KK 1194
30. November 2004
INHALT
Heinrich Lange: Ist Johannes Wilhelm Heydeck der unbekannte Porträtist Kants?
Hermann Pangritz: Tagung in Marienwerder über die Geschichte der Stadt
Luzian Geier: Die Bukowiner Stimme in Tel Aviv wird 60
Rudolf Benl: Noch einmal zu den EU-Steckbriefen osteuropäischer Länder
Hans-Ludwig Abmeier: Vertriebenenpriester Hubert Thienel vor 100 Jahren geboren
Bücher und Medien
Literatur und Kunst
Ulrich Schmidt: Abseits der großen Straßen durch Estland
Günther Ott: Die realistische Malerin Roswitha Waechter aus Danzig
Eine Schreinmadonna im Ostpreußischen Landesmuseum
Peter Mast: Der Riesengebirgsmaler Fritz Hartmann
KK-Notizbuch
Du sollst dir ein Bild machen
Von Immanuel Kant allemal und darin scheint Johannes Wilhelm Heydeck es
Gottlieb Doebler nachgetan zu haben
Unbekannt ist der Verbleib des bis 1934 in der Königsberger Loge zum Totenkopf und
Phönix am Schloßteich hängenden Ölgemäldes von Immanuel Kant, das 1791 der Maler und
Kupferstecher Gottlieb (Theophil) Doebler (geb. um 1762, nachweisbar bis 1810) geschaffen
hat. Von Doebler (auch Doepler, Doeppler), der auf der Berliner Akademie vermutlich ein
Schüler des zwischen 1781 und 1784 nach Berlin gekommenen schottischen Malers Edward
Francis Cunningham war, wurden auf den Berliner Akademie-Ausstellungen 1786 bis 1789
Ölgemälde und Stiche, darunter Porträts von König Friedrich II. und seinem Neffen und
Nachfolger König Friedrich Wilhelm II., gezeigt. Ein Ölporträt des letzteren hing 1861
im Berliner Schloß.
Doch tauchte 1955 die Zweitausführung dieses unterlebensgroßen Original-Porträts, das
Kant seinem Schüler, Amanuensis und Freund Johann Gottfried Carl Christian Kiesewetter
(1766-1819) in Berlin geschenkt hatte, der 1789/90 auf Wunsch seines Lehrers hier den
Verleger François Théodore de la Garde als Corrector beim Druck der
Kritik der Urteilskraft (1790) assistierte, in München wieder auf. Hier wurde
es von amerikanischer Seite den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen zum Kauf
angeboten, dann aber beschlagnahmt. 1963 erwarb das Ölporträt, bei dem es sich nicht um
das aus der Loge zum Totenkopf und Phönix handelt, wie etwa noch Fritz Gauses ergänzter
Auflage Die Geschichte der Stadt Königsberg in Preußen von 1996 zu entnehmen
ist, die Stadt Duisburg von Julius Baer in New York für 10 000 DM.
Wo sich das Kant-Gemälde aus dem ehemaligen Besitz von Kiesewetter, der 1793 zum
Professor der Philosophie und 1798 zum ordentlichen Professor der Logik avancierte und als
Kantianer maßgeblich zur Verbreitung der Lehre Kants beitrug, in Berlin vor und um 1945
befand, wäre noch zu recherchieren. Im Künstlerlexikon Thieme-Becker von 1913 wird es
auf der Jahrhundert-Ausstellung in Berlin 1906 erwähnt. Wie das Gemälde in
der Königsberger Loge ist die Kopie von Petzenburg im Königsberger
Kant-Museum verschollen, wahrscheinlich vernichtet. Bei dem Bild in einem Ausstellungssaal
des russischen Kant-Museums im Dom handelt es sich um eine Reproduktion aus den 1990er
Jahren.
Möglicherweise ist aber aus dem Königsberger Kant-Museums ein Kant-Porträt nach Doebler
erhalten geblieben. 2000 erwarb das Duisburger Museum Stadt Königsberg aus dem
Kunsthandel ein Ölgemälde mit dem Brustbild Kants. Auf einer Postkarte zur Duisburger
Ausstellung anläßlich des 200. Todestages des Philosophen 2004 heißt es:
Unbekannter Künstler, 19. Jahrhundert und Provenienz Neuenburg,
Schweiz, und im Ausstellungskatalog ist auch auf Anregung des Verfassers
hinzugefügt: Heydeck? sowie Maler und Provenienz noch nicht ganz
geklärt. Das Gemälde soll aus dem zwischen Basel und Genf gelegenen Fürstentum
Neuenburg-Neuchâtel stammen, das von 1707 bis 1848 mit Preußen in Personalunion
verbunden war.
Während der Kopist Kants Kopf genau vom Vorbild abgenommen hat, sind der
flüchtiger gemalte Oberkörper, insbesondere die Arme, verändert. Der Philosoph sitzt
hier vor Papieren auf einem nicht dargestellten Schreibtisch, hält in der Rechten die
Schreibfeder und lüftet mit der Linken die Ecke eines Blattes. Nun hat Eduard Anderson in
seinem Führer Das Kantzimmer im Stadtgeschichtlichen Museum von 1936 ein Bild
verzeichnet, aber nicht abgebildet, dessen Beschreibung dem neu aufgetauchten zu
entsprechen scheint: Kantbildnis, Brustbild von Johannes Heydeck. Kant am
Schreibtisch. Das Gemälde ist um 1870 entstanden. Der Künstler hat seiner Arbeit das
Doeblersche Werk zugrunde gelegt. Ölgemälde auf Leinwand ... oval. Besitzer:
Kunstsammlungen der Stadt. Letztere befanden sich seit 1924 im Königsberger
Schloß. Auch in Gauses Faltblatt Führer durch das Kant-Museum von 1938 wird
das Kant-Bild aufgeführt: Kant. Ölgemälde von Heydeck (um 1870).
Im Katalog des Stadtmuseums zu Königsberg von 1919, wo sich damals noch die
Gemäldesammlung in einem Provisorium in der Junkerstraße 6 befand, ist das
Oelgemälde auf Leinwand von Heydeck mit der genauen Jahreszahl
1872 erwähnt. Die im Duisburger Katalog angegebenen Maße 62 x 58,5
cm stimmen zwar nicht genau mit den 1912 und 1936 genannten 65 ½ x
62 ¾ bzw. 60 x 67 cm überein, aber vielleicht erklärt sich die
Differenz der Maße mit einer neuen Rahmung bzw. einem neuen Passepartout.
Leider, so der Duisburger Museumsleiter Lorenz Grimoni, liegt uns bis
heute keine Wiedergabe des Heydeckschen Ölgemäldes vor, um durch einen Vergleich unsere
Vermutung bestätigt zu bekommen. Vielleicht kann uns ein Leser helfen?
Der 1835 in Sakuthen bei Prökuls im Regierungsbezirk Königsberg geborene und 1910 in der
ostpreußischen Hauptstadt verstorbene Historien-, Architektur- und Bildnismaler Johannes
Wilhelm Heydeck war von 1869 bis 1900 Professor der Perspektive und Architektur an der
Königsberger Kunstakademie. Ab 1860 stellte er wiederholt Gemälde auf der Berliner
Akademie-Ausstellung aus. 1861 hielt der junge Künstler die Krönungsfeierlichkeiten
Wilhelms I. in mehreren Zeichnungen fest. Mindestens sechs davon wurden in jenem Jahr als
Holzstiche in der Illustrirten Zeitung und in dem Sonderdruck Die
Königskrönung in Königsberg des Leipziger Verlages J. J. Weber, der auch die
Zeitung herausgab, veröffentlicht. Die originalen, in verschiedenen Brauntönen lavierten
Bleistiftzeichnungen werden in der Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin
aufbewahrt. Das zuerst 1887 in Berlin ausgestellte Gemälde Königin Luise auf der
Flucht nach Memel im Januar 1807 machte Heydeck weithin bekannt. Von dem Mitglied
der Berliner Akademie hing im Königsberger Kant-Museum auch die seit 1945 verschollene
Kreidezeichnung von der Ausgrabung der Gebeine Kants in der Grabkapelle im Jahre 1880.
Heinrich Lange (KK)
Die Referate der Jenenser Tagung vom 24. Januar 2004 über Flucht,
Vertreibung und Erinnern. Zur politischen und literarischen Reflexion in der
deutschen und osteuropäischen Nachkriegsliteratur sind jetzt in Buchform
erschienen. Sie enthalten die acht Beiträge von Elke Mehnert, Jörg Bernhard Bilke,
Kirsti Dubeck, Lutz Kirschner, Jens-Fietje Dwars, Christel Berger, Bernhard Fisch
und Horst Ritschel, zusätzlich einen Aufsatz von Ludwig Elm. Quelle: Forum für Bildung
und Wissenschaft, Käthe-Kollwitz-Straße 6, 07743 Jena.
(KK)
Eine Stadt als Kriegsschauplatz
Marienwerder ist für polnische und deutsche Historiker ein Thema, das sie gemeinsam
vor polnischen und deutschen Hörern ausbreiten
Die Fachhistoriker aus Deutschland und Polen unterhalten sich bereits seit rund
30 Jahren über die Geschichte des Ordenslandes Preußen und die Provinzen Ostpreußen und
Westpreußen. Dabei sind sie sich nicht immer in allen Fragen und in der Beurteilung aller
Geschichtsabläufe einig. Aber sie reden miteinander, arbeiten und teilen einander eigene
und neue Forschungserkenntnisse mit. Bei der Orts- und Stadtgeschichte ist dies seltener
der Fall. Jetzt kommt es immer häufiger vor, daß die in den Heimatkreisen, -dörfern und
-städten lebenden Menschen wissen wollen, wie es früher war vor 1945, vor 1920,
ja früher. Daher nehmen sich dieser Themen jetzt Heimatvereine und Kulturzentren an. Nur
in den größeren Städten gibt es Sektionen der polnischen Historischen Gesellschaft. Im
ehemaligen Korridorgebiet ist die Lage etwas anders.
Im Herbst 2004 fand eine historische Konferenz in Marienwerder statt. Veranstalter war die
Historische Abteilung des dortigen Kulturzentrums, des Kwidzynskie Centrum Kultury, in
Zusammenarbeit mit der Gesellschaft der deutschen Minderheit Vaterland in
Westpreußen, Marienwerder-Stuhm. Die deutsche Volksgruppe war von Anbeginn in die
Veranstaltung eingebunden, der Heimatkreis Marienwerder und die Landsmannschaft
Westpreußen waren eingeladen.
