Adam Zagajewski und Karl Dedecius
Schulmann
und Historiker
Zum Tode von Gottfried Kliesch
Exportschlager
deutsche Sprache (I)
Deutsch-osteuropäischer Sprachkontakt seit 1500 Jahren
Zwei
Breslauer in New York beschenken Berlin
Das Brücke-Museum erhielt einen Otto Mueller
Adam Zagajewski und Karl
Dedecius
Eine anspruchsvolle Lesereihe unter dem Titel Res verba hat das Bonner
Publikum im Oktober und November mit Durs Grünbein, Judith Herzberg und Michael Hofmann
zusammengeführt. Ein besonderes Erlebnis war Adam Zagajewskis Lyrik, die der polnische
Dichter in der deutschen Übersetzung von Karl Dedecius vortrug und in seinem eigenen
Deutsch ebenso zurückhaltend wie brillant kommentierte. Ein Gespräch mit Ludwig Krapf,
dem Bonner Kulturdezernenten und Initiator der Reihe, ließ den ironisch-bescheidenen
Dichter, der nach einem Pariser Zwischenasyl jetzt wieder in Krakau lebt und
verrückterweise in Dallas amerikanische Studenten das Dichten lehrt, als
Zeit-Genossen im Wortsinn hervortreten.
Auch jemand, der nicht Polnisch kann, weiß, wenn Karl Dedecius, dieser große Mann der
polnisch-deutschen Wortkunst, aus polnischer Poesie deutsche macht, dann ist das eine
Bürgschaft für polnisch-deutsche Qualität. Wer hier nicht zumindest meint zu verstehen,
der versteht gar nichts. Allerdings ist, und das zeigte sich hier wieder, jede
öffentliche Veranstaltung zur Literatur von vornherein ein schwieriges Beginnen. Dichtung
sperrt sich gegen Öffentlichkeit, und das wesentlich. Denn Dichtung ist Sprache im
Ausnahmezustand nicht der Abgehobenheit, sondern der verbindlichen, ja zwingenden
Unmittelbarkeit. Sie tritt der Welt zu nahe und tritt ganz nahe an den Leser
heran, damit er empfindet, was er nicht versteht, und versteht, was er nicht empfindet.
Darum gibt es kein besseres Berichten als das Zitieren.
Zwei Generationen treten uns entgegen, doch sie sind beileibe nicht nur bibliographisch
vereint in dem 1997 bei Carl Hanser in München erschienen Gedichtbuch Mystik für
Anfänger, sondern sie sind aufs engste verbunden durch das, was sie beide mit
Nikolaus Lenau verbindet (im übrigen sind sie 2000 gemeinsam mit dem Lenau-Preis der
Künstlergilde geehrte worden) und was dieser Heimatlose aus dem fernen donauländischen
Banat in die Worte gefaßt hat: Ich bin ein unstäter Mensch auf Erden. Ihre
Biographien, die Linien des Lebens dieser beiden Schriftsteller, durchziehen
Europa von Ost nach West.
Karl Dedecius wurde 1921 in Lodz geboren. Er ging durch den Zweiten Weltkrieg, allzeit
rauchende Geschützmündungen im Rücken, ging nach Westen und begann, als der Krieg
erkaltet war, in Frankfurt am Main, sich nach Osten rückzuübersetzen.
Adam Zagajewski kam 1945 in Lemberg zur Welt, zu einer zerrütteten Welt, und wurde vor
langsam erkaltenden Geschützmündungen nach Krakau getrieben und dann von den
rotglühenden Verfechtern des Kalten Krieges hinausgetrieben aus der Öffentlichkeit, nach
Westen, wo er sie dann in Paris und in den Vereinigten Staaten von Amerika wiederfand.
Auch er schreibt sich nach Osten, nach Polen, zurück, und ist mittlerweile auch wieder
dorthin gezogen, nach Krakau.
Zwei Vaterländer hat er verloren, bekennt er in seinem ebenfalls bei Carl Hanser in der
deutschen Übersetzung von Henryk Bereska erschienen Buch Ich schwebe über
Krakau: die Stadt seiner Geburt und den quasi natürlichen Zugang zur allgemein
offenkundigen Wahrheit.
Diesen Zugang meinte wohl auch Karl Dedecius seinerzeit als Abteilungsleiter einer großen
Versicherungsanstalt in Frankfurt am Main langsam aber sicher zu verlieren, so daß er
zuerst nebenberuflich, ab 1979 als Direktor des Deutschen
Polen-Instituts in Darmstadt, immer jedoch in der Einsamkeit der Schreibstube
zurückgriff auf andere, ungleich reizvollere Sicherheiten, die der polnischen
Literatur und die der deutschen Sprache.
Beide haben sie europäische Geschichte als Bedrängnis erlebt und erlitten, beide haben
sie in ihren Köpfen das, was Dedecius in seiner Übersetzung des Zagajewskischen Gedichts
Flüchtlinge mit dem schmerzlich sanften Wort Neigung benannt hat.
Zum zeitlosen Erscheinungsbild des Flüchtlings gehört demnach diese charakteristische
Neigung, / wie zu einem anderen besseren Planeten, / wo es weniger ehrgeizige Generäle
gibt, / weniger Kanonen, weniger Schnee, weniger Wind, / weniger Geschichte (diesen
Planeten / gibt 's aber / nicht, es gibt nur die Neigung). Und kein Entkommen. Natürlich
ist das zum Verzweifeln. Aber menschlich verzweifeln, das heißt, in Würde verzweifeln
kann man nur mit dem einen Mittel, das Distanz schafft und Würde verleiht: mit dem Mittel
der Ironie. Wo noch Georg Büchner, ein großer Paradigmenschöpfer nicht nur der
deutschen Literatur, sich wie zernichtet sah vom gräßlichen Fatalismus der Geschichte,
nämlich beim Studium der Französischen Revolution, da findet Adam Zagajewski in
Referendum gänzlich undramatische, fast schalkhaft begütigende, wenngleich
abgründige Verse: Was kommt, wird unsichtbar / und leicht sein. / Was ist, pendelt stets
zwischen Ironie / und Angst. // Was überdauert, wird / blau sein wie das Auge / der
Guillotine.
So und nur so wird die Welt trotz der oder mit der Angst faßbar und beschreibbar, nur so
sind die letzten Fragen zu stellen, ohne daß man an ihnen erwürgte, wie in
Die Maler von Holland: Sagt, ihr Maler von Holland, was wird, / wenn der
Apfel geschält ist, wenn die Seide erlischt, / wenn alle Farben kalt sein werden. / Sagt,
was das ist: das Dunkel.
Das ist nicht ins Dunkel oder ins Blaue geschriebene Rhetorik, sondern stilles
Einbekenntnis der Ohnmacht vor der Welt und ihrer unsichtbaren Seite, in der Formulierung
eher beiläufig wie dieser einfache, durch die ungewöhnlich gesetzte Modalbestimmung
ungewöhnlich transparente Satz in Die Wiesen von Burgund: Wir wissen
nichts, verzweifelt nichts. Just darüber schreibt Adam Zagajewski Gedichte. Er
selbst hat es poetologisch stringent in seinem schon zitierten Buch Ich schwebe
über Krakau ausgesprochen: Der Schriftsteller, der ein intimes Tagebuch führt,
schreibt darin auf, was er weiß. Im Gedicht oder in der Erzählung schreibt er über das,
was er nicht weiß.
Literatur ist das Medium, ja das Organ der Ungewißheit und der konsequenten
Verunsicherung. Diese muß ausgehalten, ja weitergetrieben werden, schmerzlich weit
jenseits der Grenzen des geltenden Anstands. Und gerade dort, wo das Unerträgliche
Sprache wird, wo die Sprache in ihrer Klarheit unerträglich wird, dort blitzt Schönheit,
urplötzliche Reinheit auf.
Ironie von bisweilen sarkastischer Schärfe läßt Adam Zagajewski auch und zuvörderst
beim Selbstporträt walten (freilich vermittelt durch das, was ein gewisser R.
spricht): Literarische Ratten sagt R. , das sind
wir. Und: Benediktiner des atheistischen Zeitalters, Missionare der leichten Verzweiflung.
