericht in dem Normenkontrollverfahren zum Grundlagenvertrag mit der „DDR“ vertrat. Die damals in Karlsruhe erstrittene Entscheidung sollte die Rechtslage Deutschlands stabilisieren und die weitere Entwicklung auf Jahrzehnte prägen. Das Festhalten an der staatlichen Einheit und an der gemeinsamen Staatsangehörigkeit für alle Deutschen wurde 17 Jahre später zur Voraussetzung und Grundlage für den Beitritt der mitteldeutschen Länder zur Verfassungsordnung der Bundesrepublik und zur Vereinigung Deutschlands immerhin in den heutigen Grenzen.
Seit 1972 ordentlicher Professor an der Universität Augsburg, folgte er 1976 dem Ruf auf den Lehrstuhl für Völkerrecht an der Würzburger Universität, der er die folgenden fast drei Jahrzehnte bis zu seinem Tode die Treue gehalten hat. Im Mittelpunkt seines umfangreichen wissenschaftlichen Werkes steht die Nachkriegsordnung in Europa und ihre Weiterentwicklung auf den jeweils aktuellen Stand.
Fragen der Rechtsstellung Deutschlands, von Gebietshoheit und Souveränität, des Selbstbestimmungsrechts der Völker, des Minderheitenschutzes und des Rechtes auf die Heimat und deren Verankerung und Ausgestaltung in der nationalen wie internationalen Rechtsordnung hat er unermüdlich nachgespürt. Früher als andere erkannte er, daß das Schicksal der am Ende des Zweiten Weltkrieges Vertriebenen – wenn es ungesühnt bliebe – als böses Beispiel wirken und auch künftige Machthaber zu dem Versuch ermutigen würde, ethnische Konflikte gewaltsam durch Völkermord und Vertreibung zu lösen. Die sogenannten „ethnischen Säuberungen“ des vergangenen Jahrzehnts auf dem Balkan und anderswo auf der Welt sind leider Bestätigungen für diese Befürchtung.
Insofern verlief das Forschen und Lehren von Dieter Blumenwitz immer eng an der politischen Entwicklung, ohne daß er sich jedoch durch den jeweiligen Zeitgeist hätte irritieren oder ablenken lassen, und nah an dem Schicksal der betroffenen Menschen. Umfangreiche und immer wieder aktualisierte Untersuchungen widmete er – nach dem Grundlagenvertrag mit der „DDR“ – auch den weiteren völkerrechtlichen Verträgen, die im Zuge der sogenannten „neuen Ostpolitik“ geschlossen wurden. So erschien 1982 „Die Ostverträge im Lichte des internationalen Vertragsrechts“; 1985 folgte das grundlegende Werk „Der Prager Vertrag“, eine Analyse des deutsch-tschechoslowakischen Vertrages von 1973 unter besonderer Berücksichtigung des Münchner Abkommens von 1938, und 1992 „Das Offenhalten der Vermögensfrage in den deutsch-polnischen Beziehungen“.
Dem Kreis der Wissenschaftler, die sich zu Beginn der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts in der Studiengruppe für Politik und Völkerrecht zusammengefunden hatten, schloß er sich früh an und zählte schon bald zu ihren führenden Repräsentanten. Seit dem 2. Band (1984) ist er Mitherausgeber der „Staats- und völkerrechtlichen Abhandlungen“ der Studiengruppe, von denen inzwischen 20 Bände vorliegen und zwei weitere im Druck sind. Daneben ist er in der Schriftenreihe „Forschungsergebnisse der Studiengruppe für Politik und Völkerrecht“, die in unregelmäßiger Folge erscheint, mit 14 eigenen Titeln vertreten, von denen mehrere auch in englischer Übersetzung vorgelegt wurden.
In der Debatte um die Beitrittsfähigkeit der Tschechischen Republik zur Europäischen Union bezog Dieter Blumenwitz die Gegenposition zu dem Heidelberger Völkerrechtler Jochen Frowein. In einem Gutachten für die Sudetendeutsche Landsmannschaft forderte er 2002 die Aufhebung menschen- und völkerrechtswidriger Benes-Dekrete vor einer Aufnahme Tschechiens in die EU und vertrat diese Position im März 2004 auch vehement in einer Anhörung vor dem zuständigen Ausschuß des Europäischen Parlamentes in Straßburg.
Dieter Blumenwitz war ein Gelehrter, dessen wissenschaftliches Wirken nicht auf den akademischen Raum beschränkt blieb. Er vereinigte in seiner Person höchste fachliche Kompetenz in seltener Weise mit staatspolitisch begründeter Verantwortung. Seinen letzten öffentlichen Auftritt außerhalb der Universität durften wir bei der Zeitgeschichtlichen Fachtagung der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen Ende Oktober 2004 in Ellwangen erleben. Die deutschen Heimatvertriebenen verlieren mit Dieter Blumenwitz einen ebenso streitbaren wie unbestechlichen Anwalt.
Hans-Günther Parplies (KK)

 

Jubiläumsfahrt nach Jauer
Zum 350jährigen Jubiläum der Friedenskirche Jauer am 11. September 2005  startet die Kreisgruppe Bonn der Landsmannschaft Schlesien einen Bus.
Diese Stätte des UNESCO-Weltkulturerbes wurde kurz nach dem 30jährigen Krieg unter großen Opfern und den Spenden der Protestanten aus ganz Deutschland von den damaligen deutschen Bürgern vor den Toren der Stadt Jauer innerhalb eines Jahres als riesiger Fachwerkbau errichtet. Das geschah im Jahre 1655 – rund 50 Jahre später kam der niedrige Turm mit dem Geläut dazu. Bis 1945 diente die Friedenskirche einer zahlreichen evangelischen deutschen Gemeinde als Gotteshaus, ehe sie von der kleinen polnischen evangelischen Gemeinde als Gotteshaus übernommen wurde. Seit einigen Jahren finden darin die weithin bekannt gewordenen „Friedenskonzerte“ statt.
Die Fahrt geht von Freitag, dem 9. September, bis zum Montag, dem 12. September 2005, Fahrpreis inklusive drei Übernachtungen mit Frühstück 190 Euro. Verbindliche Anmeldungen bei Michael Ferber, Telefon 02 28 / 5 38 89 32 oder per E-Mail: Silesia-Archiv@gmx.de
(KK)

 