Zur Eröffnung waren sowohl der Bürgermeister als auch der Landrat erschienen und etwa
130 Teilnehmer, darunter etwa 40 Schüler aus Lyzeen. Der Heimatkreis Marienwerder war
durch Ursula Boyens-Heym vertreten und die Paten- und Partnerstadt Celle durch eine kleine
Abordnung. Sie alle wurden herzlich begrüßt, dabei wurden auch die schriftlich
eingegangenen Grüße des Bundesvorsitzenden der Landsmannschaft Westpreußen, Siegfried
Sieg, übermittelt. Dann wurde eine soeben erschienene zweibändige Stadtgeschichte
Marienwerder. Schicksale der Stadt präsentiert. Es fiel auf, daß der über
die 712 Jahre Stadtgeschichte bis 1945 vorgelegte Band 1 mit 376 Seiten auskommt und der
Band 2 über die 59 Jahre Nachkriegszeit 520 Textseiten enthält. Um so bedeutungsvoller
waren daher die auf der Konferenz behandelten Themen.
Über das Thema Marienwerder im Mittelalter referierte der Thorner
Universitätsprofessor Dr. Andrzej Radzirninski. Er spannte einen historischen Bogen von
den Anfängen des mittelalterlichen Marienwerder bis zur Landesteilung 1466, als die Stadt
beim Deutschen Orden verblieb und 1525 eine herzogliche Stadt wurde. Es folgte das Referat
des Professors Dr. Kazimierz Wajda, ebenfalls von der Universität in Thorn, über
Marienwerder 1772-1914. Gesellschaft Wirtschaft Raumentwicklung.
Darin wurde die Stadtentwicklung beschrieben, die Bevölkerung einschließlich der Juden
dargestellt und viele Straßen sowie Bevölkerungszahlen genannt. In beiden Referaten
wurde weitgehend auf deutsche Literatur und auch auf alte Quellen zurückgegriffen. Leider
zeigte sich in der Aussprache, daß kaum jemand der Anwesenden mit den Themen vertraut
war.
Besonders interessant war der dritte Vortrag, den die Leiterin der Historischen Abteilung
des Kulturzentrums, Dr. Justina Liguz, hielt und den sie zusammen mit Dr. Miroslaw Golon
aus Thorn ausgearbeitet hatte. Er beschäftigte sich mit der allgemeinen Lage der Stadt
Marienwerder unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg 1945/46 und mit der Roten Armee in der
Stadt. Dabei wurden bisher unbekannte Fakten vorgetragen, beispielsweise, daß die Stadt
Lazarettzentrum der Sowjets für die 2. Weißrussische Front war. Gefangene deutsche
Soldaten wurden als Personal in den Lazaretten eingesetzt. Ab März 1945 befanden sich
über eine Zeitspanne von neun Monaten insgesamt 120 000 Verletzte und Kranke in den
einzelnen Lazaretten, die in 200 Schulen, Kirchen und anderen Gebäuden eingerichtet
waren. Allein drei waren für die an Typhus erkrankten Soldaten eingerichtet worden, und
in einem Lazarett wurden nur Geschlechtskrankheiten behandelt. Marienwerder war der Roten
Armee unzerstört in die Hände gefallen. Dann brannte nach und nach rund ein Viertel der
Bebauung nieder. Die gesamte Innenstadt war davon betroffen. Viele Dokumente wurden
vernichtet, vieles gilt als verschollen, anderes befindet sich in russischen Archiven. Die
deutsche Bevölkerung hatte dem Vortrag zufolge die Stadt zu 99 Prozent verlassen. Woher
die neue Bevölkerung kam, kann kaum nachvollzogen werden.
In einem vierten Vortrag schilderte Museumsdirektor a. D. Hans-Jürgen Schuch aus Münster
Marienwerder als Soldatenstadt bis 1945. Als die ersten deutschen
Soldaten in Marienwerder können die Gründer angesehen werden. Es waren 1233
die Ritter des Deutschen Ordens unter Landmeister Hermann Balk, und die letzten waren
Angehörige der deutschen Wehrmacht. Dazwischen lagen in Marienwerder preußische Truppen,
französische, polnische und auch russische Soldaten sowie Kosaken, nicht zu vergessen das
italienische Bataillon Bersaglieri während der Abstimmungszeit 1920. Das Thema ist also
eng verwoben mit der allgemeinen Stadtgeschichte.
Dieses Referat des stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Landsmannschaft Westpreußen
fand große Aufmerksamkeit und wurde, wie die anderen Vorträge, simultan übersetzt.
Erfreulich war auch, daß sich an den Diskussionen mehrfach die Marienwerderin Ursula
Boyens-Heym und Vertreter der deutschen Minderheit aus Thorn und Danzig beteiligten. Zum
Abschluß wurden einige kurze Filmstreifen über Marienwerder aus der Zeit vor und nach
1945 vorgeführt.
Diese Veranstaltung des Kulturzentrums und der deutschen Minderheit hat gezeigt, daß es
wichtig ist, grenzüberschreitend und unter Einbeziehung der vertriebenen Bevölkerung
tätig zu werden. Auf diesem Weg sollte fortgeschritten werden.
Hermann Pangritz (KK)
Eine Landschaft ist erloschen
Ihre Stimme aber nicht: die Monatsschrift der Bukowiner in Tel Aviv
erscheint seit 60 Jahren
Die etwas ältere Bukowiner Diaspora-Bruderzeitung des
Südostdeutschen, der Zeitung der Buchenlanddeutschen mit der Redaktion in
Augsburg, die Monatsschrift Die Stimme in Tel Aviv/Israel, kann in diesem
Monat auf 60 stolze Jahre des Erscheinens zurückblicken. Die erste hektografierte Ausgabe
erschien am 13. Dezember 1944, also noch vor Ende des zweiten Weltkrieges, anläßlich des
Chanuka-Festes, dem der erste Leitartikel aus der Feder von Dr. Manfred Reifer, vorher
Czernowitz, gewidmet war. Gegründet wurde das Blatt von Dr. Elias Weinstein, dessen
verdienstvoller Name heute noch im Impressum geführt wird.
Wie das Heimatblatt der Bukowinadeutschen (seit 1949) war Die Stimme am Anfang
ein Blatt der neuen Heimatfindung, des Aufbaus eines neuen Lebens, des Suchens und
Wiederzusammenfindens. Aber auch eine Bukowiner Stimme, ein Sprachorgan, das zur
Muttersprache stand, wenngleich früher gelegentlich Beiträge in rumänisch oder
hebräisch abgedruckt wurden.
In den letzten Jahrzehnten (unter Meier-Färber und Norbert Rudel, Czernowitzer bzw.
später Temeswarer und Bukarester) ist es eine vorwiegend kulturell und historisch
ausgerichtete Schrift der Landsmannschaft (so im Impressum) der Bukowiner
Juden in Israel und darüber hinaus geworden. Die sechzig Jahrgänge der Zeitung stellen
eine wertvolle Dokumentation zur Geschichte der Bukowiner Juden dar, für die Leser selbst
war und ist die Monatsschrift ein verdienstvoller Identitätsstifter und ein aufbauender
Lebensberater, heute aber vor allem für die inzwischen älter gewordene
Erlebnisgeneration ein Stück Heimat. Sie war und ist zugleich wichtig für den
deutschsprachigen Autorenkreis, der in Israel aktiv ist.
Die erste uns bekannte Bukowiner deutschsprachige Publikation außerhalb des Buchenlandes
ist während des ersten Weltkrieges in der Zeit der russischen Okkupation der Nordbukowina
in Prag erschienen als Beilage der Bohemia, ein Nachrichtenblatt für
die Bukowiner in der Fremde unter dem Titel Bukowiner Bote, redigiert
vom Czernowitzer Martin Flinker.
Luzian Geier (KK)
Moloch wider Gestrüpp
Gegendarstellung Rudolf Benls zur Gegendarstellung Dietmar Stutzers
Die Debatte zwischen unseren beiden Autoren Dietmar Stutzer und Rudolf Benl über
die Darstellung des östlichen Europa aus Brüsseler Sicht geht in eine weitere und
hoffentlich bewußtseinserweiternde Runde.
Dietmar Stutzer führt die Tatsache, daß in seinem Beitrag (KK 1185)
Aspekte fehlen, die in einer sich Fragen der ostdeutschen Kultur und Geschichte sich
widmenden Zeitschrift von vorrangigem Belang sind und die ich in meinem Beitrag (KK 1189) ergänzend angesprochen habe, darauf zurück, daß ihm
weniger Platz zur Verfügung gestanden habe als zwei Monate später mir. Das berührt
zumindest merkwürdig. Wenn er aber wußte, daß ihm für seine Bemerkungen zu den
EU-Steckbriefen weniger Platz eingeräumt ist, als es wünschenswert wäre, dann hätte er
den Vorrang dessen, was in einer Zeitschrift der genannten Art infolge ihrer
Zweckbestimmung in erster Linie am Platze ist, beachten müssen. Das hätte hier bedeutet:
den Vorrang dessen, was in den Steckbriefen zur ostdeutschen Geschichte und Kultur gesagt
(oder nicht gesagt) wird.
Selbst wenn man das Bestehen der heutigen Krakauer Universität mit dem ersten,
fehlgeschlagenen Gründungsversuch des Jahres 1364 einsetzen läßt, wäre die Krakauer
Hochschule nicht die drittälteste in Europa. War denn das 1222 gegründete
studium zu Padua die erste europäische Universität? Gab es die
Universitäten zu Bologna, Paris, Oxford, Cambridge und Montpellier nicht schon früher?
Die Pariser Universitätsstatuten stammen aus dem Jahre 1215. Und lag vor der 1348
erfolgten Gründung der Prager Universität nicht noch die Errichtung zahlreicher anderer
Universitäten? Zu nennen wären Neapel (1224), Toulouse, Avignon (1303), Cahors (1332),
die Universitäten auf der iberischen Halbinsel Salamanca (1218), Lissabon/Coimbra,
Lérida, Valladolid (1346), Perugia (1308), Pisa (1346). All diese Universitäten liegen
zeitlich vor Prag, die Eröffnung von einem weiteren halben Dutzend von Universitäten
darunter die berühmte von Pavia ist zwar nach 1348 erfolgt, doch vor 1364.
