KK1180 Seite 2:
Deutsche und Russen in der Geschichte
Altvertraute Fremdheit
Das Bonner Haus der Geschichte zeigt Spuren Sledy von
Deutschen und Russen in der Geschichte
Butterbrot, Rucksack, Datscha oder Troika zahlreiche Lehnwörter in der
russischen und deutschen Sprache dokumentieren die engen Verflechtungen in der Geschichte
beider Völker. Seit Jahrhunderten gibt es vielfältige politische, wirtschaftliche und
vor allem kulturelle Verbindungen zwischen Russen und Deutschen. Diesen Spuren der
deutsch-russischen Beziehungen und ihrer tiefen Zäsur durch den Zweiten Weltkrieg
nachzugehen hat sich das Haus der Geschichte in der Ausstellung Spuren Sledy.
Deutsche und Russen in der Geschichte zur Aufgabe gemacht.
Rund 800 Exponate lenken den Blick auf Gemeinsames und Trennendes im Verhältnis beider
Völker. Anhand signifikanter Beispiele von der Bauhausarchitektur in Moskau bis
hin zur Russendisko in Berlin wird ein thematisch weit gefaßter
Querschnitt deutsch-russischer Begegnungen präsentiert. In allen Bereichen von Politik,
Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft werden Belege eines vielfältigen Austauschs sichtbar
gemacht: die russische Siedlung Alexandrowka in Potsdam als Symbol preußisch-russischer
Freundschaft, das Leben der russischen Emigranten in Berlin in den 20er Jahren des vorigen
Jahrhunderts, die Geschichte der deutschen Gemeinde in Moskau vor dem Ersten Weltkrieg,
die Situation der ausgesiedelten Rußlanddeutschen in der Bundesrepublik, um nur einige
Spuren herauszugreifen.
In vielen Bereichen der Ausstellung treten die Widersprüche im deutsch-russischen
Verhältnis offen zutage. Persönliche Beziehungen, z. B. die
Wahlverwandtschaft von Heinrich Böll mit Lev Kopelev, kontrastieren mit der
staatlich verordneten Freundschaft im Sozialismus, wie sie in der Gesellschaft für
Deutsch-Sowjetische Freundschaft, der zweitgrößten Massenorganisation der DDR,
institutionalisiert wurde. Widersprüchlich auch der Umgang mit den Umwälzungen des
Zweiten Weltkrieges, der tiefe Spuren in den deutsch-russischen Beziehungen hinterlassen
hat und die gegenseitige Wahrnehmung zum Teil bis heute prägt. Der Streit um die
Gestaltung der 750-Jahr-Feier der Stadtgründung von Königsberg (vgl. KK 1166) ist
symptomatisch hierfür.
Obwohl die Ausstellung den verengenden Blick auf die traumatischen Erfahrungen von Krieg
und Diktatur vermeidet, gelingt es ihr nicht, dem Thema der deutsch-russischen Beziehungen
historische Tiefenschärfe zu verleihen. Die Spuren der Begegnung von Russen und Deutschen
reichen viel tiefer in die Geschichte zurück, als es die Ausstellung erahnen läßt, die
nicht weiter als bis zur Zeit Katharinas II. zurückgeht.
Damit man sich ein fundiertes Bild über Deutsche und Russen in der Geschichte
machen kann, müssen tausend Jahre Nachbarschaft in den Blick genommen werden. Schon im
frühen Mittelalter gab es, vor allem auf der Grundlage des hanseatischen Handels, rege
Kontakte zwischen Deutschen und Russen. Spuren dieser überwiegend friedlichen Beziehungen
zwischen deutschen und russischen Kaufleuten finden sich seit dem 12. Jahrhundert in den
nordwestrussischen Städten Novgorod und Pskov. Auf der anderen Seite prägten
militärische Konflikte zwischen dem Deutschen Orden und der Rus das Bild vom Nachbarn.
Hinzu kamen religiöse Gegensätze zwischen der orthodoxen und der lateinischen
Christenheit, die seit dem Schisma von 1054 gespalten war. Vielschichtigkeit und
Ambivalenz kennzeichnet also bereits die frühe Begegnung beider Völker, in der sich
sodann über die Jahrhunderte Phasen der Annäherung und der radikalen Verfeindung und
Entfremdung abwechseln. Die beiderseitigen Klischees und Vorurteile, denen die Ausstellung
nachspüren will, haben bereits in den mittelalterlichen Chroniken und Reisebeschreibungen
einen Niederschlag gefunden. Und nicht zufällig wird Alexander Nevskij, der dem Deutschen
Orden 1242 auf dem Eis des Peipussees eine vernichtende Niederlage zufügen konnte, bis
heute als russischer Nationalheiliger verehrt.
Die im Bonner Haus der Geschichte gezeigte Austellung Spuren Sledy ist
eine von rund 350 Veranstaltungen, die im Rahmen der deutsch-russischen Kulturbegegnungen
2003/2004 in beiden Ländern stattfinden. Die Ausstellung ist noch bis zum 12. April 2004
zu sehen.
Julia aus der Wiesche (KK)
KK1180 Seite 3:
Polnische Studentin schreibt die Geschichte der Landsmannschaft Berlin-Mark
Brandenburg
Die Geschichte der Landsmannschaft Berlin-Mark Brandenburg seit 1990
heißt der Titel einer Diplomarbeit im Fach Kulturwissenschaften der Europa-Universität
Viadrina, Frankfurt an der Oder. Autorin ist die Polin Ewa Ochiejewicz. Der Untertitel:
Wandel im Zeichen der Vereinigung und der EU-Osterweiterung. Auf 90 Seiten
werden Entstehung und Organisation der Landsmannschaft dargestellt, dies ist zum
Verständnis sowohl der politischen als auch der organisatorischen Strukturen notwendig.
Es wird nicht ausgespart, wie das kommunistische Polen und die kommunistische DDR die
gesamte Vertreibung der Deutschen ausklammerten.
Die Autorin hat die Geschichte der Landsmannschaft und ihre organisatorischen Strukturen
genau und objektiv dargestellt. Das Schwergewicht der Arbeit liegt auf der Entwicklung
nach der Wende, als die Landsmannschaft als erste aller Landsmannschaften über die Oder
in die alte Heimat ging, deutsch-polnische Seminare veranstaltete, mehr als 40 Denkmäler,
Gedenksteine und Gedenktafeln in deutscher und polnischer Sprache errichtete. Aber auch
die Veränderung der jahrelang einstimmig von allen Gremien getragenen Konzepte, die
Bundessprecher Werner Bader entwickelt hatte, und die beginnenden Probleme für das
Haus Brandenburg werden dargestellt.
Als Quellen benutzt die Autorin die Veröffentlichungen des Märkischen
Informationsdienstes der Landsmannschaft, den Günter Kirbach, der langjährige
Bundesgeschäftsführer, gestaltete, (die Rundbriefe bilden somit eine der
wichtigsten Grundlagen meiner Untersuchung) und Artikel von und Interviews mit
Werner Bader, dem Bundessprecher mit der längsten Amtszeit, dem gegenwärtigen
Bundessprecher Wangnick, dem Buchautor Jörg Lüderitz.
Das Buch ist für 20 Euro plus Porto beim Kulturförderverein Mark Brandenburg,
Lindenstraße 3, 14728, Görne zu beziehen.
(KK)
KK1180 Seite 4:
Lager und Isolationsplätze für Deutsche
Der polnische Historiker Witold Stankowski untersucht die staatlich betriebene
Ausgrenzung der Deutschen im Nachkriegspolen
Unterlag in der Nachkriegsgesellschaft Polens die Vertreibung der Deutschen im
allgemeinen einer weitgehenden Tabuisierung, so galt dies im besonderen Maße für das
Schicksal derjenigen Teile der deutschen Zivilbevölkerung, die in der Zeit von 1945 bis
1950, bisweilen jahrelang, in polnischen Lagern eingesperrt waren und dort zur
Zwangsarbeit herangezogen wurden. Man wußte nichts von den Lagern für Deutsche oder
wollte nichts hiervon wissen, und es verwundert nicht, daß erst nach der politischen
Wende von 1989/ 90 die Lager zum Gegenstand historischer Forschung in Polen werden
konnten. Bei aller Kritik an den Einzelergebnissen wird man Edmund Nowaks Untersuchung
Cieñ £ambinowic (Der Schatten von Lamsdorf) von 1991 als wichtige
Pionierarbeit werten dürfen. Diese Arbeit fand freilich zunächst nur wenig Nachhall in
der polnischen Geschichtswissenschaft. Doch auch auf deutscher Seite blieb in der Folge
von Heinz Essers spektakulärer Hölle von Lamsdorf (1969) die Beschäftigung
mit den von Polen betriebenen Lagern für Deutsche auf wenige Publikationen beschränkt.
So folgten auch hier erst nach der Wende von 1989/90 die Schattenjahre in Potulitz
1945 von Hugo Rasmus (1995) und Die Rache der Opfer. Deutsche in polnischen
Lagern 1944-1950 von Helga Hirsch (1998).
Bemerkenswert ist nun, daß Witold Stankowski, am Historischen Institut der Akademia
Bydgoska /Akademie Bromberg tätig, im Jahre 1966 geboren und damit Vertreter der
jüngeren polnischen Historikergeneration, binnen kurzer Zeit gleich zwei wichtige
Arbeiten zum Thema vorgelegt hat: 2001 erschien bei der Kulturstiftung der deutschen
Vertriebenen der Band Lager für Deutsche in Polen am Beispiel
Pommerellen/Westpreußen (1945-1950), eine Durchsicht und Analyse der polnischen
Archivalien. Hier wurde nicht nur eine erste Einführung in die Thematik versucht, sondern
vor allem eine umfassende Bestandsaufnahme dessen geleistet, was an schriftlichen
Zeugnissen aus den Lagern, den chaotischen Nachkriegsverhältnissen zum Trotz, erhalten
geblieben ist, zudem wurden zentrale Dokumente, auch in deutscher Übersetzung,
vorgestellt.
