Arbeitskreis Demokratiereform
20. März 2003 · FN/56
P R E S S E M I T T E I L U N G
Krieg: Vater vieler Dinge und Mutter aller Verrohungen
Der Schrecken ist groß, die Folgen bleiben unkalkulierbar. Zwei Drittel der
USA-Amerikaner befürworten den Einmarsch der Rumpf-Alliierten in den Irak und nehmen
damit die weltweite Kakophonie und Schlimmeres in Kauf. Es hat den Anschein, daß Recht
und Unrecht, Gut und Böse eindeutig auszumachen seien und daß über den Krieg als
historische Wiederkehr-Erscheinung und fatumhaftes (=schicksalhaftes) Evolutionsphänomen
nicht (mehr) rational diskutiert werden kann: Krieg wird als das absolut Böse eingestuft,
das zu verhindern alle Mittel recht seien also auch Verhinderungskriege? Friede
wird als das höchste zivilisatorische Gut ausgegeben und zum radikal zu verteidigenden
(!) Gegenzustand des Krieges erklärt.
Angesichts der gesteigerten Aufgeregtheiten und verhärteten Selbstgewißheiten ist es
schwer, die Fakten- und Maßstabsverwirrungen zu entknäueln, ohne in falschen Verdacht zu
geraten. Zunächst ist festzuhalten, daß nicht der Friede, sondern die Freiheit das
höchste Gut humaner Kulturen ist. Aus bedrohter Freiheit hat das hochzivilisierte antike
Athen mehrere Kriege geführt, an denen sich auch der weise Sokrates beteiligt hat. Der
Maßstab für kriegerische Handlungen im freiheitswahrenden Sinne ist relativ gefestigt:
Sind die Folgen eines Nichtkrieges freiheitsvernichtender als die Folgen eines Krieges und
haben alle anderen Abwehrmittel versagt, ist Gewaltanwendung legitimiert, und zwar
jenseits aller (friedens-) moralischen Abwägungen.
Radikale Pazifisten leben von der Hoffnung, daß Friede ansteckend wirke und letztlich
auch den blutrünstigsten Diktator befrieden könne. Die Geschichte liefert dafür kaum
Beweise. Bellum-Justum-Pazifisten (darunter der heutige Papst, unter dessen Vorgängern
durchaus Kriegsherren zu finden sind) setzen alles auf das überzeugende Gespräch und auf
rationale Kontinuität. Auch dafür sind in der mehrtausendjährigen Menschheitsgeschichte
nicht allzu viele Beispiele zu verzeichnen. Welcher Despot von diabolischem Format hätte
je auf das friedensstiftende Wort gehört? Aber nicht allein Despoten, auch monomythische
Ideologien, Herrschaftsansprüche und aufgepeitschter Volksfanatismus haben sich selten
eines Guten belehren lassen. Im Jahre 1476 metzelten verarmte eidgenössische Bauern in
der Schlacht bei Murten ihre burgundischen Besatzer nieder und sicherten sich dadurch
Freiheit und künftigen Wohlstand. Hätten sie, um des Friedens willen, in Armut und
Unfreiheit weiterleben sollen? Der kolonial-imperialistischen Arroganz Frankreichs fielen
bei Dien Bien Phu tausende Franzosen und Fremdenlegionäre (darunter auch Deutsche) zum
Opfer. Weder das politische Paris noch die kämpfenden Offiziere haben sich von guten
Argumenten umstimmen lassen, im Gegenteil, die mitfanatisierten Soldaten hißten selbst
dann keine weißen Fahnen, als ihre Lage aussichtslos geworden war. Die Kraft des Wortes
und der friedensverlockenden Argumente ist also in bestimmten Verhärtungslagen schwach,
wenn nicht sogar wirkungslos.
Das berühmte 53. Fragment bei Heraklit lautet: »Der Krieg ist der Vater aller Dinge.« Gewiß nicht »aller Dinge«, aber doch der Zeugwart vieler Dinge, aber zugleich die Rachemutter aller Verrohungen, die dem menschlichen Gehirn entspringen. Ein Blick auf die Evolutionsgeschichte des Menschen und seiner Kultur lehrt, daß Kriege wenigstens bis auf den heutigen Tag - an mehreren Dutzend Orten der Welt wird Krieg geführt leider zum Webmuster konfrontativen Verhaltens gehören. Die meisten der großen Umbrüche der Geschichte gehen auf Kriege zurück, man denke beispielsweise an die Jahre 1260, 1453, 1789 und 1945. Daß der welthistorische Bruch von 1989 (friedliche Wiedervereinigung Deutschlands) ohne Krieg vonstatten ging, ist eine der handvoll Ausnahmen unter aberhundert Gegenbeweisen. Die Conditio humana und ihr Produkt, die gesellschaftlich-staatlichen Formationen, entfalten sich nicht aggressionsfrei. Verbale Befriedungsstrategien sind meist erfolglos, wie Geschichte und Gegenwart eindrucksvoll belegen.