Aber der Ansatz 1364 für die Krakauer Universität ist, wie Dietmar Stutzer selbst
andeutet, ja gar nicht angängig. Schon der Name Jagiellonische Universität
zeigt an, daß sie auf den ersten Jagiellonenkönig zurückgeht, also ins Jahr 1400 zu
datieren ist. Vor diesem Jahr liegt aber wenn man nur Deutschland ins Auge faßt
nicht allein Heidelberg (1386), sondern auch Wien (1365/1377), Köln (1388) und
Erfurt (1392).
Wenn den Verfassern der Steckbriefe die Aufgabe gestellt worden wäre, die italienischen
und die französischen Kulturleistungen ebenfalls in jeweils nur acht Zeilen darzustellen,
hätten sicherlich auch Manzoni und Racine weggelassen werden müssen. Und vermag sich
Dietmar Stutzer nicht die deftigen bis heftigen Worte vorzustellen, die
Deutsche, insbesondere ostdeutsche Vertriebene, finden könnten, wenn ihre Geschichte
schlichtweg ignoriert oder verdreht wird und etwa Kopernikus so schlankweg den polnischen
Kulturleistungen zugeordnet wird? Daran Kritik in seinem Beitrag zu üben, hat er nicht
für vorrangig erforderlich gehalten (siehe oben).
Im übrigen bestätigen Dietmar Stutzers abschließende Sätze nur das, was auch ich über
die Brüsseler Bürokratie geschrieben habe. Ich hatte von einem zentralistischen
bürokratischen Moloch geschrieben, er spricht von einem undurchdringlichen
Gestrüpp und von Geschäftsstellen für und von fast allem und jedem.
Hier besteht wohl kein sehr großer Unterschied der Sichtweise.
Rudolf Benl (KK)
Seelsorger als Feuerwehrmann
Der Breslauer Priester Hubert Thienel hat das unselige Jahrhundert nicht nur
erlitten, sondern auch gestaltet
Manche zu Lustigem aufgelegte Leute sahen in ihnen die Länge und Breite der sehr
ausgedehnten Erzdiözese Breslau verkörpert: in Hubert Thienel und Gerhard Moschner, die
beide Kardinal Bertram als Domvikare dienten, der eine sehr schlank und hochaufgeschossen,
der andere zu barocker Fülle neigend, ersterer für die weibliche, letzterer für die
männliche Jugend zuständig.
Thienel wurde vor 100 Jahren, am 10. Oktober 1904, in Trebnitz geboren, wuchs dort und in
Schweidnitz auf, war als Jugendbewegter im Quickborn, empfing 1930 die
Priesterweihe und bewährte sich in siebenjähriger Arbeit als Kaplan im Breslauer
Arbeiterviertel Tschepine. Kardinal Bertram ernannte ihn 1937 zum Diözesanpräses für
die weibliche Jugend und zum Domvikar. Obwohl Thienels eifriges Wirken den
Nationalsozialisten, die ja auf die Gewinnung der Jugend besonderes Gewicht legten, ein
Dorn im Auge war und die Gestapo ihn 39mal verhörte, kam er anscheinend nie hinter
Gitter. 1946 verließ er Schlesien, nachdem ihn der Kölner Erzbischof Frings zum
Referenten für die weibliche Jugend der Bischöflichen Hauptstelle für Jugendarbeit zu
Altenberg berufen hatte, von wo aus er an der Gründung des Bundes der Deutschen
Katholischen Jugend mitwirkte.
1972 kam für den 67jährigen Ruheständler ein beruflicher Neuanfang: Er übernahm die
Leitung der Katholischen Arbeitstelle für Heimatvertriebene (Nord) und wurde Sprecher der
vertriebenen Priester aus der Erzdiözese Breslau. Und nach der Herauslösung der
Bistümer jenseits von Oder und Neisse und deren Eingliederung in die polnische
Kirchenorganisation, die großen Ärger bei Heimatvertriebenen erzeuge, ernannte Papst
Paul VI. Hubert Thienel zum Apostolischen Visitator der Priester und Gläubigen aus dem
Erzbistum Breslau in der Bundesrepublik mit allen Vollmachten eines residierenden
Bischofs.
Thienel mußte die aufgeregten Gemüter als eine Art Feuerwehrmann besänftigen, war
Seelsorger, Prediger und Helfer, rief 1974 den Heimatbrief der Katholiken des
Erzbistums Breslau ins Leben und gehörte dem Ständigen Rat der Deutschen
Bischofskonferenz an. Der klarsichtige, mitfühlende und würdige Repräsentant hegte
keine Berührungsängste gegenüber den ostdeutschen Landsmannschaften, wie sein Mitwirken
bei den Festschriften für Herbert Czaja (1984) und Herbert Hupka (1985) beweist.
1983 nahm der Papst das Rücktrittsgesuch Thienels, der u. a. das Große Verdienstkreuz
der Bundesrepublik Deutschland erhalten hatte, an, und am 23. Dezember 1987 verstarb der
schlesische Priester in Düsseldorf.
Hans-Ludwig Abmeier (KK)
Bücher und Medien
Die kommunistische Umgestaltung der Land- zur Mißwirtschaft
Franz Marschang: Am Wegrand der Geschichte. Band II: Im Netz der Staatsgüter,
R.-G.-Fischer-Verlag, Frankfurt am Main 2004
Gerd Mann ist wieder im Banat. Er hat die Dobrudscha hinter sich gelassen und ist
jetzt Tierarzt in einer Staatsfarm in Wojteg. Im Südosten Rumäniens hat der junge Mann
erlebt, wie die Bauern entrechtet und in die Kolchose gezwungen wurden: der Anfang
einer mehrere Jahrzehnte dauernden Misswirtschaft, die schließlich im Ruin enden wird.
Nach dem Roman Morgenrot der Kolchose hat der 1932 im Banat geborene
Schriftsteller Franz Marschang im Abstand von zwei Jahren jetzt den zweiten Band der
Tetralogie vorgelegt. Ins Netzwerk der Staatsgüter gerät Gerd Mann, der
schon im ersten Roman die Hauptgestalt ist.
Nach seiner Rückkehr ins Banat stellt Gerd fest: Es hat sich viel verändert
in den letzten Jahren . Rumänien bis Sommer 1944 Kriegspartner Hitlers
hatte eine Kehrtwende vollzogen; man wollte auf der richtigen Seite sein. Mit dieser
Strategie war man schon im Ersten Weltkrieg gut gefahren. Allerdings ahnten König und
Putschisten nicht, daß sie diesmal sich selbst und auf lange Sicht
dem Land mit dem Umsturz das Grab schaufeln. Als ,Befreier vom Faschismus kamen
nicht die Engländer vom Balkan her, es kam vielmehr die Rote Armee des Welteroberers aus
dem Kreml. Und der sprang mit Königen und deren Reich auf seine Weise um.
In den Häusern der Banater Schwaben, die, soweit sie arbeitsfähig waren, seit Januar
1945 in sowjetischen Arbeitslagern gegen den Hungertod kämpften, hat der König
Kolonisten einquartiert, die sich den zurückgebliebenen Frauen und alten Männern
deutscher Nationalität gegenüber als die neuen Herren aufspielen.
Mit dieser und ähnlichen Rückblenden, eingebettet in die Handlung des Romans, bringt der
Autor dem Leser Banater Geschichte näher. Gerd Mann erlebt das Massensterben der Ferkel
in der Wojteger Kolchose, Fliegen- und Rattenplagen. Tierseuchen kommen und gehen. Mit
Tricks in der Buchhaltung werden Mißstände, Futtermangel, kommunistische
Mangelwirtschaft vertuscht.
Gerd Mann trifft Resi Hagel, eine alte Bekannte, wieder. Als junge Redakteurin
recherchiert sie zum Thema Wasser im Banat und stellt fest, daß in nur anderthalb
Jahrzehnten Kommunismus das gesamte Banater Entwässerungssystem kaputtgemacht worden ist,
für dessen Ausbau die Siedler 200 Jahre gebraucht hatten. Rohr und Schilf wachsen
üppig, Kanäle sind aus Unwissenheit zugeschüttet worden. Das Kanalnetz soll von Schlamm
befreit werden. So will es die allmächtige kommunistische Partei. Heimkehrer aus den
russischen Arbeitslagern, aus der Deportation in der Donautiefebene oder aus den Lagern am
Donau-Schwarzmeer-Kanal müssen auf Befehl zu Schaufel und Spaten greifen und
freiwilligen Arbeitsdienst leisten.
Resi recherchiert weiter: Der Bericht über das Bergstädtchen Orawitz darf in der Zeitung
in Temeswar nicht so erscheinen, wie er geschrieben ist. Das Veto der Pressekontrolle
steht dem im Weg. Die Leute sollen die Wahrheit nicht erfahren. Der Leser soll nicht
erfahren, daß in Orawitz schon ein halbes Jahrhundert, bevor die ersten Eisenöfen in
Reschitz, der Hochburg der Banater Montanindustrie, erbaut wurden, der erste Kupferofen
angeblasen worden war. Mit seinem Kupfer erlangte der Donauhafen Mitte des 18.
Jahrhunderts europäischen Ruf. Auch sonst hatte Orawitz Vorreiterfunktion im
südosteuropäischen Raum: Hier ist die erste Eisenbahn gefahren, hier wurden die
erste Bergbauschule und das erste Theater eröffnet.
Während Gerd versucht, die sozialistische Viehzucht auf Vordermann zu bringen, setzen
Offiziere des rumänischen Geheimdienstes einiges daran, ihn in ihre Fänge zu kriegen. Er
setzt sich aber erfolgreich zur Wehr gegen diese Männer, die gleich nach dem Krieg mit
Folter die Herausgabe von Gold erwirkt, aber auch manchen in den Tod getrieben haben.
Der zweite Band der Tetralogie klingt mit Resis und Gerds Versöhnung aus. Seit
Weihnachten war Resi verstimmt, weil Gerd eine ehemalige Bekannte aus der Dobrudscha in
seiner Wohnung auf dem Staatsgut aufgenommen hatte. Das Mißverständnis ist
ausgeräumt. Der Leser ist gespannt auf das, was der dritte Band bieten wird. Hoffentlich
genauso viel Kurzweil und landschaftsgeschichtliche Einblicke wie die beiden ersten
Bände.
Johann Steiner (KK)
Erhellend und deprimierend: Heimaterkenntnis mit Ohropax
Wolfgang Bittner: Überschreiten die Grenze. Gedichte und ein Reise-Essay.
Athena-Verlag Oberhausen/mediamorphonis Wroclaw 2004, 223 S.
