MYSTERIÖSES BRUMMEN

Fast jede Nacht die volle Dröhnung

Nach vielen Hilferufen will die Stuttgarter Landesregierung nun ein rätselhaft-nervendes Phänomen ergründen: Nächtliches Brummen raubt nicht nur Schwaben den Schlaf.

VON WOLFGANG RIEK

Eigentlich versuchen sie, Gewässerverschmutzern und Luftverpestern das Handwerk zulegen. Seit Anfang August allerdings jagen Mitarbeiter der baden-württembergischen Landesanstalt für Umweltschutz (LfU) ein mysteriöses Phänomen: den Brummton.

Der wummert zuweilen wie eine Tiefkühltruhe, dieselt wie ein Lkw im Leerlauf und peinigt Menschen nächtens quer durch Baden-Württemberg – und nicht nur dort. Carmen Mischke und Achim Häuser aus Gäufelden-Tailfingen bei Herrenberg waren die ersten, die öffentlich Alarm schlugen. Im August 1999 schreckte sie der Brummton erstmals aus dem Schlaf, seither überfällt er sie fast jede Nacht.

Ob aus der Luft oder dem Untergrund, ob natürlich verursacht oder lästige Begleitmusik nicht identifizierter Technik:
Woher die extrem niederfrequenten Töne kommen, weiß bislang niemand. Auch kann nicht jeder das Brummen hören. Die Betroffenen allerdings leiden regelrechte Qualen. Carmen Mischke: „Oft empfinde ich nachts, als ob mein Bett elektrisch aufgeladen wäre, Kopfkissen, Matratze und mein ganzer Körper vibrieren.“

Jetzt will die Landesanstalt für Umweltschutz dem Phänomen auf die Spur kommen. Hochempfindliche Geräte zeichnen dazu Schall und Erschütterungen in Wohnungen von Betroffenen auf. Dröhn-Opfer werden zudem ohrenärztlich „auf besondere Hörfähigkeit für sehr tiefe Töne“ untersucht. Begonnen haben die Messungen im Schwarzwald, elf weitere übers Ländle verstreut sollen folgen.

Sprachrohr der betroffenen Schwaben und Badener ist die „Interessengemeinschaft zur Aufklärung des Brummtons“ (IAB). Doch auch bei Baden-Württembergs Behörden haben sich schon rund 300 Menschen gemeldet, denen der Tiefton an den Nerven zerrt, die Herzen rasen läßt und Schweiß aus allen Poren treibt. Sogar Anrufer aus Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Berlin und Hamburg, so die LfU, hofften auf Hilfe – oder zumindest Erklärungen für das gespenstische Brummen.

Regelmäßiges Chaos im Gehörgang und schlaflose Stunden sind schlimm genug, aber längst nicht alles, so die IAB: In den Familien zanken sich Hörer der vollen Dröhnung und Nichthörer, bei nächtlichen Streifzügen im Schein der Taschenlampe sind Nachbarn und Gewerbebetriebe um die Ecke Ziel des Verdachts. Betroffene hätten sogar schon fluchtartig ihre Wohnung aufgegeben oder ihr Haus umgebaut „in der Hoffnung, eine Linderung des Effektes zu erreichen – vergebens“.

Protokoll der Plage
Das „Buch des Brummens“, das die IAB im Internet aufgeblättert hat, wächst sich zum Protokoll der Plage aus: Markus Best etwa, ebenfalls in Gäufelden zu Hause, versuchte, dem Brummen Richtung Schwäbische Alb zu entkommen. Der Umzug brachte ihn aber nur vom Regen in die Traufe. Best tippt nun auf Zusammenhänge mit Bewegungen der Erdkruste: Der Nordrand der Alb ist bekanntlich Bebengebiet.

Ein weiterer Klageruf vom Montag dieser Woche: „Wir wohnen in der Nähe von Tübingen. Der Brummton tritt zwischen 2 und 4 Uhr nachts auf, schwillt an und ab und gleicht dem Ton, der entsteht, wenn man über einen Flaschenhals pustet. Es war weder die Heizung noch irgendein Schornstein noch ein elektrisches Gerät. Der Ton war nicht zu orten, er verschwand beim Gang ans Fenster, und wenn man sich ins Bett gelegt hat, hörte man ihn wieder. Ohrenstöpsel halfen ein wenig.“

Schließlich Hans Braun aus Karlsruhe, der den Brummton, weil er sich anders nicht zu helfen weiß, mit noch mehr Lärm bekämpft: „Das Brummen höre ich seit 1995. Als Abhilfe höre ich Techno-Musik, die mir übrigens auch gefällt, auf einem hohen, aber erträglichen Pegel etwa eine bis drei Stunden am Tag. Der Aufenthalt in einer lauten Fabrikhalle (Preßwerk) bewirkt das gleiche. Danach höre ich den Brummton stundenlang nicht mehr.“

HINTERGRUND:
Spekulationen schießen ins Kraut
Tinnitus, allergische Überempfindlichkeit, Baumängel, Bohrungen beim Autobahn-Tunnelbau, niedrigfrequenter Schall von Eisenbahnen und Flugzeugen, Störangriff aus Radarstationen, Strom- und Erdgasleitungen oder Mobilfunkverkehr – wildeste Theorien schießen mittlerweile ins Kraut. Selbst US-Militärs, die angeblich mit elektromagnetischen Welle in Alaska eine Art Superwaffe testen, gelten als böse Buben des Brummens.

Dir LfU rechnet nicht mit raschen Ergebnissen ihrer Brummton-Jagd. Immerhin: bei den ersten Messungen, so Pressesprecherin Anja Boucek auf Anfrag unserer Zeitung, hätten – wo Betroffene den Brummton hörten – auch die Meßgeräte ausgeschlagen und tatsächlich niederfrequenten Schall registriert. Von Tinnitus-Hörgeräuschen oder blanker Hysterie sei die LfU nie ausgegangen. Es gebe intern schon eine Skala möglicher Brummton-Quellen – nur wolle man die weder jetzt schon bekanntgeben noch die ersten Meßergebnisse interpretieren.

Internet: www.brummt.de, www.brummen.de

Aus der HNA 195 Seite 20, 2001-08-23

Siehe auch: „Wechselstrom läßt Europas Boden zittern“ (1977)