Vor der Unausweichlichkeit solch schonungsloser Selbsterkenntnis gibt es keine Flucht,
keine Ausflucht nur das Leben und Schreiben im Bewußtsein von dessen
letzter Konsequenz: Du wirst in Flüssen wohnen / Und in Bäumen, unter Schatten, / aber
versinken wirst du / in der Erde, der Erde, der Erde.
Mir selbst ins Stammbuch schreibt das Adam Zagajewski, der Dichter
menschlicher Vereinzelung, der unstäte Mensch auf Erden auf steter Suche nach
Gemeinschaft menschlichen Empfindens, nach Beständigkeit zumindest im Verzicht, in der
ruhigen Entsagung, wie sie schon in den Gedichten vom 1989 formuliert wird:
Ich bin allein, aber nicht einsam. Fern ist solche Selbstbescheidung von
pathetischem Selbstmitleid. Ganz und gar mitleidlos reflektiert der Schriftsteller den
Narzißmus auch des lyrischen Selbstbezugs: Die Schilderung eigener Schwächen ist eine
höchst riskante literarische Gattung, denn wir beginnen sofort auszuprobieren, ob wir
daraus nicht Honig saugen und mit dieser oder jener Schwäche prahlen können. Das ist
stiller Humor, wie er sich sublimer nur noch in seinen Versen findet, sublim und so
subtil, daß ein leichtes Erschrecken seinen Reiz noch erhöht.
Von Platon bis Vermeer, vom Cello bis zum deutschen Volksempfänger, vom
chinesischen Bambusdach bis zur mittelalterlichen Stadt alles wird
diesem Dichter zu Gestalt und Farbe eines Weltbildes, das zu schreiben er nicht aufhört,
an dem er jedoch genauso beständig Verzicht übt, indem er ihm gerade das beläßt, was
ihm selbst besonders wichtig ist: das Geheimnis. Im Selbstbildnis gewinnt es
undefinierbar, doch bedrängend Gestalt: In der Musik finde ich Kraft, Schwäche und
Schmerz, die drei Elemente. / Das vierte hat keinen Namen.
Auch wenn der Begriff verstiegen klingt: Diese Lyrik könnte man als metarealistisch
bezeichnen, ja gar, wenn man die überhitzte terminologische Phantasie noch ein wenig
weiterreizen darf, als metaeuropäisch.
Adam Zagajewski hat begründet, weshalb er allem Kosmopolitismus zum Trotz bei seiner
vermeintlich kleinen polnischen Sprache geblieben ist. Polnisch schreiben sei in den
letzten sechzig Jahren keine akademische, blutleere, marginale Hirntätigkeit gewesen. Es
war eher wie ein glühender brausender Keramikofen, in dem, bei hoher Temperatur und vor
Augen begieriger Zeugen, vor Augen der angespannt beobachtenden Polismitglieder, die
Gefäße der Poesie und Prosa gebrannt wurden. Vor dem Ernst dieser Aussage läßt sich
erahnen, welche Arbeit Karl Dedecius geleistet hat, als er diese Gefäße nach deutscher
Art und Kunst nachzutöpfern unternahm. Denn eine Erkenntnis bleibt auch heute nicht dem
scharfen Geist und der noch schärferen Feder Karl Kraus' vorbehalten, nur hat er sie mit
besonderer böhmischer Bosheit ausgesprochen: Die Deutschen sitzen am Tisch einer Kultur,
in der Prahlhans Küchenmeister ist.
Wenn es nun wirklich ein Gefälle der Großspurigkeit gibt oder das Gerücht einer
Verengung von West nach Ost, wie geht ein Übersetzer damit um? Ganz einfach: Er
übersetzt so, daß auch der leiseste Verdacht einer Hierarchie zwischen
kleinen und großen Sprachen oder Literaturen jenen lächerlich
macht, der ihn auch nur faßt. Mit anderen Worten: Die deutschen Übersetzungen polnischer
Gedichte von Karl Dedecius sind deutsche Gedichte.
Georg Aescht (KK 1177 2003-11-30)
Neuer
Vorstand des Kulturfördervereins Mark Brandenburg
Junge Brandenburger wirken verantwortlich mit
Einstimmig ist Werner Bader (Görne/Havelland), Vorstandsmitglied der Stiftung
Ostdeutscher Kulturrat, in der Mitgliederversammlung in Caputh bei Potsdam zum neuen
Vorsitzenden des Kulturfördervereins Mark Brandenburg gewählt worden.
Bader, Journalist und Buchautor, war mehr als 14 Jahre lang Bundessprecher der
Landsmannschaft Berlin-Mark Brandenburg. Stellvertretende Vorsitzende wurden Günter
Ahrens, Verleger des Westkreuz-Verlages Berlin/Bonn, und Sven Kilian, Frankfurt (Oder),
Reiseveranstalter für die Neumark.
Damit gehören dem Vorstand des Kulturfördervereins Mark Brandenburg jüngere
Brandenburger an. Der stellvertretende Vorsitzende Sven Kilian ist 37 Jahre jung.
(KK 1177 2003-11-30)
Die
Vergangenheit fordert ihr Recht
Die Deutschen in der Tschechischen Republik und in der Slowakei vor deren
EU-Beitritt
Welche Konsequenzen wird der Beitritt zur Europäischen Union für die Tschechische
Republik haben und welche Rolle kann die kleine deutsche Minderheit dort in diesem
Zusammenhang spielen? Diese Fragen gab jüngst der Direktor des Münchner Hauses des
Deutschen Ostens, Ortfried Kotzian, einer Seminarrunde zu bedenken, die sich in seinem
Hause zu dem Thema Europa, die EU-Osterweiterung und die Deutschen in der
Tschechischen Republik zusammengefunden hatte. Eine Parallelveranstaltung befaßte
sich mit den gleichen Fragen in bezug auf die Slowakei. In beiden Fällen rief der
Veranstaltungsleiter die Beteiligten dazu auf, alle Facetten dieser Materie im Auge zu
behalten und keine verengte Auseinandersetzung zu führen.
Dieser Aufgabenstellung vorzüglich angemessen war das knappe Referat, mit dem Konsul Jan
Hlouek, der im Münchner Generalkonsulat der Tschechischen Republik für politische
Angelegenheiten zuständig ist, insbesondere die Probleme verdeutlichte, die Prag mit dem
Verfassungsentwurf der EU hat. Die Regierung müsse, so bemerkte er, der geschichtlich
bedingten Sorge der Tschechen um den Erhalt ihrer Staatlichkeit Rechnung tragen.
Dagegen war der folgende Vortrag von Jaroslav Kucera, Universitätsdozent aus Prag, sehr
wohl dazu geeignet, von der von Kotzian verordneten Marschroute wegzuführen. Denn sein
Thema Die Lage der Volksgruppen in der ersten Tschechoslowakischen Republik und im
heutigen Tschechien führte durchaus auch in sudetendeutsches
Fahrwasser.
Freilich ging KuÄera behutsam zu Werke. Er hielt fest, daß die junge
Tschechoslowakische Republik nach ihrer Gründung der Idee des Nationalstaats gefolgt sei,
der im Rahmen der Nachkriegsordnung wohl Minderheitenrechte habe anerkennen müssen, eine
Teilnahme der Minderheiten an der Gestaltung der nationalen Geschicke aber nicht
zugestanden habe. Es sei das aber die Folge der Tatsache gewesen, daß die Deutschen ein
anfängliches tschechisches Angebot, am neuen Staate mitzuarbeiten, ausgeschlagen hätten,
damals in dem Glauben, noch andere Optionen zu haben. Nach 1926, seit auch deutsche
Parteienvertreter in die Regierungsverantwortung in Prag einbezogen waren, seien statt
einer Fortbildung des Nationalitätenrechts allseits nur noch auf spezielle Belange
bezogene Einzelregelungen erstrebt worden, bis die sich zuspitzende Sudetenkrise 1937/38
zur Ausarbeitung eines Nationalitätenstatuts gezwungen habe, das dann von der politischen
Entwicklung überholt worden sei. Die Frage, ob die Tschechen die deutsche Minderheit
hätten assimilieren, also auslöschen wollen, verneinte Kucera; das nationale Recht habe
aber für die Mehrheit Partei genommen und die Minderheiten nicht ausreichend geschützt.