2002 nun brachte Stankowski im Verlag der Akademia Bydgoska einen 414 Seiten starken Band
heraus: Obozy i inne miejska odosobnienia dla niemieckiej ludnosci cywilnej w Polce
w latach 1945-1950 (Lager und andere Isolationsplätze für die deutsche
Zivilbevölkerung in Polen in den Jahren 1945-1950). Auf der Grundlage der von ihm
aufgespürten polnischen Archivalien, aber auch sich auf deutsche Quellen stützend und
diese durch die Befragung von Zeitzeugen ergänzend, erarbeitete Stankowski eine
umfassende, also nicht auf eine bestimmte Region konzentrierte Untersuchung, die er für
den des Polnischen unkundigen Benutzer mit einem Inhaltsverzeichnis und einer
Zusammenfassung der Ergebnisse in deutscher Sprache versah.
Um die polnischen Lager in die historischen Zusammenhänge einordnen zu können, gibt der
Autor zunächst einen Überblick über die Internierungspraxis der Alliierten in ganz
Europa und in der Sowjetunion, inklusive des besetzten Deutschland. Ging es Stankowski
zufolge den westlichen Alliierten um den Vollzug ihres Programms einer
Re-education der deutschen Bevölkerung, so stand in den Lagern des sowjetisch
dominierten östlichen Europa die Ausgrenzung der Deutschen aus der Gesellschaft im
Vordergrund der Maßnahmen. Bei den unter polnischer Verwaltung stehenden Anlagen
unterscheidet Stankowski zwischen den wenigen eigentlichen, mit Kommandanturen,
Verwaltungen und Wachmannschaften ausgestatteten Lagern und den zahlreichen,
oft improvisierend auf landwirtschaftlichen Gütern eingerichteten
Isolationsplätzen. Von letzteren, die lediglich für die vorübergehende
Internierung vorgesehen waren, besaß das zuständige polnische Ministerium für
Öffentliche Sicherheit (MBP) nicht selten keinerlei Kenntnis. Übrigens waren viele Lager
und Isolationsplätze nicht ausschließlich für deutschen Zivilpersonen bestimmt,
vielmehr sperrte man dort auch Kriegsgefangene sowie politisch mißliebige polnische
Personen ein.
Einen Großteil des Werks nimmt die eingehende Beschreibung der vergleichsweise gut
dokumentierten großen Lager ein, unter denen für den nördlichen Bereich das zentrale
Arbeitslager in Potulitz/Potulice herausragt. Für den schlesischen Raum ist neben
Lamsdorf/ Lambinowice vor allem das Lager in Schwientochlowitz/Swietochlowice zu nennen,
für den zentralen und südlichen Teil Polens sind es die Lager Jaworzno und Lodz-Sikawa.
Der Autor widmet sein besonderes Augenmerk dem mühseligen Alltag der hier wie auch in den
verstreut gelegenen Isolationsplätzen lebenden Menschen. Als Ursache für die allerorten
herrschende hohe Mortalitätsrate benennt er die vielfach katastrophalen Lebens- und
Arbeitsbedingungen, die sanitären Verhältnisse sowie die mangelnde medizinische
Versorgung, darüber hinaus die häufigen Mißhandlungen und Repressalien. Wie viele
Menschen in den Lagern ihr Leben ließen in diesem Punkt divergieren die Angaben in
der bisherigen deutschen und polnischen Literatur erheblich , sucht der Autor
sachlich anhand der vorliegenden Schriftquellen abzuschätzen.
Obwohl man der Zwangsarbeit der in den Lagern einsitzenden Deutschen eine bedeutende Rolle
für die Entwicklung der Nachkriegswirtschaft zumaß, war sie offenbar alles andere als
effizient und brachte dem polnischen Staat eher Verluste als Gewinne ein dies nicht
zuletzt als Folge der bei manchen Lagerverwaltungen herrschenden Korruption. Eine
Auflösung der Lager erschien schon aus diesen Gründen geboten. Sie verlief in den Jahren
1949/50 parallel zu den großangelegten Aussiedlungsaktionen der verbliebenen
Deutschen. Einige der Lager, wie Potulitz und Jarzowo, wurden zu Gefängnissen umgebaut,
der Großteil aufgelassen.
Tabellen, Illustrationen, Photos und zitierte Dokumente ergänzen Stankowskis profunde
Darstellung der Lager und Isolationsplätze für Deutsche, die dazu beitragen könnte, in
Polen und in Deutschland immer noch vorhandene Reste der Scheu vor einer Begegnung mit den
dunklen und den schmerzhaften Kapiteln der Vergangenheit abzubauen. Es ist zu wünschen,
daß junge Historiker hier wie dort gemeinsam den von Stankowski aufgezeigten Weg weiter
verfolgen werden. Eine deutsche Übersetzung des Werks wäre insbesondere für die
zahlreichen Menschen von Wert, die selbst, oder deren Familien die Schattenjahre in
Potulitz und anderen Lagern durchleiden mußten.
(Witold Stankowski, Obozy i inne miejska odosobnienia dla niemieckiej ludnosci cywilnej w
Polce w latach 1945-1950, Bydgoszcz 2002, ISBN 83-7096-437-0, 26,00)
Ernst Gierlich (KK)
KK1180 Seite 6:
Nationalität: schlesisch
Überraschend viele Menschen in Schlesien nutzen bei der Volkszählung eine
Lücke in der offiziellen Sprachregelung und nennen sich schlesisch
Das Erstaunen war groß, als die Auswertungen der polnischen Volkszählung von
2002 im Sommer vorigen Jahres bekannt gemacht wurden, denn die größte nationale
Minderheit in Polen sind demnach die Schlesier. Wo kommen die denn her, fragte
die renommierte polnische Tageszeitung Gazeta Wyborcza verwundert ob der neuen
Zahlen, denn 173 200 Menschen hatten sich zur schlesischen Nationalität bekannt. Damit
wären die Schlesier die stärkste nationale Minderheit in Polen, noch vor der deutschen
Volksgruppe mit 152 900 Angehörigen.
Wären, denn ob die Schlesier nun überhaupt eine nationale Minderheit sind, bleibt weiter
dahingestellt. Zwar gibt es im polnischen Minderheitengesetz keine Definition, die
juristisch eindeutig klarstellt, was eine nationale Minderheit überhaupt ausmacht,
dennoch gibt es seit Jahren Bestrebungen um eine Anerkennung. Im Juni 1997 hatte nämlich
bereits eine Gruppe junger Intellektueller um den Kunsthistoriker Jerzy Gorecki beim
Gericht in Kattowitz den Verband der Bevölkerung schlesischer Nationalität (Ziazek
Ludnosci Narodowosci Slaskie ZLNS) registrieren lassen, doch das
Appellationsgericht hob diese Zulassung in zweiter Instanz wieder auf. Der Oberste
Gerichtshof Polens bestätigte die Ablehnung mit der Begründung, es gebe keine
schlesische Nationalität.
Das wollte die RAS (Ruch Autonomii Slaski), die Bewegung für ein autonomes Schlesien,
welche die Forderung nach Registrierung betrieben hatte, so nicht hinnehmen und zog vor
das Menschenrechtstribunal des Europäischen Gerichtshofes in Straßburg, das aber vor
zwei Jahren Warschau Recht gab. Einen ersten Erfolg erstritt die RAS im Juli 2003, als die
Große Kammer des Tribunals den Einspruch zuließ, womit die Sache Schlesier gegen
Polen nun auch in Straßburg in die Berufung geht. Die neuen Zahlen kommen da dem
RAS-Vorsitzenden Jerzy Gorecki zur Berufungsverhandlung gerade recht.
Erwartet allerdings hatte diese Zahlen nicht einmal die RAS, denn dort war man von
allenfalls etwa 10 000 Bekenntnis-Schlesiern ausgegangen, nachdem gerade noch rechtzeitig
vor der Volkszählung Warschau grünes Licht gegeben und es den Bürgern gestattet hatte,
die Fragebogenrubrik Nationalität nach eigenem Identitätsempfinden auszufüllen, also
wenn gewünscht auch schlesisch einzutragen. Das völlig unerwartet starke
Bekenntnis zu einer schlesischen Nation ist auch ein Denkzettel an die Adresse der
polnischen Regierung für die jahrzehntelange Vernachlässigung und die ungelösten
wirtschaftlichen und sozialen Probleme der Region. Zwar wurden die Ergebnisse bisher noch
nicht weiter sozial und regional aufgeschlüsselt, eines aber scheint deutlich zu sein: Wo
man sich zur schlesischen Nation bekannte, dürfte damit Oberschlesien gemeint sein.
Betrachtet man nun die nackten Zahlen, trifft man auf ein interessantes Phänomen. Bei nur
153 000 Menschen, die sich als Deutsche betrachten, gaben doch 205 000 an, Deutsch als
häusliche Sprache zu verwenden. Es wird also deutlich: Viele der Schlesier, die sich bei
der Volkszählung zur schlesischen Nationalität bekannten, müssen gleichzeitig
Mitglieder von Organisationen der deutschen Minderheit sein und auch im Besitz der
deutschen Staatsbürgerschaft. Nach neuesten Zahlen gibt es mehr als 280 000 Menschen in
Polen, die neben ihrem polnischen auch einen deutschen Paß besitzen. Gerade das scheint
zu einer differenzierten Sicht vor allem sowohl unter jüngeren als auch unter gebildeten
Schlesiern geführt zu haben, die mit ihrem roten Paß in der Bundesrepublik
Deutschland zu polnisch waren und in der schlesischen Heimat zu deutsch. Als sie nun
wählen konnten, bekannten sie sich als das, was die Besonderheit dieses Sitzens zwischen
allen Stühlen ausmacht: Sie fühlen sich als Schlesier.