Vorurteile schwingen immer noch mit
Politische Weiterbildungswoche der Jungen Aktion in Rohr mit Jugendlichen aus Deutschland, Tschechien und der Slowakei
Versöhnung in Theorie und Praxis setzten an den Kar- und Ostertagen 80 Jugendliche und junge Erwachsene aus Deutschland, Tschechien und der Slowakei im Benediktinerkloster Rohr um. Seit über 50 Jahren finden hier fünf Tage lang die Kultur- und Einkehrtage der Jungen Aktion der Ackermann-Gemeinde statt, heute heißt die Veranstaltung „Politische Weiterbildungswoche“.
Verständigung, Versöhnung, friedvolle Nachbarschaft zum tschechischen und slowakischen Volk, das sind nicht nur wesentliche Inhalte der Arbeit der Ackermann-Gemeinde. Auch deren Jugendverband, die Junge Aktion, verfolgt diese Ziele. Warum wurde aber heuer ausgerechnet das Thema „Bereit zur Versöhnung“ gewählt?
„Versöhnung ist immer noch ein wichtiges Thema für alle Generationen. Die Folgen des Zweiten Weltkrieges und der Teilung Europas sind immer noch offen“, begründet Michael Utschig, 24jähriger Bundessprecher der Jungen Aktion, die Themenwahl. Für ihn ist die Bereitschaft zur Versöhnung und Aussprache auf allen Seiten nötig, da es noch viele Vorurteile gebe. Diese Barrieren könnten, so Utschig, durch eine solche Tagung und die Thematik überwunden werden. Außerdem beinhalte Versöhnung ja Begegnung, den Aufbau von Freundschaften und den Abbau von Vorurteilen. Er relativiert jedoch, daß die Jugend der drei nationalen Gruppen nicht direkt belastet sei, Barrieren und Vorurteile dennoch indirekt immer mitschwingen würden.
Konkret wurden die Teilbereiche „Dialog statt Vergeltung – Wege des Ausgleichs“, „Versöhnung und Geschichte“, „Versöhnung und politische Verantwortung“ sowie „Entwicklungszusammenarbeit als Versöhnungsarbeit“ behandelt. Dabei wurde die Situation im Sudan, in Kambodscha und Liberia ebenso angesprochen wie die Problematik der Landminen und Menschenrechtsverletzungen, die Zwangsarbeiter im Zweiten Weltkrieg, die Folgen dieses Krieges, das Verhältnis zu Israel und zum jüdischen Volk sowie die Versöhnungsarbeit der Ackermann-Gemeinde oder von Pax Christi.
Aber auch die ganz persönlichen Voraussetzungen für den Aufbau und das Gelingen von Versöhnung wie Liebe, Frieden, Vergebung, Harmonie wurden erörtert oder in kurzen szenischen Bildern dargestellt. Unverrückbar zu dieser Tagung gehört seit fünf Jahrzehnten die Teilnahme an der Liturgie der Kar- und Ostertage zusammen mit den Benediktinern und der dortigen Pfarrgemeinde.
Markus Bauer (KK)

 

Ostdeutscher und Westdeutscher und Europäer
Das Haus der Heimat des Landes Baden-Württemberg veranschaulicht den Lebensweg des (Sozial-)Demokraten Kurt Schumacher
Die Ausstellung veranschaulicht den Lebensweg des in Kulm an der Weichsel geborenen Sozialdemokraten; seine Kindheit und Jugend im von Deutschen und Polen bewohnten Westpreußen, die schwere Verwundung im Ersten Weltkrieg, die politische Karriere in der Weimarer Republik, den Widerstand und die KZ-Haft (unter anderem im KZ Heuberg/Württemberg und im KZ Oberer Kuhberg bei Ulm) unter dem NS-Regime sowie den schwierigen Neubeginn nach 1945.
Am 1. Dezember 1920 wurde Schumacher politischer Redakteur bei der sozialdemokratischen Zeitung „Schwäbische Tagwacht“ in Stuttgart. Er war dort Mitbegründer der Republikschutzorganisation „Wandervereinigung Schwabenland“ und Vorsitzender der daraus hervorgegangenen lokalen Organisation des überparteilichen „Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold“ in Stuttgart. 1924 wurde Kurt Schumacher zum Abgeordneten des württembergischen Landtags gewählt, wo er bis 1930 unter anderem als Mitglied des Finanzausschusses wirkte.
Das Haus der Heimat des Landes Baden-Württemberg zeigt die Ausstellung bis zum 24. Juni in Zusammenarbeit mit der regionalen Arbeitsgruppe des überparteilichen Vereins „Gegen Vergessen – Für Demokratie“ sowie mit der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg.
Die zweisprachige Wanderausstellung des Westpreußischen Landesmuseums Münster wird von einem Buch begleitet, in dem Kurt Schumacher aus deutscher und polnischer Sicht dargestellt wird. Die Schirmherrschaft über die Ausstellung übernahm die ehemalige Bundestagspräsidentin Dr. h. c. Annemarie Renger.
(KK)

 

Bunzlauer Keramik im Haus Schlesien, Königswinter
Das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg besitzt eine umfangreiche Sammlung an Bunzlauer Keramik. Die Ausstellung, die zuvor im Germanischen Nationalmuseum gezeigt wurde, wird nun für einige Monate zu Gast im Haus Schlesien sein. Der repräsentative Querschnitt bietet den Besuchern einen Überblick über das bedeutende Keramikzentrum, von den prunkvollen Trinkgefäßen des 17. Jahrhunderts bis zum heute noch bekannten und beliebten Küchen- und Tischgeschirr des frühen 20. Jahrhunderts.
Bunzlau, die „Stadt des guten Tons“: bekannt für ihr Braungeschirr und das geschwämmelte Pfauenaugendekor. Die schlesische Stadt, das heute polnische Boleslawiec, entfaltete sich früh zu einem der bekanntesten Keramikzentren im deutschsprachigen Raum. Dreihundert Jahre Erfahrung und die Entwicklung einer bleifreien Glasur im 19. Jahrhundert machten die Bunzlauer Keramik zu einem europäischen Spitzenprodukt, dessen Name bis heute ein Begriff ist.
(KK)

 