Diese Äußerungen Kuceras lösten nun Wortmeldungen aus, die sich zu wahren
Sündenregistern an die tschechische Adresse auswuchsen. Kotzian sah sich in einer
Diskussion, die er zu vermeiden gesucht hatte, wollte auch solche Fragen nicht zulassen,
die sich unmittelbar auf das Vorgetragene bezogen, wie die nach der Nationalitätenpolitik
Benes oder nach der tschechischen Zuwanderung in die deutschen Siedlungsgebiete.
Doch Kucer bemühte sich gelassen und sachlich um Antworten. Wenn tschechische Beamte in
die deutsch besiedelten Grenzgebiete versetzt worden seien, so argumentierte er, dann
lasse es sich heute schwer feststellen, ob dafür eine Funktionsschwäche des Apparats
oder eine politische Absicht verantwortlich gewesen sei. Immerhin habe sich die
Beamtenschaft in den fraglichen Gebieten noch etwa zur Hälfte aus Deutschen
zusammengesetzt. Im übrigen sei in den deutschen Grundschulen Tschechisch nicht
Pflichtsprache gewesen. Wer wolle da behaupten, es sei dem tschechischen Staat um eine
Assimilierung der deutschen Minderheit gegangen?
Was die Gegenwart betrifft, so hatte KuÄera in seinem Vortrag in Übereinstimmung
mit Konsul Hlouek festgestellt, seit 1990 sei trotz aller noch vorhandenen Mängel
in der Tschechischen Republik eine demokratische und rechtsstaatliche Ordnung aufgebaut
worden. Der Beitritt zu internationalen Pakten und Konventionen verbürge, die Aufnahme in
die EU bestätige das. Das Recht der Minderheiten, ihre nationale Identität zu bekennen,
sei auch in der Gesellschaft weitgehend anerkannt.
Minderheiten würden weithin als eine Bereicherung empfunden.
Diese Feststellungen fanden in den Ausführungen der Präsidentin der Landesversammlung
der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien, Irene Kunc, die über Die Bedeutung
der Deutschen in der Tschechischen Republik für eine europäische Zukunft sprach,
manche Bestätigung. Die deutsche Minderheit umfaßt nach der jüngsten Volkszählung rund
48 000 Personen, dürfte aber tatsächlich um einiges größer sein. Sie ist im
Kulturverband der Bürger deutscher Nationalität von 1969 mit 3500 Mitgliedern und in der
Landesversammlung von 1989 mit 8500 Mitgliedern organisiert. Ihre Funktionäre arbeiten im
Rat der Nationalitäten mit den anderen Minderheiten zusammen. Im Parlament und in der
Regierung sind die Deutschen infolge ihrer geringen Zahl nicht vertreten. Aus demselben
Grund bestehen keine deutschen Schulen. Die jungen Deutschen haben, wie Irene Kunc sagte,
alle Chancen, die Alten befürchteten wegen ihrer Erfahrungen in der kommunistischen Zeit
oftmals noch immer Benachteiligungen. Bei der Pflege der deutschen Sprache und Kultur
werde die deutsche Minderheit von der Regierung unterstützt. Von ihrer Zusammenarbeit mit
Minderheiten aus verschiedenen europäischen Ländern wisse sie, daß diese oft größere
Probleme hätten, als sie in der Tschechischen Republik bestünden. Die Bedeutung der
deutschen Minderheit dort für die europäische Zukunft sehe sie in einer
Brückenfunktion, zu der sie dank ihrer Zweisprachigkeit (die ja in der Zwischenkriegszeit
nicht bestand) berufen sei.
Das Bild, das der slowakische Generalkonsul in München, Peter Miik, auf der
parallelen Seminarveranstaltung von der nunmehr zehn Jahre alten Republik zeichnete, war
von Optimismus getragen. Er stellte den aus dem Zerfall der Tschechoslowakei entstandenen
Staat als ein durchaus wohlgeordnetes Gemeinwesen vor, das die Bedingungen für eine
Aufnahme in die EU erfüllt und sich diese damit redlich verdient habe. Er verwies darauf,
daß man in der Slowakei mit Erfolg gegen Korruption im Rechtswesen vorgegangen sei, ein
Problem, das derzeit noch ein Hindernis auf dem Weg Kroatiens zur EU darstellt.
Hinsichtlich der Lage der Minderheiten erwähnte Miik, der im übrigen auf Fragen
der Seminarteilnehmer freimütig erhebliche Defizite vor allem in den wirtschaftlichen und
den sozialen Verhälnissen seines Landes einräumte, Bemühungen um eine Besserung der
Lage der Zigeuner, ließ aber die Deutschen unerwähnt.
Wie Ferdinand Klein, der ehemalige Vorsitzende des Landesverbandes Bayern der
Karpatendeutschen Landsmannschaft, im Rahmen seines Vortrages Die Bedeutung der
Deutschen in der Slowakischen Republik für eine europäische Zukunft feststellte,
verhalte sich der slowakische Staat noch zögerlich, wenn es um die deutliche
Benennung des Unrechtes gehe, das man den Karpatendeutschen 1945 und in den folgenden
Jahren angetan habe. Immerhin kenne er keinen Regierungsvertreter, der sich einer
Äußerung wie der des tschechischen Ministerpräsidenten Vladimir Spidla anschließe,
nach der die Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei gerecht und eine Quelle
des Friedens gewesen sei.
Klein, der einst als Kind aus der Slowakei vertrieben wurde, häufig dorthin reist und
erziehungswissenschaftliche Vorträge hält, vertrat die Ansicht, daß sich nach dem
karpatendeutschen Schicksal der letzten 60 Jahre und bei allenfalls noch 10 000 Deutschen
im Land die karpatendeutsche Identität nicht wiederherstellen lasse. Er meinte aber, daß
die Karpatendeutschen mit ihrer Sprache zum Dialog in dem zusammenwachsenden Europa
beitragen könnten. Deutsch sei immerhin nach dem Russischen die am meisten gesprochene
Muttersprache des Kontinents. In der Slowakei, die knapp 5,4 Millionen Einwohner hat,
lernten bereits 400 000 Schüler Deutsch, etwa ebensoviele wie Englisch. In Poprad
(Deutschendort) könne ein deutsches Abitur abgelegt, anderswo ein deutsches Sprachdiplom
erworben werden. Ebenso, wie das nur mit deutscher und österreichischer Hilfe möglich
geworden sei, brauchten die Karpatendeutschen auf ihrem Weg nach Europa Unterstützung.
Als Beispiel dafür, wie diese schon heute gewährt werde, nannte Klein die
Karpatendeutsche Assoziation, die privatwirtschaftliche Betriebe durch deutsche Mittel
fördere und Seminare zum Thema Unternehmensführung veranstalte. Einen Mangel in diesem
Zusammenhang nannte er es, daß die Deutschen in der Slowakei aufgrund ihrer geringen Zahl
nicht im Parlament (Nationalrat) vertreten seien.
Seine große Hoffnung richtet Klein auf die europäischen Institutionen für die Zeit nach
dem Beitritt. Die Karpatendeutschen brauchten nach den Verletzungen der Vergangenheit aus
Europa nicht nur materielle Hilfe. Sie brächten die Kraft noch nicht auf, in der freien
Gesellschaft bestehen zu können. Ortfried Kotzian, der dem damit verbundenen großen
Europa-Optimismus Kleins eine gewisse Skepsis entgegenzubringen schien, bemerkte,
jedenfalls sei es auch die Heimat der im bisherigen Europa lebenden Vertriebenen, die der
EU beitrete.
Peter Mast (KK 1177 2003-11-30)
Schulmann
und Historiker
Zum Tode von Gottfried Kliesch
Gottfried Kliesch wurde am 29. November 1927 in Breslau als Pastorensohn geboren, besuchte
einige Schulen in Schlesien und Berlin und geriet als Jugendlicher noch in die Turbulenzen
der letzten Kriegsjahre (Luftwaffenhelfer, Reichsarbeitsdienst, Kriegsmarine, Infanterie).
Nach dem 1948 in Bielefeld bestandenen Abitur studierte er vor allem in Mainz und legte
dort 1955 in den Fächern Deutsch, Geschichte und Kunst das wissenschaftliche Staatsexamen
für das Lehramt an höheren Schulen ab, dem zwei in Nordrhein-Westfalen absolvierte
Referendarjahre und die pädagogische Prüfung folgten.
