Frau E. 0. aus Elbing berichtet (1951):
Am 29. Januar 1945 morgens 6.30 Uhr kam ich in Gefangenschaft. Die Männer wurden
fast alle abtransportiert. Niemand hat sie jemals wiedergesehen. Übrig blieben Frauen und
junge Mädchen ab 15 Jahren. Hier beginnt schon die Vergewaltigung der weiblichen Jugend.
Auf offenem Bahnhofplatz sah ich, wie ein junges Mädchen von russischen Soldaten
vergewaltigt wurde. Die Mutter verteidigte ihre Tochter, weil die russischen Soldaten sie
immer wieder gebrauchten, und besiegelte ihr Leben für den Mut und den Kampf nach zwei
Tagen mit dem Tode
Der Krieg tobt weiter. Wir wurden jetzt noch einmal gemustert und nach Alter sortiert. Ich
war damals 39 Jahre alt. Ein Zimmer war für die Vergewaltigungen hergerichtet, die nun
erfolgen sollten. Zuerst kamen die jüngeren Frauen dran, ich erst gegen Morgen und wurde
gleich von drei russischen Soldaten gebraucht.
Diese Vergewaltigungen wiederholten sich täglich zweimal, jedesmal mehrere Soldaten, bis
zum 7. Tag. Der 7. Tag war mein schrecklichster Tag, ich wurde abends geholt und morgens
entlassen. Ich wurde am Geschlecht ganz auf gerissen und hatte armstarken Geschwulst vom
Geschlechtsteil an beiden Oberschenkeln bis an die Knie. Ich konnte nicht mehr laufen und
nicht liegen. Dann folgten noch 3 dieser schrecklichen Tage wie bis zum 6. Tag. Dann waren
wir nach Ansicht der russischen Soldaten fertig und wurden nackt aus diesem Höllenraum
herausgejagt. Andere Frauen traten an unsere Stelle. Diese Scheußlichkeiten würden im
Beisein von 10 Frauen und oft auch im Beisein der eigenen Kinder durchgeführt.
Danach mußten wir zur Unkenntlichkeit gemarterten Frauen uns sammeln und wurden auf den
Todesmarsch nach der 21 km entfernten Stadt Preußisch-Holland gesetzt. Man muß
überlegen, daß wir keine Schuhe mehr an den Füßen hatten. Wir haben uns Sacklappen um
die Füße gebunden, und ich nahm ein Kind auf den Arm und das andere an die Hand. Auf
diesem Todesmarsch warfen die russischen Soldaten laufend kleine eigroße Sprengkörper in
den Zug. Die Getroffenen mußten liegen bleiben und der ganze Zug darüber laufen. Essen
gaben sie nicht, wir sollten kaputtgehen, das war der Zweck dieses Marsches. Er wurde 14
Tage durchgeführt. Von 800 Menschen waren bei der Auflösung des Zuges kaum noch 200 am
Leben. Die Toten lagen am Straßenrand oder Straßengraben. Nach 14 Tagen wurde der Rest
dieses Zuges aufgelöst, und die Menschen flohen in alle Richtungen auseinander. Ich zog
wieder nach Elbing mit meinen Kindern. Gegessen habe ich in dieser Zeit mit meinen Kindern
Kartoffelschalen und von den Krautstengeln die Nachwuchsblätter. Meine kleine Christa
bekam Hungertyphus. Mein Horst und ich bekamen ganz dicke Leiber. Ich war dem Wahnsinn
nahe.
Da ich nun vollständig kaputt war an Leib und Seele, hatte ich in Zukunft vor diesen
Scheußlichkeiten Ruhe. Einmal noch wollte man mir meinen Sohn Horst wegnehmen, um ihn zu
behalten, wurde ich noch einmal gebraucht. Ich und viele Tausend Frauen sind kaputt bis
auf den heutigen Tag, und niemand hilft uns.
In diesem Zustand habe ich mir einen kleinen Handwagen besorgt und bin mit meinen Kindern
von Elbing bis Weyer/Oberlahnkreis zu Fuß getreckt. Zweimal konnte ich auf dieser Reise
die Bahn kurze Strecken benutzen. Beim Grenzübertritt in die englische Zone bei Helmstedt
haben sich die englischen Soldaten mir und meinen Kindern gegenüber als gute Menschen
gezeigt. Kurz vor meinem Ziel verließ mich mein Geist und Verstand. Ich wurde noch
rechtzeitig besinnungslos aus der Lahn gezogen.
(Gekürzt aus: Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa I, herausgegeben vom Bundesministerium für Vertriebene dtv-reprint 1984 Band 1 / Seite 62)