Sudetendeutscher Pressedienst (SdP)
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Wien, 4. September 2001

Anläßlich des Besuches des Staatspräsidenten der Tschechischen Republik, Vaclav Havel, beim österreichischen Bundespräsidenten Thomas Klestil am 6. September 2001 in Wien hat die Sudetendeutsche Landsmannschaft in Österreich folgendes Schreiben an Vaclav Havel gerichtet und Dr. Klestil davon ebenfalls unterrichtet:

Sehr geehrter Herr Staatspräsident Vaclav Havel,

die Sudetendeutsche Landsmannschaft in Österreich – hier anerkannte Interessensvertretung der Opfer der Vertreibung aus der ehemaligen Tschechoslowakischen Republik ab Mai 1945 – erlaubt sich, die höfliche Bitte auszusprechen, aus Anlaß Ihres Besuches bei unserem Herrn Bundespräsidenten Dr. Thomas Klestil bei ihren gemeinsamen Gesprächen zu prüfen, welche positiven Impulse gesetzt werden könnten, um einen Erfolg der bereits begonnenen Gespräche auf Beamtenebene der Außenministerien und der von österreichischer Seite angestrebten bilateralen Verhandlungen über die humanitäre und rechtliche Situation einer Wiedergutmachung des geschehenen Unrechts zu sichern.

Nicht nur unsere Frau Außenminister Dr. Benita Ferrero Waldner, sondern auch der Kommissar für die EU-Erweiterung, Herr Günther Verheugen vertreten die Ansicht, daß eine Lösung dieser Probleme am besten in bilateralen Verhandlungen herbeigeführt werden sollte.

Die Einbindung der Opfer der Vertreibung ist bisher nicht zufriedenstellend. Unsere jahrelangen Bemühungen, von der tschechischen Seite als Gesprächs- bzw. Verhandlungspartner für die Findung von Konfliktlösungen akzeptiert zu werden, sind bisher gescheitert.

Zu den erwünschten Verhandlungen ist es bisher leider nicht gekommen, ja nicht einmal zu Gesprächen, die eine echte Diskussionsbereitschaft der tschechischen Partner erkennen lassen. Dies, obwohl der federführende Ausschuß des Europaparlamentes am 2. Juli 2001 die Haltung der tschechischen Regierung begrüßt hat, die fortbestehenden Gesetze und Dekrete der Benes-Regierung aus den Jahren 1945 und 1946 daraufhin zu prüfen, ob sie im Gegensatz zum gültigen EU-Recht und zu den Kopenhagener Kriterien stehen.

Auch hochrangige Delegierte erwecken den Eindruck, bestenfalls alte Argumente – die das tatsächliche Geschehen und die darüber existierenden wissenschaftlichen Informationsquellen immer noch fast gänzlich ignorieren – ungeduldig zu wiederholen und über das Vorbringen von Gegenargumenten sichtlich indigniert zu sein.

Es ist immer wieder zu hören, daß man ja nicht die "Nachkriegsordnung" in Frage stellen könne, daß sich das "Rad der Geschichte nicht zurückdrehen lasse", daß die Vertreibung ab Mai 1945 ein Akt spontanen Volkszornes war – andererseits in "Potsdam" Ende Juli 1945 beschlossen wurde, daß "die Deutschen" in der CSR eine "fünfte Kolonne" dargestellt haben und darüber hinaus alle "Deutschen" "Nazisten" gewesen wären, die letzten Endes von einem gerechten Schicksal ereilt wurden.

Unsere Stellungnahme dazu ist:

Die Sudetendeutschen wurden 1919 unter Mißachtung ihres Selbstbestimmungsrechtes manchmal mit Gewalt und zum Großteil mit ihren fast rein deutschen Siedlungsgebieten in den tschechoslowakischen Staatsverband eingegliedert, obzwar sie auch weiterhin ein Teil ihrer Heimat "Deutsch-Österreich" bleiben wollten.

Sie waren trotz aller Widrigkeiten gute, gesetzestreue und fleißige tschechoslowakische Staatsbürger, die auf demokratischer Basis versuchten, eine Autonomie innerhalb des Staates zu erreichen.

Es gab keine Sabotageakte oder passive Resistenz, keine Attentate oder staatsgefährdenden Gewaltakte, die die Bezeichnung der Deutschen als "fünfte Kolonne" rechtfertigen würden. Und sie haben sich in ihrer nationalen Not und Bedrängnis zu allererst an die Signatarmächte des Vertrages von St. Germain – England und Frankreich – um Überprüfung ihrer Beschwerden gewandt, und nicht um die Zerstörung eines tschechoslowakischen Staates.

Wir wollen kein Rad der Geschichte zurückdrehen, wir blicken jedoch besorgt in Europas Zukunft.

Wir wollen keine Nachkriegs-"Ordnung" ändern, wollen keine Grenzen verschieben, wir wollen jedoch, daß wir und unsere Nachbarn durch die Erkenntnisse der Verbrechen der Vergangenheit gemeinsam die Voraussetzungen für ein friedliches Zusammenleben in Europa schaffen. In diesem Zusammenhang soll auch klargestellt sein: wir streben keineswegs die Aufhebung aller Beneš-Dekrete an, sondern nur jener wenigen, die Grundlage für die Menschenrechtsverletzungen an den Sudetendeutschen waren.

Zum friedlichen Leben gehört der gute Wille aller Nationen, geschehenes Unrecht als solches zu erkennen, zu bekennen und durch Verhandlungen die Bereitschaft zur tunlichsten Erfüllung unserer Wiedergutmachungsforderungen zu signalisieren.

Es ist unser Wunsch, daß es gelingen möge, durch intensive Verhandlungen unter Einbeziehung der Vertreibungsopfer und durch entsprechende Maßnahmen ein friedvolles Zusammenleben in dem von beiden Seiten erwünschten vereinten Europa auf Dauer zu erreichen.

Wir richten an Sie, sehr geehrter Herr Staatspräsident, die innige Bitte, uns bei unseren Bemühungen zur Erreichung dieses humanen Zieles zu unterstützen.

Mit vorzüglicher Hochachtung 

Gerhard Zeihsel
Bundesobmann

Hervorhebungen und Zeichensetzung geringfügig geändert. ML 2001-09-04