Europäisches Parlament fordert Aufhebung der Benesch-Dekrete
Amtlicher Wortlaut der EuroParl-Entschließung
Bitte Abschnitt D 7 besonders beachten!

(Mitteilungsblatt der SL Nr. 4/1999, S. 120-122, aus der Netzseite der Sudetendeutschen Landsmannschaft entnommen)

(bdh) Seit Jahren vertritt die Sudetendeutsche Landsmannschaft, aber auch die Bayerische Staatsregierung die Auffassung, daß die Tschechische Republik vor einem Beitritt zur Europäischen Union einige Benesch-Dekrete und das sog. „Amnestiegesetz“ von 1946 aufheben muß. Zu den Beitrittsvoraussetzungen der EU gehören nämlich volle Rechtsstaatlichkeit, Minderheitenrechte und der Verzicht auf Diskriminierungen.

Ganz in diesem Sinne hat das Europäische Parlament bereits im April 1998 im sog. „Posselt-Bericht“ von den Beitrittskandidaten die Aufhebung diskriminierender Bestimmungen gefordert. Am 15. April 1999 hat das Straßburger Parlament nun Klartext gesprochen. In seiner „Entschließung zum Bericht der Kommission über die Fortschritte der Tschechischen Republik auf dem Weg zum Beitritt“ (Bericht von Carnero Gonzalez, Nr. A4-0157/99) heißt es wörtlich (Ziffer 7):

„Das Europäische Parlament ... fordert die tschechische Regierung im Geiste gleichlautender versöhnlicher Erklärungen von Staatspräsident Havel auf, fortbestehende Gesetze und Dekrete aus den Jahren 1945 und 1946 aufzuheben, soweit sie sich auf die Vertreibung von einzelnen Volksgruppen in der ehemaligen Tschechoslowakei beziehen.“

Genauer kann man es nicht sagen: Es geht ja nicht um alle 143 Benesch-Dekrete, sondern nur um die etwa 15 Dekrete und Gesetze, die sich auf die Vertreibung beziehen: Die Enteignungsdekrete, die Zwangsarbeitsdekrete, das Ausbürgerungsdekret, die beiden Retributionsdekrete, das Dekret über die Kolonisierung des Sudetenlandes mit „slawischen Landwirten“, das Dekret über die Aufhebung der deutschen Universitäten und das sogenannte Amnestiegesetz vom 8. Mai 1946, mit dem praktisch alle an Deutschen und Ungarn begangenen Verbrechen für „nicht rechtswidrig“ erklärt wurden.

Diese Resolution des Europäischen Parlaments wurde vom stellvertretenden Vorsitzenden der SL, Bernd Posselt, MdEP maßgeblich mit herbeigeführt. Sie wurde von den Europaabgeordneten Nassauer und Poettering im Namen der EVP-Fraktion im Plenum eingebracht. Zur Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) gehören auch die deutschen CDU- und CSU-Abgeordneten. Abgelehnt wurde der Antrag von Sozialdemokraten und Grünen – leider auch von den deutschen.

Reaktionen auf die Entschließung des Europäischen Parlaments

(bdh) Die Forderung des Europäischen Parlaments nach Aufhebung der Benesch-Dekrete hat in Prag vielfältige, z.T. heftige Reaktionen ausgelöst.

Außenminister Kavan meinte, diese Entschließung sei „sehr interessant“ und man werde sich in Prag sicherlich damit beschäftigen. Allerdings sei die Resolution „nicht verbindlich“. Auch viele tschechische Zeitungen stellten die Rechtsverbindlichkeit der Entschließung in Frage. Dabei wurde regelmäßig verschwiegen, daß das Parlament sehr wohl bei der Osterweiterung der Union ein entscheidendes Wort mitzureden hat. Ohne die Zustimmung einer qualifizierten Mehrheit des EP kann kein Land der EU beitreten. Und diese Mehrheit von 314 Stimmen gibt es nicht ohne Unterstützung der Europäischen Volkspartei (EVP).

Jiri Sitler, ein hochrangiger Beamter des Außenministeriums, erklärte, es müsse wohl ein Übersetzungsfehler vorliegen, denn es gäbe gar keine „Vertreibungsdekrete“. Das Europaparlament hätte wohl das Potsdamer Abkommen gemeint, so Sitler weiter. Direkt wahrheitswidrig äußerte er, die Enteignung der Sudetendeutschen sei 1945 auf der Pariser Reparationskonferenz international anerkannt worden.

Ruhig reagierte Präsident Havel, der erklären ließ, es gehe um eine schwierige Frage, die von Experten geklärt werden müsse. Sein Sprecher meinte aber, Havel habe sich nie für die Aufhebung der Dekrete ausgesprochen und betrachte sie als „historischen Bestandteil“ der tschechischen Rechtsordnung – was immer das nun heißen mag.

Jedoch gab es auch Stimmen, die meinten, wenn diese Dekrete heute nicht mehr angewendet würden, könne man sie auch gleich aufheben. In diesem Sinne äußerten sich nun sogar tschechische Verfassungsrichter, die meinten, eine Aufhebung der Dekrete sei möglich, weil sie keinerlei Folgen hätte. – Es ist aber eine Tatsache, daß die Dekrete da und dort weiterhin angewendet werden und daß die Gerichte sich laufend auf sie beziehen, so daß auch eine Aufhebung nicht ganz folgenlos bleiben könnte.

Besonders interessant ist für uns die Reaktion der deutschen Außenpolitik auf die Entschließung des Europäischen Parlaments. Der neue deutsche Botschafter in Prag, Hagen Graf Lambsdorff, setzte in einem Interview vom 27. April schon wieder ganz andere Akzente als Bundeskanzler Schröder in seinem berühmt-berüchtigten Pressegespräch am 8. März in Bonn. Unter anderem sagte der Botschafter: „... die deutsche Regierung, der Staat kann individuelle persönliche Ansprüche vertriebener Sudetendeutscher nicht für ungültig erklären oder auf sie verzichten.“ Und auf die Frage, ob die Benesch-Dekrete ein Hindernis für den EU-Beitritt seien, antwortete er: „Selbstverständlich ist jeder Staat, der in die Europäische Union aufgenommen werden will, gehalten, seine Gesetze mit den in der EU geltenden Normen in Übereinstimmung zu bringen. Mir ist bekannt, daß man auf tschechischer Seite an diesen Dingen arbeitet...“ Offenbar kommt also auch die Außenpolitik der rot-grünen Bundesregierung an der Straßburger Entschließung nicht einfach vorbei.