Wolfgang Bittner, mit über 40 Büchern für Erwachsene, Jugendliche und
Kinder in den Buchandlungen präsent, war 1990 nach der Wende das erste Mal wieder
in seiner Geburtstadt Gleiwitz, inzwischen fast 50 Jahre alt. Als er vier Jahre alt war,
war er zusammen mit seiner Mutter aus der Heimat vertrieben worden. Der in Niedersachsen
aufgewachsene Oberschlesier wurde promovierter Jurist und Schriftsteller, jetzt mit
Wohnsitz in Köln. Zu all dem, was Heimat meint und bedeutet, hatte er in den ersten
Jahrzehnten seines Lebenslaufes ein verweigerndes Verhaltnis. Als er 1979 den Förderpreis
des Kulturpreises Schlesien des Landes Niedersachsen erhielt, weil man einen gebürtigen
Schlesier aufgrund seines Herkommens und der Schriftstellerei, diese ohne Bezug zu
Schlesien, auszeichnen wollte, äußerte er sich deutlich distanziert: Ich muß
gestehen, daß ich einen solchen Preis für zumindest problematisch halte. Die ehemaligen
Schlesier sind heute in der Bundesrepublik Deutschland voll eingegliedert; das frühere
Schlesien ist heute polnisches Staatsgebiet. Aber er fügte hinzu: Auch ich
habe noch ein sehr intensives Verhältnis zu dem Land, in dem ich geboren bin und das ich
mich nicht scheue, Heimat zu nennen (wenngleich dieser Begriff hierzulande gerade mal
wieder modern geworden ist und breitgetreten zu werden droht).
Seit diesem ersten Besuch in Gleiwitz kommt Wolfgang Bittner nicht von der Heimat los,
viele Veröffentlichungen haben die Wiederbegegnung mit der Heimat zum Inhalt und zugleich
den Dialog zwischen Deutschen und Polen. Hier kommt der ehedem klassenkämpferisch
agierende politische Mensch Bittner als ein Mitbürger zu Wort, der die Verständigung mit
den Nachbarn und das Miteinander allen Sprachbarrieren zum Trotz anstrebt.
Das vorliegende Buch, ein Jahr nach dem Buch Gleiwitz heißt heute Gliwice,
wiederum zweisprachig angelegt, schließt mit einem Bericht über eine Reise auf der Suche
nach Spuren der Familie in Ober- und Niederschlesien. Bereits im ersten Satz heißt das
Urteil: erhellend und deprimierend. Der im eigenen Auto durch das Land
fahrende Autor findet mit Ausnahme seiner Geburtsstadt das Gesuchte nicht oder steht vor
Ruinen und tritt in Wildwuchs. Außerdem bereitet die Sprache die größte Schwierigkeit,
er selbst spricht nicht Polnisch, und es ist ein unerwartetes Geschenk, wenn er jemandem
begegnet, der ihm auf deutsch eine Wegweisung geben kann. Erstaunlich ist, mit welch einem
Erinnerungsvermögen der einst Vierjährige Bescheid zu wissen behauptet. Die Vorgaben
stammen wohl ausschließlich aus den Berichten im Elternhaus. Die Fahrtroute ist genau
abgesteckt, aber um so mehr verwundert, daß die Schätze Schlesiens wie etwa das unweit
Münsterberg gelegene herrliche Kloster Heinrichau mit den überraschenden Zeilen abgetan
wird: Die Ortschaft Henryków (sic!) beginnt erst einige Kilometer weiter, wo ich
wieder auf die Landstraße treffe, am Ortsausgang inmitten eines Parks eine weitläufige
Klosteranlage.
Im vorderen Hauptteil des Buches sind über 70 Gedichte abgedruckt, von nahezu 20
Übersetzern ins Polnische übertragen. Die Mehrzahl der Übersetzungen stammt von dem
bereits andernorts ausgezeichneten Edmund Bialek. Über das Gelingen der Übersetzungen
kann der Rezensent leider keine Auskunft erteilen. Die vielen, vielleicht allzu vielen
Gedichte sind in sechs Gruppen unterteilt, hier findet sich auch der Titel des Buches
Grenzüberschreitungen wieder. Es sind lauter reimlose, rhythmisierte Aussagen
über des Schriftstellers Alltag, einige greifen das Thema Auschwitz und das der deutschen
Diktatur der Nationalsozialisten auf. Auch in den Gedichten wiederholt sich das bittere
Gefühl der Trennung, sprachlich und damit auch geistig, zwischen dem in Schlesien
Geborenen und den neuen Bewohnern, die jetzt hier auch Heimat haben. Die Zeile
Niemand erwidert meinen Gruß kehrt in Variationen wieder. Stolz wird die
Zeile Dzien dobry für Guten Tag gleichsam befreiend eingefügt.
Ich sitze auf der Gartenbank und führe Tagebuch: Unter der Überschrift
Wolski-Park wird beschrieben, was um einen herum geschieht, die Begegnungen
mit Unbekannten, die auch unbekannt bleiben, die Geräusche des Rasenmähers und das
Lärmen der Kinder oder das Lied der Lerchen. Auch das wird mitgeteilt: Seit langem
schon schlafe ich mit Ohropax. Der Dichtende schließt sich ein, nimmt das Telefon
nicht ab, macht die Tür dem Anklopfenden nicht auf. Bei all diesen Lebensumständen, die
für berichtenswert gehalten werden, gefällt dem Leser das gute, treffende Deutsch.
Die größte Freude an diesem Buch hat wohl derjenige, der bisher keine Zeile von Wolfgang
Bittner gelesen hat, denn wer seine Texte schon oft hat lesen können, stößt allzu oft
auf Wiederholungen.
Herbert Hupka (KK)
Auch in den Augen der Pferde brach eine Welt zusammen
Natürlich war allein die Tatsache ein Verdienst, daß das ZDF in seinem
Magazin Frontal zur besten Sendezeit am 5. Oktober an den vor 60 Jahren
beginnenden Untergang auch der Trakehner Ostpreußens, der durch die Literatur wohl
zur berühmtesten Warmblutrasse Europas gemachten Pferde mit der
Elchschaufel, erinnert hat. Ein paar der gezeigten Bilder von den Pferden vor
den Treckwagen in den Winterstürmen 1944 und dann der toten Pferde der Trecks, die unter
den Fliegerbeschuß und die Panzerketten der Roten Armee geraten waren, können auch nicht
oft genug gezeigt werden. Das Inferno Ostpreußens etwas später auch das
Schlesiens hat sich auch in Hekatomben brechender Augen sterbender
Pferde gespiegelt. Auch das ist geschichtliche Wahrheit.
Verdienstvoll war auch die Erinnerung daran, daß die ostpreußische Katastrophe
vorsätzlich verschuldet wurde, weil die Vertreter der NSDAP und der Zivilverwaltung
absichtlich alle Räumungsbefehle nicht nur verzögert, sondern bis zum letzten Augenblick
gezielt verhindert haben. Den Grund hat Hannah Arendt nach ihren Beobachtungen bei den
Nürnberger Prozessen genannt: Man kann sich nicht vorstellen, welche grauen
wesenlosen Männchen die NS-Größen waren, als sie ihre Uniformen und ihre Machtinsignien
nicht mehr hatten! Es hätte gut getan, wenn dieses Zitat vor allem bei der
Erwähnung des Gauleiters Koch verwendet worden wäre, denn in der Bemerkung von Hannah
Arendt findet sich der Grund für die verbrecherische Saumseligkeit der deutschen
Behörden gegenüber der heranrückenden Sowjetarmee 1944. Sie wollten noch ein paar
Tage oder Wochen länger die sein, die zu sein sie glaubten.
Längst besteht Einigkeit darüber, daß die Mehrheit der ostpreußischen Trecks, die
schließlich die Danziger Bucht doch erreicht haben, dort ohne die Trakehner nicht
angekommen wären. Es war wohl das letzte Mal, daß Tiere so viele Menschen aus einem
selbstverschuldeten Inferno gerettet haben. Ob dabei 50 000 Trakehner zugrundegegangen
sind, wie das ZDF angegeben hat, 5000, 500 oder 50, das ist für den ohne Bedeutung, der
einmal vor seinem sterbenden Pferd gemeint hat, der Schmerz schwemme ihn in einen Hades
endloser Trauer.
Doch ganz so schlimm, wie es der ZDF-Bericht glauben machen konnte, ist es doch nicht
gekommen, die Trakehnerzucht ist nicht untergegangen. Die sowjetische Armee, in der es
nicht am Pferdeverstand und an Kenntnissen der großen Zuchten Europas gefehlt hat, haben
Hunderte der besten Stuten bis ans Kaspische Meer verbracht, wo sie sich brillant bewährt
haben, und im Westen haben die Gestüte Dillenburg und Celle mit Hunnesrück im Solling
die Rasse unter großen Anstrengungen erhalten, die auch in der Kulturgeschichte getrost
etwas mehr gewürdigt werden könnten. In Neumünster in Holstein gibt es seit
Jahrzehnten einen Trakehner-Zuchtverband mit einem Stutbuch, das eine Fortsetzung der
Trakehnertradition ist.
Doch am meisten vermißt wurden Hintergrundinformationen dazu, warum denn nun eigentlich
die Trakehner eine Pferderasse von so einzigartiger Berühmtheit werden konnten. Nämlich
deshalb, weil Preußen eben doch oder vor allem ein Vernunftstaat gewesen
ist. Der preußische Staat hat unter immensen Kosten die Bauern bei seiner
Pferdezucht mithalten lassen. Das Besondere an Trakehnen war, daß eine Hochrasse auf
englischer und orientalischer Blutbasis zugleich ein Bauernpferd geworden ist und bewußt
nicht als Kavalierspferd gezüchtet wurde. (Höher als bis zum Landstallmeister in
Ostpreußen konnte übrigens ein irdisches Leben kaum steigen.)
Das haben schon die beiden Autoren der ersten tabellenstatischen Darstellung eines
Gesamtstaates in der europäischen Wissenschaftsgeschichte, Von der preußischen
Monarchie unter Friedrich dem Großen, Mirabeau und Mauvillon, 1787 so gesehen.