Ratlosigkeit herrscht allenthalben, was soll man nun eigentlich mit diesem Ergebnis
anfangen? Ist es wirklich gegen Polen oder Deutschland gerichtet, oder nur unzufriedener
Protest? Bekennen sich die Menschen, die Schlesien als ihre Nation ansehen, nur besonders
stark zu einer regionalen Identität, die in einem Europa der Regionen durchaus Zukunft
haben könnte, oder wollen sie wirklich eine Autonomie, die im Grunde keines der
wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und strukturellen Probleme vor allem Oberschlesiens
lösen könnte?
Folgen könnte dieses Votum für die deutschen Schlesier auf finanzieller Ebene haben,
erhielten doch die Organisationen der deutschen Minderheiten, besonders der Verein
Deutscher Gesellschaften (VDG) in Oppeln seit 1991 Jahr für Jahr Millionensummen von der
Bundesregierung überwiesen. Damit wurden neben der Förderung der eigenen Kultur und
Sprache Ausgaben für die kommunale Infrastruktur und für Soziales bestritten.
Das Argument, die Deutschen hätten Angst gehabt, sich zu ihrem Deutschtum zu bekennen,
wird es schwer haben, denn es gab keine Regierungskampagnen, die Ängste hätten schüren
können. Über die Gründe, warum der Wille fehlte, sich zur deutschen Abstammung zu
bekennen, kann einstweilen nur gemutmaßt werden, genauere Untersuchungen liegen nicht
vor.
Wenn man nun in Berlin auf die Idee käme, die gezahlten Summen den Ergebnissen der
polnischen Volkszählung anzupassen, hätte das negative Auswirkungen auf die
Kulturarbeit. Folgen haben könnte das auch für die Präsenz der Deutschen im polnischen
Parlament, denn werden die Schlesier als nationale Minderheit anerkannt, könnten auch sie
bei Parlamentswahlen die Befreiung von der Fünfprozentklausel beanspruchen. Ob dann
Henryk Kroll und Helmut Pazdzior, die letzten noch verbliebenen Abgeordneten der deutschen
Minderheit, den Sprung in den Sejm noch einmal schaffen könnten, bleibt offen.
Brigitte Jäger-Dabek (KK)
KK1180 Seite 8:
Grenzfall Grenzstadt
Es gibt wieder Hoffnungen, daß Küstrin/Kostrzyn zu polnisch-deutschem Leben
erweckt werden könnte
Es gibt wieder Hoffnung für Küstrin. Freilich, die meisten unserer Zeitgenossen
wissen mit diesem Namen kaum etwas anzufangen. Und schaut man im Lexikon nach, so findet
man beispielsweise im dreibändigen Brockhaus aus dem Milleniumsjahr 2000: Küstrin
(poln. Kostrzyn), Stadt an der Mündung der Warthe in die Oder, Polen, 16 000 Einwohner,
u. a. Zellstoffindustrie. Sonst nichts. Nichts von der 400jährigen überaus
interessanten Geschichte als brandenburgisch-preußische Festung, nichts von dem schlimmen
Schicksal am Ende des Zweiten Weltkriegs (vgl. auch KK 1163), und auch die Beschreibung
als polnisch ist unzureichend. Denn diese Stadt wird durch die Oder und damit
die deutsch-polnische Grenze geteilt; es gibt eine freilich kleine deutsche
Vorstadtgemeinde. Darüber hinaus aber war Küstrin bis zum Abzug der sowjetischen Truppen
aus Deutschland faktisch dreigeteilt: eine zwar auf deutscher Seite, aber zwischen zwei
Oderarmen liegende Insel war sowjetisches Gebiet, ein immerhin größeres Areal, auf dem
sich ursprünglich der Küstriner Bahnhof, eine ganze Artillerieeinheit und noch andere
Bauwerke befanden. Die Kaserne jedenfalls ist noch weitgehend intakt, sie war ja von den
Sowjettruppen bis zu ihrem Abzug benutzt worden. Heute stehen ihre Gebäude leer, ihr
Zustand wird nicht besser.
Wenn sich in Küstrin etwas grundsätzlich ändern soll, dann müssen wir eine neue
Blickrichtung finden, nämlich auf das Gemeinsame als kulturhistorisch gewachsenes Ganzes,
auf seine natürlichen und geschichtlichen Besonderheiten. Nur so lassen sich
realisierbare Perspektiven und Konzepte entwickeln, erläutert Hartmut Röder,
Geschäftsführer der GKU Standortentwicklung GmbH, seinen Standpunkt. Mit Beginn dieses
Jahres wurde sein Unternehmen damit beauftragt, ein Konzept zur Revitalisierung der
Küstriner Oderinsel zu erstellen. Röders Team hat den Ehrgeiz, diesmal mit einem Konzept
eine Entwicklung in Gang zu bringen, die zum Erfolg führt. Denn mindestens für die
Bewohner der Gemeinde Küstriner Vorland geht es dabei um nichts weniger als um eine
Perspektive für sich und ihre Kinder.
Küstrins Besonderheit bestand schon immer in seiner Lage an Oder und Warthemündung. Sie
war der Grund dafür, daß die Stadt im 16. Jahrhundert zur Festung umgestaltet wurde; sie
hat die weitere Entwicklung der Stadt über die Flußarme und Kanäle hinweg bestimmt, und
die nach weitgehender Zerstörung durch die Russen im Siebenjährigen Krieg neu errichtete
Altstadt mit Pfarrkirche, Markt und Schloß war ein städtebauliches Kleinod. Blütezeit
der Stadt war das 19. Jahrhundert, in dessen zweiter Hälfte sich die östlich gelegene
Neustadt kräftig entwickelte. Dies ist das heutige Kostrzyn, allerdings bestimmen hier
inzwischen die nach 1945 errichteten Wohnblocks das Bild. Die Altstadt dagegen, also das
kulturhistorisch wertvolle Küstrin Festung, Stadt und Schloß wurde im
Frühjahr 1945 zur Trümmerwüste. Lediglich die Bastionen der Festung überdauerten das
Inferno; von der Altstadt blieben nur Mauerreste, Kellereingänge und Reste der
Pflasterung. Diese total zerstörte Altstadt auf polnischer Seite, auf deutscher Seite die
tote Insel beide schieben sich wie ein kilometerbreiter Streifen verwüsteter Erde
zwischen die deutsche Gemeinde Küstriner Vorland und das polnische Küstrin/Kostrzyn. So
ist die heutige Situation zu beschreiben.
Was Hartmut Röder vorfand, waren geradezu gegenläufige Tendenzen. Auf polnischer
Seite ist man durchaus optimistisch, resümiert er. In Kostrzyn hat sich eine
beachtliche Entwicklung vollzogen, auch über den bis vor kurzem noch dominierenden
Einkaufstourismus hinaus. Hier siedeln sich Investoren an, hier erhöht sich das
Arbeitsplatzangebot. Aber eine wirkliche Zentrumsfunktion ohne das ursprüngliche Umland
auf deutscher Seite ist dennoch problematisch. Hinzu kommt, daß die verwüstete
Altstadt als Hypothek empfunden wird, man weiß um ihre historische Bedeutung und würde
sie gerade deshalb gern aufwerten. Mit großem Einsatz wurde deshalb inzwischen die
altstädische Straßenführung wieder freigelegt und erkennbar gemacht. Noch aber bleibt
es eine Wüste.
Auf der deutschen Seite hat es inzwischen manche Anläufe zur Konversion und
Revitalisierung der Oderinsel gegeben. Umweltfachleute haben sorgfältig das
Kontaminierungsproblem untersucht, Immobilienfirmen nach Möglichkeiten der Vermarktung
gefahndet die Schwierigkeiten hatten bisher noch jeden abgeschreckt. Hartmut Röder
nicht. Eine Revitalisierung der Küstriner Oderinsel muß ebenso von ihrer
geographischen Situation wie von ihren realen Entwicklungspotentialen ausgehen.
Diese sind das ergaben Röders Analysen durchaus vorhanden, aber mit
Hoffnungen und Wünschen lassen sie sich nicht zur Geltung bringen. Die Küstriner
Oderinsel ist nur als wirtschaftstouristischer Standort in einem gesamtregionalen
Bezugsfeld Küstrin/Kostrzyn realisierbar, wenn man als Faktoren ihre Lage an der
Schnittstelle zwischen Deutschland und Polen, ihre Geschichte als Teil des ursprünglichen
Gesamtensembles der Stadt und Festung Küstrin und ihre gegenwärtigen Beschaffenheit zu
Grunde legt.
Dem entspricht die Konzeption, die von Röder und seinen Mitarbeitern erarbeitet wurde:
nämlich die Entwicklung eines grenzübergreifenden touristischen Netzwerkes auf der
Grundlage einer gemeinsamen Strategie der Gemeinde Küstriner Vorland und der Stadt
Kostrzyn unter einer eigenständigen touristischen Marke; bisher wurde dafür als
Arbeitstitel Geschichts- und Kulturlandschaft Küstrin/Kostrzyn gebraucht.