Bücher und Medien

Mitnichten entlegen: estnische Germanistik
Germanistik in Tartu/Dorpat. Rückblick auf 200 Jahre. Hg. Siret Rutiku, René Kegelmann. Tartu 2003
Dorpat, ursprünglich in Livland gelegen, unter der russischen Oberherrschaft am Ende des 19. Jahrhunderts im Zuge der Russifizierung in Jurjew umbenannt, wurde nach der Unabhängigkeit der baltischen Länder 1918/20 Estland zugeordnet. Wie auch in Polen ist die Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit im Baltikum ein ganz zentrales Anliegen, werden doch jetzt systematisch die Archive intensiv durchforstet und sogar im Internet für jeden zugänglich gemacht.
Der vorliegende Band enthält zehn meist von Esten verfaßte Beiträge zur Universität in Dorpat/Jurjew/Tartu und dem dortigen Germanistikstudium. Siret Rutiku behandelt die Geschichte der Universität seit der Neugründung durch Zar Alexander I. 1802 bis zur Gegenwart. Unerwähnt bleibt leider, daß sie noch wechselvoller ist als dargestellt, da der Schwedenkönig Gustav Adolf die Universität bereits 1632 gegründet hatte und sie wegen des Einfalls der Russen 1656 wieder geschlossen wurde. 1690 ist sie dann unter dem Namen Academia Gustavo-Carolina wiedererstanden, ging aber bei Ausbruch des Nordischen Krieges 1710 durch Krieg und Pest zugrunde. Unter Hinzuziehung des reichen Materials des Estnischen Historischen Archivs gelingt es Rutiku, das langsame Entstehen einer Germanistik nachzuzeichnen. Beschwernisse und Rückschläge spiegeln sich auch in den Lebensläufen einiger Professoren: Viktor A. Hehn, der 1851-1855 in Tula (Rußland) interniert wurde, Wolfgang Stammler, der 1918 in Dorpat/Tartu lehrte, aber von 1936 bis 1951 nur noch Privatgelehrter sein durfte, und Agathe Lasch, die 1939 berufen werden sollte, nachdem sie wegen ihrer jüdischen Herkunft in Hamburg entlassen wurde. Ohne Begründung wurde der Entscheid vom estnischen Präsidenten für nichtig erklärt. 1942 wurde die Begründerin der niederdeutschen Sprachwissenschaft deportiert und gilt seitdem als verschollen. Nach der düsteren Sowjetzeit entfaltete sich, auch dank des freizügigen Studentenaustauschs, rasch ein moderner Lehrbetrieb.
Kai Kull wirft einen Blick auf die studentischen Verbindungen der „Curonia“, „Livonia“ und „Estonia“ im 19. Jahrhundert und die Verordnungen für Studierende. Sie dokumentiert auch die Studentenzahlen für den Zeitraum 1868-1890. Erika Kämer widmet sich in ihrem Beitrag dem aus Göttingen berufenen Leo Meyer, der durch die 1865 institutionalisierte Einrichtung des ersten Lehrstuhls für deutsche Sprache und vergleichende Sprachwissenschaft gleichsam zum Begründer der wissenschaftlichen Germanistik wurde. Seine überaus fruchtbare 33jährige Lehr- und Forschungstätigkeit fiel 1898 der Russifizierung zum Opfer. Entlassen kehrte er nach Göttingen zurück und starb 1910. Dorpat wurde 1893 in Jurjew umbenannt, eine Wende, die Liina Lukas in ihrem Beitrag schildert. Russisch war nun die Unterrichtssprache, und mehr und mehr russische Professoren wurden in Dorpat/Jurjew eingesetzt. Mit der Unabhängigkeit Estlands 1918 wurde die Germanistik endgültig zur Auslandsgermanistik.
Die sich anschließenden fünf Beiträge können als erinnernde Erfahrungsberichte gekennzeichnet werden. Ain Kaalep (geb. 1926), Schriftsteller, Übersetzer deutscher Literatur und Literaturkritiker, gibt Einblicke in sein Leben in der Sowjetzeit und reflektiert kurz die deutsch-estnischen Sprach- und Literaturbeziehungen in der Vergangenheit und der Zukunft, wo die englische Sprache immer mehr an Dominanz gewinnt. Der Este Juhan Tuldava, 1963 aus Stockholm kommend, lehrte an der Universität Schwedisch, bald aber sehr intensiv neben dem deutschen Sprachunterricht auch die Sprachgeschichte. Er berichtet von seiner Lehrtätigkeit während der Sowjetzeit, wobei seine Verbindungen zu Skandinavien und der DDR hilfreich waren. Den schwierigen Weg von der Dorfschule zur Promotion schildert die Estin Anne Arold, wobei sie eine Aufstellung der an der Universität Tartu verliehenen akademischen Grade mit Titel- und Betreuerangabe von 1944 bis 2002 anfügt, die Aufschluß über das bearbeitete, meist sprachwissenschaftliche Themensprektrum liefert, das natürlich wie in der DDR im Gegensatz zur Literatur wegen der ideologischen Unbedenklichkeit besonders gewählt wurde. Die junge Dozentin Mari Tarvas von der Pädagogischen Universität in Tartu geht dem Problem ihres Lehrerstudiums in der Umbruchszeit nach, das ähnlich wie in der DDR sehr schulisch aufgebaut war, bis nach der Wende ein anderes Curriculum eingeführt wurde und sie im deutschsprachigen Ausland muttersprachliche Erfahrungen sammeln konnte. Der engagierte DAAD-Lektor René Kegelmann berichtet kurz über seine Erfahrungen an der Universität Tartu. Er beklagt die mangelnde Kritikfähigkeit der Studierenden, wobei anzumerken ist, daß man sie in Estland zum einen auf die vorgegebene ideologisierte Sowjetherrschaft zurückführen kann, zum anderen aber festzustellen ist, daß sie auch an deutschen Universitäten mehr und mehr schwindet. Die fünf Selbstdarstellungen werden durch den Beitrag des russischstämmigen Absolventen der Universität Tartu, Dmitri Platanov, mit der Frage abgeschlossen, was ein Studium der Germanistik in Estland einem Absolventen nützt.
Der Band ist ein Zeugnis nicht nur der wechselvollen Geschichte der Germanistik im nördlichen Baltikum, sondern ein Dokument, wie deutsche Vergangenheit im heutigen Estland fruchtbar im vereinten Europa genutzt werden kann.
Carola L. Gottzmann (KK)

 