(Eines Mangels an Kritik an Preußen sind sie völlig unverdächtig.) Bei ihnen heißt es:
Die deutschen Ritter, die dieß Land besiedelten, brachten Pferde von allen
Racen mit, auch vom Orient. Sie beförderten die Fortpflanzung und diese Thierart kam in
den fetten Weiden dieses fruchtbaren Bodes sehr gut fort ... Auf dieser
Grundlage haben die Herzöge und nachmaligen Könige von Preußen große Stutereyen
angelegt. Ehemals gab es deren verschiedene in Preußisch-Litthauen als zu Althof,
Insterburg, Ragnitt und Schreitlanken ... In Stallupöhnen und Szirgupöhnen
vereinigte der Vater des jetzigen Königs alle hier und da gelegenen Stutereyen zu einer
einzigen, zu welcher sehr weitläufige Gebäude aufgeführt wurden. Diese Anlage, die man
das Stutamt nennt, ist eine der Sehenswürdigkeiten in Preußen und wahrlich einzigartig.
In Trakehnen ist der Hauptort des ganzen Stutamtes. Dort befinden sich die Beschäler und
die schwarzbraunen Stuten. In Kalpakin zieht man die hellbraunen Stuten an, Gudin ist
für die Fuchsstuten bestimmt, Borjogallen für die Schimmel und Schäcken. Gurzen für
die Rappen. Jonasthal enthält die Maulthiere und jungen Hengste. Diese unermeßliche
Stuterey ist nicht nur schön, sie ist auch einträglich ... Der Landesherr erlaubt seit
jeher den Bauern, ihre Stuten von seinen Beschälern belegen zu lassen ... Auch der
Agrarfeudalismus hatte also einmal viele Gesichter, rund um die Pferde herrschte in
Preußen soziale Gleichheit.
Ernst Wiechert hat seinen mystischen moralischen Rigorismus meist an Gestalten
festgemacht, die Litauer sind und an ihren Pferden: Der Donelaitis und der
Kutscher Christoph in Missa sine nomine halten Trakehner an ihren Zügeln. Sie
haben die Treckwagen der Brüder des Freiherrn Amadeus bis in die Rhön gezogen.
Einst war das Bild des ostpreußischen Frühlings allgegenwärtig: Gespanne vor der Egge,
der Drillmaschine oder dann, im Grün der Sommersaaten, vor dem Unkrautstriegel, darüber
die hohen Himmel des baltischen Klimas, mit dem Zug heller Wolken früher
Sommer dazu das helle Licht später Abende des Nordens, über den Seen, an denen
die Gespanne zum Hof zurückkehrten. Die Trakehner haben überlebt und leben, wie sie
immer gelebt haben. Auch in ihnen begegnet uns das tempus non erit amplius der
Offenbarung.
Dietmar Stutzer (KK)
Schlesien als Hort der Sentimentalität und das Fernsehen als ihr getreuer
Hüter
Zur besten Sendezeit, 20.15 bis 21.00 Uhr, hatte das Zweite Deutsche
Fernsehen Schlesien im Programm (28. September und 5. Oktober). Einen Monat hat Thomas
Euting, Leiter des ZDF-Landesstudios Sachsen in Dresden, Schlesien bereist, wie berichtet
wurde. Während der vorgeschalteten Erkundungsfahrt war er, der spätere
Drehbuchschreiber, in Oberschlesien auf das vorbildlich restaurierte Schloß Planiowitz,
früher Kreis Tost-Gleiwitz, von den Nationalsozialisten in Flössingen umbenannt, Sitz
der Grafen-Familie Ballestrem, gestoßen. Für das Filmprojekt wurde gleich die Verbindung
mit dem heute in Straubing lebenden Senior der Familie, Valentin Graf Ballestrem,
aufgenommen, der Graf wurde in einem zweimotorigen Flugzeug abgeholt und in die Heimat
eingeflogen. Neun Jahre war er nicht mehr daheim, jetzt stand der 75jährige im
Mittelpunkt des Auftakts dieser Sendefolge. Sein polnischer Gesprächspartner war der
Ortspfarrer Professor Dr. Krystian Worbs. Auch zu einem Besuch in Ruda im einstigen Besitz
der Kohlegruben war Zeit. Der tiefe katholische Glaube wurde dadurch demonstriert, daß
einem kranken Kind, in Großaufnahme, die Hostie der Kommunion in den Mund gesteckt wurde.
(Das mußte nicht sein!)
Der Untertitel der ersten Sendung hieß Der Graf und die Kohlendiebe, ein
plakativer Gegensatz, und es wurde gefilmt, wie an einem gerade anhaltenden und gleich
wieder weiterfahrenden Güterzug Kohlendiebe am Werk waren. Zugleich wurde die soziale Not
der Bergarbeiter angesichts der düsteren Perspektiven für eine ertragreiche
Kohlenförderung verdeutlicht. Im zweiten Film waren es Bauern und Waldarbeiter, die in
ihrer Armut vorgeführt wurden.
Der zweite Film setzte auch mit einem deutschen Schicksal ein. Nachdem bereits die
Frankfurter Allgemeine Zeitung auf einer ganzen Feuilletonseite darüber
berichtet hatte, stattete man Frau Pohl, heute hoch in den neunziger Jahren, im
Riesengebirge einen Besuch ab. Sie war im Krieg aus Breslau gekommen und konnte nicht mehr
in die Heimatstadt zurück. Eine Schwägerin des Schriftstellers Gerhart Pohl, der das
Buch Bin ich noch in meinem Haus über die letzten Tage Gerhart Hauptmanns
geschrieben hat. Aber Agnetendorf, wo Gerhart Hauptmann 45 Jahre gelebt hat und gestorben
ist, ließ sich der Kameramann leider entgehen, obwohl es doch schon geographisch nahe
gelegen hätte.
Im ersten Film kam auch der Gründer und tapfere Wortführer der Deutschen
Freundschaftskreise in Oberschlesien nach der Wende von 1989, der Tischler und Imker und
Privatgelehrte Blasjus Hanczuch, zu Wort. Das ganz nahe Hultschiner Ländchen wurde dann
zwar angesprochen, aber nicht besucht. Noch einmal wurde, jetzt im zweiten Film, das
deutsche Schlesien Gegenwart, als eine Heimwehtouristin in Hennersdorf im Kreise Ohlau vor
dem Haus ihrer Eltern und vor dem zu ihrem Lebenslauf gehörenden Kastanienbaum stand. Mit
der Familie der polnischen Hausbewohner gab es ein herzliches Einvernehmen. Einen in
Breslau lebenden Polen aus Lemberg, nach einem Verhör durch die Gestapo, wie berichtet
wurde, blind geworden, begleitete das Fernsehen in seine alte Lemberger Wohnung, die er
nach Kriegsende als Vertriebener hatte verlassen müssen. Auch hier war die Stadt Lemberg
leider kein Bildobjekt.
Zwar wurden politische Aussagen bewußt vermieden, aber die Gleichung war wiederholt zu
vernehmen: Ihr Deutschen seid vertrieben worden, dafür sollte man Verständnis haben,
denn auch die Polen sind vertrieben worden. Vertreibung heißt Vertreibung, nur waren die
Begleitumstände ganz andere, außerdem war Ostpolen ein kriegerisch erobertes Land, und
neun Millionen Deutsche mußten nicht vertrieben werden, um Platz für anderthalb
Millionen Polen zu machen.
Schlesien als Landschaft, Breslau als Stadt waren nicht Thema der beiden Filme. Man
besuchte zwar die Friedenskirche in Jauer und auch Schlesiens Hauptstadt, aber von Breslau
vernahm man nur eine Freilichtaufführung von Puccinis Tosca an mehreren
Plätzen der Stadt. Die Landschaft, wenn sie schon spärlich genug eingeblendet wurde,
durfte man nur (eine alte Kulturfilm-Unsitte) mit Musik genießen. Diese erschlug sogar
einige Gespräche. Überhaupt, Glanzleistungen waren beide Filme nicht, gut gemeint, und
mehr als sentimental.
Herbert Hupka (KK)
Der Deutschlandfunk macht Zeitzeugen von Diktatur, Flucht und Vertreibung zu
Autoren
Ab Ende November 2004 widmet sich der Deutschlandfunk zwei Wochen lang
ausführlich dem Thema Flucht und Vertreibung. In einem Interview für den
Deutschen Ostdienst / DOD (Ausgabe Dezember 2004) gibt der Programm-Direktor von
Deutschlandfunk und Deutschlandradio Berlin, Dr. Günter Müchler, Auskunft über die
Hintergründe und Inhalte dieses Programm-Schwerpunktes. Der Beginn von Flucht und
Vertreibung der Deutschen aus den früheren deutschen Ostgebieten und aus Ost- und
Südosteuropa vor knapp 60 Jahren sei ein Kalenderdatum, das Anlaß gebe, sich zu
erinnern, stellt Müchler fest. Es gebe aber noch einen anderen, tiefer liegenden Grund,
sich intensiv mit dem Thema zu beschäftigen. Flucht und Vertreibung als
Massenschicksal am Ende des Krieges war über Jahrzehnte bei uns tabuisiert
so Müchler wörtlich. Man glaubte, die Täter-Rolle Deutschlands würde
relativiert, wenn man darüber spreche, daß viele Deutsche auch Opfer geworden sind. Das
war unvernünftig und auch ungerecht gegenüber den Vertriebenen. Dadurch, daß die
historischen Ereignisse öffentlich beschwiegen wurden, mutete man ihnen zu, ihr Schicksal
gewissermaßen zu privatisieren. Inzwischen ist ein freier Diskurs über diesen
Zeitabschnitt möglich. Ich finde das erfreulich.
Bereits zu Beginn des Jahres hatte der Deutschlandfunk dazu aufgerufen,
Zeitzeugen-Berichte über Flucht und Vertreibung einzusenden. Die Resonanz auf diese
Aufforderung sei buchstäblich überwältigend gewesen, teilt der
Programm-Direktor mit. Es seien mehr als 1 300 Briefe, Dokumente,
Tagebuchaufzeichnungen eingegangen mit durchschnittlich jeweils 30 Seiten. Die aufwendige
Aufgabe der Redaktion sei es gewesen, diese persönlichen Mitteilungen zu ordnen, zu
bearbeiten und was besonders schmerzhaft und mühsam gewesen sei für die
Veröffentlichung auszuwählen. Diese Augenzeugenberichte sollen nun in einer 14-tägigen
Reihe ab 29. November 2004, jeweils um 8.20 Uhr im DLF ausgestrahlt werden. Das besonderer
dieser vom Deutschlandfunk gepflegten zeithistorischen Reihen entsprechende
Zeitzeugenberichte gab es anhand von Feldpostbriefen aus den beiden Weltkriegen
sei, daß die Hörerinnen und Hörer die eigentlichen Autoren des Programms seien, sagt
Müchler. Sie schildern ihr Schicksal oder stellen uns Dokumente ihrer Angehörigen
zur Verfügung wir senden.