1959 wechselte er nach Rheinland-Pfalz, unterrichtete in Mainz, zehn Jahre in Bingen und
ab 1970 wieder in Mainz, wo der durch seine eigenen Arbeiten über Schlesien und die bei
ihm über Schlesien angefertigten Dissertationen um die Schlesien-Forschung hochverdiente
Professor Ludwig Petry lehrte. 1960 wurde Kliesch bei Petry aufgrund der Dissertation
Der Einfluß der Universität Frankfurt (Oder) auf die schlesische
Bildungsgeschichte, dargestellt an den Breslauer Immatrikulierten von 1506-1648
promoviert, die ein Jahr später in den von der Historischen Kommission für Schlesien
herausgegebenen Quellen und Darstellungen zur schlesischen Geschichte
erschien, überaus materialreich und sehr gründlich erarbeitet ist, was zur Aufnahme des
jungen Pädagogen in die genannte Kommission führte.
Eine weitere größtenteils ohne schulische Entlastung
erbrachte Leistung des 1971 zum Studiendirektor Beförderten war der Erwerb des
Diploms in Psychologie (1974). Auf dem Gebiet der Historie schaute Kliesch hauptsächlich
weiterhin auf das 16. und 17. Jahrhundert, schrieb z. B. über den Breslauer Bischof
Balthasar von Promnitz und wandte sich dann der Literaturgeschichte zu. So publizierte er
in den drei Nachkriegsbänden der Schlesischen Lebensbilder fünf Beiträge
(u. a. über Hermann Stehr) und verfaßte für den ebenfalls von der Historischen
Kommission für Schlesien herausgegebenen Band 3 (1999) das umfangreiche Kapitel über die
Literatur. Von zeitgeschichtlicher Aussagekraft ist sein 1996 veröffentlicher Aufsatz
über seinen Vater: Landtagsabgeordneter (von der Deutschnationalen Volkspartei zum
Christlich-sozialen Volksdienst); Verstrickung in nationalkirchliche Bestrebungen; vom
evangelischen Pastor zum katholischen Soziologen.
Am 3. September ist Gottfried Kliesch in Mainz gestorben. Seine geschichtlichen Arbeiten
zeichnen sich durch Faktenbetontheit und philologische Gründlichkeit aus, gerade auch die
Rezensionen. Petry-Schule!
Hans-Ludwig Abmeier (KK 1177 2003-11-30)
Exportschlager
deutsche Sprache (I)
Deutsch-osteuropäischer Sprachkontakt seit 1500 Jahren
Deutsch, soll Lenin gesagt haben, ist die allgemeine Slawensprache. Gewiß gab
es in früheren Zeiten Panslawen-Kongresse (und in späteren Zeiten solche der
Kommunistischen Internationale), die ohne die deutsche Sprache als gemeinsame
kommunikative Basis über ein paar Begrüßungsfloskeln kaum hinausgekommen wären. Aber
das bedeutete ja niemals, daß unsere Nachbarn im Osten alle und fließend Deutsch
gesprochen hätten! Sie sprachen ihre slawischen Sprachen, die untereinander enger
verwandt sind als jede andere Sprachenfamilie und zudem ein Sonderverhältnis zum
Deutschen hatten und haben. Das verdeutlichen ungezählte deutsche Lehnwörter, deren Zahl
sich beinahe täglich vermehrt. Mögen angloamerikanische Wortanleihen auch in gewissen
Bereichen überwiegen, etwa in der Computer-Terminologie oder in der Wirtschaftssprache,
was die Vielfalt der entliehenen Begriffe und die jahrhundertelange Tradition dieses
sprachlichen Transfers angeht da kann der deutsche Michel nur seinen
Landsleuten beipflichten, die vor langer Zeit im Osten lebten und die sprachlichen
Eigenheiten ihrer nicht-deutschen Nachbarn so kommentierten: So viele Sprachen, und
alle deutsch!
Wie ist das gemeint? Václav Flajhans (1866-1950), der große tschechische
Literaturwissenschaftler, berichtete 1901 in seinem Monumentalwerk zur Geschichte der
tschechischen Literatur, daß die alten Böhmen bereits in vorchristlicher Zeit, also
irgendwann nach dem 5. Jahrhundert, von den Deutschen den vasrman (Wassermann)
als heidnische Gottheit ausliehen. Und diesen vasrman gibt es bis auf den
heutigen Tag bei tschechischen Golfspielern, die damit einen Schlag ins
Wasser bezeichnen, sofern sie ihn nicht (ebenfalls deutsch) fifutr
(Fischfutter) nennen. Ähnliche Beispiele bestehen überall: Seit Jahrhunderten lassen
sich etwa Russen ein buterbrod (Butterbrot) schmecken, und als unlängst der
Wunderboxer Klitschko eine unerwartet rasche und deutliche Niederlage erlitt, da höhnte
die Moskauer Presse, er sei von seinem Gegner wie ein buterbrod verspeist
worden.
Daß dieser Sprachentransfer keine Einbahnstraße ist, darauf hat ebenfalls der Tscheche
Flajhans verwiesen, als er nämlich in dem deutschen Versepos Meier
Helmbrecht, von Wernher der Gartenaere um 1280 geschrieben, die eigene Muttersprache
wiederfand: zuo der muoter sprach er sâ bêheimisch: dobra ytra! Da hatte
also jemand, gerade aus Böhmen heimgekehrt, seiner Mutter auf gut böhmisch (tschechisch)
Dobré jitro (Guten Morgen) gewünscht. Wenn das der erste Slawismus in der
deutschen Sprache war, dann folgten ihm zahlreiche nach, wobei Gorbatschows
perestrojka noch lange nicht der letzte war.
Wie es mit Sprachexport gen Osten begann, hat Zoran Konstantinovic (geboren 1920), der
Nestor der modernen Slawistik, in seinen Publikationen nachgezeichnet. Als erste Deutsche
tauchten im 13. Jahrhundert im Osten Bergleute auf, und seither ist die osteuropäische
Bergbauterminologie weithin deutsch selbst in Ländern, wo es kaum noch
Bergbau gibt. Beispielsweise in Slowenien, wo die Fachsprache der Grube noch lebt, von
kipina (Kippschiene) über lerhaver (Lehrhauer) und endlos
so weiter. Kurz danach müssen Musikanten gen Osten aufgebrochen sein
läßt ein serbisches Gesetz von 1262 vermuten, das pilmani
(Spielmännern) harte Auflagen macht. Warum? Wegen ihrer Vorliebe fürs
trinkati. Der Ausbreitung deutscher Musikterminologie in Osteuropa hat das
nicht geschadet, wofür nicht nur der russifizierte klavirauscug
(Klavierauszug) steht.
Etwa hundert Jahre später wurde es im Südosten Mode, sich deutsche Militärs zu holen.
Serben-Zar Duan machte Mitte des 14. Jahrhunderts den Anfang, als er Palman und
seine Ehrenritter rief die gewiß so deutsch uniformiert
waren, wie Paja Jovanovic sie 600 Jahre später malte. Und diese deutsche Militärpräsenz
streckt sich bis zur Gegenwart: Bosnische Journalisten haben sich königlich amüsiert,
als vor drei Jahren die Bundeswehr in Rajlovac bei Sarajevo ein Feldlager
aufschlug. Augenblicklich erschienen witzige Feuilletons mit Erinnerungen an die Jahre
1878 bis 1918, als Bosnien zu Österreich-Ungarn gehörte, was natürlich für eine Flut
deutscher Wörter gerade im Soldatischen sorgte: gevera (Gewehr),
regimenta, turm, feljbaba (Feldwebel),
banovo (Bahnhof) und zahlreiche weitere, unter denen der besonders schöne
jaran ist. So bezeichnet man in der serbokroatischen Sprache einen guten
Freund, Kameraden, und was kaum jemand weiß: Im jaran steckt der deutsche
Jahrgang. Daß es anderswo, etwa in Böhmen und Mähren, nicht anders war,
dafür mag Jaroslav Haeks unsterblicher Brave Soldat vejk Zeugnis
ablegen möglichst in seiner tschechischen Muttersprache, die gerade im
Militärischen voller Germanismen ist.