Atmosphäre statt Akribie – erst recht ein Geschenk für den Leser
Joseph von Eichendorff. Poeta Ziemi Naczej – Der Dichter unserer Heimat. Boleslaw Stachows Photographien zu Gedichten von Joseph von Eichendorff. Herausgeber: Baterex, Ratibor 2004, 47-400 Raciborz, ul. Rudzka 45, 64 S.
Das erste ganzseitige Bild in dem großformatigen Buch zeigt die Enthüllung des Eichendorff-Denkmals am 4. September 1994 in Ratibor durch den Ratiborer Stadtpräsidenten Andrzej Markowiak und den Herzog von Ratibor. Zur Zehnjahresfeier des Ereignisses am 4. September 2004 wurde dieses Buch mit Gedichten von Eichendorff und Photographien des jetzt in Ratibor lebenden polnischen Photographen Boleslaw Stachow vorgelegt. In den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts und im Jahre 2000 waren bereits zwei Bildbände zum Thema Ratibor mit Photographien von Stachow erschienen.
Gedichten und Bildern vorangestellt, zuerst polnisch, dann deutsch, sind die Daten des Lebens und Wirkens des in Lubowitz geborenen Dichters, besorgt von Paul Newerla. Er ist der beste Kenner der Heimatgeschichte und schon durch zahlreiche Veröffentlichungen hervorgetreten. Notiert sind in der tabellenartigen Übersicht auch die Ersterrichtung des Eichendorff-Denkmals 1909 und die erste polnische Übersetzung von „Aus dem Leben eines Taugenichts“ 1912.
Das Buch soll auf gefällige Weise Gedichte Eichendorffs bekannt machen. Es sind 27 Gedichte, die ausgewählt wurden. Unter den Übersetzungen stehen die Namen von neun Mitarbeitern, ein Drittel der Übersetzungen stammt von Jacek S. Buras. (Über die Qualität der Übersetzungen kann der Rezensent leider keine verbindliche Auskunft geben.)
Die Auswahl der Gedichte bereitet einem schon deswegen Freude, weil alle bekannten Verse sich hier wiederfinden. Und das bedeutet für die Leser des polnischen Textes, daß sie auf die rechte Weise in das Werk dieses großen und bis heute zu Recht berühmten Dichters aus Oberschlesien eingeführt werden. Das immer wieder zitierte „Schläft ein Lied in allen Dingen“ ist sicherlich mit Absicht als erstes abgedruckt; es trägt die Überschrift „Wünschelrute“, in manchen Ausgaben der Gedichte ist es unter der Überschrift „Sprüche“ zu finden. „Du blauer Strom, an dessen duftgem Strande / Ich Licht und Lenz zum ersten Male schaute“ trägt hier die Überschrift „Jugendsehen“; im Original steht „Jugendleben“. Das ist sicherlich nur ein Druckfehler.
Leider sind gleich die ersten Seiten von Druckfehlern belastet. Die in Schreibschrift gefaßte Titelseite spricht von „Gegichten“ statt Gedichten, unter dem Bild von der Enthüllung des wiedererrichteten Eichendorff-Denkmals heißt es „Enthüllung der kopie des Eichendorff-Denkmals“.
Die vielen eingestreuten Aufnahmen, für die Boleslaw Stachow verantwortlich ist, weswegen er auch als Herausgeber zeichnet, sollen Stimmungen einfangen, Stimmungen, die die Gedichte beim Lesen auslösen oder anregen sollen. Zu dem Gedicht „Wer in die Fremde will wandern“ ist sogar eine „fremdstämmige“ Familie (wohl Inder oder Zigeuner) zu sehen, sonst sind es viele Bilder von Pflanzen und Blüten, Figuren, Landschaften und Silhouetten von Dörfern. Zukunftsfreudig schließen die Aufnahmen mit blühenden Schneeglöckchen.
Im Impressum ist zu erfahren: „finanzielle Unterstützung der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit aus Mitteln der Bundesrepublik Deutschland“. In der Tat, das Buch, dieser Bildband mit den Gedichten von Joseph Freiherrn von Eichendorff, bietet sich als Geschenk an, bestimmt für Leser, die entweder als Deutsche oder als Polen schöne, mit die schönsten Gedichte der deutschen Sprache lesen wollen.
Herbert Hupka (KK)

 

„Zwar deutschsprachig, keinesfalls aber deutsch“
Silesia nova. Zweimonatsschrift für Kultur und Geschichte. Neisse Verlag, Görlitz und Breslau. Jahrgang 1 (2004), Heft 1
Von einer neuen Zeitschrift gilt es zu berichten, die vielleicht einmal dem fast legendären Periodikum „Schlesien“ ebenbürtig werden könnte. „Silesia nova“ nennt sich die „Zweimonatsschrift für Kultur und Geschichte“, denn man wolle, so betonen die Herausgeber, „zwar eine deutschsprachige, keinesfalls aber eine deutsche Zeitschrift sein“. Der Kunstgriff, auf das Lateinische als europaweit verbindende Sprache auszuweichen, ist plausibel: Die vier Herausgeber stammen aus Görlitz wie aus Breslau, die Redaktion verteilt sich auf beide Städte, und in mehr als zwanzig polnischen Buchhandlungen liegt die Zeitschrift zum Verkauf aus. Das Herausgebergremium besteht aus den Breslauern Edward Bialek und Roscislaw Zerelik, Germanistik- bzw. Geschichtsprofessoren aus Breslau, dem Görlitzer Verleger Detlef Krell und Rainer Sachs, Kulturattaché beim Deutschen Generalkonsulat in Breslau.
Beiträge historischen Inhalts und solche mit tagesaktueller Ausprägung halten sich die Waage. Zum einen wird von Gerhart Hauptmanns „Haus Wiesenstein“ in Agnetendorf berichtet, von den Malern Karl Tancquard und Johannes Maximilian Avenarius, vom Schriftsteller Arno Schmidt in Lauban und von den Leistungen der Breslauer Germanistik seit 1945, zum anderen bietet „Silesia Nova“ Galerienrundgänge, Theaterkritiken und einen Bericht über die Restaurierung einer Nepomukstatue in Kammendorf. „Hoch über den Dächern in Stadt und Land“ bzw. „Musikinstrumente made in Silesia“ sind als mehrteilige Fortsetzungsaufsätze konzipiert, die über die Breslauer Rathausturmuhr bzw. über schlesische Blechblasinstrumente berichten.
Alle zwei Monate also soll „Silesia Nova“ erscheinen – ein sehr ambitionierter Rhythmus, wenn man sich den hohen Anteil von Herausgebern und Redakteuren unter den Verfassern in der ersten Ausgabe vor Augen hält. Doch auch mit nur wenigen externen Beiträgern ist bereits ein sehr breites Spektrum niederschlesischer Kulturproduktion abgedeckt.
Die Verfasser sind zum Teil recht jung, was eine erfreulich unkomplizierte und vorurteilslose Herangehensweise an den „Gesamtkomplex Schlesien“, bekanntlich eines der heikleren mitteleuropäischen Probleme, mit sich bringt. Thematisiert wird weniger das polnische, sondern ganz überwiegend das kulturgeschichtlich deutsche Schlesien (polnische Ortsnamen stehen, in Klammern, im Anschluß an die deutschen Ortsnamen: auch dies wohl eine sich etablierende Normalität) – und doch verströmt „Silesia Nova“ die angenehme Atmosphäre einer wie selbstverständlich daherkommenden und gar nicht aufgesetzt anmutenden Internationalität, die das Kulturelle und nicht die staatliche Zugehörigkeit Schlesiens in den Vordergrund stellt..
Um den Anspruch, das gesamte Schlesien zu beleuchten, einzulösen, liegt der Schwerpunkt derzeit freilich noch ein wenig einseitig bei Görlitz und Breslau im Niederschlesischen; oberschlesische Sujets sucht man in dieser Ausgabe (wie auch in der Themenankündigung der kommenden Ausgabe) vergeblich. – Die Zeitschrift ist ebenso modern wie ansprechend gestaltet und kommt weder „verkopft“ akademisch noch niveauarm populistisch daher. Angesichts der großzügigen Farbillustrationen ist der Heftpreis von 8 Euro für 120 Seiten wundersam gering, so daß „Silesia Nova“ gewünscht sei, daß die Startauflage von 1000 Druckexemplaren bald deutlich gesteigert werden kann. Keine andere vergleichbare Zeitschrift präsentiert sich selbst und vor allem Schlesien derzeit so frisch, optimistisch und sympathisch, im übrigen auch im weltweiten Netz unter http://www.silesianova.de.
Martin Hollender (KK)