Innerhalb dieser Zeitzeugenberichte werden einzelne Themen hervorgehoben. Ein Beitrag sei
Die Stunde der Frauen überschrieben, ein anderer befasse sich mit dem
Schicksal der Kinder oder mit der Flucht übers Haff. Zur Sprache komme auch,
wie die Augenzeugen Partei, SS und Wehrmacht in den Tagen größter Not erlebt hätten.
Zwei weitere Beiträge befaßten sich speziell mit dem polnischen Vertriebenen-Schicksal.
Der letzte Beitrag dieser Serie, der am Sonntag, dem 12. Dezember gesendet wird, schildert
die Ankunft im Westen.
Die Zeitzeugen-Serie des DLF wird parallel zur Sendereihe auch als Doppel-CD angeboten.
Außerdem sei eine Buchveröffentlichung zusammen mit der Hamburger Körber-Stiftung
geplant, die den Programm-Schwerpunkt des DLF unterstütze.
Neben den zwar weltweit umfangreichsten, aber leider nicht einzigen
Vertreibungen der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg berichtet der Deutschlandfunk auch
über die anderen großen Flucht- und Vertreibungswellen im 20. Jahrhundert. In drei
Teilen geht zum Beispiel die Sendung Gesichter Europas (samstags 11.05
12.00 Uhr) exemplarisch auf die Ursachen und Folgen der großen Fluchtbewegungen ein und
dokumentiert damit die europäische Dimension dieses Themas. Das Feature Sehnsucht
nach dem Ararat: Armenien und das Trauma der Vergangenheit schildert die Schrecken
der türkischen Verfolgung nach dem Zusammenbruch des osmanischen Reiches. Ein Teil der
Sendungen lenkt den Blick auf die polnische Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg, als
durch die Westverschiebung der polnischen Grenzen durch Josef Stalin tausende von Polen
zwangsumgesiedelt wurden. Und schließlich werden mit den Ereignissen in
Bosnien-Herzegowina, Kosovo und Serbien in den 90er-Jahren des 20. Jahrhunderts
Flüchtlingsschicksale der Gegenwart aufgegriffen.
Am Montag, dem 13. Dezember (18.40-19.00 Uhr), widmet sich eine Hintergrund-Sendung der
Zielsetzung und den Inhalten des geplanten Zentrums gegen Vertreibungen und
den politischen Auseinandersetzungen darüber.
Flucht und Vertreibung so das Fazit des Programm-Direktors Dr. Günter
Müchler in seinem Interview mit dem DOD sind Teil unserer kollektiven
Erinnerung. Wir müssen darüber sprechen: Nüchtern und doch mit Anteilnahme; den Opfern
zugeneigt, aber ohne die Prima Causa zu vergessen den von Hitler-Deutschland
entfesselten Krieg. Zu diesem Gespräch will der Deutschlandfunk mit seinem
Programm-Schwerpunkt beitragen.
Ute Flögel (KK)
Literatur und Kunst
«Souvenir de Hapsal»
Abseits der großen Straßen ist auch Estland ein geheimnisvolles Reich für den
Entdeckungsreisenden
Natürlich muß man sich Reval / Tallinn anschauen. Auch wenn man findet, daß
die mittelalterlich gewandeten Damen und Herren vor dem Rathaus, die Souvenirs und anderen
Kitsch feilbieten an krampfhaft mittelalterlich anmutenden hölzernen Verkaufsständen, an
denen man auch mit Kreditkarte bezahlen kann, wunderschön zum Puppenstubenimage der Stadt
passen.
Man kann aber auch mit dem Auto z. B. in den Lahemma-Nationalpark (Betonung auf der ersten
Silbe) fahren. Dazu muß man erst einmal in Richtung Narva ein Stück Autobahn fahren, das
unseren Maßstäben so gar nicht entspricht, weder was den Zustand noch was den Verkehr
betrifft. Fußgänger oder Radfahrer gehören dazu, ebenso Bushaltestellen. Und
Wendeschleifen sind ebenfalls eingebaut. Je weiter man sich von der Stadt entfernt, desto
stärker läßt der Verkehr nach. Und auch die Zahl der Verkehrsschilder. Hier ist der
Autofahrer zu selbständigem Denken aufgefordert. Man verläßt beispielsweise bei der
Abfahrt Kuusalu (Betonung auf der ersten Silbe) die Autobahn, fährt weiter Richtung
Muuksi (erste Silbe betonen) nach Kiiu-Aabla, um nach Kap Juminda zu gelangen. Die
Straßen werden schmaler, die Schlaglöcher, vor denen kein Schild warnt, nicht weniger.
Aber es lohnt sich. Kap Juminda ist einer der nördlichsten Punkte Estlands, lediglich das
Kap Pärispea in Sichtweite liegt einige Meter nördlicher. Egal wo, man steht an der
Stelle, an der die Ostsee in den Finnischen Meerbusen übergeht.
Und Kap Juminda ist ein besonderer Ort. Hier steht ein Gedenkstein für eine der
größten, wenn nicht die größte Schiffskatastrophe der Menschheit, auf jeden Fall die
unbekannteste. Ende August 1941 versank hier in einem systematisch gezogenen
Schiffsminengürtel eine Armada von 66 Schiffen. An Bord dieser Schiffe: von den Sowjets
zur Deportation nach Sibirien Verurteilte aus den baltischen Ländern, deren
Bewachungspersonal sowie Soldaten aus dem Baltikum auf dem Rückzug vor den deutschen
Truppen. Ein Schaubild auf dem Gedenkstein zeigt die tiefe Staffelung der Minen, in vier
Sprachen wird der Opfer gedacht, aber wer die Minen gelegt hat, steht nicht dabei. Über
die Internetseite der Estnischen Botschaft in Berlin erfährt man dann aber doch etwas
dazu: der Minengürtel war von Deutschen und Finnen gelegt worden, in der Seeschlacht
fanden etwa 16 000 Menschen den Tod. Über Google erfährt man allenfalls etwas von
Humanoiden, die in den 30er Jahren dort angeblich gesichtet wurden.
Weiterfahren könnte man nach Palmse oder Sagadi. Dabei handelt es sich um Herrenhäuser
der Familien von der Pahlen (Palmse, in ihrem Besitz von 1676 bis 1919) und von Fock
(Sagadi, 1750 bis 1919). Die Geschichte vieler bekannter Familien im Baltikum kennt diesen
Einschnitt: 1919 wurden Litauen, Lettland und Estland selbständig, und eine der ersten
Amtshandlungen war die Enteignung der Güter. Ein Besuch in Palmse bzw. Sagadi lohnt sich,
weil diese beiden Herrenhäuser gut erhalten sind, beide haben auch einen Hoteltrakt. Im
Haupthaus von Palmse ist die Nationalparkverwaltung untergebracht, in Sagadi gibt es ein
Konferenzzentrum, ein Waldmuseum, das u. a. die Verbreitung der Wölfe bis heute zeigt.
Darüber hinaus kann man im Sommer eine ganze Reihe von Holzskulpturen von verschiedenen
internationalen Künstlern betrachten. Den Pleasure Ground ließ einem Gerücht zufolge
einer der Herren von Fock mit Hilfe seiner Leibeigenen zum Geburtstag seiner Frau
innerhalb einer Nacht herrichten.
Ein Buch über Herrenhäuser in Estland listet 874 Rittergüter, 165 Domänen, 22
Stadtgüter sowie 13 Güter im Besitz der Ritterschaften für die Zeit unmittelbar vor
1919 auf. Und das auf einer Fläche von ca. 350 mal 250 Kilometern! Der Großteil davon
ist verfallen, wenn nicht im Zweiten Weltkrieg zerstört, dann danach während der
sowjetischen Besatzungszeit. Doch das Erhaltene lohnt den Besuch.
Wem Reval zu umtriebig ist, der kann z. B. nach Haapsalu (erste Silbe ...) fahren. Die ca.
100 km lange Strecke führt durch eine völlig andere Landschaft. Während in Richtung
Norden Kiefern- und Birkenwälder überwiegen und die Flora häufig hochalpinen Charakter
annimmt kein Wunder bei vier Monaten Sommer und sieben Monaten Winter , wird
es, je weiter südlich man sich von Reval befindet, um so lieblicher.
In Haapsalu scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Die in diesem Jahr 725 Jahre alt
gewordene Burgruine ist eine Gründung der Zisterzienser. Von ihr geht der Blick ins Land
bzw. auf See. Um die Burg herum viele Holzhäuser, leidlich erhalten. Sie prägen den Ort,
in dem Tschaikowsky 1867 einen Sommer verbrachte, was zum Klavierzyklus Souvenir de
Hapsal führte.
Die Attraktion ist freilich der Bahnhof. 1905 wurde die Bahnlinie nach St. Petersburg,
wenig später ein repräsentativer Bahnhof eröffnet. Angeblich sollte der Zar zur
Einweihung kommen. Allein der Herrscher kam nicht, die Stadt blieb auf ihrem 216 m langen
überdachten Bahnsteig sitzen. Heute, da er prächtig renoviert ist, mag man sich gern
ausmalen, was gewesen wäre, wenn ... Ein paar Lokomotiven und Waggons stellen ein
Eisenbahnmuseum dar, was angesichts der Tatsache, daß der Zugverkehr nach Haapsalu
eingestellt worden ist, eher wehmütig stimmt.
Ebenfalls mit Mitteln der EU wurde der Kursaal restauriert. Auch dieser Bau eine lichte
Holzkonstruktion mit atemberaubendem Ausblick auf die Bucht. Man kann hier gut essen, muß
allerdings viel Zeit mitbringen. Eine Stunde kann es schon dauern, bis das Essen kommt.
Das gilt übrigens auch für die Restaurants in den Herrenhäusern. Das macht aber nichts.
Man kann sich in aller Ruhe umschauen, was an den Nachbartischen geschieht, dem Singsang
der estnischen Sprache mit ihren vierzehn Fällen lauschen oder dem estnischen Bier
zusprechen.