Inzwischen war in Osteuropa der Weg zur deutschen Sprache sehr direkt geworden, da es in
allen Ländern deutsche Siedlergruppen gab Millionen in Rußland,
Hunderttausende in Rumänien, Ungarn und Kroatien und abgezählte 1200 in Bulgarien, auf
die beiden Dörfer Bardarski Geran und Ende verteilt. Aber wie viele oder wenige sie
auch immer waren der Fleiß, das Geschick und die (übertriebene)
Sparsamkeit der vaben, wie die Deutschen allenthalben genannt wurden,
sprachen sich herum. Von den Deutschen hat man viel gelernt und der Einfachheit halber
auch gleich die deutschen Begriffe übernommen. Daß das technische Vokabular zu großen
Teilen deutsch ist, beweist jeder Blick in irgendein Wörterbuch irgendeiner Sprache im
Osten. Und so blieb es, wobei Wörter konserviert wurden, die uns Deutschen nicht mehr
geläufig sind. Was sind z. B. ein serbischer oder makedonischer poret
oder ein kroatischer paher? Das ist der deutsche Sparherd!
Und was ist ein deutscher Sparherd? Keine Ahnung! Im dalmatinischen Dubrovnik
gibt es den Frauenklub Desa, der sich der Pflege traditioneller Handarbeit
verschrieben hat die aber altdeutsch anmutet: tikeraj
(Stickerei), najderaj (Schneiderei) etc., makedonische Kinder laufen in
pilhozni (Spielhosen) herum, ein russischer Hut ist seit Jahrhunderten
eine ljapa, was im Deutschen höchstens noch aus dem
Schlapphut nachvollziehbar ist.
Vor über 55 Jahren wurden Millionen Deutsche aus Osteuropa vertrieben, aber ihre Sprache
blieb, und sie blieb lebendig: In der mährischen Metropole Brünn ist das
Vegateam zu Hause, das seit einigen Jahren an einem
Mährisch-Tschechischen Wörterbuch werkelt, und diese mährische
Sprache ist glatt zu einem Fünftel deutsch. Da das Wörterbuch im Internet
erscheint (www.vegateam.cz), kann jeder sein Wachsen
verfolgen. Als ich vor kurzem wieder hineinschaute, fielen mir zahlreiche neuaufgenommene
Germanismen ins Auge: anzug, auus, befel, cetl, dach, fórus, gelandra,
handtuch, kunaft, luft, ordnung, platfusak, rolmops, aufla, vimula
und so durchs Alphabet weiter bis zyngruba. Und was die Brünner können, vermögen Roman
Malczyk und andere Schlesier auch, in deren fiktiver Republika Silesia fidele
Wörterbücher der jynzyk siloonski (schlesischen Sprache) erscheinen, die
sich so vergnüglich lesen (www.republikasilesia.com/RS/slownik),
am besten laut: ajmer, abszicfajer, aszynbecher, ajnwajoong, becyrk, cetla und so fort.
Die Lebendigkeit der deutschen Sprache bei Nachbarn im Osten läßt sich beileibe nicht
nur aus der Rückschau erschließen. Laufend kommen neue Wortanleihen hinzu, etwa
tandort (russ.), kindermilhnite (kroat.),
Armee-Laden (poln.) usw. Zudem gibt es ein sehr souveränes Spiel
östlich der Oder und südlich des Riesengebirges, das Deutsche gelegentlich
zusammenzucken läßt, dabei aber ganz friedlich gemeint ist. Ich schreibe diesen Beitrag
am 26. März 2003, und bevor ich damit anfing, schaute ich in die Moskauer
Nezavisimaja gazeta (Unabhängige Zeitung) vom Tage. Dort sprang mich eine
Schlagzeile förmlich an: blickrig pod ugrozoj der
Blitzkrieg ist bedroht, der gegen den Irak nämlich. Drei Tage zuvor las ich der Belgrader
Politika düstere Erwägungen darüber, wie hoch wohl die ceh
(Zeche) des zweiten Golfkriegs sein werde. Und so geht es ständig: Wenn russische Rechts-
und tschechische Linksextreme mal wieder ihre Abneigung gegen die Osterweiterung von NATO
und EU artikulieren, dann fragen sie, ob hier ein neuer anl(j)us
(Anschluß) geplant sei. Wenn die polnische Wochenzeitung Wprost von
Zehntausenden Deutschen berichtet, die in Polen Arbeit suchten und fanden, dann tut sie
das unter der süffisanten Überschrift Drang nach Osten. Wenn die Moskauer
Vremja einmal mehr über das gute Image staunt, das Präsident Putin bei
Deutschen hat, dann ernennt sie ihn zum obermen, dessen
vaterland wohl westlich von Oder und Neiße liege. Und wenn der bosnischen
Dani nichts Besseres als ein Ehekrach bei einem deutschen Ex-Tennisstar
einfällt, dann titelt sie eben Blickrig bei Becker. Und allen, allen ist der
deutsche Gastarbeiter ans Herz gewachsen, der ohnehin als Germanismus des 20.
Jahrhunderts durchgehen sollte. Als das Wort vor rund vierzig Jahren aufkam (zur
Vermeidung des vorbelasteten Fremdarbeiters), ernte es nur Hohn: Wo gibt's
denn das, Gäste, die arbeiten? Inzwischen haben wir es ganz gern, zumal es im Osten
längst eingemeindet ist orthographisch und phonetisch adaptiert zu
gastarbeitr, gastarbajter etc., manchmal auch ganz witzig abgewandelt: In
Ex-Jugoslawien hießen die Gastarbeiter auch Jugo-vaba, und der
brillante polnische Wprost schuf mit gastpracownik einen
deutsch-polnischen Neologismus mit gleicher Bedeutung.
Sagen wir es so: Nachbarn kann man sich nicht aussuchen, aber man sollte mit ihnen gut
auskommen, da sie bereits Partner in der NATO sind und bald in der EU sein werden.
Nachbarn haben Probleme, die wir Deutschen traditionell am besten verstehen sollten
auch am besten verstehen können, da sie oft genug in einem uns sehr
vertrauten Wortgut artikuliert werden. So entsteht Realpolitik
wie es in ganz Osteuropa mit eben diesem Germanismus formuliert wird. Verstehen wir
Deutschen diese Realpolitik, oder sollten wir uns ihr nähern Pfaden
folgend, die uns unsere eigene Muttersprache dank ihrer langen Präsenz in Osteuropa
gewiesen hat? Wie es gehen kann und gehen soll, wird die KK in Zukunft mit Beiträgen in
loser Folge demonstrieren. Denn eines sollte klar sein: Es wird in unserem Umgang mit den
Nachbarn im Osten niemals das geben, womit Südslawen ein Ende ankündigen:
fajront (Feierabend).
Wolf Oschlies (KK 1177 2003-11-30)
Kirche
und Gesellschaft in Ostmittel- und Südosteuropa 1918 1939
Tagung des Instituts für ostdeutsche Kirchen- und Kulturgeschichte in
Wiesbaden-Naurod
Zu seiner 41. Arbeitstagung hatte das Institut für ostdeutsche Kirchen- und
Kulturgeschichte e.V. mit Sitz in Regensburg diesmal in das Wilhelm-Kempf-Haus
Tagungsstätte des Bistums Limburg nach Wiesbaden-Naurod
geladen. Rund 35 Teilnehmer ließen sich durch das Thema Aufbrüche und
Umbrüche nach Hessen locken.
Die von Dr. habil. Rainer Bendel aus Tübingen moderierte Tagung stellte die Frage nach
der Rolle der Kirchen in der Zwischenkriegszeit: Wie weit suchten Kirchen angesichts des
Ringens der 1918 neugegründeten Staaten um nationale Identität politisch Einfluß zu
nehmen? Suchten einzelne Konfessionen nationalstaatliche Geltungsansprüche durchzusetzen?
Waren Kirchen lediglich Horte der Rückständigkeit, Verbündete der alten Regime, Träger
des Nationalstaatsgedankens oder gab es auch innovative Ansätze und in
die Zukunft weisende Aufbruchsbewegungen? Es zeigte sich, daß für jedes Land Ostmittel-
und Südosteuropas sehr spezifische Antworten zu geben waren.
Zwischen die Pole Ausbruch aus dem Milieuoder
Geschlossenheit durch Gehorsam? sah Prof. Dr. Joachim Köhler aus
Tübingen die Katholikinnen und Katholiken in Deutschland von 1918 bis 1933 eingespannt.
Basierend auf den Freiheitsrechten der 48er Revolution, hätten sich die katholischen
Laien zwar öffentlichkeitswirksam organisiert, doch habe das Römische System
die Selbständigkeit der Laienbewegung wieder der Führung des Klerus unterstellt.