 

Noch ist Polnisch nicht verloren
Nach mehrjähriger Vorarbeit des Deutschen Polen-Instituts konnte nun ein erster Durchbruch für die Erstellung eines Lehrwerks Polnisch als Fremdsprache erzielt werden: Unter Federführung des Deutschen Kulturforums östliches Europa, Potsdam, und in Zusammenarbeit mit dem DPI und dem Gabriele von Bülow-Gymnasium Berlin wird in den kommenden drei Jahren dieses erste Lehrwerk für Polnisch an deutschen Schulen entwickelt. Es soll die Sprache unseres größten östlichen Nachbarn vor allem für Schülerinnen und Schüler attraktiv machen, die keinerlei Vorkenntnisse haben.
Bisher lernten vor allem Kinder mit polnischsprachigem Hintergrund die ihnen bereits relativ vertraute Sprache. Seit dem EU-Beitritt Polens hat sich die Nachfrage grundlegend geändert. 
Die Initiative zur Entwicklung des Lehrwerks ging vom Deutschen Polen-Institut Darmstadt und vom Gabriele von Bülow-Gymnasium in Berlin aus. Zwei von Dr. Matthias Kneip im DPI und von Dr. Roland Jerzewski im Bülow-Gymnasium initiierte und von der Robert Bosch Stiftung geförderte Vorbereitungskonferenzen in Berlin brachten Experten der Bildungsministerien, Schulen und Hochschulen an einen Tisch und zu einem einschlägigen Beschluß.
(KK)

 

Literatur und Kunst


Kenner und Künder der Kunst Schlesiens
Von Breslau bis Detroit: der Kunsthistoriker Ernst Scheyer
Nicht anders als bei Adolph von Menzel, 1815 in Breslau geboren, 1905 in Berlin gestorben, laden auch die Lebensdaten von Ernst Scheyer, diesem herausragenden Kunsthistoriker, 1900 in Breslau geboren, 1985 in Detroit gestorben, im Jahre 2005 zur Würdigung und zum Erinnern ein. Diesen jüdischen Emigranten zeichnet es besonders aus, daß er bald nach dem Ende von Krieg und nationalsozialistischer Diktatur wieder in engste Beziehungen zu Breslau und Schlesien trat. Dies war ihm allerdings nicht mehr in Schlesien und Breslau möglich, er tat es in Wort und Schrift, vor allem auch mit seinen gleich ihm in der Kunstgeschichte Schlesiens als Kenner und Künder bestens Vertrauten. Genannt seien hier nur Günter Grundmann, der letzte Provinzialkonservator von Schlesien, und Erich Wiese, der als letzter demokratisch ins Amt des Direktors des Schlesischen Museums gewählt wurde.
Als ich 1962 den Band „Leben in Schlesien“ herausgab, war auch Ernst Scheyer zur Mitarbeit eingeladen, und er schrieb den Beitrag „Bildung in Breslau“. Darin berichtet er über die ersten drei Jahrzehnte seines Lebens, das Abitur 1919 am Gymnasium St. Elisabeth und die Abschlußrede in Latein (!), die ersten Studiensemester in Breslau, dann das Studium der Volkswirtschaft in Freiburg im Breisgau, Abschluß mit dem Dr. rer. pol., dem das Studium der Kunstgeschichte in Köln folgte, wiederum mit der Promotion als Abschluß, und die Rückkehr nach Breslau. Als Gerhart Hauptmann im Jahre 1932 seinen 70. Geburtstag feierte, bereitete er die immer wieder gerühmte große Ausstellung zur Heimat und zum Werk des Dichters vor, und diese Ausstellung wurde danach noch in Berlin gezeigt. In Breslau arbeitete er als Kunsthistoriker in den Städtischen Sammlungen.
Im letzten Absatz dieser autobiographischen Notizen lesen wir: „Es kam für mich im Mai 1933 nicht unerwartet und nach den Schrecken und den Spannungen der letzten Monate fast begrüßt. Die Gerhart-Hauptmann-Plakette, die den um die Ausstellung verdienten Männern und Frauen Oberbürgermeister Dr. Wagner überreichen ließ, kam, kurz bevor mich der amtierende Nazi-Bürgermeister Schönfeld meines Amtes am Kunstgewerbemuseum enthob. Und dann begann die ,Vita Nuova' in Holland, England und in den Vereinigten Staaten. Doch es ist und bleibt Breslau, die zweimal verlorene Heimat, die den Grund gelegt für meine ,Bildung'.“
Als der Düsseldorfer Droste Verlag in seiner Buchreihe „Städte – so wie sie waren“ auch Breslau vorstellen wollte, hieß der Kenner der Stadt, vor allem aufgrund seiner kunstgeschichtlichen Größe und Bedeutung, Ernst Scheyer, inzwischen Professor für Kunstgeschichte und vergleichende Kunstgeschichte an der Wayne-Universität in Detroit. Der reich mit zeitgenössischen Bildern ausgestattete Band erschien 1969 und erreichte viele Auflagen. Das Vorwort schrieb Professor Günther Grundmann. Als Leitspruch zitierte Scheyer den Schriftsteller Carl Zuckmayer aus der Pfalz aus seinen Erinnerungen „Als wär’s ein Stück von mir“: „Geburtsheimat ist keine Gefühlsfiktion, kein Gedankenschema. Sie bedeutet Bestimmung und Vorbestimmung. Sie prägt Wachstum und Sprache, Blick und Gehör, sie verseelt die Sinne und öffnet sie dem Wehen des Geistes wie einem heimträchtigen Wind.“ Einen berufeneren und kenntnisreicheren, inniger mit der Hauptstadt Schlesiens verbundenen Autor hätte man nicht finden können.
Man muß Abhandlungen von Ernst Scheyer oder Franz Landsberger, gleich ihm ein zur Emigration gezwungener Landsmann, in den „Schlesischen Monatsheften“ nachlesen, um sich bewußt zu machen, welche kulturelle Größe innerhalb Deutschlands Breslau besessen hat, nicht zuletzt in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Darum schrieb Scheyer auch sein erhellendes Buch über „Die Kunstakademie Breslau und Oskar Moll“, 1961 erschienen. Bekanntlich wurde die Akademie, weil unter Reichskanzler Heinrich Brüning rigoros gespart werden mußte, 1932 geschlossen.
Einer der berühmtesten Namen, die sich mit dieser Kunstakademie verbinden, ist Otto Mueller. Auch über ihn hat Scheyer publiziert wie auch über einen anderen Großen der modernen Kunst, der allerdings nach nur kurzem Verweilen in Breslau wie Menzel in Berlin heimisch wurde, Ludwig Meidner. Der Beitrag für das Buch „Große Deutsche aus Schlesien“ beginnt mit ein wenig Stolz, und Scheyer hat wiederholt seinen Stolz auf die Stadt Breslau wie auf das geistige Leben in dieser Stadt freimütig bekannt: „Seltsam und doch wie befriedigend, daß gerade derjenige schlesische Künstler, der am wenigsten für Anerkennung lebte, der einer der „Stillen' im Lande war, den größten Ruhm geerntet hat, schon zu Lebzeiten und noch mehr nach seinem Tode. Heute ist Otto Mueller auch in der internationalen Kunstgeschichte als einer der großen europäischen Künstler eingegangen.“ Zum Schluß dieses Aufsatzes gibt Scheyer Auskunft über andere Schüler der Breslauer Akademie.
Die letzten Sätze lauten, wieder ist schlesischer Stolz spürbar: „Die großen amerikanischen Museen besitzen Bilder und Graphiken von Otto Mueller. Das Detroiter Museum (Ernst Scheyer hatte bis zu seinem Tod am 5. Dezember 1985 seinen Wohnsitz in der Stadt) ging darin voraus. So hat Otto Mueller heute Weltgeltung.“
In der Vierteljahresschrift „Schlesien“ hat Scheyer sehr viele Arbeiten zur Kunstgeschichte Schlesiens veröffentlicht. Noch in den Breslauer Jahren hatte ein gutes Verhältnis zum seinerzeitigen Herausgeber und Hauptschriftleiter der Zeitschrift „Oberschlesien“, Schulrat Karl Schodrok, bestanden, weswegen ihm dieser als Herausgeber und Chefredakteur der seit 1956 erscheinenden Folgepublikation nur zu gern die Zeitschrift als Forum zur Verfügung stellte.
Vier Themen seien zitiert, um den nicht zu überbietenden Kenntnisreichtum von Ernst Scheyer und zugleich seine Verbindung mit Schlesien, dies aus der Ferne, zu verdeutlichen: „Gerhart Hauptmann und die bildende Kunst“, 1963; „Ludwig Meidner“, 1964; „Breslauer Sammler und Sammlungen. Von der Renaissance zur Neuzeit“, 1969; „Günther Grundmann als kunsthistorischer Schriftsteller in seiner Vollendung“, 1976. Im Jahre 1965 wurde auch eine Arbeit über gleichfalls einen Großen und Modernen der Malerei, über Lyonel Feininger, der in New York, wo er geboren wurde, und in Deutschland beheimatet war, in englischer Sprache veröffentlicht.
Breslau und das geistige Leben in dieser vitalen Stadt – man muß seinen Beitrag „Bildung in Breslau“ lesen und miterleben, wie ein junger Mann schon vor dem Ersten Weltkrieg, aber erst recht danach Breslau erlebt, erfahren und sich angeeignet hat – sind durch ihn wiedererstanden. Und von diesem Breslau, diesem Schlesien konnte er nicht, wollte er auch nicht loskommen. In seinem Aufsatz „Geistiges Leben in der Emigration“ heißt es: „1950 sah ich nach 15 Jahren Deutschland wieder, aber die zweimal verlorene, engere Heimat, Schlesien, blieb mir verschlossen.“
Nachdem Ernst Scheyer durch die Landsmannschaft Schlesien bereits mit dem Kulturpreis Schlesien ausgezeichnet worden war, ehrte sie ihn 1967 zusammen mit dem Gründer der Landsmannschaft, Dr. Walter Rinke, mit dem Schlesierschild, der höchsten Auszeichnung. Noch fehlt eine Darstellung von Leben und Werk in den „Schlesischen Lebensbildern“, für die er selbst einmal, im vierten Band, über August Kopisch geschrieben hat.
Herbert Hupka (KK)