Auf dem Rückweg nach Reval oder schon auf der Hinfahrt nach Haapsalu sollte man noch
einen kleinen Umweg einplanen. In Taebla lebte einst Ants Leikmaa. Mit der Gründung der
Estnischen Kunstakademie in Reval 1902 gilt er als Urvater der estnischen Kunstszene. In
Taebla hat er sich im Wald nach eigenen Entwürfen ein für heutige Begriffe skurriles
Haus gebaut, das mittlerweile so etwas wie ein nationales Heiligtum ist. 1891 ging er zu
Fuß von seinem Heimatdorf Vigala nach Düsseldorf, um sich dort an der
Kunstakademie zum Maler ausbilden zu lassen. Künstlerreisen nach Italien und Nordafrika
folgten. Im Haus in Taebla sind viele Reproduktionen seiner Bilder ausgehängt, die sowohl
seinen Stilwillen als auch -wandel belegen. Im dazugehörigen Park tragen neun Bäume
Namen von Freunden aus der damaligen estnischen Kunst- und Literaturszene, die auch heute
noch hohes Ansehen genießen. Am beeindruckendsten jedoch die große Zahl wirklich großer
Weinbergschnecken, die ungehindert durch den Park kriechen.
Wie gesagt, man muß nicht in Reval bleiben. Das Land bietet mehr.
Auf der Website der Estnischen Botschaft www.estemb.de
findet man viele gut aufbereitete Informationen auf deutsch, für Autofahrten empfiehlt
sich Regio Eesti teede atlas 1:200 000 (mit englischen Erläuterungen).
Ulrich Schmidt (KK)
Eine Podiumsdiskussion Sechzig Jahre Deportation der Südostdeutschen in die
Sowjetunion u. a. mit Dr. Zoran Janjetovic vom Institut für
Zeitgeschichte, Belgrad, Dr. Pavel Polian von der Universität Freiburg und Prof. Dr. Dr.
Georg Weber, Münster, dem Herausgeber der mehrbändigen Publikation Die
Deportation der Siebenbürger Sachsen in die Sowjetunion 1945-1949,
veranstaltet das Donauschwäbische Zentralmuseum Ulm am 14. Januar 2005, 19 Uhr.
Im Januar 1945 wurden die arbeitsfähigen Südostdeutschen in stalinistische Arbeitslager
deportiert. (KK)
Realismus in aller Stille
Die vor 65 Jahren in Danzig geborene Malerin Roswitha Waechter hält ihre Kunst
erfolgreich jedem Trend fern
Noch nie gab es in der deutschen Kunst so mannigfaltige Stilarten wie in den
Jahren seit dem Weltkrieg: von der Pop Art bis zu informellen und konstruktivistischen
Kompositionen, von Video- und Computerkunst, den jungen Wilden bis zu den
jüngsten Vertretern von Bildern der Stille.
Aus dieser pluralistischen Kunstszene ragt die Malerei der vor 65 Jahren in Danzig
geborenen Roswita Waechter heraus. Seit 1972 lebt sie in Köln und hat die dortigen
Werkschulen als Meisterschülerin von Professor Dieter Kraemer absolviert. Wie die
menschenleeren Landschaften ihrer Kollegen strahlen auch Roswita Waechters Bilder Ruhe und
Harmonie aus. Doch ihre Motive sind Interieurs, in denen sich je ein Mensch befindet,
sitzend, lesend, zeichnend, Radio hörend, ruhend. In jüngster Zeit entstanden auch
mehrfigürliche Kompositionen, etwa das Gemälde Ausflug (2003), das die
Künstlerin wie folgt kommentiert: Das Dargestellte könnte als eine Inszenierung
meines Inmichgekehrtseins betrachtet werden als eine für mich notwendige
Gegenreaktion zur drückenden Gegenwart. Das Bild Zusammenkunft (2004)
bedeutet für die Künstlerin die Vergegenwärtigung eigener jugendlicher Lebensphasen,
ausgelöst von kleinen Schwarzweißfotos, die sie in verschiedenen Altersstufen
darstellen.
Ausgangspunkt ihrer Gemälde ist also stets die echte oder fotografierte Wirklichkeit.
Auch ihre Fensterbilder sind neueren Datums. Die Malerin stellt sich ruhend
vor einem Fenster dar, durch das die Blicke in die weite Landschaft gehen. Die Geometrie
des Fensterrahmens und des Fensterkreuzes bildet den Gegenpol zu den lebendigen Pflanzen.
In ihrem Kölner Atelier in der Sürther Hauptstraße wird man mit zahlreichen
ganzfigurigen Gemälden und Bildnissen konfrontiert. Roswita Waechter könnte eine
gefragte Gesellschaftporträtistin sein, wollte sie die notwendigen Kompromisse eingehen.
Sie müsse jedoch, sagt sie, einen Menschen genau kennen, nicht nur äußerlich, sondern
auch sein Inneres, um ein gültiges Porträt zu liefern wie jene ihrer Familienmitglieder,
Partner oder die Selbstbildnisse. Eine oder zwei Sitzungen des Modells genügen da nicht.
Die Gemälde der Künstlerin sind hauptsächlich auf den großen
Kunstausstellungen im Haus der Kunst zu München, in Berlin und Düsseldorf zu
sehen. Kommerzielle Galerien können sich schwer entschließen, diese stille realistische
Kunst zu zeigen, die abseits des Trends liegt. Auch Museen halten sich zurück, selbst das
einschlägig ausgerichtete Kunstforum Ostdeutsche Galerie in Regensburg.
1951 veröffentlichte die Malerin ihr Buch Erinnerungskette Kindheit, 372
Seiten Text mit 16 Abbildungen. Sie schildert darin die Flucht 1945 aus Tiegenhof bei
Danzig über Westpreußen und die Ostsee in den Westen mit ihrer Mutter, einer
Kriegswitwe, den beiden Brüdern und der Großmutter. Wie in ihren Gemälden begegnet man
auch hier einer positiven Haltung damals freilich auch von kindlicher Naivität
genährt. Nichts vom Schrecken der Flucht und der Vertreibung oder von der Angst vor den
nahenden sowjetischen Truppen. Wir lesen unter anderem: Keine Angst fühlend, war
ich jedoch tief erregt von all diesem Neuen und Unbekannten. Das alles liegt
Jahrzehnte zurück; auch ihre medizinisch-technische Ausbildung und die Anstellung beim
Pharmazeutischen Werk Hoechst, mit der sie anfangs ihren Lebensunterhalt bestreitet.
Seit 30 Jahren widmet sich Roswita Waechter der Kunst, war stets auf handwerkliches
Können bedacht und kann nun stolz auf das blicken, was sie erreicht hat. Ihre jüngste
Malerei weist auch in ihre künstlerische Zukunft.
Günther Ott (KK)
Schrein der Geborgenheit
Im Ostpreußischen Landesmuseum Lüneburg ist eine um 1400 im Deutschordensland
Preußen entstandene Schreinmadonna zu sehen
Maria als Gottesmutter und Ordenspatronin: Um 1400 werden der Heiligen im
Deutschordensland Preußen besondere Kunstwerke gewidmet. Die preußischen Schreinmadonnen
rücken die Ordenspatronin ins Zentrum der Verehrung. Nur sechs dieser Meisterwerke aus
Holz haben die Zeit überdauert. Eines von ihnen ist im Ostpreußischen Landesmuseum in
Lüneburg zu sehen.
Die einzigartige Figurenkonzeption der Schreinmadonnen zeigt im geschlossenen Zustand die
thronende Madonna mit dem Jesuskind. Werden die Seitenteile der Schreinmadonna geöffnet,
offenbart sich eine Schutzmantelmadonna. In ihrem Mittelteil ist der Gnadenstuhl als
Symbol der Dreieinigkeit abgebildet. Entstanden sind die Schreinmadonnen in der Blütezeit
des Deutschordenslandes Preußen, der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, als sich das
Land zu einem der mächtigsten und modernsten Herrschaftsgebiete entwickelte.
Die Schreinmadonna im Ostpreußischen Landesmuseum ist mit 1,32 Metern Höhe nicht nur die
größte, sondern mit ihrem Lächeln und dem verspielt wirkenden Jesuskind auch die
schönste der sechs Schreinmadonnen, die bis heute erhalten sind. In der Mantelinnenseite
erbitten 48 Schutzflehende den Beistand der Gottesmutter. Man kann vermuten, daß neben
König, Papst, Bischof und einem Königspaar auch die preußische Landespatronin Dorothea
von Montau und die vom Orden verehrte Heilige Brigitta (beide auf der linken Seite unten
und oben mit Schleier) abgebildet sind. Die Schar der Betenden dominieren jedoch
Deutschordensritter, die links im Vordergrund knien. Vermutlich handelt es sich um den
Hochmeister Konrad von Jungingen und den Komtur zu Elbing, Konrad von Kyburg.
Ursprünglich für die Kapelle der Deutschordensburg in Elbing bestimmt, findet sich die
Schreinmadonna nach 1500 im Hochaltar der Dominikaner-Klosterkirche wieder. 1525 wird
diese zur evangelischen Hauptkirche St. Marien in Elbing. Die Odyssee der Schreinmadonna
beginnt mit der Kriegszerstörung der Stadt Elbing. Ausgelagert in einem thüringischen
Salzschacht, gelangt sie in die Scheune eines Bauern und 1948 in die katholische Kirche in
Vacha. Erst in den 90er Jahren wird ihre Identität offenbar. Als Dauerleihgabe der Union
Evangelischer Kirchen in der EKD zeigt die Schreinmadonna ihre ganze Schönheit heute im
Ostpreußischen Landesmuseum in Lüneburg.
Besucher können hier das Original bewundern und eine Kunstpostkarte von der
Schreinmadonna mit nach Hause nehmen. Die finanziellen Mittel für die Herstellung
brachten der Verein Freunde des Ostpreußischen Landes- und Jagdmuseums sowie
der aus Preußisch Holland stammende ehrenamtliche Museumsmitarbeiter Gerhard Thies auf.
(KK)
Die Bergwelt als Geheimnis und Heimat
Fritz Hartmann hat seine Kunst der Darstellung des Riesengebirges gewidmet
Stets hat das Riesengebirge die Maler angezogen. Die charaktervolle Vielfalt
dieses Berglandes, die Stärke und der Wechsel seiner Stimmungen und sein Licht haben sie
immer wieder fasziniert. Die Tradition reicht bis in die zweite Hälfte des 18.