Prof. Dr. Irena Vaisvilaite aus Prag beschrieb die Spannung zwischen Nationalismus und
Universalität der katholischen Kirche in Litauen zwischen 1918 und 1940. In dem Ende des
Ersten Weltkriegs neugegründeten Staat (1923: 85 Prozent Katholiken) sei 1926 von einer
nationalistischen Regierung ein Verbot der politischen Betätigung für Geistliche
erlassen worden. Ab diesem Zeitpunkt habe sich die katholische Kirche im Widerstand gegen
die Diktatur der nationalistischen Partei befunden.
Polen, das nach den polnischen Teilungen am Ende des 18. Jahrhunderts bis 1918
auf der Landkarte nicht existent war, hatte in der katholischen Kirche eine Sachwalterin
des religiösen wie des nationalen Erbes, wie Dr. Viktoria Pollmann aus Hofheim zeigte.
Die im 19. Jahrhundert gewachsene Identifikation von polnischem Nationalbewußtsein und
katholischer Kirche habe auch für die Zeit von 1918 bis 1939 fortbestanden, verbunden mit
dem Anspruch, den neuen Staat als ein Polen für Christus mitzugestalten. Der
polnische Klerus, auf dem rechten politischen Spektrum bzw. im nationalen Lager
angesiedelt, habe sowohl die anfängliche Regierung der Nationaldemokraten wie auch ab
1926 die Regierung des ehemaligen Sozialisten Pilsudski unterstützt. Das Referat von Dr.
Gregor Bujak aus Lublin der Referent war verhindert, doch wurde sein
Manuskript verteilt entfaltete die innovatorischen und retardierenden
Strömungen des polnischen Katholizismus für die Zwischenkriegszeit.
Für die erste tschechoslowakische Republik beschrieb Dr. Jaroslaw Cebek aus Prag die
katholischen Aufbruchsbewegungen unter tschechischen und sudetendeutschen Katholiken. Die
Situation für die Katholiken sei nach dem Zerfall der Habsburger Monarchie in der
neugegründeten tschechoslowakischen Republik durch eine antiklerikale Haltung und die
Bevorzugung der neuformierten nationalen tschechoslowakischen Kirche hussitischer
Tradition gekennzeichnet gewesen. Die an den Rand gedrängte katholische Kirche habe in
geistlicher Erneuerung einen Aufbruch angestrebt. Eine Zäsur habe nach der
Machtergreifung 1933 in Deutschland das Aufkommen der Henlein-Bewegung und die Zuwendung
vieler sudetendeutscher Katholiken zur Sudetendeutschen Partei bedeutet. Der tschechische
Katholizismus sei nach einer ersten Rechtfertigungsphase bis 1928 durch die religiösen
Orden zu einer Aufbruchsbewegung gelangt, habe sich aber in den 1930er Jahren nationalen
faschisierenden Ideen zu gewandt. Nach den Parlamentswahlen 1935 sei eine fruchtbare
Zusammenarbeit zwischen tschechischem und sudetendeutschem Katholizismus wegen nationaler
Differenzen nicht mehr möglich gewesen. Dies traf auch wie Referent
Dr. Robert Luft aus München aufzeigte für den Katholikentag 1935 in
Prag zu.
Für Ungarn untersuchte Dr. Norbert Spannenberger aus Leipzig den Politischen
Katholizismus zwischen Amtskirche und Staat. Auch hier habe der Zerfall des
Habsburgerreiches einen neuen Staat hervorgebracht. Nach dem Sturz der Räteregierung im
August 1919 habe der hohe Klerus die Wiederherstellung der vorrevolutionären
Verhältnisse im Zusammenspiel mit der Regierung angestrebt und weitgehend erreicht, die
ihrerseits die katholische Kirche als Stabilisierungsfaktor akzeptierte. Habe die
katholische Kirche in Ungarn in der Zwischenkriegszeit den Schein quasi einer Staatskirche
nochmals erreicht, so seien unter der straffen Ägide des hohen Episkopats Reformansätze
von unten, wie die katholische Renaissance eines Ottokár Proháska oder eine
christlich-soziale Richtung eines Alexander Gießwein, gescheitert.
Rumänien wurden zwei Referate gewidmet: Dr. Hans-Christian Maner aus Mainz beleuchtete
Die griechisch-katholische Kirche in Rumänien und die neuen politischen, sozialen
und konfessionellen Anforderungen. Die griechisch-katholische Kirche Siebenbürgens,
1699/1700 von Kaiser Leopold I. in ihrer Union mit Rom anerkannt und mit der daneben
existierenden katholischen Kirche gleichgestellt, zeigte sich bei der Konstituierung des
neuen Staates Großrumänien 1918 als besonders national gesinnt. Eine Ernüchterung und
Resignation bezüglich der Nationalbegeisterung habe sich aber bei der Festschreibung der
Verfassung 1923 eingestellt: Dort sei die unierte griechisch-katholische Kirche zwar
gemeinsam mit der orthodoxen Kirche unter der Bezeichnung rumänische Kirchen
aufgenommen worden, aber der prozentual viel größeren orthodoxen Kirche (73 gegenüber
acht Prozent) sei der Vorrang eingeräumt worden. Dr. Krista Zach aus München rückte
Die Nationalisierung des Erzbistums Bukarest nach dem Ersten
Weltkrieg in den Blickpunkt. Das Erzbistum Bukarest war 1883 von der
Propaganda-Kongregation als Missionserzbistum gegründet worden. Der grundsätzliche
Rechtsstatus wurde 1923 für die katholische Kirche (knapp sieben Prozent der
Bevölkerung) in der Verfassung festgeschrieben. Die wie Juden und
andere Minderheiten als Fremde geltenden Katholiken
sollten integriert werden. Ein Opfer der Nationalisierungstendenzen wurde vorweg
Erzbischof Raimund Netzhammer (1905 1924), ein Deutscher, Benediktiner aus dem
Schweizer Kloster Einsiedeln, der durch Intrigen als Kriegsfeind und
Spion abgesetzt wurde.
Farbige Mosaikpunkte zur Kunstgeschichte der Zwischenkriegszeit steuerte Dr. Max Tauch aus
Neuss mit einem Diavortrag über Kirchenbaukunst der 20er und 30er Jahre des vorigen
Jahrhunderts im Osten Deutschlands und der Slowakei bei. Mit einer Einzelgestalt des
lyrischen Expressionismus Ostdeutschlands, dem niederschlesischen Dichter Friedrich (Fritz
Walther) Bischoff (1896 1976), machte Dr. Ernst-Josef Krzywon aus Neubiberg
bekannt. Ein Ausflug in den Rheingau nach Eberbach, Kiedrich, Eibingen
unter Führung Dr. Tauchs rundete die Tagung ab.
In der Generaldiskussion am Ende der Tagung wurde deutlich, daß die Problematik erst in
Ansatzpunkten in der Forschung in Angriff genommen sei. Weiße Flecken bei dieser Tagung
seien Jugoslawien oder auch die Slowakei geblieben. Durchgängige und vor allem
komparative Fragestellungen fehlten noch weithin. Die Rückkopplung zu den Vorgängen des
19. Jahrhunderts und den damals aufbrechenden Nationalstaatsbewegungen sei unerläßlich.
Präzise zu beantworten sei auch noch die Frage, inwieweit Nationalismus als christlich
bezeichnet werden könne. In diesem Zusammenhang müsse die Einschätzung des
Nationalismus durch Rom noch näher eruiert werden.
Im Schluß- und Dankeswort kündigte Institutsvorsitzender Msgr. Dr. Paul Mai bereits die
nächstjährige Tagung über Glaubensflüchtlinge im 17. und 18. Jahrhundert in
Ostmitteleuropa im St. Wenzeslausstift in Jauernick-Buschbach bei Görlitz an.
Werner Chrobak (KK 1177 2003-11-30)
Victor
Vasarely: Die erste Frühlingsschwalbe in meiner Heimat
Ausstellung im Donauschwäbischen Zentralmuseum, Ulm vom 31. Oktober 2003 bis zum
31. Januar 2004
Mein Ziel ist es, eine Kunst zu schaffen, die gemeinsames Gut und allen zugänglich
ist, und das zum körperlichen und seelischen Wohl der Menschheit. Vasarely
definierte dieses Ziel als sozialethnischen Anspruch, um Wege zu einem demokratischeren
Kunstverständnis zu ebnen. Vasarelys Werk ist einzigartig, und es ist multiplizierbar.
