Freidenkerbund Österreichs
Stellvertretender Bundesvorsitzender
Prof. Dr. Anton Szanya
Lindheimgasse 8/7
A - 1140 Wien
(Die nachstehende Aussendung ging an die österreichischen Vertreter bei der EU.)
Sehr geehrte Damen und Herren!
Der Freidenkerbund Österreichs warnt nochmals eindringlich davor, Kirchen und Religionsgemeinschaften in der künftigen Verfassung der Europäischen Union irgendeinen Stellenwert einzuräumen, und dies schon gar nicht aus kurzsichtigen politisch-opportunistischen Motiven.
Der Freidenkerbund Österreichs erinnert an seine Aussendung vom 12. Januar 2003, in der es unter anderem hieß:
Der Freidenkerbund Österreichs ist überdies der Ansicht, daß Religionen
jeglicher Art und ganz besonders diejenigen, welche auf die Geschichte Europas
wesentlichen Einfluß genommen haben, den egalitären Grundsätzen einer demokratischen
Gesellschafts- und Staatsform grundsätzlich widersprechen. Als Beispiele hierfür seien
angeführt:
Männer genießen im allgemeinen eine höhere Wertschätzung als Frauen, weil das
Gottesbild dieser Religionen von männlichen Vorstellungen geprägt ist und daher Männern
Funktionen in den jeweiligen Religionsgemeinschaften offenstehen, die Frauen in der Regel
verschlossen oder nur erschwert zugänglich sind.
Nicht nur religiöse Glaubenssätze, sondern auch von diesen abgeleitete und für
allgemein verbindlich erklärte Regeln des zwischenmenschlichen, gesellschaftlichen,
politischen und wirtschaftlichen Zusammenlebens werden nicht mit wissenschaftlichen
Methoden erarbeitet und der Kritik unerzogen, sondern auf göttliche Offenbarungen
zurückgeführt. Diese Offenbarungen sind aber nicht allen Menschen gleichermaßen
zugänglich, sondern nur bestimmten Menschen, die Kraft einer priesterlichen Funktion oder
der lebenslangen Beschäftigung mit der Auslegung als heilig erklärter Schriften dafür
besonders geeignet sind. Daraus ergibt sich unausweichlich, daß diese Menschen
Herrschaftsansprüche über alle anderen erheben, die keiner demokratischen Kontrolle und
Begrenzung unterliegen.
Religionsgemeinschaften verlangen für sich, begründet mit den oben angeführten
Gründen, in vielen Bereichen Ausnahmeregeln von der staatlichen Rechtsordnung, was dem
demokratischen Egalitätsprinzip gleichfalls widerspricht.
Aus den Religionen abgeleitete Denkmuster prägten auch die Europa tiefgehend beeinflussenden Ideologien des Nationalsozialismus und Faschismus, des Bolschewismus und auch des wirtschaftlichen Liberalismus. Haben die erstgenannten den Angehörigen einer bestimmten biologisch definierten Rasse oder einer bestimmten politisch definierten Klasse eine bevorzugte Stellung in der Gesellschaft zugeschrieben und in deren Weltherrschaft das Ziel der Geschichte gesehen, so ist derzeit der wirtschaftliche Liberalismus dabei, die Menschen vollständig den Erfordernissen einer gewinnorientierten Ökonomie und ihrer Verwertungslogik zu unterwerfen.
Daß der Freidenkerbund Österreichs mit dieser seiner Auffassung recht hat, erweist eine Meldung der Agentur KATHNET vom 24. April 2003 mit dem Titel: Vatikan und Slowakei schließen Pakt zur Gewissensfreiheit. In dieser Meldung wird wörtlich ausgeführt:
Das Gesetz würde über die Institutionalisierung der Gewissensentscheidung den Einfluß der katholischen Kirche in der Slowakei stark ausweiten.
Bratislava (www.kath.net) Das Parlament
der Slowakei hat die dortige Regierung beauftragt, einen Sondervertrag mit dem Vatikan
über die Gewissensentscheidung seiner Bürger abzuschließen. Wie The
Guardian berichtet, würde das den Einfluß der katholischen Kirche in dem ehemals
kommunistischen Land stark erweitern. Auf Basis des geplanten Abkommens könnten zum
Beispiel Ärzte die Teilnahme an einer Abtreibung in ihrem Spital ablehnen, ohne mit
rechtlichen Folgen rechnen zu müssen. KATH.NET hat berichtet. Auch Richter könnten sich
weigern, Scheidungsfälle zu verhandeln, wenn das gegen ihr Gewissen ginge. Lehrer
könnten eine gegen die Lehre der Kirche gerichtete Sexualaufklärung in den Schulen
verhindern.
Das Abkommen zur Gewissensfreiheit ist ein Pakt, der
erstmals zwischen dem Vatikan und einem europäischen Staat geschlossen wird. Er hat viel
weiter reichende Auswirkungen als alle Konkordate, die in den letzten Jahren mit Staaten
wie Kroatien oder Litauen abgeschlossen wurden. Der Papst hat bei seinen Bemühungen um
eine Re-Evangelisierung Europas verstärkt auf die Ausweitung seines Einflusses in den
ehemals kommunistischen Ländern gesetzt. Zuletzt verlangte Polen im Rahmen seiner
Beitrittsgespräche mit der EU eine Ausstiegsklausel bei all jenen EU-Entscheidungen, die
Gesetze mit moralischen Implikationen betreffen. Kritiker sehen in der verstärkten
Zusammenarbeit zwischen dem Vatikan und den neuen Demokratien im europäischen Osten die
politische Trennung von Kirche und Staat gefährdet.
Der Freidenkerbund Österreichs verweist in der Verfassungsfrage auch auf den Beitrag des Verfassungsjuristen Heinz Mayer in der Zeitung Der Standard vom 22. April 2003, S. 27, wo er über den Sinn und die Aufgabenstellung einer Verfassung unter anderem ausführt:
Es liegt auf der Hand, dass eine Verfassung ihre ordnende Funktion nur dann erfüllen kann, wenn sie klare Grenzen setzt; eine Verfassung, die sich in programmatische Formulierungen, schwülstige Beschwörungen oder mythische Erklärungen verstrickt, wird mehr Probleme aufwerfen als zu deren Lösung beitragen.
Der Freidenkerbund Österreichs ersucht sie daher, Ihre Entscheidung im Lichte der obigen Ausführungen nochmals zu überdenken.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Dr. Anton Szanya
für den
Freidenkerbund Österreichs