 

„Dann wird Eugen Spiro hier sein und die vielen Besucher begrüßen“
Büste des Malers in der Ehrenhalle des Breslauer Rathauses enthüllt
In der Bürgerhalle des Breslauer Rathauses ist auf Betreiben des Museumsdirektors Maciej Lagiewski eine stattliche Galerie berühmter Söhne und Töchter dieser Stadt angelegt worden. Zu den Marmorbüsten von sechs Polen und 14 Deutschen ist in diesem Jahr das Porträt des deutschen Malers Eugen Spiro hinzugekommen. Bei der feierlichen Enthüllung sprach Peter Spiro, der Sohn des Malers, Dankesworte, die hier dokumentiert werden sollen.
Meine heutige Aufgabe ist es, der Stadt Wroclaw dafür zu danken, daß sie meinem 1972 mit fast 100 Jahren verstorbenen Vater Eugen Spiro eine Büste in dieser Ehrenhalle errichtet hat. Dank auch dem Bildhauer Tomas Rodzinski, der ihn so, wie er in seinen besten Zeiten war, dargestellt hat.
Nochmals und erneuten Dank auch für die Ausstellung „Eugen Spiro und Nachkommen“ im Jahr 2002 und den schönsten Spiro-Katalog, der jemals gedruckt wurde.
Eugen Spiro, 1874 im damaligen Breslau geboren, war seinem Studium an der hiesigen Kunstakademie unter Albrecht Bräuer ein Leben lang dankbar. Hier erzielte er auch seine ersten beruflichen Erfolge. Er entstammte der großen jüdischen Gemeinde Breslaus, aus der so viele schöpferische Kräfte, darunter mehrere Nobelpreisträger, hervorgegangen sind – und die in unserem Freund und Gastgeber Dr. Lagiewski einen würdigen Chronisten gefunden hat.
In Berlins „Goldenen Zwanzigern“ war Eugen Spiro dort  d e r   Porträtmaler der Prominenz. Heutzutage sind seine Mittelmeerlandschaften und Stilleben auf dem Auktionsmarkt beliebt.
Spiros Büste steht hier nun neben der des etwa ein Jahrhundert früheren preußischen Realisten Adolph von Menzel, dessen Bilder schon einen Vorausblick auf den Impressionismus boten. Den Impressionismus hat Spiro nach dem Besuch einer Manet-Ausstellung 1903 in Paris endgültig als seinen Stil adoptiert. An seiner anderen Seite sehen wir den polnischen Modernisten und Symbolisten Eugeniusz Geppert, dessen abstrakte Bilder durch die Liebe zu starken Farben erfreuen und durch geschickte Andeutungen realer Motive an Reiz gewinnen. Alle drei stehen sie in einer Halle mit der Büste von Spiros Freund Gerhart Hauptmann – den er im übrigen auch porträtiert hat.
Gemeinsame Ehrung von Kultur und Kunst, entstanden aus gemeinsamen Wurzeln in dieser Stadt, baut eine Freundschaftsbrücke zwischen Polen und Deutschland, zwei großen Nachbarn in der Europäischen Gemeinschaft, und heilt so gegenseitige Wunden aus bitteren Zeiten. Es wird der Tag kommen, an dem jene, die das zu entscheiden haben, Wroclaw/Breslau mit seinem reichen Erbe und seiner lebendigen Kunstszene zur Kulturhauptstadt Europas ernennen werden. Dann wird Eugen Spiro hier sein und die vielen Besucher begrüßen.
(KK)