Einzigartig und multiplizierbar, ein Widerspruch in sich oder ein künstlerisches Konzept,
das mehr als das Lebenswerk eines Künstlers ist?
Die Ausstellung im Donauschwäbischen Zentralmuseum in Ulm will zeigen, daß Vasarely mehr
war als ein Künstler seiner Zeit, mehr als der Vater der Op Art.
Op Art ist eine zeitgenössische abstrakte Kunstrichtung, die sich mit der Erforschung
verschiedener optischer Effekte beschäftigte, die durch Netzhautstimulationen
hervorgerufen werden. Mit stärkster Ausstrahlung in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts
basiert diese Kunstform auf rein linearen Strukturrastern. Durch regelmäßige Reihungen
mit minimalen Veränderungen ergeben sie Raum- oder Körpereffekte. Hinzu kommen
Kombinationen, die durch Farbperspektiven optische Effekte erzielen.
Victor Vasarely hat seiner südungarischen Heimatstadt Fünfkirchen/Pecs erstmals 1968
eine Sammlung von 42 Serigraphien geschenkt. Über seine erste Ausstellung hier schreibt
er: Sie ist die erste Frühlingsschwalbe in meiner Heimat, beinahe nach vierzig
Jahren Absenz. Sie symbolisiert auch das Schaffen altvertrauter Kulturbeziehungen zwischen
West- und Mitteleuropa. Später schenkte er der Stadt weitere Arbeiten, die
Grundlage für das 1976 hier eröffnete Vasarely-Museum waren.
Victor Vasarely wurde am 9. April 1908 in Fünfkirchen geboren und begann 1925 ein
Medizinstudium, zwei Jahre später wechselte er auf die Kunstakademie Poldini-Volkmann,
die er bereits nach zwei Jahren wieder verließ, um im Mühely, dem
Ungarischen Bauhaus, weiter zu studieren. Hier wurde er Schüler Alexander
Bortnyiks, der wesentliche Impulse für Vasarelys künstlerische Entwicklung gab.
22jährig siedelt Vasarely nach Paris über. Dort arbeitete er zunächst als
Werbegraphiker, fand aber bald in die freie graphische Produktion. Die folgenden Jahre
sind von Experimenten und dem Suchen in verschiedene Richtungen gekennzeichnet. Arbeiten
surrealistischer Observanz und von kristallinischer Prägnanz entstehen, die auf den
Gegenstandsbezug zunehmend verzichten. Mit dieser Formensprache avanciert Vasarely zu
einem der führenden Künstler des 20. Jahrhunderts und schreibt gleichzeitig ein
wichtiges Kapitel der Kunstgeschichte des Jahrhunderts.
Vasarelys Bilder sind für den Betrachter ein ästhetisches Abenteuer, welche tradierten
Sehgewohnheiten widersprechen und den Platz von Objekt und Subjekt, die Rolle von
Produzent und Rezipient von Kunst neu definieren.
In den 50er Jahren ging Vasarely noch einen Schritt weiter. Er definierte die unité
plastique und verkündete die Planetarische Folklore als Programm, das
kunsthistorische Begrifflichkeiten mit neuen Inhalten besetzt. Vasarelys Leistung beruht
auf der Vereinheitlichung von zwei Begriffen bzw. künstlerischen Instrumenten, die bis
dahin als getrennte Größen betrachtet wurden. Nach ihm besitzen die Begriffe Form und
Farbe eine gemeinsame Identität. Ausgangspunkt bleibt die einfache Grundform, die mit
Hilfe rationaler Manipulation und komplexer Permutation zu optisch fesselnden Fügungen
verdichtet werden und eine besondere Plastizität erzielen.
Mit Folklore ist nicht Volkstümlichkeit oder ähnliches gemeint, sondern eine
universalistische Projektion, die in der Sozialutopie mündet. Mit der unité
plastique (plastischen Einheit), die auf variantenreichen Form- und Farbschöpfungen
basierte, die einander verschleifen, bedingen, ergänzen und eine exakte Identifikation
was ist Form, was ist Farbe vielfach unmöglich
machen, wollte Vasarely eine Universalsprache schaffen. Die Idee der plastischen Einheit
wird von ihm als potentielles Multiple gesehen und verwendet, wobei das Staffeleibild
nicht als Original betrachtet wird, sondern als Ausgangsprototyp, der die Rolle der
programmatischen Partitur spielt.
Die Multiplizierbarkeit seiner Kunst beweist Vasarely in einem weiteren in der Ausstellung
vielfach vertretenen Medium, womit er gleichzeitig sein Ziel, Kunst allen zugänglich zu
machen, verfolgt: Es entstehen Wandteppiche von großen Ausmaßen, die öffentliche Räume
schmücken und die Umwelt mit monumentalen Kunstwerken ausstatten sollten. Die Tapisserien
überzeugen mit hell-dunklen und kalt-warmen Kontrasten. Das Quadratrasterschema der
frühen Jahre wird später von komplizierten Rauten- oder Quadrat-Rhomboid-Gerüsten
verdrängt. Ein Kreis bzw. eine Kugel wölbt sich elastisch aus dem Bild, und die Bindung
an die Bildfläche ist scheinbar aufgehoben, der Höhepunkt optischer Täuschung ist
erreicht.
Riedl schrieb 1986, daß sich der Traum von den bunten Städten des Glücks nicht erfüllt
habe, in Einzelfällen aber habe Vasarely demonstriert, was er zu geben vermochte. Dennoch
hat Victor Vasarely unverwechsel- und unverzichtbare Spuren hinterlassen. Interieurs,
öffentliche Räume und Plätze, Fassadengestaltungen, schließlich die Übernahme in
vielfältigsten Medien erinnert sei nur an die Lichtspiele der
Unterhaltungsindustrie, die graphischen Schöpfungen der neuen Medien
verweisen auf sein Werk.
Swantje Volkmann (KK 1177 2003-11-30)
Mitteleuropa
auf der Basis von Wahrheit und Gerechtigkeit gestalten
28. Bundestreffen der Ackermann-Gemeinde in Amberg / Hans-Schütz-Preis für Franz
Olbert
Wahrheit und Gerechtigkeit als Grundlage der Versöhnung und der Gestaltung Mitteleuropas
das waren die Hauptaussagen beim 29. Bundestreffen der
Ackermann-Gemeinde in Amberg. 400 Teilnehmer Deutsche, Tschechen und
Slowaken beschäftigten sich mit dem Thema Grenzen überwinden
Mitteleuropa gestalten. Den nach dem Gründer und langjährigen
Vorsitzenden dieser Gemeinschaft Hans Schütz benannten Preis, der an besonders engagierte
Verbandsmitglieder verliehen wird, erhielt Franz Olbert, der langjährige Generalsekretär
des Verbandes, der auch heute noch viele Ehrenämter in der Kirche und in
Vertriebenenverbänden bekleidet, zum Beispiel die Tätigkeit des geschäftsführenden
Vorsitzenden des Sozialwerkes der Ackermann-Gemeinde und eines Mitglieds des
Verwaltungsrates des deutsch-tschechischen Zukunftsfonds.
Es geht um die Wiederherstellung der Ehre der Opfer und um die Ächtung
vergleichbarer Taten für die Zukunft, verdeutlichte Bundesvorsitzender Dr. Walter
Rzepka bei der Eröffnung und empfahl Projekte mit humanitären Gesten. Deshalb
appelliere ich mit großem Ernst an die Damen und Herren des Verwaltungsrates des
Deutsch-tschechischen Zukunftsfonds, dieses Projekt zu bewilligen. Und ich appelliere an
die Bundesregierung und an die Regierung der Tschechischen Republik, dem Verwaltungsrat
für eine positive Entscheidung politischen Rückhalt zu geben. Mittlerweile sind
wir eines Schlechteren belehrt worden.
Das Thema Werteordnung der EU Was sind Europas Werte wert?
diskutierten deutsche, tschechische und slowakische Vertreter von Kirchen und Politik.
Ingenieur Tomas Ruzicka aus Prag sah Werte wie Toleranz, Gewissensfreiheit, Demokratie,
Solidarität, Verantwortung, Rücksicht auf Minderheiten als Werte des künftigen Europas.