Röders Team geht engagiert, aber sorgfältig vor. Es analysiert und entwickelt
Strategien, wirbt und mobilisiert, weckt und bündelt deutsche und polnische Kräfte. Da
könnte nach Röders Meinung ein symbolträchtiges Bauwerk, das in kürzerer Zeit
gemeinsam errichtet wird, Signalwirkung haben. Und welches Bauwerk wäre dazu geeigneter
als die Küstriner Marienkirche? In der Neumark gibt es inzwischen eine Reihe von
Beispielen ähnlicher Art. Die Kirche wäre übrigens von der Insel sehr gut
zu sehen und Tourismus lebt von anschaulichen Dingen.
Küstrin ist ein kleines, aber sehr gegenständliches Stück Preußen. Für seine
Geschichte ist dies ganz elementar: Küstrin war eine brandenburgisch-preußische Festung,
hier war ein markgräflich-brandenburgisches Schloß, hier wurde Katte enthauptet, hier,
jedenfalls ganz in der Nähe, fand die Schlacht bei Zorndorf statt Küstrin war bis
1945 ein kleines Potsdam. Aber Küstrin ist auch kennzeichnend für die
Situation Preußens heute: Nur noch als Kulturlandschaft beiderseits der
deutsch-polnischen Grenze bestehend, verkörpert es den Anspruch auf ein klassisches
Europäertum, das weit mehr ist als Europäische Union, Euro und kontinentaler Markt.
Dieses Europäertum könnte den Menschen meinen, der die Kraft entwickelt, über die
Barrieren in den Köpfen hinweg zu achtungsvollem Miteinander zu finden. Insofern ist das
Projekt der Revitalisierung der Küstriner Oderinsel ein spannender Vorgang. Es kann
gelingen. Und es wird gelingen, wenn wir nicht nur zuschauen.
Joachim Winter (KK)
KK1180 Seite 10
Milde Traurigkeit und frischer Atem
Evangelische Kirche der schlesischen Oberlausitz geht auf in der Evangelischen
Kirche BerlinBrandenburgschlesische Oberlausitz
Seit dem 1. Januar 2004 gibt es die Evangelische Kirche
Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. In der Adventszeit davor lag
Abschiedsstimmung in der Luft: Zum letzten Mal gab es Weihnachtsgrüße aus der
Evangelischen Kirche der schlesischen Oberlausitz (EKsOL). Zum letzten Mal
erschien das Amtsblatt. Zum letzten Mal erschien Die
Kirche. Evangelische Wochenzeitung für die schlesische Oberlausitz. Seit
Neujahr 2004 gibt es diese kleine Kirche als selbständige Einheit nicht mehr. Ein Kapitel
der schlesischen Nachkriegs-Kirchengeschichte ist an sein Ende gekommen. Natürlich gibt
es darüber in der Oberlausitz und im übrigen Deutschland auch Wehmut und Trauer. Dieser
Trauer braucht sich niemand zu schämen.
Sie kann aber gemildert werden und einer zukunftsgerichteten Einstellung Raum geben, wenn
man sich klarmacht, daß eine weiterbestehende Selbständigkeit als Landeskirche mit
gegenwärtig 50 Pfarrstellen und etwa 65 000 Gemeindegliedern vor allem personell eine
Überforderung bedeutet hätte. Repräsentanz und Mitarbeit in Gremien und Ausschüssen
von UEK (Union Evangelischer Kirchen), EKD, Ökumene, gegenüber staatlichen Stellen und
gesellschaftlichen Einrichtungen wäre längerfristig sinnvoll kaum noch möglich, zumal
in Zukunft sehr wahrscheinlich etwa durch die demographische Entwicklung oder durch Wegzug
mit einem weiteren deutlichen Absinken der Kirchenmitgliederzahlen und damit auch der
haupt- und ehrenamtlichen Amtsträger gerechnet werden muß.
Bis zur entscheidenden zweiten Abstimmung der Synode am 15. November 2003 in
Jauernick-Buschbach ist von einer beachtlichen Minderheit, vor allem im Kirchenkreis
Hoyerswerda, die Option eines Anschlusses an die Evangelisch-lutherische Landeskirche in
Sachsen favorisiert worden. Die Option hat sich nicht durchsetzen können und war auch von
der Kirchenleitung in Görlitz nicht gewollt. Diese hatte sich vielmehr auf ein
Zusammengehen mit BerlinBrandenburg festgelegt und sowohl kirchliche als auch
historische Argumente dafür geltend gemacht. Kirchlich war wichtig, daß die
berlin-brandenburgische und die restschlesische Kirche gemeinsam der altpreußischen
Union, die heute in der UEK aufgegangen ist, angehört und also bereits seit 1816 in einer
engen kirchlich-theologischen Verbindung gestanden haben. Damals nach dem Wiener Kongreß
wurde die Oberlausitz geteilt. Ein Teil verblieb beim Königreich Sachsen, während der
östliche Teil der Preußischen (Kirchen-)Provinz Schlesien zugeschlagen wurde.
Auf die heutigen Befürworter einer Verbindung der EksOL mit der lutherischen Kirche
Sachsens haben diese Argumente keinen besonders starken Eindruck gemacht. Jedenfalls haben
sie sie nicht daran gehindert, bis zum Schluß die Option Sachsen festzuhalten. Ihr
Hauptargument war, daß auf diese Weise die beiden im Freistaat arbeitenden Evangelischen
Kirchen zu einer Einheit zusammengeschlossen würden und so auch organisatorisch-kirchlich
zusammenkäme, was im alltäglichen Leben der Bevölkerung, in Wirtschaft, Verwaltung und
Politik, ohnehin bereits zusammengehört.
Übersehen oder zu gering bewertet haben die Befürworter der sächsischen Variante
allerdings neben den kirchlich-historischen Argumenten auch, daß bei diesem Weg für
Schlesien kaum Spielraum geblieben wäre. Sachsen hat eine zentralistisch ausgerichtete
Kirche, die den Regionen weniger eigenen Spielraum läßt, als das von Berlin-Brandenburg
erwartet werden darf. Darum würde bei der sächsischen Lösung zwar die Wiedervereinigung
der geteilten Oberlausitz stattfinden, Schlesien mit seiner langen und großen
evangelischen Tradition aber bliebe außen vor.
Schon der Name der schlesischen Oberlausitz hätte in der sächsischen Kirchenverfassung
keine Berücksichtigung erfahren. Daß er im Namen der neuen Kirche erscheint, zeigt das
Bestreben, die schlesische Tradition weiterzuführen. Die bestehenden Verträge mit der
Diözese Breslau/Wroclaw der Evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in Polen,
vor allem der Schweidnitzer Vertrag vom März 1997, wurden übernommen und
bleiben vollinhaltlich in Geltung. Um das Gewicht der schlesischen Oberlausitz
hervorzuheben, soll das Kirchengebiet nicht (auf-)geteilt und Görlitz Sitz einer
Generalsuperintendentur werden. Zugleich wird mit dieser Neubildung die schlesische
Tradition Bestandteil der gesamtkirchlichen Tradition, für deren Bewahrung und Pflege
sich die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz
nunmehr insgesamt verantwortlich weiß. Das kann für die Schlesier längerfristig ein
Vorteil sein.
Trotzdem wird man eine institutionell-landeskirchliche Traditionspflege auch nicht
überschätzen dürfen. Ich selbst habe mein Berufsleben in der Evangelischen Kirche in
Hessen und Nassau (EKHN) verbracht, in der es sehr unterschiedliche Regionen gibt. Daher
weiß ich, daß Regionen gut beraten sind, wenn sie die Pflege ihrer eigenen Traditionen
nicht nur gesamtkirchlichen Einrichtungen überlassen, sondern zusätzlich und gezielt
auch selbst in die Hand nehmen. In den Regionen wird naturgemäß auch das stärkste
Interesse an den jeweiligen Überlieferungen bestehen. So werden die Potsdamer sich mehr
für die Kirchengeschichte im Potsdamer und Berliner Raum erwärmen als für die
niederlausitzische oder die oberlausitzisch-schlesische. Hier bleiben alle Schlesier
gefragt und herzlich gebeten, mitzuhelfen durch Mitarbeit, Überlassung von
Materialien, Vermächtnisse, Spenden.
Konkret ist beabsichtigt, im Jahr 2004 eine Kirchliche Stiftung zur Bewahrung,
Vermittlung und Weiterführung der geistigen Tradition des Evangelischen Schlesien
offizieller Kurztitel: Kirchliche Stiftung Ev. Schlesien zu
gründen. Stifter werden der rechtsfähige Nachfolger der EKsOL, die Gemeinschaft
evangelischer Schlesier (Hilfskomitee) e. V. und der Verein für Schlesische
Kirchengeschichte e.V. sein. In den Stiftungsrat sollen auch Vertreter aus dem polnischen
und tschechischen Schlesien berufen werden. Die Gemeinschaft bringt in diese Stiftung
unter anderem ihr Archiv ein, das jetzt im Pfarrhaus Groß Särchen bei Niesky von Pastor
Dietmar Neß betreut wird. Dieses Archiv soll der Grundstock einer kleinen
Forschungsstelle für die Evangelische Kirche und Kirchengeschichte in Görlitz werden und
die bereits bestehenden schlesischen Einrichtungen wie zum Beispiel das Schlesische
Landesmuseum, die Oberlausitzische Bibliothek der Wissenschaften und das
Römisch-katholische Bistum von evangelischer Seite ergänzen und verstärken.
Zusammengenommen heißt das: Die evangelische schlesische Kirchengeschichte erlebt wieder
einmal eine Zäsur, ist aber nicht an ihrem Ende. Mit Gottes Hilfe geht sie weiter, wenn
auch in einem anderen Rahmen und mit Perspektiven, die es zuversichtlich aufzugreifen und
auszugestalten gilt. Hoffentlich können wir in absehbarer Zeit mehr darüber berichten.