 

Das Land, in dem ich geboren bin
Hansi Breiers filmische Lebensgeschichten aus Rumänien
Sie sehen schon wie zwei Bettelmönche aus, wie sie mit ihren langen dunklen Kutten und Stoffbeuteln, gefüllt mit Lebensmitteln und Ikonen, durchs Land, das Rumänien heißt, ziehen. Nur stimmig ist das alles nicht.
Bedächtig, man kann allerdings auch sagen: bemüht, erklärt ein Meister mit langen Haaren und Jesus-Gestalt dem Bruder, der eher ans leibliche Wohl denkt als an die geistigen Freuden, wie Rumänien in „widerwärtigen Zeiten“ (in der Übersetzung: „im Kommunismus“) keine Freiheit gekannt hat, dem muntenischen Hirten von Gott nur das leichte Herz und die liebenden Frauen zuteil wurden.
Schließlich muß auch noch die Volksballade „Miorita“ herhalten, in einer zweifelhaften Übersetzung, um dem Film den Schliff zu geben, der ihn zu einem Kinofilm machen soll. Dabei wäre er doch besser bei seinem Leisten geblieben.
Als Fernsehfilm gedacht, hätte er einen guten Dokumentarstreifen abgeben können. Vier Lebensläufe werden beleuchtet, vom Kirchenbauer zur Landwirtschaftsingenieurin, vom Landarzt zum Sportlehrer und Trainer, lauter Menschen, die sich nach dem Umsturz im Land zurechtgefunden und eine lohnende Existenz aufgebaut haben. Menschen, für die eine Auswanderung nicht oder nicht mehr in Frage kommt.
Der Kirchenbauer hat mit seiner Holzkirche selbst an einem Wettbewerb in Washington teilgenommen, die Familie der Landwirtschaftsingenieurin führt ein eigenes vormals staatliches Unternehmen mit Erfolg. Der Landarzt, vorher politischer Häftling, meditiert in seiner Freizeit über den Beitritt Rumäniens zur Europäischen Union und seine Zugehörigkeit zu Europa, und der Sportlehrer, der in seinem Nebenjob als Trainer doppelt soviel verdient, hat seine Wünsche nach Auswanderung begraben, um in Rumänien den anfahrenden Zug des wirtschaftlichen Aufschwungs nicht zu verpassen.
Mit manchmal viel zu lauten musikalischen Intermezzi werden die Lebensgeschichten klanglich voneinander abgesetzt.
Näheres über den Film und über die Termine, zu denen er in deutschen Programmkinos läuft, auf www.daslandindemichgeborenbin.de.
Edith Ottschofski (KK)

 

Tanz der Migofs
Bernard Schultze im Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg
Mit der Themenausstellung „Tanz der Migofs“ würdigt das Kunstforum Ostdeutsche Galerie das Werk des kürzlich verstorbenen und international renommierten Malers, Bildhauers und Grafikers Bernard Schultze – und reiht sich ein in eine Parallelaktion großer Museen im deutschsprachigen Raum (Ausstellungen finden unter anderem im Museum Ludwig Köln, im Saarland Museum Saarbrücken und im Künstlerhaus Wien statt). Ursprünglich war die Ausstellung als eine Jubiläumsveranstaltung zum 90. Geburtstag von Bernard Schultze geplant, den der Künstler am 31. Mai begangen hätte. Durch den Tod von Schultze am 14. April 2005 wird „Tanz der Migofs“ zu einer Gedächtnisausstellung.
Der aus Westpreußen stammende Schultze gehörte zu der Generation, die der deutschen Kunst nach dem Krieg durch die tachistische und informelle Malweise neue Impulse gab. Danach schlug er eine Brücke zu surrealistischen Bildprinzipien und zur Kunst des Phantastischen.
So ist die Regensburger Ausstellung als vieldeutiges Naturtheater inszeniert. Sie entführt den Betrachter in die Welt des Traums und des Unterbewußtseins: Farbskulpturen als phantastische Mischwesen zwischen Keimen, Blühen und Verwesen greifen mit allen Mitteln in den Raum. Gemalte, gezeichnete und plastische Monster, Giganten und Fabeltiere sowie pflanzen-, insekten- und menschenhafte Gebilde siedeln sich überall an, wuchern vom Tierhaften zum Pflanzenähnlichen, um sich wieder terrestrischen und menschlichen Gliedern anzupassen und sich diese einzuverleiben. Sieben mehrteilige Grisaille-Gemälde korrespondieren mit acht raumgreifenden farbigen Migof-Plastiken.
Die Ausstellung „Tanz der Migofs“ hat überregionale Bedeutung. Sie wurde am 8. Mai durch Dr. Eduard Beaucamp, dem ehemaligen Kunstkritiker der F.A.Z., eröffnet und ist bis zum 3. Juli zu sehen.
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog mit ca. 80 Seiten und zahlreichen Abbildungen, bearbeitet von Dr. Gerhard Leistner. 30 Exemplare werden mit einer handsignierten Lithographie des Künstlers  angeboten.
Während der Ausstellung werden Sonntagsführungen und ein vielseitiges museumspädagogisches Programm angeboten. Unter anderem sind ein kostenloser museumspädagogischer Kurs für Kinder, ein Workshop mit Schülern des Albrecht-Altdorfer-Gymnasiums Regensburg und des Anton-Bruckner-Gymnasiums Straubing sowie ein Ferienprojekt in Kooperation mit dem Landratsamt Regensburg geplant.
(KK)

 

