comenius01.jpg (37280 Byte)   Denkstätte in Herborn
28.3.1592    NIVNICE
15.11.1670  AMSTERDAM
JAN AMOS COMENIUS
WER ALS MENSCH GEBOREN IST, SOLL          HERBORN 1611 - 1613
WIE EIN MENSCH ZU LEBEN LERNEN

QUICUMQUE HOMO NATUS EST,
HOMINEM AGERE DISCAT

LEIDER KANN ICH DEN TSCHECHISCHEN WORTLAUT NICHT FEHLERFREI ENTZIFFERN UND WIEDERGEBEN.
WER MIR DABEI HELFEN WILL, KANN EIN BESSERES BILD BEKOMMEN.    ML 2002-06-18

 


„Was hat uns Jan Amos Comenius zu sagen?“

Verehrte und liebe Landsleute, sehr geehrte Damen und Herren,

In einer Neujahrsbotschaft für das Jahr 2002 der Sudetendeutschen Landsmannschaft war zu lesen:

„Wir wissen, Frieden sichern wir nur durch mehr Verständigung untereinander.
Gespräche zwischen den Betroffenen auf beiden Seiten bleiben unverzichtbar.“

Dem kann ich nur beipflichten, denn wir streben das vereinte Europa an, und die Länder des Ostblocks drängen darauf, in diese Gemeinschaft mit aufgenommen zu werden.

Dies veranlaßt mich, meine Landsleute, aber auch die tschechischen Leser in der ehemaligen Heimat, an Jan Amos Comenius (1592-1670), unseren gemeinsamen großen Landsmann, zu erinnern, der seinerzeit schon ein großer Europäer, Humanist und Friedensbote war und dessen Gedankengut auch uns Heutigen viel zu sagen hat.

Vor vier Jahren wurden in vielen Veranstaltungen in Münster, in Osnabrück und in anderen Orten der 350-jährigen Wiederkehr des Westfälischen Friedens gedacht, der gerade für die Gemeinschaft der Böhmischen Brüder einen vernichtenden Ausgang darstellte, denn die Obrigkeit bestimmte die Religion der Untertanen, was für die böhmischen Länder hieß, sie mußten katholisch werden. Wer das nicht wollte, wurde vertrieben oder umgebracht, dabei spielte, wie so oft in der Geschichte, nicht die Stammeszugehörigkeit die entscheidende Rolle, sondern ausschließlich das Glaubensbekenntnis.

„Gewalt sei ferne den Dingen“ und „der Krieg ist etwas Bestialisches“, so schreibt Comenius am Ende seines Lebens. Wer sich mit den Schrecken des 30-jährigen Krieges befaßt, ahnt, welche Erfahrungen sich für ihn mit diesem Satz verbinden. Für die Überlebenden bedeutete das Ende des Krieges Zerstörung ihrer Heimat, Flucht und Vertreibung, Zerstörung ihrer Zukunft und Hoffnungslosigkeit. Welche Parallele zu dem Schicksal der Deutschen in Böhmen ab 1945, aber nicht nur in Böhmen, sondern in vielen weiteren Ländern des Ostblocks.

Der Friede braucht deshalb Friedensboten, besser gesagt, viele „Angelus Pacis“ = „Friedensengel“, wie der Titel einer aufrüttelnden Schrift des Comenius lautet, die er 1667 aus Anlaß der Friedensverhandlungen für die Delegationen verfaßte, die den englisch-niederländischen Seekrieg von 1665-1667 beenden sollten, in dem es um massive wirtschaftliche Interessen beider Länder ging.

Er schreibt darin unter anderem: „Es ist eines der Gesetze des göttlichen Rechtes, für den Frieden auf sein Recht zu verzichten. Folgten wir Christen ihm durchwegs, herrschte überall tiefster Friede. Da wir aber den Satz der irdischen Rechtsgelehrten: »Wer sein Recht durchsetzt, tut niemand Unrecht«, für vernünftiger halten, geschieht es, daß wir scheinbar unser Recht verfolgen, in Wahrheit aber unseren Leidenschaften frönen, alles mit Unrecht erfüllen und statt Frieden überall Streit haben.“

Und an einer anderen Stelle richtet er an die Delegierten den Appell: „Beginnt bei Euch selbst und strebt in Eurer freundschaftlichen Versammlung nur oder wenigstens vor allem danach, daß der Streit Anfang der Versöhnung sei. Es ist schimpflich, sagte einer, in Fehde mit dem zu leben, mit dem man in Freundschaft gelebt hat. Und gut ging es beiden. Um also den Schandfleck zu tilgen, kehrt zur Freundschaft zurück, und es wird beiden wieder gut ergehen.“

Hier kommt deutlich zum Ausdruck, wir brauchen nicht nur Politiker, die den Frieden politisch aushandeln, sondern vor allem Menschen, die ihn in ihrem Herzen verankern und lehren.

Da gerade uns Sudetendeutschen, oder besser gesagt, uns Deutsch-Böhmen sowie die Tschechen immer wieder das Thema der Aussöhnung zwischen beiden Völkern beschäftigt, sollten wir uns alle an Jan Amos Comenius erinnern, den großen Mahner und Friedensboten. Denn, wenn wir eines Tages von dieser irdischen Bühne abtreten, um zu neuen Ufern aufzubrechen, wird all das, was uns bis zu diesem Moment wichtig und schwerwiegend erschien, bedeutungslos sein.