Christian-Erdmann Schott (KK)
KK1180 Seite 12:
Das ewig Vergängliche in Schwarzweiß
Zdenek Mateiciuc zeigt seine Sammlung von Fotos aus dem Leben aus dem Leben
einer deutschen Familie unter dem Altvater
Die bereits im Sudetendeutschen Haus in München sowie in verschiedenen Städten
in der Bundesrepublik Deutschland, der Republik Österreich und der Tschechischen Republik
gezeigte Ausstellung Land unter dem Altvater wird vom 25. Januar bis zum 21.
März 2004 im Haus Schlesien in Königswinter-Heisterbacherrott gezeigt. Sie wurde von dem
Tschechen Zdenek Mateiciuc aus Odrau gestaltet und präsentiert Fotoabzüge von
Glasplatten-Negativen mit Bildern aus dem Leben einer deutschen Familie um die Wende vom
19. zum 20. Jahrhundert in Sudetenschlesien Eltern und Kinder, Freunde, Menschen
bei der Arbeit und bei der Erholung sowie die Landschaft, in der sie lebten, arbeiteten
und wanderten.
Sowohl die Ausstellung Land unter dem Altvater und das Haus Schlesien mit
seinem Museum und seiner guten Gastronomie als auch das unmittelbar angrenzende
Siebengebirge und die Rheinlandschaft sollten Anlaß genug sein für einen Ausflug von
Kreis- und Ortsgruppen der Sudetendeutschen Landsmannschaft oder anderer
landsmannschaftlicher Gruppierungen aus Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Hessen oder
Niedersachsen.
Anmeldungen beim Museum für schlesische Landeskunde im Haus Schlesien, 53639
Königswinter-Heisterbacherrott (Frau Remig Telefon 0 22 44 / 8 86-2 31).
(KK)
KK1180 Seite 13
Die Seelsorge und die seelische Not der Vertriebenen
Michael Hirschfeld: Katholisches Milieu und Vertriebene eine Fallstudie am
Beispiel des Oldenburger Landes 19451965, Böhlau Verlag , Köln 2002, 634 S.,
64 Euro
Am Beispiel des Oldenburger Landes 19451965 untersucht die im Rahmen der
Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands
herausgebrachte Dissertation von Michael Hirschfeld die Auswirkungen des Hereinströmens
der Heimatvertriebenen auf das dortige katholische Milieu.
Die heutige Katholizismusforschung ist sich weitgehend darüber einig, daß die
Säkularisierung der deutschen Katholiken bereits vor 1933 begonnen hat und durch die
zwölf Jahre unter dem Nationalsozialismus nur kurzfristig gestoppt wurde. Hirschfelds
sorgfältige Arbeit belegt nun für ein geographisch eng umgrenztes und in den
prostestantischen Norden und katholischen Süden mehr oder weniger geteilten Landes, wie
nach Kriegsende einheimischer Klerus und Neuankömmlinge, Schlesier, Ermländer und
Sudetendeutsche, das vorhandene geschlossene katholische Milieu aufweichten. Die bisher
gepflegte quasi offizielle Religiosität stieß mit der als unsichtbares
Fluchtgepäck mitgebrachten Volksreligiosität zusammen. Das führte so weit, dass
in einigen Orten den Schlesiern die aus der Heimat gewohnte Christmette zugunsten der
oldenburgischen weihnachtlichen Frühmesse versagt wurde.
Für die Kirche in Deutschland stellte sich das Problem, die Einheit und damit das
katholische Milieu zu erhalten. Einerseits war sie für die Integration von Millionen
Vertriebenen verantwortlich, andererseits beklagte sie wie zum Beispiel Kardinal
Frings in Briefen nach Rom , daß ausgrechnet eine katholische Nation den
Ostdeutschen ihre Heimat genommen hatte.
Mit einem riesigen kritischen Apparat, Karten, genauen Statistiken und Tabellen untersucht
Hirschfeld in sieben immer wieder unterteilten Kapiteln das kirchliche
Vereinsleben und die religiöse Brauchtumspflege als Milieubindefaktoren,
sozial-karitative Organisationskonzepte der Hierarchie, karitativ-pastorale Konzepte und
deren Rezeption auf der Mikroebene, außerordentliche innovative Seelsorgmethoden zur
Stärkung der Milieukohärenz, interkonfessionelle Kontakte und ökumenische Annäherungen
zwischen Milieuaufweichung und Milieustabilisierung, die Konfessionsschule als
Milieugarantin und den Klerus als soziale Führungsschicht.
Eigens beschrieben wird die Gründung und Rolle des Hedwigwerkes, das von Teilen des
einheimischen Klerus als eigene Interessenvertretung katholischer Heimatvertriebener
abgelehnt wurde. Integration statt Separation hieß die Devise. Ein ostdeutscher Redner
sprach es auf dem Bochumer Katholikentag 1949 deutlich aus: Gerade in katholische
Regionen seien ostdeutsche Katholiken mit besonderer Freude gekommen, hätten aber
insbesondere dort die Erfahrung machen müssen, im kirchlichen Leben abgelehnt und an den
Rand gedrängt worden zu sein. Genauso objektiv berichtet der Autor aber auch über
die vielfältigen Bemühungen, durch den Neubau von Kapellen und Kirchen wie den Einsatz
von Kapellenwagen, die Motorisierung der Geistlichen und katholische Siedlungsinitiativen
die seelische und materielle Not der Vertriebenen zu lindern.
Als Bindekräfte würdigt Hirschfeld auf mehr als siebzig Seiten das aufopfernde Wirken
der Vertriebenenseelsorger. Sie hielten fast ausnahmslos Kontakt zu ihren gleichfalls
vertriebenen Heimatordinarien und stellten sich andererseits den Westordinarien zur
Verfügung. Leider gingen nur wenige von ihnen freiwillig in die spätere DDR. Kurz geht
der Autor auch auf die Gründung von Gymnasium und philosophisch-theologischer Hochschule
für Heimatvertriebene in Königstein ein.
Hirschfeld kommt zwar einerseits zu einer negativen Bilanz, konstatiert das
Scheitern des interkulturellen Transfers zwischen katholischen Einheimischen und
katholischen Vertriebenen und damit die Zerstörung des gewachsenen katholischen
Milieus, andererseits sieht er Teile der Vertriebenen als Vorhut des Konzils.
Norbert Matern (KK)
KK1180 Seite 14:
So wisse denn, Leser: Man lebte zeitkonform
Horst Hiller: Nun danket alle Gott. Erinerungen an eine Jugend in
Schlesien. Verlag Universitas in der F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung, München 2003, 243
S., 16,90 Euro
Ein Siebziger versetzt sich in die Rolle eines Volks- und Hauptschülers während der
fünfeinhalb Jahre des Zweiten Weltkriegs. Schauplatz des Geschehens ist das diesem Krieg
ferne niederschlesische Städtchen Parchwitz. Es liegt 15 Kilometer nordöstlich der
Bezirkshauptstadt Liegnitz an der Katzbach kurz vor deren Mündung in die Oder. In diesem
Ackerbaustädtchen, wie es in einem Reiseführer heißt, ist Horst Hiller, der
sich im Buch Werner nennt, 1931 geboren.
In der Ankündigung des Buches erfahren wir, daß der Autor an der Technischen Hochschule
in Dresden promoviert wurde, in der DDR einen Nationalpreis erhielt, nach einem
mißglückten Fluchtversuch wegen Spionage verurteilt und nach sechs Jahren von der
Bundesrepublik freigekauft wurde. Im Buch selbst ist von all dem nichts zu erfahren, der
Autor erinnert sich vielmehr der Zeitgeschichte, wie er sie als Schuljunge erlebt hat.
In Parchwitz kennt zu jener Zeit jeder jeden, und die Parchwitzer werden die genauen
Ortsbeschreibungen des Autors gewiß nachvollziehen können. Der größte Arbeitgeber ist
eine Konservenfabrik, wo die Mutter von Werner und seinem jüngeren Bruder Günter
kriegsdienstverpflichtet ist. Viel wird von der Schule und den Lehrern erzählt. Namen von
Schulkameraden tauchen auf. Eine Räuberbande wie bei Leonhard Frank oder eine
Rasselbande, um einen schlesischen Ausdruck zu gebrauchen, waren diese
Schuljungen nicht. Über ihre Wohlerzogenheit kann man nur staunen, vielleicht liegt das
aber auch nur am versöhnlichen Bestreben, niemandem weh zu tun. Die Charakterisierung der
Familienmitglieder, der Freunde und Bekannten fällt auch deshalb ein wenig farblos aus.
Man lebte zeitkonform, das soll dem Leser vermittelt werden. Das Buch hebt mit der
Begeisterung an, mit der die zu Beginn des Zweiten Weltkriegs durch Parchwitz rollenden
Truppen gegrüßt werden. Das Buch ist sogar nach Kriegsjahren eingeteilt, und das ist
insofern verwunderlich, als das tatsächliche Kriegsgeschehen nur in knappen Fetzen
Eingang findet. Zudem geht die Darstellung nicht über ein unkritisches Nachplappern von
Nachrichten aus dem Volksempfänger und der Wochenschau hinaus. Dabei wird
erklärend und entschuldigend auf das Alter des ahnungslosen Werner verwiesen.
In der Schule wird zum Heroismus erzogen, unter Hinweis auf Vorbilder wie Friedrich den
Großen mit seiner auch ortsgeschichtlich interessanten Rede auf dem Schäferberg
vor der Schlacht von Leuthen 1757 oder den Seeteufel Friedrich Luckner. Hinzu
kommen Erzählungen aus dem Ersten Weltkrieg und die Aktivitäten im Jungvolk der
Hitlerjugend.
