Keesings Archiv der Gegenwart, Beitrag 3491C (1938-03-29)

TSCHECHOSLOWAKEI. Außenpolitik, Innenpolitik, Minderheiten. –

In einer Rundfunkkundgebung am 28. März [1938] betonte [der tschechoslowakische] Ministerpräsident Dr. Hodža u. a., die Regierungserklärung vom 4. März (3453G) habe im Ausland nicht nur an den offiziellen Stellen, sondern bei der ganzen öffentlichen Meinung und insbesondere in den weiten Volksmassen der westlichen Demokratien Widerhall gefunden. Amtliche Stellen in Berlin hätten zu der Regierungserklärung halboffiziell erklärt, Deutschland habe nicht die Absicht, sich in die innerpolitischen Verhältnisse der Tschecheslowakei einzumengen. Maßgebende Repräsentanten des Deutschen Reiches hätten in den Tagen der österreichischen Ereignisse verbindlich erklärt, daß Deutschland keine aggressiven Absichten gegen die Tschecheslowakei habe. Die deutsche Regierung habe diese Versicherung auch der Regierung Großbritanniens gegenüber bestätigt. Die Kundgebung des britischen Ministerpräsidenten vom 24. März (3486 C) bezeuge, daß sich die britische Politik auf der Linie bewege, die in der tschechoslowakischen Regierungserklärung vom 4. März vorausgesetzt wurde. Die britische Kundgebung habe das bisherige Interesse Großbritanniens an Mitteleuropa besonders unterstrichen. Die Sicherheit der Tschechoslowakei im System der europäischen Zusammenarbeit sei durch diese Kundgebung gefestigt. Der britische Ministerpräsident habe in seiner Rede das ganz außerordentliche Interesse Englands an der tschechoslowakischen Minderheitenpolitik betont, die vorgesehenen Schritte der Republik zur Befriedigung der vernünftigen Ansprüche der deutschen Minderheit im Rahmen der Verfassung begrüßt und seine Vermittlung in allen schwierigen Fragen zwischen der deutschen und tschechoslowakischen Regierung angeboten. Dieses Interesse des britischen Ministerpräsidenten für die tschechoslowakische Minderheitenpolitik habe als feste internationale Rechtsgrundlage den Minderheitenschutzvertrag vom September 1919 und werde deshalb mit Freude zur Kenntnis genommen. Dr. Hodža betonte sodann, daß angesichts der neuen innerpolitischen, durch die Umgruppierung der deutschen Aktivisten (3489 D) hervorgerufenen Situation nach allen Seiten klar gesagt werden müsse, daß jede Minderheitenregelung in der Tschechoslowakei auf festen Voraussetzungen beruhe, und zwar auf der Eigenstaatlichkeit, der Verfassung und der Verhinderung einer Entnationalisierung gegen welche Nation immer. Hiebei werde die Regierung in keiner Form einen wirtschaftlichen, moralischen oder politischen Druck zulassen. Die tschechoslowakische Minderheitenpolitik leide noch immer an einer gewissen Ungleichmäßigkeit. Die Tschechoslowakei sei früher und jetzt gegenüber den Deutschen in großen Dingen großzügig und freigebig, in unbedeutenden Kleinigkeiten aber zögernd vorgegangen. Heute sei es an der Zeit, durch einen gesetzgebenden Akt alle Minderheitenmaßnahmen zusammenzufassen, die in der Verfassungsurkunde, im Sprachengesetz und in einer Reihe gesetzlicher und Verwaltungsakte enthalten sind. Die Tschechoslowakei habe das verhältnismäßig vollkommenste System der Minderheitenrechte geschaffen. Der Mangel eines kodifizierten Systems diene zum Vorwand, im Ausland den Eindruck zu erwecken, die Minderheiten könnten in der Republik nicht frei atmen. Daher berate die Regierung über ein Minderheitenstatut der Republik. Die Regierung lehne nach wie vor einen ausländischen Einfluß auf die Innenpolitik ab. Es drohe keine internationale Gefahr und kein Konflikt in der Nachbarschaft. Die Situation in Europa sei so, daß ein friedliches Einvernehmen erzielt werden kann. Die Tschechoslowakei arbeite mit anderen darauf hin. (L. B. Außenpolitik 3486 C, Innenpolitik, Minderheiten 3489 D.)