Dann kommt für jeden der Satz aus dem „Vater unser“: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“ zur vollen Geltung. Ja, das ist unser aller gemeinsames Schicksal, und gerade über diesen Satz sollten wir als Betroffene und als Christen – egal wie viel Leid dem Einzelnen auch widerfahren sein mag – nachdenken und diesen Satz des „Vater unser’s“ auch verinnerlichen, denn kein Mensch kann sagen, daß er ohne Schuld sei. Dies sagte bereits Jesus mit dem Satz: „Wer von euch ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein.“

Es darf auf beiden Seiten nicht von Kollektivschuld gesprochen werden und immer nur auf den Anderen verwiesen werden, wir müssen heute an die Zukunft der nach uns Geborenen denken und entsprechend handeln. Denn nicht nur die Bibel lehrt uns: „Was der Mensch sät, das wird er ernten“, sondern auch die Geschichte der Völker und Nationen. Die Forderung an alle muß Vergebung heißen, damit auch uns vergeben wird, auch dann, wenn ich als Einzelner an dem politischen Geschehen keinen direkten Anteil hatte.

Nicht derjenige ist besonders stark, der sofort zurückschlägt oder nach Vergeltung ruft, sondern derjenige, der die Energie zum Verzeihen aufbringt, wie es bereits 1950 in der „Charta der deutschen Heimatvertriebenen“ festgeschrieben wurde.

Wie bereits gesagt, wird derzeitig das vereinte Europa angestrebt, und täglich kann man von irgendwelchen Anfeindungen der Menschen untereinander lesen, sehen und hören. Deshalb sind alle Menschen, die guten Willens sind, aufgerufen, als Friedensengel zu wirken, selbst dann, wenn die Möglichkeit für den Einzelnen noch so gering ist.

Die gemeinsame Zukunft verlangt sowohl von den Tschechen und den Deutschen, aber auch von den Russen und Polen und allen übrigen am 2. Weltkrieg beteiligten Völkern, daß wir uns erinnern, denn es gibt keine gemeinsame Zukunft ohne Erinnerung, nur muß diese haßfrei sein, damit das „neue Europa“ entstehen kann.

Ich fordere kein Vergessen, sondern Vergebung unter den Beteiligten, denn Geschichtsverdrängung oder Geschichtsfälschung hat die Menschen und Nationen noch nie in ihrer Entwicklung weiter vorangebracht. Dr. Martin Luther King sagte einmal: „Nichts wird sich in der Welt verbessern, wenn wir träge darauf warten, daß sich Gott allein darum kümmert.“

Das Erbe, welches uns Comenius hinterlassen hat, wird gerade in jüngster Zeit als wichtige Anregung zum Überdenken unserer heutigen Probleme und die der künftigen Zeit angesehen.

Wir wissen, daß jeder Mensch sein Weltbild nach seinen persönlichen Erfahrungen konstruiert und dieses dann für die objektive Wahrheit hält. Andere Menschen haben andere Erfahrungen und Vorstellungen, und wenn sie nicht mit unseren übereinstimmen, ist dies oft schmerzhaft.

Auch dazu gibt uns Comenius in seinem Buch: „Labyrinth der Welt und Paradies des Herzens“ ein vorzügliches Beispiel:

Er schreibt: „Zwei Führer hatte ich, wie jeder, der in der Welt herumtappt: die Neugier des Geistes, die alles untersucht; und jene Gewohnheit, die den Täuschungen der Welt die Farbe gibt. Wenn du mit den Augen des Verstandes ihnen nachgehst, erblickst du mit mir gemeinsam das miserable Durcheinander deiner Mitwelt; wenn es dir anders vorkommen wird, dann wisse, daß auf deiner Nase die Brille der Verblendung sitzt, durch die du alles verkehrt siehst.“

Obwohl sich über Jahrhunderte hinweg die Bedingungen menschlicher Existenz verändert haben, sind wesentliche Grundfragen des Menschen gleich geblieben, und gerade Comenius zeigt uns dies. Denn wie wir heute, so lebte auch Comenius damals in einer Zeit großer Veränderungen, deshalb sind seine Forderungen besonders aktuell. Trat er doch dafür ein, daß die Grenzen zwischen den Menschen, den Völkern und Staaten, den Weltanschauungen und Konfessionen überwunden werden, damit überall und allgemein Frieden einkehre.

In diesem Sinne wünsche auch ich meinen Landsleuten ein gesegnetes und friedvolles Jahr 2002, in der Hoffnung, daß wir und unsere nachfolgenden Generationen allen Haß beiseite lassen und aus der leidvollen Geschichte lernen, damit nicht immer wieder aus Eitelkeit, Egoismus und Rachsucht einiger weniger die gleichen Fehler wiederholt werden.

 

Es grüßt Sie ganz herzlich Emil Focke  24. 02. 2002

 

Emil Focke
48565 Steinfurt
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Tel.: 02552/60869
e-Mail: emil.focke@t-online.de

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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