Bisweilen glaubt man ein Märchen zu lesen, zwar mit dramatischen und tragischen Akzenten,
doch ist die Landschaft trotz der Todesnachrichten aus dem Krieg weiterhin abgelegen und
entsprechend idyllisch, die Atmosphäre geruhsam. In Kursivdruck sind realistische
Kommentare aus heutiger Sicht eingeblendet wobei der tagespolitische Bezug oft kaum
mit den Erinnerungen zusammenhängt. Bestimmt hat auch ein gerüttelt Maß an Phantasie
mitgewirkt, dennoch ist ein authentisches Bild jener Zeit nicht nur in der schlesischen
Provinz zustande gekommen.
Herbert Hupka (KK)
KK1180 Seite 15:
Wenn der Kausalnexus zum gordischen Knoten wird
Das Zweite Deutsche Fernsehen nahm den Jahrestag des Beginns der großen
sowjetischen Offensive, die mit der Kapitulation des Deutschen Reiches und dem Sieg der
Alliierten endete, zum Anlaß, am Tag danach den Film Die große Flucht. Das
Schicksal der Vertriebenen zu zeigen, 90 Minuten zur besten Sendezeit.
Entsprechend den Vertreibungslandschaften bestand der Film aus vier Teilen: Nach
Ostpreußen folgten Pommern, dann Schlesien und das Sudetenland. Für jeden dieser Teile
wurde ein dramaturgischer Schwerpunkt gesetzt. Für Ostpreußen war es die Tragödie des
Untergangs der Gustloff, für Pommern die Auslöschung der Stadt Swinemünde
im Bombenhagel, für Schlesien der Kampf um Breslau, für das Sudetenland die Vertreibung
von Millionen Deutschen. Ohnehin war es nicht möglich, sich streng auf das Thema Flucht
zu beschränken.
Der begleitende Text (Drehbuch Annette Tewes und Christian Deick) war dem grausamen
Geschehen angemessen und den Fakten verpflichtet. Viele der unmittelbar Betroffenen kamen
als Zeugen zu Wort. Auch wenn dieses Mal andere Autoren verantwortlich zeichneten als vor
zweieinhalb Jahren, als Die große Flucht vom Zweiten Deutschen Fernsehen
schon einmal thematisiert worden war, wurden zu Recht erneut dieselben Zeugen ob
seinerzeit Freund oder Feind ins Bild gebracht.
Einige Korrekturen müssen allerdings angebracht werden. Da nicht nur von der Flucht,
sondern auch von der Vertreibung berichtet wurde, wurden wieder einmal die Ausgesiedelten
und Vertriebenen aus Ostpolen, aus der Ukraine jenseits von Bug und San, die von Polen
kriegerisch annektiert worden war, mit den Deutschen gleichgestellt, die über
Jahrhunderte dort im Osten ihre Heimat hatten, ohne daß es deswegen zum Krieg gekommen
wäre. Auch die wieder projizierte Kausalität zwischen der Ereignissen unter Adolf Hitler
sowie Konrad Henlein und der 1945 erfolgten Vertreibung der Sudetendeutschen stimmt nicht,
vor allem können die Vertreibungsverbrechen so nicht gerechtfertigt werden. Ohnehin wäre
es erwägenswert, ob man bei der Behandlung des Themas nicht ohne das Bild Adolf Hitlers
auskommen könnte.
Der Film, der zu den historischen Dokumentationen von Guido Knopp gehört, zeigte erneut,
mit welchen persönlichen Schicksalen Mitbürger, die schwersten Leid erfahren und gottlob
überlebt haben, belastet sind, und daß sie kaum Gelegenheit erhalten, darüber zu reden
und sich so gleichsam zu befreien von der unmenschlichen Vergangenheit. Um so weniger
begreift man, warum Flucht, Vertreibung und Bombenterror über die Jahrzehnte tabuisiert
worden sind. In diesen anderthalb Stunden wurde im richtigen Ton und überzeugend deutsche
Geschichte nachgezeichnet.
H. H. (KK)
KK1180 Seite 16:
Wer zählt die Bilder, nennt die Namen
Auktionen der Kölner Galerie Lempertz mit reichem Angebot an Werken ost- und
mitteldeutscher sowie ostmitteleuropäischer Künstler
Trotz aller Klagen über die heutige Wirtschaftslage hört man von Galeristen auch
Positives über den Kunsthandel. Man müsse freilich auf die Wünsche der Sammler achten
und vor allem Qualität bieten. Ein Spiegelbild der gegenwärtigen Kunstszene waren die
beiden Auktionen Moderne Kunst und Zeitgenössische Kunst des 1845
gegründeten Kunsthauses Lemperz zu Köln. Die Versteigerungen boten auch einem Publikum
mit kleinem Geldbeutel Kunstwerke zu erschwinglichen Preisen an. Vielleicht sind die
bescheidenen Preise eine Werbung für neue Kunden und Kunstfreunde. Die Kölner Auktionen
und die Vorschau waren auch Anlaß für Diskussionen über Politik und Kunst. Der Name
Arno Breker, in der Nazizeit auch Bildhauer des Führers genannt, mag manchen
an die Jahre der Diffamierung der sogenannten Entarteten erinnern. Aber auch
Objekte eines anderen Rheinländers stimmen bedenklich. Für 8000 Euro wurde in dieser
Auktion ein Eisenspaten mit Holzgriff und Brandzeichen angeboten, signiert
Joseph Beuys. Seine Signierte, gestempelte und numerierte Zeitschrift lEspreo,
in verzinktem und verglastem Eisenrahmen, war für 2800 Euro zu haben.
Daß die Überschwemmung der Bundesrepublik mit Kunst, Pseudokunst und modischen Tendenzen
aus den USA nach Jahrzehnten anscheinend zu Ende geht, offenbarten die Lempertz-Auktionen.
Man denkt wieder an die europäische Kunsttradition. Erfreulich vor allem war die
Tatsache, daß die Auktionen besonders nach dem deutschen Osten, Berlin und Osteuropa
ausgerichtet waren. Natürlich waren in Köln rheinische Maler und Plastiker und Picasso,
Braque, Chagall, Mondrian, Soulages, Niki de Saint Phalle u.a.vertreten. Aber Ber1in trat
wieder ins Scheinwerferlicht. Einst war diese Stadt ja nicht nur Hauptstadt, sondern auch
Metropole der modernen Kunst, Anziehungspunkt für Künstler aus dem ganzen Reich und dem
Ausland, besonders aus Osteuropa. Im Dritten Reich gab es freilich nicht wenige
Emigrationen ins Ausland, und nach dem Krieg förderte die Teilung Berlins in Ost und West
die Übersiedlung in den Westen, wobei Köln davon profitierte und zur Kunst- und
Museumsstadt am Rhein wurde. Die Berliner Künstlernamen auf den Lmpertz-Auktionen lauten
Max Liebermann, Georg Tappert, Richard Albitz, George Grosz, Max Kaus, Georg Baumgarten,
Erich Buchholz, Conrad Felixmüller, Karl Hofer, Alexander Kanoldt, Edmund Kesting,
Wilhelm Lehmbruck, Curt Lahs, Walter Leistikow, Emil Orlik, Lesser Ury, William Wauer,
Renée Sintenis, Gustav Wolff, Agnus Zeller, Heinrich Zille, Max Bill, Alexander Camaro,
Karl Hartung, Bernhard Heiliger, Heinz Trökes, Fred Thieler, Wolf Vostell, Hermann
Glöckner; von den Dresdner Brücke-Malern ließen sich Max Pechstein und Karl
Schmidt-Rottluff in Berlin nieder. Ihre Heimatstadt verließen die Berliner Albert Birkle,
Walter Gramatte, Werner Heldt, Gerhard Marcks, Gabriele Münter, Hans Richter und Ernst
Wilhelm Nay. Sie sind bei Lempertz mit Werken ebenso vertreten gewesen wie ihre Landsleute
Jochen Gerz, Johannes Grützke, Bern Koberling und Trak Wendisch. Die Dresdner
Brücke wurde außer von den Genannten noch von Otto Mueller, Erich Heckel,
Emil Nolde, Ernst Ludwig Kirchner und Fritz Bleyl vertreten.
Zu vermerken ist, daß Kunstwerke aus allen Landschaften des ehemaligen deutschen Ostens
auf den Auktionen erworben werden konnten.Ostpreußen war durch Käthe Kollwitz, Lovis
Corinth und Rolf Cavael vertreten, also nur herausragende Persönlichkeiten. Aus
Westpreußen stammt der Senior der deutschen Abstrakten Bernard Schultze. Sachsen war dank
der Dresdner Brücke eine Zeit lang nicht nur Mittelpunkt der modernen Malerei
und Grafikt, die Auktionsliste berühmter und weniger bekannter sächsischer Künstler ist
lang, darunter Arnold Balwe, Paul Baum, Max Beckmann, Theodor Thomas Heine, Max Klinger,
Bernhard Kretzschmar, Paula Modersohn-Becker, Herrmann Raddatz, A.R. Penck, Neo Rauch,
Gerhard Richter, Gert Heinrich Wollheim und Hans Hartung. Aus Pommern stammen Otto
Freundlich, Paul Kleinschmidt, Rudolf Levy, aus Thüringen Otto Dix, Wa1ter Jacob, Otmar
Alt, Gerhard Altenbourg, Werner Büttner und Georg Herold, aus Brandenburg Karl-Heinz
Krause und Paul Wunderlich. Natürlich sind auch Nieder- und Oberschlesien stark
vertreten: Hans Bellmer, Ludwig Meidner, Otto MueI1er, Johnny Friedlaender, Raimund Girke,
Sigmar Polke, Lothar Quinte. Aus der bei einer so umfangreichen Auktion naturgemäß
unvollständigen Liste noch
ein paar Namen bedeutender Künstler, die ihre alte Heimat verlassen mußten: Ida
Kerkovius, Lionel Feininger, der mit dem deutschen Bauhaus als Lehrer und Künstler eng
verbunden war, Otto Herbert Hajek und Markus Lüpertz aus dem Sudetenland, die heute im
Westen leben und als Hochschulprofessoren und Künstler tätig sind.