Was folgt daraus? Resignation? Nein. Aufbau eines Drohpotentials, um gegnerische
Kriegslust zu zügeln? Die strategische Ansicht, daß ein wirkungsvolles Mittel, Kriege zu
verhindern, die Vorbereitung einer Kriegsabwehr sei, ist nicht die schlechteste Lehre aus
der Geschichte. Ist sie doch friedenserhaltender und freiheitssichernder als alle
Spielarten des Pazifismus. Napoleon hat die zersplitterten deutschen Länder
überfallen, weil er sie als schwach einschätzte.
Aber was tragen diese Einsichten zum Verstehen oder gar Abwehr der gegenwärtigen
Kriegslage bei? Vieles, denn hinter Bushs Aggressionslust und Missionseifer steht eine
militärische Weltmacht ohne Widerpart. Es ist dabei fast nebensächlich, ob die USA sich
bedroht fühlen oder ob das Ansehen der UNO auf dem Spiel steht oder das Völkerrecht
eigenmächtig interpretiert wird. Frankreich und seine Meinungssatelliten
setzten auf die Kraft des Wortes (Diplomatie und Recht) und erlebten dessen Ohnmacht, wie
so oft in der Geschichte. Die angelsächsische Kriegsleidenschaft, den Deutschen als
Bombenterror bis kurz vor Kriegsende 1945 wohlvertraut (vgl. den WALTHRARI-Artikel
Winston Churchill war ein Kriegsverbrecher), wäre nur durch die Furcht
vor einer gleichstarken Militärmacht zu zügeln.
Angesichts der heutigen Faktenlage bleiben auch die Motive Bushs und Blairs sekundär. Es ist müßig, darüber zu spekulieren, ob das Öl, der 11. September 2001 oder eine verspätete Rache für 1990/91 oder die Erprobung neuer Waffentechniken ihre Antriebskräfte sind. Bei erdrückender Überlegenheit findet der Aggressionstrieb leichterhand auslösende Momente. Kaum jemand nimmt es den USA ab, daß sie sich durch den irakischen Despoten bedroht fühlen. Wie steht es aber um die Bedrohung der westlichen Demokratien durch den unvorstellbar großen Haß und durch den gewaltbereiten Fanatismus in der islamischen Welt? Daß ein Irakkrieg eine solche Bedrohung erst geschaffen habe, kann niemand ernsthaft behaupten. Daß der Krieg Gewaltausbrüche und Terror begünstige, ist wahrscheinlich, aber kein nachhaltiges Argument: Denn wie der Aggressionstrieb der angelsächsischen Vormächte (übrigens nicht allein auf militärischer Ebene; man denke an deren Sprach- und Finanzimperialismus) sich seine Motive und Gelegenheiten sucht, so auch früher oder später das Haßpotential in der islamischen Welt. Wenn nicht beim Irakkrieg, dann würde sich irgendwann die islamische Frustration gewaltsam entladen. So gesehen, kann sich auch die aktuelle Konfrontation der List der Geschichte nicht entziehen: Bush & Co. benehmen sich zweifellos wie verwilderte Globalisierer, doch könnten die Ereignisse den Pazifisten und wortgläubigen Wehrlosen eine züchtigende Lehre sein, ganz zu schweigen von den Langzeitwirkungen auf Despoten und Fanatiker in aller Welt, die durch den Krieg daran erinnert werden, daß sie vor den Launen des Stärkeren nie sicher sein können. Für den ohnmächtigen Zuschauer des blutigen Spektakels bleibt der Trostsatz Fr. Schillers im Wallenstein (Die Piccolomini, 1. Akt, 4. Aufzug): »Im Krieg selber ist das Letzte nicht der Krieg.«
© Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer. Aus: www.walthari.com
Glossar:
Bellum-Iustum (lateinisch: gerechter Krieg) vertreten neuerdings jene
Pazifisten, die den Krieg als letztes Mittel (ultima ratio) ansehen. Herausragender
Vertreter dieser Richtung ist der Papst, der die von seiner Kirche entwickelte
Bellum-Iustum-Lehre, die ursprünglich jeden Krieg, der eine gerechte Sache vertritt, zu
rechtfertigen sucht, umgedeutet hat im Sinne einer ultima ratio, also als letzter Ausweg
bei völligem Versagen aller Überzeugungsarbeiten.
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Zum Arbeitskreis zählen u. a.: Dr. Helmut Böttiger, Verleger; Prof. Dr. Hans-Werner Bracht; Univ.-Prof. Dr. Erich Dauenhauer; Edmund Dobiess, Dipl.-Hdl.; Prof. Dr. Eberhard Hamer; Dr. Hans Georg Hess, RA; P. R. Heydenreich-Ehringsdorf, Dipl.-Brauing.; Klaus Machel, Konrektor; Josef Schmitt, Homepagegestaltung; Jutta Wendland, Unternehmerin; Reinhard Uhle-Wettler, Brigadegeneral a. D.