Die frühere bayerische Sozialministerin Barbara Stamm forderte, hinsichtlich des Bezuges
auf Gott in der Präambel der europäischen Verfassung die Diskussionen nicht aufzugeben.
In dieser Verfassung müßten zum Beispiel die Religionsfreiheit, der Schutz von Ehe und
Familie und die Würde des Menschen deutlich werden. Dem Philosophen Petr Kolar aus Prag
geht es vor allem um ein Leben christlicher Werte in der Praxis. Der direkte Bezug auf das
Evangelium, vor allem die Gottes- und Nächstenliebe, könne ein konkreter Ansatzpunkt
sein. Der Bundesvorsitzende der Sudetendeutschen Landsmannschaft, MdEP Bernd Posselt,
hält es für unverzichtbar, christliche Werte in die Politik einzubringen. Als
Christen haben wir einen spezifischen Beitrag zur Politik zu leisten, wir sollten uns
nicht verstecken! Die europäische Integration kann seiner Meinung nach Vertrauen
zwischen den Völkern schaffen. Für Monsignore Jan Zentko, Bischofsvikar aus der
slowakischen Zips, kann besonders die Religion positiv wirken, da diese und der
christliche Glaube verbinden. Werte werden weder von staatlichen Autoritäten noch
von der Kirche vorgeschrieben. Wir müssen uns immer wieder Gedanken über sie
machen, meinte Professor Albert Keller SJ, Ordinarius für Erkenntnislehre und
Sprachphilosophie an der Hochschule für Philosophie München. Von einem Christen erwartet
er einfach eine verantwortliche Politik.
Den Pontifikalgottesdienst am Sonntag zelebrierten zusammen mit vielen Priestern aus
Deutschland, Tschechien und der Slowakei der Regensburger Bischof Dr. Gerhard Ludwig
Müller und der Pilsener Bischof Frantisek Radkovsky. Unrecht ist und bleibt
Unrecht, egal, wann und durch wen es geschieht. Gerade für uns Christen gilt es, wo
Unrecht geschieht, mit Recht und Gerechtigkeit antworten zu können, appellierte
Bischof Müller an die Gottesdienstbesucher. Der Nationalismus habe in Vergangenheit und
Gegenwart in Deutschland und Tschechien viel Unheil angerichtet. Aufgabe der Christen sei
es, Brücken zu schlagen und miteinander in Brüderlichkeit, Freundschaft,
Zusammengehörigkeitsgefühl und Solidarität verbunden zu sein. Bischof Radkovsky meinte,
der tschechischen Nation fehle der Mut, sich ganz offen der eigenen Geschichte zu
stellen und diesen schmerzlichen Teil unserer Geschichte mit Ernst anzunehmen. Auch
für ihn sind Wahrheit und Gerechtigkeit unverzichtbare Elemente für die Versöhnung.
Es ist eine Pflicht der Politiker, zur Versöhnung und zur Gerechtigkeit zu
kommen, appellierte er an die Verantwortlichen in seinem Land.
Zum Thema Friedensordnung für Mitteleuropa referierten zum Tagungsabschluß
der Vizepräsident des Europäischen Parlaments Dr. Ingo Friedrich und der tschechische
Philosoph Jan Sokol. Sie als Ackermann-Gemeinde wirken an vorderster Stelle an
diesem Prozeß mit. Ich danke Ihnen für diese segensreiche Arbeit, würdigte
Friedrich die Verdienste des Verbandes. An Deutsche und Tschechen appellierte er, die
furchtbaren Verbrechen der Vergangenheit einzugestehen. Auf dieser Wahrheit kann man
weiter aufbauen und die gemeinsame Zukunft gestalten. Die Kirchen haben dabei einen
staatspolitisch zentralen Auftrag. Jan Sokol stellte den Heimatvertriebenen zwei
Aufgaben für die deutsch-tschechische Versöhnung: Die Zäune lächerlich
machen, d.h. ein Mehrinteresse an dem, was hinter dem vermeintlichen Zaun geschieht.
Und ein Verständnis für verschiedene Asymmetrien, zum Beispiel für Ängste beim
kleineren Partner. Diese Asymmetrien gilt es verständlich zu machen und zu
verteidigen, forderte Sokol. Diese Aufgaben sind nur gemeinsam zu lösen. Für
die Lösung dieser Aufgaben bleibe ich der Ackermann-Gemeinde immer verbunden und bin ihr
zutiefst dankbar.
Markus Bauer (KK 1177 2003-11-30)
Zwei
Breslauer in New York beschenken Berlin
Das Brücke-Museum erhielt einen Otto Mueller
Berlins regierender Bürgermeister Klaus Wowereit hat sich in einem längeren Brief für
das großzügige Geschenk bedankt, dessen Empfänger das Berliner Brücke-Museum ist. Im
Frühjahr des Jahres 2003 war das Gemälde In Dünen liegender Akt von Otto
Mueller aus dem Jahr 1923 wohlbehalten in Berlin angekommen.
Habent sua fata libelli, doch nicht nur Bücher haben ihr Schicksal, das gleiche gilt für
Bilder. Dieses Bild war Eigentum der beiden inzwischen emeritierten Professoren Proskauer.
Noch kurz vor Kriegsbeginn war es der Familie Proskauer in Breslau geglückt, der
nationalsozialistischen Politik des Antisemitismus zu entfliehen. Der Weg führte über
Rom, denn die katholische Kirche hatte sich helfend eingeschaltet, in die Vereinigten
Staaten. Die beiden Brüder befanden sich gerade in dem Alter, in dem man mit seinem
Studium beginnt.
Der Vater war in Breslau ein bekannter Zahnarzt. 1974 schrieb Paul Proskauer in einem
Aufsatz aus Anlaß des 100. Geburtstags von Otto Mueller im Wochenmagazin der damals noch
erscheinenden deutschsprachigen New Yorker Staatszeitung und Herold:
Mein Vater, der sowohl Lotte Hauptmann, die Schwester von Carl und Gerhart
Hauptmann, als auch Otto Mueller als Zahnarzt in Breslau behandelt hat und in dessen
Atelier er sich aus einer Vielzahl von Bildern selbst ein Pastell aussuchen durfte,
erzählte mir oft von der seltsamen menschenscheuen, zurückhaltenden und zarten
Erscheinung des Künstlers, der mit seinen tiefblau-schwarzen seidenen Haaren einen
zigeunerhaften Eindruck gemacht hätte.
Wie jetzt zu erfahren war, bot sich in den fünfziger Jahres des vorigen Jahrhunderts die
Möglichkeit, wieder ein Bild von Otto Mueller zu erwerben. Der Verkäufer hatte es in den
zwanziger Jahren von Otto Mueller selbst erworben. Der echte Otto Mueller war der ganze
Stolz der Gebrüder Proskauer, wie ich seit vielen Jahren aus Telefonaten zwischen New
York und Bonn erfahren konnte. Persönlich sind wir uns nicht begegnet, der Kontakt kam
als Folge meiner publizistischen Tätigkeit zustande. Die Brüder Proskauer haben stets
beredte Worte für ihre Liebe und Treue zu Schlesien, zu Breslau und vor allem zum
Riesengebirge. Es fallen dann auch solche Sätze: Ich kann mir gar nicht vorstellen,
daß in Breslau jetzt nur Polnisch gesprochen wird und Ich beneide Sie darum,
daß Sie seit der Wende immer wieder nach Breslau fahren können.
In einem dieser Telefonate war dann zu hören: Wir werden unseren Otto Mueller
aufgeben, wir wollen das Bild dem Brücke-Museum des Expressionismus schenken. Wir
möchten, daß es in sichere Hände kommt und auch bleibt. Das Bild über den
amerikanischen Kunsthandel zu verkaufen würde uns die Ungewißheit aufhalsen, wo es dann
noch einmal landet. Aus deutscher Sicht darf hier angemerkt werden, daß Gemälde
von Otto Mueller im Kunsthandel hohe Preise von Hunderttausenden von Euro erreichen.
Vom Brücke-Museum, der Direktorin Professor Dr. Magdalena Moeller, kam die Nachricht,
daß Otto Muellers In Dünen liegender Akt in einer Sonderpräsentation und
als Geschenk der Brüder Proskauer besonders gekennzeichnet worden ist. Ab Januar
2004 wird das Gemälde in unsere Schausammlung integriert.
Herbert Hupka (KK 1177 2003-11-30)