Daß die Tore im 20. Jahrhundert zu Westeuropa von modernen Künstlern aus Osteuropa weit
geöffnet worden sind, machte sich auch auf der Lempertz-Auktion bemerkbar: Alexej von
Jawlenskys stark abstrahierte Komposition von 1919 kam auf 135 000 Euro, ein Litho dieses
1941 in Wiesbaden verstorbenen russischen Malers immerhin auf 5900 Euro. Mit 54 000 Euro
erzielte ein Aquarell des Leon Bakst mehr als das Doppelte, und eine Landschaft von
Vladimir G. Bechttejeff stieg auf 42 000 Euro. Erwähnt seien noch die in Paris
verstorbenen Natalja Gontscharova und Ossipe Zadkine. Rumänien war durch Arthur Segal
(gestorben 1944 in London) und Daniel Spoerri vertreten. In der westeuropäischen Kunst
sind auch die Ungarn Zoltan von Szekessy (gestorben 1968 in Düsseldorf) und Victor
Vasarely (gestorben 1997 in Paris) integriert. Rekorde erzielten die Österreicher: Egon
Schiele mit Zwei Frauen (670 000 Euro, das Doppelte des Schätzwertes) und
Oskar Kokoschka mit dem Aquarell Frühlingsstrauß 36 000 Euro.
Schießlich noch einige Ergebnisse von Arbeiten deutscher Künstler. Aus dem Gebiet der
Druckgrafik seien genannt Max Beckmanns Selbstbildnis von 1918 (19 000 Euro),
Otto Dix (4600), Erich Heckel (5000), Käthe Kollwitz (750), Franz Marc (1 200), Lesser
Ury (1000), Otto Mueller (6500). Plastiken wurden ersteigert: Wilhelm Lehmbruck (für 55
000 Euro), Ewald Mataré (14 000), Renée Sintenis ( 31 000), Gustav Wolff (5500) und
Bernhard Heiliger (15 000). Aquarelle und Zeichnungen: Max Ernst (10 500), Ernst Ludwig
Kirchner (1800), Max Liebermann (18 000), Emil Nolde (58 000), Max Pechstein (8000),
Christian Rohlfs (44 000). Mancher Zuschlag für Ölgemälde versetzte in Erstaunen:
Pechsteins Liegender Akt mit Katze etwa wurde bei 430 000 Euro zugeschlagen,
Gemälde von Emil Schumacher bei 165 000, von Georg Tappert bei 180 000).
Professor Henrik Hanstein, der Inhaber des Familienunternehmens Lempertz, und seine
Mitarbeiter sind, wie verlautet, hoch zufrieden über den geschäftlichen Ausklang des
Jahres 2003: Glänzender Erfolg mit 7 Millionen Gesamtergebnis für die Moderne und
Zeitgenössische Kunst bei Lempertz. Das Ergebnis übertrifft bei weitem die Resultate der
entsprechenden vorangegangenen Frühjahrs- und Herbstauktionen.
Günther Ott (KK)
KK1180 Seite 18:
Familie Herder und ihre pathologische Natur
Weder wußte der gefeierte Schriftsteller sich in Weimar beliebt zu machen,
noch war seinem Sohn wirtschaftlicher Erfolg beschieden
Herder ist jetzt eine ganz pathologische Natur! Diese deutliche Äußerung
stammt von keinem Geringeren als Schiller aus dem Jahr 1802. Auch Goethe hat nichts
anderes gemeint, wenngleich er sich gemessener über den schwierigen Umgang mit dem
Generalsuperintendenten Johann Gottfried Herder zu Weimar geäußert hat. Wie treffend
diese Bemerkungen waren, läßt sich am traurigen Schicksal des jüngsten Herder-Sohnes
Adalbert ablesen, für den 1801 die Herrschaft Stachesried unweit der niederbayerischen
Kreisstadt Kötzting gekauft wurde.
Unter dem 4. Oktober 1801 wurde der Kauf dieser adligen Hofmark von dem Freiherren von
Hafenbrädl beurkundet. Da in Bayern noch geltendes Recht war, daß adlige Güter
innerhalb eines Jahres aus bürgerlichem Besitz zurückgefordert werden konnten, ließ
sich Herder dazu bewegen, das bayerische Untertanenrecht gleichsam das
Bürgerrecht und vor allem den vielbelächelten bayerischen
Personaladel zu erwerben. Dieser Personaladel blieb bis zum Ende der Monarchie eine
bayerische Spezialität, in den Genuß kamen zur gleichen Zeit wie die Familie Herder
am 8. Oktober 1801 auch untergeordnete bayerische Beamte wie Richter an
kleinen Landgerichten oder Sekretäre von Oberbehörden. Dem Superintendenten Johann
Gottfried Herder ist dieser Adel jedenfalls schlecht bekommen. Als nämlich Herzog Carl
August sozusagen aus der Zeitung erfuhr, daß er jetzt einen adligen
Superintendenten hatte, ergrimmte er und ließ Herder seine Ungeschicklichkeit auf jede
Weise, besonders durch die unverzügliche Erwirkung eines kaiserlichen Adelsbriefes für
Friedrich Schiller, spüren. Diesen ließ er groß publizieren, um Herder zu kränken, was
ihm gelang, was aber auch nicht schwer gewesen sein muß. Immerhin hat der bayerische Adel
seinen Söhnen Emil und Rinaldo den Zugang zum bayerischen Beamtendienst ermöglicht.
Doch die wahren Gefährdungen des neuen Besitzes lagen auf wirtschaftlichem Gebiet, der
Adelstitel konnte daran nicht das mindeste ändern. Ähnlich wie Christoph Martin Wieland
noch auf seine alten Tage das 150-Hektar-Gut Oßmannstedt, hatten die Herders Stachesried
viel zu teuer gekauft. Stachesried war Hofmark, was in der Rechtssprache des alten Bayern
ein Zwischending zwischen Gemeinde und Gerichtsbezirk bezeichnete, der Besitzer war damit
Gerichts- und gegenüber den Bauern abgabenberechtigter Grundherr. Hinzu kam ein für
bayerische Verhältnisse ansehnlicher land- und forstwirtschaftlicher Eigenbetrieb mit 143
Tagwerk Acker (das Tagwerk ist das alte bayerische Landmaß und umfaßt geometrisch 3333
Quadratmeter), 51 Tagwerk Wiesen, 8 Tagwerk Hopfengärten und 453 Tagwerk Wald, dazu eine
Brauerei, eine Ziegelei, das Mühlenrecht, die hohe und niedere Jagd und die
Fischereirechte in den Gewässern des Gutsgebietes. Von besonderem Wert waren Rechte auf
Arbeits- und Gespannleistungen der Bauern. Im Grunde ist dieser Kauf Herder wesensfremd.
Er hat aus seiner Ablehnung des Adels und seiner Feudalrechte keinen Hehl gemacht, sich
sogar fast verächtlich dazu geäußert und war insgesamt zwar kein Jakobiner, aber
unverkennbar an einem bürgerlich-emanzipatorischen Gesellschaftsbild orientiert, dessen
Verwirklichung eine ihrer Grundlagen auch in seinem Werk hat. Doch Herder ist nicht der
einzige, der anders geschrieben als gehandelt hat.
Stachesried liegt in der Nähe des Kreisortes damals Landgericht Kötzting,
in nächster Nähe zur böhmischen Grenze und damit dort, wo der Bayerisch-Böhmische Wald
fast am rauhesten ist. Die größten Probleme des Besitzes lagen in seinem Standort
begründet, in einer verkehrstechnisch minimal erschlossenen kargen Landschaft mit hartem
Klima, kurzen Vegetationszeiten und ertragsschwachen Verwitterungsböden auf Gneis und
Granit. Marktbeziehungen mit einem sicheren Absatz konnten nicht aufgebaut werden. Das
alles war auch für einen Ortsfremden überdeutlich zu erkennen, zumal Adalbert Herder als
Landwirt kompetent und urteilsfähig war. Gleichwohl haben er und seine Familie keine
Bedenken gehabt, für Stachesried mehr als das Dreifache seines Wertes zu bezahlen, etwa
140 000 Gulden, die nur fremdfinanziert waren. Nach vielen Besitzwechseln selbst
Herzog Carl August hat das Gut 1818 einmal erworben kaufte es 1829 der bayerische
Staat für 42 000 Gulden, vor allem, um den landwirtschaftlichen Besitz aufzuteilen. Das
dürfte auch der reale Wert um 1800 gewesen sein. Es hat in Bayern zur jener Zeit kaum
einen zweiten Fall eines derart krassen Fehlkaufes gegeben.