Grandezza in den Untiefen deutschen Humors
Zum 80. Geburtstag des Schauspielers Eddi Arent
Kein Wunder, daß Theo Lingen sein großes Vorbild ist. Hat er doch im deutschen Film das Understatement beherrscht wie kein anderer. Und Eddi Arent war ihm darin ein kongenialer Nachfolger, hat im deutschen Krimi Mordanschläge von Klaus Kinski, den Befehlston von Blacky Fuchsberger und die Allüren von „Sir John“ Siegfried Schürenberg unbeschadet, mit der Grandezza des unerschütterlichen Gentlemans, überstanden. Würdevoller als er konnte man an der Seite von Harald Juhnke wohl kaum die Untiefen des deutschen Humors durchlaufen.
Dabei hatte es anfangs gar nicht danach ausgesehen, als könnte Eddi Arent ein Musterbeispiel darstellerischer Noblesse werden. Der in Danzig geborene Gebhard Arendt hat nach dem jugendlichen Einsatz an der Ostfront und der Heimkehr aus dem Krieg kabarettistisch geglänzt, war auf Tournee, vor allem in Südwestdeutschland, unter anderem an Werner Fincks Stuttgarter „Mausefalle“. Kleine Rollen hat er gespielt in den 50ern in nicht eben bedeutenden Leinwandstreifen neben Hans Moser oder O. E. Hasse. Er war dort schon ein präziser, ein wandlungsfähiger Charakterkopf, dessen verschiedene darstellerische Talente später im auf Schablonen festgelegten deutschen Film kaum noch Bedeutung haben sollten.
Den Butler spielte er formvollendet im ersten deutschen Nachkriegs-Wallace „Der Frosch mit der Maske“. Der wurde überraschend zum Sensationserfolg, wie Eddi Arent zum Liebling der Bundesdeutschen wurde. Eine Nebenrolle war's beim „Frosch“. Aber die wurde geliebt. Seine überdeutliche Korrektheit wurde parodiert, er war ein Kultobjekt der stetig wachsenden Krimi-Gefolgschaft. War fortan als Beobachter an der Themse nicht mehr wegzudenken.
Ob Polizeiassistent, Diener, Fotograf oder in späten Filmen sogar Gangsterboß: Seine Pointen waren akkurat gesetzt, sein Stil unnachahmlich, sein Gesichtsausdruck unerschütterlich. Ein perfekter Darsteller, dessen Ausdrucksvermögen man hierzulande wohl unter britischem Charme klassifiziert, ob als Lord Castlepool in Karl-May-Verfilmungen oder als späterer Widerpart des nur vermeintlich omnipräsenten Juhnke.
Er blieb Liebling vor allem des Berliner Produzenten-Urgesteins Horst Wendlandt, der ihn immer wieder einsetzte. Dazwischen lagen viele filmische Meisterwerke, wie etwa die unsäglichen „Tollen Tanten“. Aber selbst in solchen filmischen Kunstwerken wie „Unsere Tante ist das letzte“ verlor Arent nie die Beherrschung, blieb mustergültiger Akteur, dessen exakter Humor manchen stumpfsinnigen Film vor totalem Chaos rettete.
Dasselbe Glück wie als Darsteller war dem Hotelier Arent nicht beschert. Vor zwölf Jahren hat er sich im Schwarzwaldort Titisee-Neustadt ein Bahnhofshotel gekauft, den „Neustädter Hof“. Von seiner aus der Gastronomie kommenden Ehefrau Franziska geführt, erwies es sich am Anfang als Glücksfall, jeder wollte den Hobby-Restaurantinhaber Arent sehen. Eine gemütliche Schwarzwaldstube mit gutem Essen und das alljährlich dort stattfindenden Edgar-Wallace-Festival taten das übrige. Um die Osterzeit kamen dort alle deutschen Krimi-Kämpen wie Fritz Wepper, Klausjürgen Wussow oder Dieter Eppler zum Stelldichein, ließen sich befragen, bestaunen und bewirten.
Anfang dieses Jahres war damit Schluß. Kaum mehr Gäste fanden sich ein. Vorerst bleibt das Hotel geschlossen, das Ehepaar Arent hat sich vollständig von der Öffentlichkeit zurückgezogen. Der gesundheitlich schwer angeschlagene Eddi Arent gibt keine Interviews mehr. Noch ist kein Ende des traurigen Schauspiels abzusehen, das der Komödiant Arent derzeit ertragen muß. Viel Freude zu seinem 80. Geburtstag am 5. Mai war ihm derzeit wohl nicht beschieden. Aber ein Gentleman kann eben auch das: nicht genießen und trotzdem schweigen.
Timo Fehrensen (KK)

 

Harzenes Leuchten
Bernsteinkunst aus dem Grünen Gewölbe in Dresden ausgestellt
Das Grüne Gewölbe in Dresden besitzt eine außergewöhnlich vielfältige und qualitätsvolle Sammlung an Bernsteinarbeiten, die europaweit zu den bedeutendsten gehört. Erstmals werden mit dieser Sonderausstellung nach mehr als 60 Jahren die Hauptwerke der Bernsteinkunst des Grünen Gewölbes vorgestellt. Damit wird zugleich ein weiterer bedeutender Sammlungsbestand des Grünen Gewölbes wissenschaftlich erschlossen und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht, bevor dieser im Herbst 2006 im Bernsteinkabinett des Historischen Grünen Gewölbes seine endgültige Heimstatt finden wird. Eingeweiht wird mit der jetzigen Präsentation auch der Sonderausstellungsraum des Neuen Grünen Gewölbes, der nach dem langjährigen Direktor der Einrichtung, Louis Sponsel (1908-1923), benannt worden ist.
Gezeigt werden bis zum 28. August u. a. Gefäße, Schalen, Schatullen, Prunkbestecke und Statuetten, die in Königsberger und Danziger Werkstätten im späten 16. Jahrhundert bis zum ersten Viertel des 18. Jahrhunderts geschaffen worden sind; darunter Arbeiten von Meistern wie Georg Schreiber, Jacob Heise, Michel Redlin und Christoph Maucher.
Kunstwerke aus Bernstein zählten zu den begehrtesten Luxusobjekten und fanden ganz selbstverständlich auch Eingang in die fürstlichen Kunst- und Schatzkammern. Als kostbare Erwerbungen, aber auch als Diplomaten-Geschenke der preußischen Herrscher sind einige dieser Arbeiten an das Grüne Gewölbe gelangt. Dazu zählt auch der große Bernsteinschrank, den August der Starke 1728 als Präsent vom König von Preußen erhielt, der zwar aus konservatorischen Gründen nicht gezeigt werden kann, aber im Katalog zur Ausstellung ausführlich dokumentiert wird. Gezeigt werden allerdings zahlreiche kunstvoll gestaltete Gegenstände, die sich einst in den Schubfächern dieses Schrankes befanden. Mit dem kleinen Bernsteinkabinettschrank, der 1742 als Geschenk Friedrichs II. von Preußen nach Dresden gelangte, wird zudem eine weitere, ganz besondere Kostbarkeit aus dem Besitz des Grünen Gewölbes präsentiert.
Zu den Glanzpunkten der Ausstellung zählen weiterhin neben einer Kanne/Becken-Garnitur aus Bernstein (um 1620-1630), die als Arbeit Georg Schreibers gilt, die signierte und 1659 datierte Prunkschale von Jacob Heise aus Königsberg und ein Bernsteinkruzifix, die beide 1662 bzw. 1678 als Geschenke von Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg an Kurfürst Johann Georg II. von Sachsen nach Dresden kamen. Mit der Figurengruppe „Die drei Grazien“ (um 1680) ist eine der berühmtesten Arbeiten von Christoph Maucher aus Danzig zu bewundern.
Zur Ausstellung erscheint ein  Katalog von Jutta Kappel im Deutschen Kunstverlag zum Preis von 16,80 Euro.
(KK)

 

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(KK)