Jahrhunderts zurück. Günther Grundmann, dem letzten Provinzialkonservator von Schlesien,
danken wir die Darstellung der Riesengebirgsmalerei in der Romantik (Breslau 1932, 3.,
erweiterte Auflage München 1965). Für das 20. Jahrhundert sei auf den Maler Georg
Wichmann, geboren 1876 in Löwenberg am Bober und gestorben Ende November 1944 in
Oberschreiberhau, und seinen Kreis hingewiesen, denen der Kunsthistoriker Hans Wichmann,
ein Sohn des Malers, ein opulentes literarisches Denkmal gesetzt hat (Würzburg:
Bergstadtverlag Wilhelm Gottlieb Korn 1996).
Derselben Generation wie Georg Wichmann gehörte Fritz Hartmann an, der 1873 in Sattel bei
Neustadt an der Mettau im Adlergebirge geboren wurde und 1929 in Niederhof-Rudolfstal bei
HoheneIbe in Böhmen starb. Ihm ist eine Ausstellung des tschechischen
Riesengebirgsmuseums in Hohenelbe gewidmet, die jüngst den Besuchern des Hauses des
Deutschen Ostens in München prasentiert wurde und danach in Dresden zu sehen ist,
Die Ausstellung, bei deren Eröffnung in Liedern, gesungen von Heinz Kytzia, Bariton,
begleitet von Mafia Hodel am Flügel, liebevoll des Riesengebirges und der Elbe gedacht
wurde, ist einem Maler gewidmet, der als weithin vergessen gilt. Hartmann hatte das
Tischlerhandwerk erlernt, dann aber an der Akademie für Bildende Künste in Karlsruhe
Malerei studiert und auf Reisen an die Ostsee sowie durch Schweden, Norwegen,
Nordfrankreich, Holland und England seine Kenntnisse vervollkommnet und künstlerische
Erfahrungen gesammelt. 1914 war er ins Riesengebirge gekommen, wo er eine Familie
gründete und als Maler des Riesengebirges zu Ansehen und Bekanntheit kam, so
daß er 1925 in Niederhof-Rudolfstal ein eigenes Haus beziehen konnte. Daß er heute
vergessen ist es gibt noch nicht einmal ein brauchbares Photo von ihm ,
hängt auch mit seinem frühen Tod 1929 und damit zusammen, daß seine Witwe 1945 das
gemeinsame Haus binnen einer halben Stunde verlassen mußte. Seinem Vergessensein
abzuhelfen ist nicht nur das Bestreben des Riesengebirgsmuseums in Hohenelbe, sondern auch
das des diesem in Zusammenarbeit verbundenen Riesengebirgsmuseums in
Marktoberdorf/Allgäu, das von der Stadt Marktoberdorf und dem Heimatkreis
Hohenelbe/Riesengebirge getragen wird. Dieser hat daher zu der Ausstellung einen Katalog
beigesteuert, der, wie der Bearbeiter Hans Pichler, zugleich Kulturreferent des
Heimatkreises, zur Einführung schreibt, ein erstes, wenn auch nur bruchstückhaftes
Werkverzeichnis sein soll.
Die gezeigten Bilder, zumeist Aquarelle, sind bis auf wenige Ausnahmen den Beständen des
tschechischen Riesengebirgsmuseums (das nach 1945 aus einem deutschen hervorging)
entnommen. Einer künstlerischen Einordnung und Wertung entzieht sich die offensichtlich
von beiden Museen konzipierte Ausstellung ebenso wie der Katalog. Die Werke Hartmanns
werden, wie die Bildunterschriften zeigen, vor allem daraufhin betrachtet, was sie von der
Landschaft und den Ortschaften der böhmischen Riesengebirgsregion wiedergeben. Das
dokumentarische Interesse überwiegt das an der künstlerischen Aussage. Der Maler
fungiert als Gewährsmann für die Erforschung der Regionalgeschichte und der Volkskunde.
In dieser Hinsicht vermag Hartmann allerdings viel zu leisten. Ob er die
Gifthütte in Petzer darstellt, wo früher der an der Schneekoppe gewonnene
Arsenkies zu Arsenik verhüttet wurde, ob es die unterhalb des Spindlerpasses gelegene
alte Adolfbaude ist, die alte Schmiede in Oberhohenelbe oder die alte protestantische
Kirche in Niederlangenau überall sprechen Heimatgeschichte und Volksleben zu dem
Betrachter.
Aber sicher ist das nur ein Nebenprodukt der Kunst Hartmanns, so nahe ihm die
Riesengebirgsheimat auch gestanden haben mag. Deuten nicht die Motivwahl, die Farben und
das Licht darauf hin, daß es ihm um Glanz und Schönheit der Bergwelt und die
Geborgenheit der Menschen in ihr gegangen ist, jenseits des Düsteren und Bedrohenden?
Sein Sohn Thorill Hartmann (1924-1986), dessen Riesengebirgsbilder in derselben
Ausstellung gezeigt werden, ist ihm darin zunächst gefolgt, wenn bei ihm auch die dunklen
Töne nicht fehlen. Seit seinem Studium der Malerei und der Grafik an der
Kunstakademie/Werkkunstschule in Kassel haben auch der Kubismus und der Expressionismus
auf ihn gewirkt. Dieser ist dann in seinem Spätwerk zum Tragen gekommen, auch in dem
einen oder anderen Riesengebirgsbild, an dem er großflächiger malte und sich dabei vom
Naturalismus abwendete, weshalb hier die lokale Situation nicht mehr ohne weiteres
erkennbar ist. Die Selbstgewißheit des Vaters, der kein Neuerer war, ist somit dahin,
aber sein scheinbar unzerstörbares Bild der alten Riesengebirgsheimat bleibt als
Erinnerung erhalten.
Peter Mast (KK)
Judaica in Rumänien
Vor kurzem wurden in der Glaspyramide der Universität
Babes-Bolyai, Klausenburg (Cluj-Napoca), in festlichem Rahmen sowie im Beisein
diplomatischer Vertreter, Wissenschaftler, Künstler, internationaler Presse- und
Fernsehjournalisten die vier wichtigsten Judaicaveröffentlichungen des Jahres 2004 zum
siebenbürgischen und rumänischen Judentum vorgestellt. Es handelt sich dabei um Werke
von Prof. Ernö Lázárovits, Budapest (Reise durch die Hölle. Erinnerungen an den
Holocaust), Prof. Ladislau Gyémánt, Klausenburg (Die Juden Siebenbürgens.
Geschichte und Schicksal), Dr. Claus Stephani, München (Ostjüdische Märchen
aus den Karpaten), und Dr. Emanuel Nadler (Victor Brauner. Ein Künstler der
Avantgarde). Eine Jury hatte sie aus insgesamt 64 verschiedenen Buchtiteln
ausgewählt.
Dabei wurde die langjährige Arbeit des aus Siebenbürgen stammenden und in München
lebenden Ethnologen und KK-Autors Claus Stephani besonders gewürdigt, denn er
war der erste Erzählforscher, der mit Tonband und Fotokamera die letzten jüdischen
Handwerker, Bauern und Hirten in Nordsiebenbürgen und in der Maramuresch aufgesucht hat,
um ihre Märchen (,Maises) und Sagen (,Kaskale) aufzuzeichnen, hieß es
in der Laudatio, die Prof. Alexandru Singer, Leiter des Bukarester Hasefer Verlags, hielt.
Nach der deutschen und italienischen Ausgabe liegt nun unter dem Titel Basme
evreiesti. Culese pe meleagurile Carpatilor (Übersetzerin Ruxandra Georgeta Hosu)
auch eine grafisch ansprechend gestaltete rumänische Ausgabe vor.
(KK)
KK-Notizbuch
Eine Kunstausstellung zu 60 Jahren Deportation der Südostdeutschen in die
Sowjetunion mit Arbeiten von bildenden Künstlern wie Friedrich von
Bömches, Julius Stürmer, Viktor Stürmer, Franz Ferch und Sebastian Leicht zeigt das
Donauschwäbische Zentralmuseum Ulm vom 14. Januar bis zum 13. Februar 2005.
Das Haus der Heimat Baden-Württemberg hat in Ergänzung zu der im Herbst des Jahres 2002
herausgegebenen Lehrerhandreichung zu Umsiedlung, Flucht und Vertreibung der
Deutschen als internationales Problem. Zur Geschichte eines europäischen Irrwegs
jetzt eine CD-ROM herausgegeben. Ziel der im Auftrag des Innen- und des Kultusministeriums
Baden-Württemberg erarbeiteten CD-ROM und der Lehrerhandreichung ist es, dieses im
Bildungsplan und in den Bildungsstandards aller allgemeinbildenden Schulen verankerte
Thema noch stärker als bisher in den Unterricht einzubringen. Interessierte können
CD-ROM und Arbeitsheft zu einer Schutzgebühr von 18 Euro (nur CD: 15 Euro) anfordern beim
Haus der Heimat, Schloßstraße 92, 70176 Stuttgart.
Am 12. Oktober wurde in Stuttgart der Schülerwettbewerb Die Deutschen und
ihre Nachbarn im Osten für das Schuljahr 2004/2005 unter dem Motto
Die ostmitteleuropäischen Beitrittsländer alte Nachbarn und neue
Partner gestartet. Wettbewerbsunterlagen sind im Haus der Heimat, Schloßstraße 92,
70176 Stuttgart, Telefon 0 7 11 / 6 69 51 15, zu bekommen. Informationen sind im Internet
unter www.nachbarn-im-osten.de oder auf der
Homepage des Innenministeriums, www.im.baden-württemberg.de,
abrufbar.
Das Statistische Landesamt Baden-Württemberg hat erstmals in der Publikation Vertriebene
in Baden-Württemberg einen umfassenden Überblick über die Integration
der Vertriebenen in diesem Bundesland gegeben. Die Broschüre (95 Seiten) kostet im
Einzelverkauf 15 Euro zuzüglich Versandkosten. Bestellungen an das Statistische Landesamt
Baden-Württemberg, Böblinger Straße 68, 70199 Stuttgart, Telefon 07 11 / 6 41-28 66,
oder E-Mail an vertrieb@stala.bwl.de.
Das Haus Schlesien, Königswinter-Heisterbacherrott, zeigt bis zum 3. April 2005 eine
Ausstellung zum Jubiläum 100 Jahre Käthe-Kruse-Puppen. 1905 gestaltete
die Breslauerin Käthe Kruse die erste Puppe für ihre Kinder. Was als privates Experiment
begann, entwickelte sich bald zu einem international begehrten Markenartikel. Die
Ausstellung spürt dessen Faszination mit Exponaten aus allen wichtigen Produktionsphasen
nach.
(KK)