Natürlich denkt man wieder an Wieland, der Oßmannstedt gleichfalls weit über Wert
bezahlt, fahrlässig zu fast hundert Prozent fremdfinanziert hat und von den pfiffigen
Bauern der Dorfhauptmannschaft kräftig betrogen worden ist. Doch für Wieland ging das
Abenteuer mit anderthalb blauen Augen gerade noch erträglich aus, für Adalbert Herder
endete der überteuerte Kauf von Stachesried in einer Lebenskatastrophe. Sein von den
bayerischen Behörden mit Wohlwollen begleiteter Versuch, eine landwirtschaftliche
Lehranstalt mit besoldeten Fachlehrern und einem Internat einzurichten, scheiterte nach
bescheidenen Anfängen vor allem an dem verkehrsfernen Standort. Die tägliche Fron des
landwirtschaftlichen Betriebsleiters, der sich auch noch um den kleinsten Erfolg im
Schweiße seine Angesichtes müht, war Adalberts Sache nicht, der pädagogische Eros war
stärker, brachte aber nichts ein. Von 1807 bis 1809 wurden sämtliche Kredite notleidend
und nicht mehr bedient, die Behörden eröffneten ein Konkursverfahren und entzogen ihm
das Wirtschaftsrecht und alle Verfügungsrechte.
Adalbert Herder sah das als Raub seines Gutes, abfinden wollte er sich damit
nicht. Er hat bis 1819 immer wieder eine Wiedereinsetzung in sein Gut bei
allen auch nur entfernt in Betracht kommenden bayerischen Behörden betrieben. Sie nahmen
ihm dies als Insurrektion schließlich sehr übel und deuteten die
Möglichkeit von Geistesverrücktheit an. Ähnliche Überlegungen wurden
Jahrzehnte später, kurz vor seinem Tode 1854, noch einmal angestellt, als es um eine
Kuratel ging.
Adalbert Herder hat den Verlust von Stachesried mit der Unterstützung seiner Geschwister
noch um volle 45 düstere Jahre überlebt. Beschäftigt hat er sich meist mit oft
abseitigen Ideen der Welt- und Menschheitsverbesserung. Gescheitert ist er vor
allem an sich selbst, denn er muß die Persönlichkeitsmerkmale, die Herzog Carl August,
Goethe, Schiller, Voigt, Wieland und vielen anderen den Umgang mit Johann Gottfried Herder
so schwer gemacht haben, fast komplett verkörpert haben.
Dietmar Stutzer (KK)
KK1180 Seite 20
Musik des Lachens und der Tränen
Die weltumspannende jiddisch-israelische Saite wird bei den 17. Jüdischen
Kulturtagen in München virtuos gespielt
Weder die tagespolitischen Meldungen von Terroranschlägen noch die
antisemitischen Äußerungen einiger Politiker konnten in diesem Jahr ein begeistertes
Publikum, Juden und Nichtjuden, davon abhalten, die internationalen Veranstaltungen zu
besuchen, zu denen sich Künstler aus New York, Paris, Straßburg, Wien, Berlin, Leipzig,
Graz, Salzburg, Tel Aviv und München zusammengefunden hatten. Und so wurden wieder, wie
Bürgermeisterin Gertraud Burkhart bei der Eröffnung betonte, Brücken der
Verständigung geschlagen zwischen jüdischen Künstlern, Darbietungen jüdischer
Kunst und einem zahlreichen deutschen Publikum. Es bleibt zu hoffen, daß der Wunsch der
Veranstalterin und Vorsitzenden der Gesellschaft zur Förderung jüdischer Kultur und
Tradition e. V., Ilse Ruth Snopkowski, in Erfüllung geht: Die unfreiwillige
Sonderstellung, die das Jüdische hierzulande immer noch einnimmt, solle einer
tatsächlichen Normalität weichen.
Der thematische Bogen der Veranstaltungen spannte sich in diesem Jahr Vom Baal
Schem Tow zur Goldenen Medine, das heißt von der mysteriösen Welt Israel ben
Eliesers, des Begründers des Chassidismus, bis zur Goldenen Medine, dem
Goldenen Land, wie die ostjüdischen Immigranten im 19. Jahrhundert das ihnen paradiesisch
erscheinende Amerika nannten. Geboten wurden synagogale Gesänge, Klesmermusik, jiddische
und hebräische Lieder, Lesungen, Filmabende, Vorträge, Ausstellungen und eine
Theateraufführung.
Das facettenreiche Programm eröffnete der Leipziger Synagogalchor, ein Klangensemble, das
bereits 1962 in den besten DDR-Zeiten von Werner Sander, Oberkantor von
Leipzig und Dresden, gegründet wurde und inzwischen nach Konzertreisen durch
Europa und die USA, nach Südafrika und Israel weltberühmt ist. Das
abwechselungsreiche Repertoire unter der Leitung von Helmut Klotz umfaßte diesmal neben
synagogalen Gesängen auch jiddische und hebräische Nigunim sowie Gettolieder des
zeitgenössischen israelischen Komponisten Joseph Dorfman.
Zum farbigen und immer noch beliebten Thema Klesmer gab es gleich mehrere Veranstaltungen,
so Konzerte der Klezmer Nova aus Paris Leitung Pierre Wekstein,
Saxophon , Klesmer-Chansons mit Karsten Troyke, Berlin, Klesmermusik der Gruppe
Gefilte Fisch mit Andrea Giani (Leitung und Gesang) und schließlich eine Jam
Session, bei der die beiden New Yorker Interpreten Yale Strom (Violine) und Elizabeth
Schwartz (Gesang) mit den Münchner Musikern Andy Arnold (Klarinette), Ecco Meinecke
(Gitarre) und Michael Engelhardt (Baß) spontan und lebensvoll Klesmer, Musik des
Lachens und der Tränen, brachten. Und Tränen gab es dann tatsächlich bei nicht
wenigen Zuhörern, als Elizabeth Schwartz mit beschwingter Anmut und rumänischem
Temperament abschließend Mein Schtetele Beiz und die längste Variante von
Rumenje, Rumenje sang, um bei rasendem Applaus zu rufen: Sa-mi traiesti,
dulce Romanie! (Leben sollst du, süßes Rumänien). Da war sie plötzlich, die
Brücke der Gefühle von New York nach München und Bukarest.
Einen Abend hoher kantoraler Kunst bot dann Shamuel Barzilai, Oberkantor der
Israelitischen Kultusgemeinde Wien, dessen jiddische und israelische Lieder, vorgetragen
mit seiner klassisch geschulten Stimme, zum Jüdischen Belcanto verschmolzen.
Begleitet wurde Barzilai vom israelischen Pianisten Lior Krezer. Überlieferte Geschichten
und Legenden vom Begründer des Chassidismus, Israel ben Elieser (1700-1760), genannt
Baal Schem Tow einst vom großen Wiener Philosophen Martin Buber (1978-1965)
aufgezeichnet und nacherzählt , brachte der bekannte französische Schauspieler
Moshe Kahn (Straßburg), begleitet und kommentiert von der Salzburger
Musikergruppe The Klezmer Connection. Auch hier wurde aus dem Zusammenspiel
von Erzählung und Musik eine klingende Brücke diesmal von Straßburg und Salzburg
bis ins ferne Podolien am Rande der Karpaten.
Der musikalische Teil der Kulturtage kulminierte mit dem Auftritt der Gruppe The
Bagels & Band (Berlin) und den beiden Sängerinnen Vivian Kanner und Sharon
Brauner, die mit viel Charme und Humor jiddische Lieder als in die heutige Zeit
transportieren. Eine mystische Stimmung vermittelte die Abschlußveranstaltung im
Münchener Künstlerhaus, wo Kantor Richard Amez (Graz) kabbalistische Legenden und Lieder
aus Rumänien vortrug, die mit effektvollen Bildprojektionen verwoben wurden.
Es war dieses die Uraufführung eines originellen interreligiösen Dialogs im
europäischen Raum.
Die 17. Jüdischen Kulturtage in München standen diesmal unter dem suggestiven,
vieldeutigen Motto Ein Blick zurück nach vorn. Der Erfolg der Künstler, die
aus fünf Ländern angereist waren, läßt hoffen, daß dieser Blick nach vorn
in eine ferne Zukunft reichen wird.
Claus Stephani (KK)
KK1180 Seite 22:
Die Zeit ist bunt und trostlos wie die Zeiten
Evgeni Dybsky stellt in Düsseldorf aus
Das Gerhart-Hauptmann-Haus beherbergt bis zum 25. Februar eine Ausstellung mit
Arbeiten, die der Künstler Evgeni Dybsky in den letzten zehn Jahren geschaffen hat. Der
1955 in einer russisch-jüdischen Familie in Konstanza, Rumänien, geborene und 1956 nach
Pawlowo-Posad im Gebiet Moskau umgesiedelte Künstler hat ein Studium an der Moskauer
Kunstschule und am dortigen Surikow-Institut absolviert. Er zählte bis 1990 zu den
führenden Malern in Moskau. Seit 1996 wohnt und arbeitet Dybsky als freier Künstler in
Köln und Moskau.
Die 1992 begonnene Werkreihe Translation of Time setzt Dybsky heute noch fort.
Unter diesem Titel sind bisher zehn Serien mit etwa 30 bis 60 einzelnen Arbeiten
entstanden. Eine Auswahl von 16 dieser bildlichen Metaphern auf Landschaftliches in
mehrschichtig angelegten Farbräumen, wie es im mehrsprachigen Katalog heißt, sowie
zwei Objekte aus Holz, Marmor, Emulsion und Eisen bzw. aus Holz, Stein und Emulsion sind
im Gerhart-Hauptmann-Haus zu sehen. Hervorzuheben sind vor allem die Bilder aus den
letzten drei Jahren, die mit dunkelbraunen Tierhaaren zu faszinierenden Collagen
verarbeitet wurden.
Dybsky beteiligte sich weltweit an Gruppenpräsentationen und zeigte seine Bilder in
zahlreichen Einzelausstellungen u. a. in der Tretyakov-Galerie Moskau, im Freud Museum
London und im Museum Ludwig im Russischen Museum St. Petersburg.
Dieter Göllner (KK)