"SUDETENLAND - WAS IST DAS?"
Während in jüngster Vergangenheit weltweit mit Empörung auf ethnische Säuberungen und Vertreibungen in verschiedenen Ländern Europas reagiert und auf Menschenrechtsvertetzungen hingewiesen wurde, hatte man die in den Jahren 1945/46 erfolgte Vertreibung der Sudetendeutschen kaum zur Kenntnis genommen. Deutschland war nach dem verlorenen Kneg zunächst mit sich selbst beschäftigt, die Vertriebenen aus den Ostgebieten kämpften in der neuen Heimat ums Überleben und um eine neue Existenz.

Daß sich während dieser, sich in jeder Hinsicht vollziehenden, Aufbauphase, kaum jemand für die Belange der Sudetendeutschen interessierte, beziehungsweise sich dafür einsetzte, kann niemandem angelastet werden. Doch mit der Gründung der Landsmannschaften, mit der Berufung der Vertreter und Sprecher der Sudetendeutschen und im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs, an welchem die Sudetendeutschen nicht unmaßgeblich beteiligt sind, hätte es ein Anliegen unserer Regierungen sein müssen, sich für die berechtigten Interessen der nunmehr ansässig gewordenen Vertriebenen einzusetzen, vor allem aber die einheimische Bevölkerung über Herkunft, Enteignung und Vertreibung dieser deutschen Volksgruppe aufzuklären.

Jahrzehnte sind vergangen, welche Erfolge wurden erzielt? Die Kultusminister aller Bundesländer sind sich darüber einig, daß im Geschichtsunterricht zum Beispiel die Themen “Weimarer Republik”, auch “Deutsches Reich”, hier aber insbesondere die Nazi-Verbrechen, behandelt werden, doch in kaum einem deutschen Geschichts- oder Erdkundebuch findet man Hinweise auf die ehemals deutschen Ostgebiete oder auf die bereits im 12. Jahrhundert erfolgte Besiedlung Böhmens und Mährens durch Deutsche.

Daß die in diesen Gebieten lebenden Deutschen später von Tschechen unterdrückt, daß sie im Jahre 1919 während einer friedlichen Demonstration für ihr Selbstbestimmungsrecht durch tschechisches Militär niedergeschossen wurden, wobei vierundfünfzig unschuldige Menschen den Tod fanden, wird in Schulbüchern nicht erwähnt.

Seit über 50 Jahren wird deutsche Geschichte verschwiegen oder verfälscht weitergegeben, indem man Tschechen wie Deutschen in den Mund legt, die Vertreibung der Sudetendeutschen sei Folge des deutschen Einmarsches in die Tschechoslowakei.

Meine persönlichen Bemühungen, in Schulen und Gymnasien über unser Schicksal durch Lesungen und Schilderungen berichten zu dürfen, das heißt Enteignung, die unmenschlichen Bedingungen und Folterungen in tschechischen Konzentrationslagern, die wilden Transporte in Viehwaggons, der unsäglich schwere Neuanfang in der neuen Heimat, wurden mir - im Gegensatz zu jüdischen Mitbürgern, denen für derartige Vorträge alle Türen offenstehen – untersagt.

Es stellt sich die Frage nach dem Warum? Ich möchte den Juden das Recht, über das, ihnen durch Deutsche zugefügte, Leid zu berichten und zu referieren, keineswegs absprechen. Doch ist unser Leid geringer? Haben nicht auch wir Tausende von Toten durch Folterungen und Erschießung zu beklagen? Leiden nicht noch heute Tausende unserer Landsleute an den Folgen der Mißhandlungen durch Tschechen? Die Worte “Wiedergutmachung” oder “Entschädigung” dürfen einem geschundenen Sudetendeutschen gar nicht auf die Lippen kommen, man würde empört reagieren.

Unsere Regierung stellt großzügig finanzielle Mittel zur Verfügung, wenn es darum geht, immer neue und größere Gedenkstätten einzuweihen und Gedenkfeiern abzuhalten, um die Erinnerung an Nazi-Verbrechen wachzuhalten. Hier ist man bestrebt, die Geschichte in allen Einzelheiten zu erforschen und festzuhalten, um sie an die nächsten Generationen weitergeben zu können. Man zwingt uns buchstäblich eine Kollektivschuld auf, so daß viele kaum noch wagen, auch auf die an den Deutschen begangenen, Verbrechen hinzuweisen. Ungeprüft werden Greuelgeschichten weitergegeben, aufgebauscht und als Fakten der unrühmlichen deutschen Nazi-Geschichte einverleibt.

Nachdenklich dürfte nicht nur der folgende kleine Auszug aus Stalins Befehl Nummer 0428 vom 17. 11. 1941 machen, in dem es u. a. heißt: "..die (sowjetischen) Jagdkommandos sollen, überwiegend aus Beutebeständen in Uniformen des deutschen Heeres und der Waffen-SS eingekleidet, die Vernichtungsaktionen ausführen. Das schürt den Haß. Es ist darauf zu achten, daß Überlebende zurückbleiben, die über ‚deutsche Greueltaten‘ berichten können In der Bevölkerung ist zu verbreiten, daß – (nicht wir, sondern) – die Deutschen die Dörfer und Ortschaften in Brand setzen..."

Wenn kaum noch gewagt werden darf, im Hinblick auf deutsche Vergangenheit, Zweifel an alleiniger deutscher Schuld zu äußern, dann darf es nicht wundem, wenn die wahrheitsgemässe Historie der Sudetendeutschen - bei dieser Volksgruppe handelt es sich ebenfalls um Deutsche – ein völliges Tabu bleibt.

Wir haben es während der vergangenen über fünfzig Jahre versäumt, mit Nachdruck auf die wahrheitsgetreue Wiedergabe unserer Geschichte, der Geschehnisse, und auf unsere Rechte aufmerksam zu machen. Unsere jüdischen Mitbürger sollten uns in dieser Beziehung Vorbild sein. Sudetenland und Sudetendeutsche hätten als Thema stets aktuell bleiben müssen.

Bald wird die Erlebnisgeneration nichts mehr zur Wahrheitsfindung beitragen können. Wir müssen uns beeilen! Wenn es uns nicht gelingt, innerhalb kürzester Frist eine Wende in der geschichtlichen Wahrheit herbeizuführen, wenn wir es nicht schaffen, unsere Regierung zu bewegen, sich mit Nachdruck für die Belange der Sudetendeutschen einzusetzen, dann tritt das ein, worauf gewisse tschechische und deutsche Politiker warten, nämlich die biologische Lösung des leidigen Sudetenproblems.

Der Begriff “Sudetendeutsche” könnte langsam in Vergessenheit geraten. Erst vor kurzem wurde ich von einem Jugendlichen gefragt: “Sudetenland, was ist das?” Wie sich später herausstellte, handelte es sich bei dem Fragesteller um einen Nachkommen von Vertriebenen aus dem Sudetenland!
Eleonora Bolter, D-Karlsruhe,  SUDETENPOST vom 30.November 2000