Bericht über einen Vortrag in Stuttgart am 7. Oktober 2006:

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Sehr geehrte Damen und Herren,
die Vertreibungen ganzer Völker innerhalb Europas des 20. Jahrhunderts sind keinesfalls etwas Neues in der Geschichte der Menschheit, berichtet Professor Alfred Maurice de Zayas, Harvard-promovierter Jurist des Völkerrechts, ebenso promovierter Historiker der Uni Göttingen, Gastprofessor für Völkerrecht an amerikanischen und europäischen Universitäten mit über 20jähriger Berufserfahrung im UNO-Menschenrechtsausschuß. Sein Vortrag, nein, seine Vorlesung über Völkerrecht und Vertreibungen fand gerade im „Haus der Heimat“ in Stuttgart statt.

Vertreibungen sind so alt wie die Menschheitsgeschichte, beginnt Professor de Zayas. Bereits im alten Testament werden sie erwähnt, Karthago sei ein einziger Völkermord, die Kolonisierungsbestrebungen in Nord- und Südamerika, die vernichtenden Züge von Dschingis-Khan, die Vernichtung der christlichen Armenier, der Massenmord an Europas Juden und auch die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten Europas, nur um einige zu nennen, sind alles Verbrechen gegen die Menschheit. Sie haben richtig gelesen. Gegen die Menschheit (crime against humanity), nicht fälschlicherweise gegen die Menschlichkeit, erklärt Professor de Zayas den Unterschied. Vertreibungen von Kulturen gehen die gesamte Menschheit an, nicht nur einzelne Staaten oder Nationen.

Den Begriff „Völkermord“ erläutert de Professor ebenso. Dieser Begriff ist in der UNO-Konvention von 1948 genau definiert. Nach Artikel II der Konvention bedeutet Völkermord eine der folgenden Handlungen, die in der Absicht begangen werden, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören. Zu den Handlungen gehören:
a) Tötung,
b) Verursachung von schweren körperlichen oder seelischen Schäden an Mitgliedern der Gruppe,
c) vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, diese Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören.
Er erläutert weiter, daß der Tatbestand des Völkermordes nicht etwa erst dann eintritt, wenn alle Mitglieder dieser Gruppe vernichtet wurden, sondern daß bereits die Absicht hierzu ein Verbrechen sei. Und – es sei ein falsche Auslegung, man könne Verbrechen, die vor dem Datum der formalen Festlegung dieser Konvention geschahen, nicht ahnden. Das Verurteilen und Bestrafen dieser Verbrechen könne und müsse jederzeit getan werden. Vergehen gegen die Menschheit sind nicht verjährbar und bedingen völkerrechtliche Konsequenzen: das Recht auf Rückkehr bei Vertreibungen, Restitution des Eigentums, Bestrafung der Schuldigen.

Professor de Zayas nennt Zahlen und Fakten über die Vertreibungen der Menschheit. Im Falle Mitteleuropa gehe es allerdings nicht nur um diese juristische Seite der Sache. Es gibt auch andere Verletzungen des Völkerrechts. Schwerwiegende Verletzungen der Minderheiten-Schutzverträge zum Beispiel. In den Archiven der UNO-Menschenrechtskommission liegen unzählige Akten zu Klagen über anerkannte Verstöße gegen diese Konvention aus den 20er und 30er Jahren aus Deutschböhmen und Deutschmähren, die allesamt vom Völkerbund als berechtigt anerkannt wurden. Auch in neuester Zeit (2001 – 2005, des Fours Walderode, Czernin, Petzoldova) habe der Menschenrechtsausschuß in drei Fällen Tschechien verurteilt, ohne daß bis heute etwas geschehen sei.

Hart ins Gericht geht der Wissenschaftler mit der Bundesrepublik Deutschland. Was die Vertreibung der Deutschen aus Osteuropa betrifft, habe die Elite der Bundesrepublik kläglich versagt. Allein die Regierung der Bundesrepublik sei juristisch berechtigt, die Regierung der Tschechischen Republik aufzufordern, die Beneš-Dekrete aufzuheben und den juristischen Weg dazu konsequent einzuschlagen. Dies sei jedoch nie auch nur in Erwägung gezogen worden. Die Presse und Medien nehmen sich des Themas nur selten an, wenn überhaupt. Die Ansprache des ersten Hochkommissars für Menschenrechte, Dr. Ayala Lasso, in Berlin am 6. August 2005, nahmen die Medien noch nicht einmal zur Kenntnis, obwohl er in Anwesenheit von Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Veranstaltung „60 Jahre Vertreibung“ eine bemerkenswerte Rede hielt. Gleiches gilt für Politiker, die eher an ihre Wiederwahl denken als an völkerrechtliche Grundsätze und ihre Verpflichtung dazu, für die Intellektuellen, die „nette“ deutsch-tschechische Historiker-Kommission, ja selbst für den derzeitigen Staatspräsidenten der Bundesrepublik. Die Haltung der EU in Fragen des Völkerrechts im Verlauf der Aufnahme von Polen und der Tschechischen Republik in die EU prangert er an, insbesondere im Hinblick auf die Haltung zur Aufnahme der Türkei, die erheblich mehr Defizite im Bezug auf ihre Vergangenheit habe als jeder andere Staat in Europa.

Lobend äußert sich der welthöchste Sachverständige für Völkerrecht über Gyula Horn, den ehemaligen Premierminister von Ungarn und Verantwortlichen für die im Einklang mit dem Völkerrecht stehende Regelung der Rückkehr und Restitution der vertriebenen Deutschen. Nicht nur die Regelung selbst gibt Alfred M. de Zayas den anderen Nationen Europas zum Vorbild, sondern er betont ausdrücklich die warmen Worte der seinerzeitigen Erklärung von Gyula Horn zum Willkommen der Deutschen zurück in ihrer ungarischen Heimat.

wpe1.jpg (4644 Byte)  Professor Alfred Maurice de Zayas erhält eine Ausgabe des BRUNA-Kompendiums zum „Mährischen Ausgleich“

Meine Damen und Herren, Professor de Zayas nannte während des Vortrages mehrfach den Brünner Todesmarsch als Beispiel eines Verbrechens gegen die Menschheit. Nach dem Vortrag ist es mir gelungen, bis zu ihm vorzudringen und ihm einen Gruß der Brünner Vertriebenen zu übermitteln; ich hätte Ihnen gewünscht zu beobachten, wie sein Gesicht aufleuchtete. Er kenne uns und wisse über das Schicksal der Brünner sehr wohl Bescheid, waren seine Worte.

Hanna Zakhari

Wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung der Autorin
als Nachdruck aus dem Brünner Heimatboten 2006 Seiten 276 und 277 (November-Dezember)