KK 1119 vom 20. September 2000/ 5
„Die teuerste Ansprache meines Lebens“
Thomas Gottschalt anläßlich der Einweihung des
Oberschlesischen Eichendorff-Kultur-und-Begegnungszentrums
in Lubowitz im Sommer 2000

Ja, eigentlich gehöre ich nicht auf diese Rednerliste, bei mir besteht immer die Gefahr, daß ich das Niveau solcher Veranstaltungen etwas absenke. Aber es wacht der eine oder andere wieder auf. Insofern zwei, drei Sätze:
Es ist in der Tat richtig, daß ich als Kind umgeben war von Namen wie Leobschütz, Groschowitz, Mikultschütz. Ich mußte meiner Mutter die „Ritsche“ bringen, ich mußte die „Potschen“ anziehen, ich durfte nicht „kaschen“, ich durfte nicht „gokeln“, ich sollte nicht in die „Lusche“ treten – all das war in der Tat die Atmosphäre, in der ich großgeworden bin. Das vergißt man nicht, und egal wo es mich heute hintreibt, ich höre immer gerne zu, wenn ich irgendwo den oberschlesischen Dialekt höre.

Und natürlich in den großen Momenten meines Lebens bin ich mit Schlesien konfrontiert worden. Ich werde die einzigen Worte, die ein Papst jemals zu mir gesagt hat und jemals sagen wird, nie vergessen. Es waren die Worte von Johannes Paul II.: „Ich habe gehört, Ihre Mutter ist aus Oppeln.“ Also, das heißt, er hat's auch gewußt, der liebe Gott weiß es, und jetzt wissen Sie es auch.

Damit habe ich aber gedacht, ich hätte für meine schlesische Art genügend getan, wenn nicht der Anruf von Norbert Willisch gewesen wäre eines Tages. Also, es begann mit einem Brief, dann kam noch ein Brief. Der Schlesier ist geduldig und zäh. Also, er hat immer auf Eichendorff hingewiesen, und ich habe mir dann so ein Buch gegriffen. Ich habe natürlich als Kind auch den „Taugenichts“, „Schloß Dürande“ und „Marmorbild“ gelesen. Ich habe auch ein paar Gedichte beim Schlesiertreffen aufsagen müssen, nicht gerne, aber ich hab's getan. Und da habe ich mir so eine alte Eichendorff-Sammlung rausgesucht. Ich hatte tatsächlich eine und habe gedacht, eigentlich habe ich mit dem Mann nichts zu tun, mußte mich dann aber eines Besseren belehren lassen.

Interessanterweise schrieb das Vorwort zu meiner Eichendorff-Ausgabe Hermann Hesse. Und was meine Mutter über mich immer sagt, sagt auch Hermann Hesse über Eichendorff: „Der hatte bereits als Kind ein leichtes, angenehmes Formtalent, das zu Spielerei neigte und nicht ohne Gefahren für ihn gewesen wäre, hätte ihn nicht sein nobler, ritterlicher reiner Charakter vor Eitelkeit bewahrt.“ Hier habe ich erste Parallelen gesehen. Dann muß ich natürlich sagen, daß ein Mensch wie ich in der heutigen Fernsehwelt immer wieder seinen Standort neu bestimmt. Ich betrachte mit einem gewissen Interesse, mit einer gewissen Nervosität all das, was um mich herum passiert, und viele Kollegen haben entweder Irrsinn oder Unsinn auf dem Programm, aber auch hier hat Hermann Hesse festgestellt, daß Eichendorff ähnliche Probleme hatte. Er schreibt: „Zwischen dem wilden Genie-Wesen mancher seiner romantischen Kameraden steht Eichendorff freundlich, still und lächelnd wie ein Gast vom Lande, etwas verwirrt von dem Getriebe, aber eines eigenen Wesens und Wertes sicher.“

Ich war schon fast geneigt, Eichendorff in meinem Herzen einen größeren Platz zu geben als bisher, und dann mußte ich lesen: „Dabei ist Eichendorff immer geblieben. Er hat sich die traumhafte Sicherheit seines Kinderherzens bewahrt.“ Und ein Mensch, der mit 50 Jahren Reklame für Gummibärchen macht, der muß diese Sicherheit des Kinderherzens irgendwo auch noch haben.

Deswegen: An meinem Herzen ruht ein Scheck. Ich habe in meine Privat-Schatulle gegriffen und möchte Ihnen einen Scheck über 50.000 DM überreichen. Das war die teuerste Ansprache meines Lebens, aber danke schön und auf Wiedersehen.“

Thomas Gottschalk (KK)
Quelle: KK1119 Seite 5. 2000-09-20