Die Revolution vertrieb ihre Kinder
Deutsche „Antifaschisten“ aus der Tschechoslowakei in der SBZ/DDR

Zwischen Oktober 1945 und September 1946 verließen etwa 50 000 von der Regierung in Prag anerkannte sudetendeutsche „Antifaschisten“ angeblich freiwillig, unter Mitnahme ihres beweglichen Gutes, die Tschechoslowakei zur Einreise in die Sowjetische Besatzungszone Deutschlands, namentlich nach Sachsen und Thüringen. Es handelte sich dabei vornehmlich um Mitglieder der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (KPC), aber auch um solche der früheren Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (DSAP). Diesen Vorgang hat Heike van Hoorn (Wetzlar) an der Universität Münster zum Gegenstand einer Doktorarbeit gemacht, die abgeschlossen, aber noch nicht im Druck erschienen ist. Kürzlich hielt sie dazu auf Einladung des Collegiums Carolinum in München einen Vortrag. Diesen stellte sie unter die Frage, ob die sudetendeutsche Antifa-Umsiedlung als Kadertransfer oder als „Vertreibung erster Klasse“ zu verstehen ist.

Die sudetendeutschen „Antifaschisten“ hatten in der Heimat bleiben und am Wiederaufbau der Tschechoslowakei (CSR) mitarbeiten wollen. Doch mit diesem Anliegen waren sie der Prager Regierung nicht willkommen gewesen, ja als Deutsche diskriminiert worden. So bestand unter ihnen weitgehende Bereitschaft zum Verlassen ihrer Heimat, als im Herbst 1945 unter der Regie der Sowjets offensichtlich von kurzer Hand zwischen Prag und den Sowjetzonenbehörden der Transfer, die sogenannte Schukow-Aktion (benannt nach dem Oberkommandierenden der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland) vereinbart wurde.

Die Aussiedler waren in der Heimat in ihrer Hoffnung bestärkt worden, als Funktionäre an einer demokratischen Neuordnung Deutschlands mitarbeiten und für die Versöhnung zwischen dem deutschen und dem tschechischen Volk wirken zu können. Dem standen aber die Kommunisten in der Sowjetzone zurückhaltend gegenüber, während sich die Sowjets vor allem der Arbeitskraft und der technischen Fähigkeiten der Aussiedler zugunsten des von ihnen besetzten Teiles von Deutschland zu bedienen gedachten, kamen diese doch zu 80 Prozent aus dem industrialisierten Nordböhmen.

Die Erwartungen der Aussiedler erwiesen sich zu großen Teilen als trügerisch; nur Spitzenfunktionäre wurden in der KPD/SED verwendet. Die kleinen Funktionäre und die einfachen Parteimitglieder sahen sich bei der Eingliederung in die sowjetzonale Bevölkerung und Arbeitswelt großenteils auf Selbsthilfe verwiesen. Zur Bodenreform waren sie zu spät gekommen, und um die Wende von den vierziger zu den fünfziger Jahren wurden in der DDR die Umsiedlerämter geschlossen. Versuche der SED, mit Hilfe der Antifa-Umsiedler mehr Zustimmung in der Zonen-Bevölkerung, insbesondere bei den Flüchtlingen und Vertriebenen, zu finden, scheiterten. Auch wenn Heike van Hoorn keine tschechischen Quellen herangezogen hat (sie durchforschte die einschlägigen Bestände des Bundesarchivs wie die der Landesarchive in Dresden und Weimar und befragte Zeitzeugen), scheint der Schluß berechtigt, daß wir es bei der Ausreise der sudetendeutschen „Antifaschisten“ 1945/46 mit einer „Aussiedlung erster Klasse“ zu tun haben, der freilich keine ebensolche Eingliederung in der Sowjetzone, später der DDR folgte.

Peter Mast (KK)
KK 1164 2003-03-10

Zum gleichen Thema gab es bereits etwa 1990 eine Studienarbeit oder Dissertation in Magdeburg(?). Ich besitze sie, muß sie nur wiederfinden, dann werde ich darüber ebenfalls hier berichten. ML 2003-11-17